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Die SPD zwischen Volks- und Linkspartei

Vor der Klausurtagung der SPD hat der Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer seine Partei dazu aufgefordert, sich von der Linkspartei nicht "die sozialdemokratische Butter vom Brot nehmen lassen". Die SPD habe immer schon einen eher linken und einen wirtschaftsfreundlichen Flügel gehabt. And der "Hysterie", die sich gegenwärtig gegenüber den Linken ausbreite, solle man sich nicht beteiligen, so Schorlemmer.

Friedrich Schorlemmer im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Die Partei ringt um ihren Kurs auf der einen Seite, um das personelle Angebot auf der anderen Seite. An diesem Wochenende will man sich zusammensetzen und die Öffentlichkeit wartet gespannt darauf, was denn dabei herauskommt. Und das alles tut man in einer Woche, in der Oskar Lafontaine, der frühere SPD-Vorsitzende und heutige Linken-Chef für heftige Aufregung gesorgt hat, der hat nämlich den Zusammenschluss zwischen KPD und SPD zur SED damals in eine Rubrik gestellt und gesagt, na ja, da seien viel mehr Sozialdemokraten freiwillig beigewesen, als wir das gemeinhin so sehen, wenn wir davon reden, dass eine Zwangsvereinigung war. Über dies alles, den Kurs der SPD und diese historische Komponente wollen wir reden mit einem, der es gut kennt. Ich begrüße Friedrich Schorlemmer, den Bürgerrechtler und Sozialdemokraten. Guten Morgen, Herr Schorlemmer!

    Friedrich Schorlemmer: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Schorlemmer, zunächst einmal: Wie freiwillig war denn damals dieser Händedruck zwischen Otto Grotewohl und Willi Pieck, der ja so ein Symbol für diese Vereinigung da geworden ist?

    Schorlemmer: Ja, ich habe den Eindruck, dass hier komplexe historische Vorgänge zu politischen Schlagworten gemacht werden. Und ein Adjektiv, freiwillig oder erzwungen, kann das nicht hinreichend charakterisieren. Man muss da Relativsätze dransetzen, die heißt erstens, in der sowjetischen Besatzungszone 1946 unter Führung der KPD, anfänglich auch mit Erwartungen von Sozialdemokraten verbunden, die sich erinnert haben daran, dass die Nazis an die Macht kamen, auch weil die Linke zerstritten war und dann bei Verfolgung all derer, die sich dagegen gewehrt hatten, bis hin dann später zur Diffamierung des Sozialdemokratismus und der Ablösung aller sozialdemokratischen Tradition in der SED.

    Zurheide: Das heißt, da hat es einige gegeben, die gesagt haben, die Linke muss vereinigt werden. Das war aber nur der eine Schritt, und dann kam was ganz anderes?

    Schorlemmer: Ja, dann kam die, muss sagen, Abwürgung aller sozialdemokratischen sozusagen Traditionen und vor allem der demokratisch-freiheitlichen Tradition. Dass man dann ein Ein-Parteien-System macht, wo die Partei von der Geschichte gewissermaßen legitimiert war, wo man dann Blockparteien mit in den Block nahm, die auch übrigens ganz brav und gerade devot funktionierten, muss man auch sagen, keine Wahlen mehr machte und ein Politbüro herrschte, und von sozialdemokratischen Inhalten war dort kaum noch eine Rede, sondern man hat ganz und gar das sowjetische System hier kopiert bis dahin, dass man auch die Länder gleich aufgelöst hat und in sowjetische Rajons, also Bezirke, eingeteilt hat usw. usw.

    Zurheide: Und 5000 Sozialdemokraten mindestens landeten im Gefängnis?

    Schorlemmer: Ja, oder sind noch rechtzeitig dann abgehauen, aber jedenfalls haben dafür auch gelitten, dass sie für diese Art von Vereinigung nichts übrig hatten. Und damit hatten sie recht, denn dies war eine Zwangsumarmung. Pieck, der nette, spätere Präsident gab zwar seine Hand dafür, aber die Strippen zog dieser Machtzyniker Walter Ulbricht.

    Zurheide: Was schmerzt jetzt eigentlich mehr? Wenn Oskar Lafontaine solch einen, am Ende falschen historischen Vergleich bringt und da auf die Freiwilligkeit hinweist? Die historische Komponente oder ist es dieser Oskar Lafontaine, der im Moment eine Partei vertritt, die im Aufwind ist, während die SPD taumelt, das muss man ja sagen? Was schmerzt Sie da mehr?

    Schorlemmer: Na, mich schmerzt am meisten, dass wir Sozialdemokraten unserer Sache nicht mehr so richtig gewiss sind, was also sozialdemokratische Inhalte sind. Und wir dürfen uns, finde ich, nicht von Oskar Lafontaine, sagen wir, gewissermaßen die sozialdemokratische Butter vom Brot nehmen lassen und auch nicht uns publizistisch irritieren lassen, dadurch dass jetzt in Vielem die linken Sozialdemokraten, etwa die die Gerechtigkeit hochhalten und die Arm-reich-Schere beklagen, dass nicht ein Nachlaufen hinter der Linken ist, sondern dass das sozialdemokratische Inhalte sind, für die man eintritt. Dass aber Oskar Lafontaine dabei ist, also gewissermaßen einen Rachefeldzug auch zu vollziehen, vergiftet auch die ganze Debatte.

