Mittlerweile ist wieder Ruhe eingekehrt im beschaulichen Ober-Erlenbach. Einen Tag lang stand der hessische Ort im nördlichen Rhein-Main-Gebiet im Fokus der EHEC-Hysterie. Im namengebenden Erlenbach war Mitte Juni die extrem gefährliche Variante des Krankheitserregers gefunden worden – und zwar unterhalb der Kläranlage der 5000-Einwohner-Siedlung. Sofort kam der Verdacht auf, dass hoch kontaminiertes Abwasser aus den Klärbecken auf die umliegenden Felder und Gärten verteilt worden sei. Jens Feucht, Betriebsleiter der Anlage:
"Wir haben jetzt, nachdem diese Diskussion hier aufkam, uns überprüfen lassen und konnten EHEC-Bakterien nachweisen."
Vom Darm der Infizierten in die Kanalisation. Die Kläranlage als Sammelbecken und als Bakterienschleuder. Gefährliche Superkeime gelangen in unsere Flüsse, setzen sich dort fest, bedrohen die Trinkwasserversorgung. Eine Horrorvision. Und der Beginn einer Spurensuche.
Es ist ein heißer Sommertag. Der Erlenbach ist zu einem spärlichen Rinnsal zusammengeschrumpft, aber das braune Wasser in der Kläranlage strömt in gewaltigen Mengen durch die Kanäle und die Becken. Ein modrig-fauliger Duft liegt über dem Zulauf der Anlage.
"Das riecht auch noch ein bisschen hier, ja. – Ist halt Abwasser."
Martin Ruddies, der stellvertretende Betriebsleiter, zieht seine grüne Latzhose stramm und deutet auf gewaltige Metallschnecken, wie in einem Fleischwolf. Die heben das Wasser um einige Meter nach oben, bevor es dann im freien Gefälle weiter strömt.
"Nächster Schritt wäre dann die Rechenanlage, die sich hier in diesem Gebäude befindet. Da werden Grobstoffe rausgefiltert. Plastikstoffe und Äste, Laub und so weiter. Alles, was grobe Abwasserinhaltsstoffe sind, die wollen wir nicht in der Kläranlage drin haben."
Die Brühe strömt dann weiter in einen Kanal, der als Sandfang dient. Schwere Partikel, die den Rechen passiert haben, sinken hier nach unten. Die Fäkalien aber treiben mit dem Wasser weiter. Und mit ihnen eine Unzahl von Bakterien aus dem menschlichen Darm – auch potentielle Krankheitserreger.
Das vielleicht prominenteste Fäkalbakterium ist Escherichia coli, kurz: E. coli. Zu diesen stäbchenförmigen Einzellern gehören auch die EHEC-Erreger, die beim jüngsten Ausbruch in Deutschland über 40 Todesopfer gefordert haben. Helge Karch hat seine Karriere diesen Einzellern gewidmet. Am Universitätsklinikum Münster leitet der Professor das Institut für Hygiene.
"E. coli sind an und für sich harmlose Darmbakterien, die jeder von uns in seinem Darm beherbergt. Sie kommen aber nicht nur beim Menschen vor, sondern auch bei Tieren."
Die meisten Stämme schützen den Darm vor gefährlichen Infektionen, weil sie durch ihre Besiedlung anderen Bakterien das Leben schwer machen. Karch:
"Es gibt neben diesen Nützlingen auch Ganoven, die Darmerkrankungen hervorrufen, aber auch sogenannte extraintestinale Erkrankungen, also außerhalb des Darms. Am bekanntesten ist E. coli als Erreger von Harnwegsinfektionen beispielsweise."
Manche dieser Übeltäter, nämlich die EHEC-Bakterien, können blutigen Durchfall verursachen. Im schlimmsten Fall erkranken die Patienten an einem hämolytisch-urämischen Syndrom, kurz HUS. Bei dem jüngsten Ausbruchsstamm litten ungewöhnlich viele Betroffene unter dieser schweren Komplikation. Denn der spezielle EHEC-Stamm O104:H4, kombiniert einige Eigenschaften, die ihn besonders virulent machen. Wie gewöhnliche EHEC auch produzieren diese Bakterien einen Giftstoff und sie haften an den Zellen der Darmschleimhaut – deutlich fester als andere Stämme. Karch:
"Sie binden sehr effektiv an diese Zellen und mauern die regelrecht ein. Das sieht also aus wie ein Mauerwerk, das sich um diese Zellen herum bildet, und dieses Mauerwerk ist sehr fest. Wir können das kaum abwaschen."
Nicht nur im Darm kleben die EHEC-Erreger an dem Gewebe. Außerhalb des menschlichen Körpers haften sie hervorragend an Oberflächen aus Glas oder Plastik. Auch sonst handelt es sich bei diesen EHEC-Bakterien um eher robuste Lebewesen. Sie können zwischen minus 20 und plus 70 Grad Celsius existieren. Sie widerstehen sauren Bedingungen deutlich besser als andere Krankmacher im Wasser. Und wahrscheinlich können sie auch eine gewisse Zeit Trockenheit überdauern.
"Zu der Resistenz gegenüber Trockenheit wissen wir noch wenig, denn wir kennen diesen Stamm ja erst seit dem 24. Mai. Wir haben aber festgestellt, dass er diesen Zeitraum bis jetzt in unserem Kühlschrank im Wasser sehr gut überlebt hat."
Der Schluss liegt daher nahe: EHEC könnte über den Weg der Kläranlage in Flüsse und Seen gelangen und sich dort dauerhaft ansiedeln. Karch:
"Wir müssen derzeit davon ausgehen, dass der jetzige Ausbruchsstamm den Menschen braucht, um sich effektiv zu vermehren. Über sein Leben in der Umwelt wissen wir noch wenig, ja nichts, würde ich sagen. So gut wie nichts. Vielleicht liegt ein Phasenwechsel zugrunde, dass er in der Umwelt in Kontakt tritt mit Pflanzen oder dass er in Oberflächengewässern lebt. Wir wissen es nicht. Er ist jedenfalls bis jetzt noch nicht in Tieren gefunden worden. So dass, wenn er sich wieder vermehrt, zum Menschen zurückmuss. Und dies müssen wir verhindern."
Bislang hat man die EHEC-Erreger nur im hessischen Obererlenbach wieder gefunden. Für die Mikrobiologin Regine Szewzyk vom Umweltbundesamt Berlin ist das zunächst einmal keine Überraschung:
"Wir vermuten, dass nur sehr wenige von diesem Ausbruchsstamm, von diesen EHEC-Erregern in die Oberflächengewässer gelangen, da es im Verhältnis zu normalen Personen nur ganz wenige Ausscheider gibt. Wir vermuten, dass vielleicht so zehn- bis zwanzigtausend Personen jetzt mit diesem E. coli infiziert sind, mit diesem EHEC-Ausbruchsstamm, und gegenüber Millionen von anderen Personen, die ja die normalen E. colis in ihrem Darm haben, das heißt, es findet eine große Verdünnung statt, und wenn man dann nur wenige E. colis in diesem Oberflächengewässer findet, wird man noch sehr viel weniger von diesem Ausbruchsstamm in den Oberflächengewässern finden."
Die Menge mag gering sein, doch Sorge bereitet schon die Tatsache, dass überhaupt EHEC in einem Fluss nachgewiesen werden konnte. Und: Wo Coli-Bakterien auftauchen, da sind oft auch andere Krankheitserreger aus dem Darm nicht fern – etwa Bakterien wie Salmonellen, Listerien und Shigellen. Oder auch Viren, die deutlich länger unter widrigen Bedingungen überleben können. Genauso wie einzellige Parasiten, Kryptosporidien oder Giardien zum Beispiel. Sie alle könnten denselben Weg nehmen wie die EHEC-Erreger – aus der Kläranlage in die Oberflächengewässer.
Zurück in Ober-Erlenbach. Martin Ruddies blickt über drei große Becken, durch die das Schmutzwasser auf verschlungenen Wegen hindurch fließt.
"So, hier stehen wir jetzt an den Belebungsbecken, das ist quasi das Kernstück der Kläranlage. Sie sehen hier das schlammfarbige Wasser, das sind alles Bakterien, Mikroorganismen, die hier am Leben gehalten werden. Wir bieten denen halt nur optimale Lebensbedingungen."
Die fleißigen Helfer im Klärbecken zerlegen die organischen Stoffe und die Stickstoffverbindungen. Dazu brauchen sie reichlich Sauerstoff. Deshalb pumpen die Fachleute von der Kläranlage Luft durch die Brühe.