    Zurheide: Ist nicht das Grundproblem, das wir im Moment bei der SPD zwei Parteien haben? Das beobachten ja viele so. Da sind die Agenda-Gralshüter auf der einen Seite und die Agenda-Gegner auf der anderen Seite, Sie haben es gerade umschrieben. Warum können die so wenig miteinander reden und warum schaffen die das nicht, diesen Teil als Geschichte abzuhaken und in die Zukunft zu schauen?

    Schorlemmer: Ja, wenn ich das wüsste. In der SPD gab es immer schon Leute, die, sagen wir, mehr auch ein utopischen Anteil hatten oder einen linken Anteil, und andere, die stärker sich als Realisten verstanden und einen guten Kontakt zur Wirtschaft suchten. Ich denke, die SPD braucht beide Flügel. Die einen, die Gerechtigkeit in dem Sozialstaat hochhalten und die anderen, die den wirtschaftlichen Sachverstand behalten und die nötige Nüchternheit haben. Ich glaube, die Verbindung auch zwischen, oder die Trennung zwischen Willy Brandt und Helmut Schmidt hat das ja in gewisser Weise schon vorgezeichnet. Was ich für nötig hielte, dass Sozialdemokraten sich ihrer selbst vergewissern, zweitens nicht teilnehmen an der Hysterie, die sich gegenwärtig gegenüber den Linken in der Bundesrepublik ausbreitet, also als ob diese Partei eine Gefahr für unser demokratisches System sei und als ob diese Partei immer noch eine Marxismus-Leninismus-Partei mit Politbüro und sowjetischen Panzern wäre. Hier ist auch im Westen eine Form von Hysterie und geradezu Neurotisierung, also ein Antikommunismus ohne Kommunisten. Ich würde sagen, ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst der Linken. Aber es ist eigentlich kein Gespenst, sondern sie gehört sie zu den fünf Parteien, die jetzt gewählt werden, mit der wir wahrscheinlich auf absehbare Zeit werden leben müssen, politisch leben müssen, nüchtern leben müssen, unaufgeregt leben müssen. Also so wie das Harald Ringstorff in Mecklenburg ganz gut hingekriegt hat oder Reinhard Höppner in Magdeburg oder auch jetzt in Berlin. Das ist doch kein Unglück für Deutschland, wenn man mit den Linken einen Ausgleich sucht, wenn die Schnittmenge des gemeinsamen Sachlichen stimmt und wenn die persönliche Zusammenarbeit geht.

    Zurheide: Das heißt, Zusammenarbeit ist für Sie gar kein Tabu, sondern hängt von den jeweiligen Bedingungen ab? Welche Bedingungen müssen denn erfüllt sein? Wenn man zum Beispiel solche historischen Vergleiche von Oskar Lafontaine hört, kann man ja zweifeln, ob das man als Sozialdemokrat könnte oder wie sehen Sie das?

    Schorlemmer: Na ja, ich würde das auch wieder nicht so wichtig nehmen, wenn man Lafontaine ein bisschen kennt. Das ist in der politischen Schlacht gesagt worden, und die Speerspitze war bei ihm ja wohl auch, dass er sagte, auch die Blockparteien, die innerhalb dieses demokratischen Blocks so funktioniert haben, müssten auch ihre Geschichte aufarbeiten, wenn man von DDR-Geschichte redet. Man darf nicht einseitig der PDS oder der neuen Linken die historische Verantwortung dafür zuschieben. Das wollte er wohl auch sagen. Also ich würde das vernachlässigen. Was aber das Problem ist, aber Oskar Lafontaine weiß nicht, dass er das Problem ist für eine sachbezogene Zusammenarbeit, weil die Art, in der er den Bettel hingeschmissen hat, ist ein Teil für die Krise der Sozialdemokratie. Der andere Teil ist, glaube ich, dass die Agenda wie ein Mantra von manchen vorgetragen wird, als wenn man nicht auch darüber nachdenken kann, was man daran verändern kann, ohne dass man diesen Reformprozess insgesamt hinter sich lässt oder leugnet.

    Zurheide: Jetzt haben Sie vorhin gesagt, gerade in Parteien braucht man unterschiedliche Flügel, auch unterschiedliche Meinungen. Das scheint aber in der Öffentlichkeit und auch innerparteilich nicht mehr gut anzukommen. Wir sehen eine Demokratie, die eigentlich immer nur in eine Richtung geht. Woran liegt das eigentlich?

    Schorlemmer: Ja, ich weiß nicht. Offensichtlich werden auch die Parteien von medialer Reaktion getrieben. Ist Ruhe in der Partei, sagt man, da gibt es keine Diskussionskultur. Diskutieren sie miteinander, was sie eigentlich tun müssen, und das wird auch öffentlich, dann sagen sie, die streiten sich nur und wissen nicht, was sie wollen. Ich finde, dass auch Medien, nicht die Medien, daran Anteil haben, dass wir zu einer Dauerskandalisierung von Politik kommen und Nebensätze zu Hauptsätzen gemacht werden, bloß weil man irgendwo einen Konflikt wittert. Und ich finde die ganze Art, wie die Debatte gegenwärtig öffentlich geführt wird, finde ich neurotisiert. Also ich habe keine Angst vor dem Wiederkommen des Kommunismus, wenn wir vernünftig mit den Linken reden und da, wo Schnittmengen da sind, auch mit ihnen Zusammenarbeit suchen. Das wird sicher auf Bundesebene gegenwärtig noch nicht gehen, aber auf Länderebene haben wir schon bewiesen, dass es geht.