"Ja, hier ist jetzt nur noch ein leicht modriger Geruch festzustellen. Also Gestank gibt es hier eigentlich nur im Zulauf-Bereich, wo das Fäkalwasser ankommt oder beim Rechen. Ansonsten riecht das alles hier ganz normal."
Doch nicht nur chemische Substanzen verschwinden hier aus dem Abwasser. Auch bei einem großen Teil der Darmbakterien kommt es zu einer deutlichen Reduktion. Denn Coli-Bakterien sind in der Regel an einen Temperatur von knapp 40 Grad angepasst, nicht an kaltes Kläranlagenwasser. Auch das Überangebot von Sauerstoff und der Mangel an Nährstoffen machen ihnen zu schaffen. In der hintersten Ecke des Geländes steht ein metallisch schimmernder Kasten, der an einen Kühlschrank erinnert.
"Das ist quasi die letzte Station. Hier sind noch einmal ein paar Messungen…"
Alle zwei Stunden wird hier eine Probe des gereinigten Wassers gezogen und auf organische Bestandteile, Phosphate und Nitrate hin untersucht. Ruddies:
"Also, wir machen jeden Tag vom Zulauf eine Probe und jeden Tag vom Ablauf eine Probennahme. Und wir müssen ja gucken, dass wir unsere Werte einhalten und auch den Reinigungsgrad so hoch wie möglich halten. Da muss halt immer drauf geachtet werden."
Was nicht routinemäßig überprüft wird, ist die Belastung des Wassers mit Krankheitserregern – wie etwa EHEC. Und das ist eine offene Flanke nahezu aller deutschen Kläranlagen. Regine Szewzyk vom Umweltbundesamt.
"Lange Jahre war die Abwasserreinigung hauptsächlich zur Nährstoffentfernung. Also mehr die ökologische Qualität der Gewässer stand im Vordergrund, und da haben wir ja auch sehr große Erfolge erzielt. Dass im Rhein wieder Lachse schwimmen und so, also mehr diese ökologische Verbesserung der Gewässerqualität. Und erst in den letzten Jahren wurde es klar, dass mit der ökologischen Verbesserung nicht unbedingt auch die hygienische Verbesserung der Gewässer einhergeht, und daher haben wir jetzt die Diskussion, dass wir jetzt eben auch zusätzlich noch etwas für die Hygiene tun müssen. Und das Umweltbundesamt ist der Meinung, in sensiblen Gewässern brauchen wir da eventuell eine Nachrüstung mit einer vierten Reinigungsstufe."
Technisch ist das bereits möglich. Man kann die Bakterien zum Beispiel mit UV-Licht abtöten oder das Wasser durch eine feinporige Kunststoffmembran pressen. Doch die wenigsten deutschen Kläranlagen verfügen über diese Technologie. Dabei gilt seit 2008 eine neue EG-Badegewässerrichtlinie. Regine Szewzyk sieht deutlichen Handlungsbedarf.
"Ich denke, in bestimmten Bereichen müssen wir mehr tun, wo Abwässer eben in sensible Gewässer eingeleitet werden, wie zum Beispiel in Badegewässer. Da wird sich jetzt auch einiges tun, denke ich, denn für alle Badegewässer müssen so genannte Badegewässerprofile erstellt werden, das heißt, die Behörden müssen ganz genau hinschauen, wo kommen denn jetzt die Verunreinigungen her, die das Badegewässer beeinflussen könnten, und wenn sich zeigt, dass die aus Abwassereinleitungen kommen, dann gibt es ganz klar die Vorgabe aus der EG-Badegewässerrichtlinie, dass dann Maßnahmen getroffen werden müssen, um die Situation zu verbessern."
Aber nicht nur über Badegewässer kann der Erreger der Darminfektionen zum Menschen zurückkehren, wie das Beispiel in Hessen zeigt. Im Sommer schrumpft der Erlenbach zu einem Rinnsal zusammen. Unterhalb der Kläranlage fließt überwiegend geklärtes Abwasser in seinem Bett. Badende gibt es dort nicht, aber in der Nähe landwirtschaftliche Betriebe. Drei von ihnen hatten sich vom Regierungspräsidium eine Genehmigung erteilen lassen, mit der sie das Flusswasser zur Beregnung der Felder nutzen durften. Zwei dieser Lizenzen wurden nach dem Fund der EHEC-Erreger wieder zurückgezogen. Das Risiko, dass die Bakterien über Obst und Gemüse zum Menschen zurückkehren, ist bekannt, sagt der Hygiene-Experte Werner Mathys vom Universitätsklinikum Münster
"Wir wissen von anderen EHEC-Bakterien, dass die auch in der Lage sind, Biofilme auf Lebensmitteln, zum Beispiel auf Salat zu bilden. Das ist eine exzellente Überlebensstrategie. Denn der Biofilm bedeutet: Resistenz in der Umwelt, langes Überleben. Und der bedeutet gleichzeitig natürlich auch Schwierigkeiten bei der Entfernung. Also da reichen dann unter Umständen die einfachen Empfehlungen - Wasch mal dein Lebensmittel ab - nicht mehr aus."
Der Erlenbach plätschert weiter. Er mündet in die Nidda, und die, bei Frankfurt, in den Main. Dann in den Rhein, in die Nordsee. Und überall können Krankheitserreger ins Wasser gelangen, nicht nur von den Abläufen der Kläranlagen. Besonders kritisch wird es zum Beispiel, wenn es stark regnet. Der Niederschlag spült die Gülle von den Weiden in den nächsten Bach. In den Städten kann die Kanalisation überlaufen: Das Abwasser mit den Fäkalien und möglicherweise auch Krankheitserregern wird dann völlig ungeklärt in die Flüsse geleitet. Doch im fließenden Wasser verläuft sich die Spur der Erreger. Sie fallen den Selbstreinigungskräften der Flüsse und Bäche zum Opfer, werden von Sonnenstrahlen zerstört oder von winzigen Wassertierchen gefressen. Ihre Konzentration nimmt ab. Das Wasser verdunstet und regnet wieder hinab. Es versickert bis auf den Grund. Die Passage durch die verschiedenen Bodenschichten dauert manchmal ein Jahr, manchmal 100. Spätestens hier, im Boden, bleiben die letzten Keime hängen. Und dann kommt das Wasser zu uns zurück: Als Trinkwasser.
Wasser für den menschlichen Gebrauch muss frei von Krankheitserregern, genusstauglich und rein sein. Paragraph 4 der Trinkwasserverordnung. Die meisten Wasserwerke in Deutschland gewinnen ihr Trinkwasser aus Grundwasser. Es wird natürlich kurz aufbereitet, aber an und für sich ist das Grundwasser aus vielen Regionen schon trinkfertig. Wer Trinkwasser dagegen direkt aus einem Fluss gewinnen will, muss da schon andere Geschütze auffahren. Es gibt in Deutschland gerade einmal zwei Wasserwerke, die das machen: Das Wasserwerk in Düren, und das Wasserwerk in Rostock.
"Wir befinden uns hier in der Ozonanlage des Wasserwerkes Rostock, wo wir über die Zugabe von Ozon eine Desinfektion des Wassers vornehmen."
Das Wasserwerk der Hansestadt versorgt 220.000 Menschen mit Trinkwasser – direkt aus der Warnow. Ingenieur Ralf Troppens bleibt vor einer massiven Betonwand stehen. Durch ein Bullauge kann man direkt ins Wasserbecken schauen. Im klaren Wasser sprudeln tausende von winzigen Bläschen: Ozon.
"Natürlich sind in der Warnow Krankheitserreger vorhanden. Weil... sonst bräuchten wir diesen Aufwand nicht betreiben."
Eigentlich, sagt der Wasserwirtschaftler, sei die Warnow ein ziemlich sauberer Fluss. Kein Vergleich zu Rhein und Ruhr. Im Einzugsgebiet der Warnow leben nur wenige Menschen. Die Bauern müssen sich an strenge Auflagen halten, die Schifffahrt ist verboten. Trotzdem bleibt die Warnow immer noch ein Fluss. Troppens:
"Wir müssen davon ausgehen dass die gesamte Palette der Mikrobiologie vorhanden ist. Eigentlich alles, was man sich vorstellen kann. Da gibt es Darmbakterien, da gibt es Viren, andere pathogene Keime, bis hin zu Parasiten, die letzten Endes gesundheitlich sicher beherrscht werden müssen. Und dafür muss man ein Wasserwerk so ausrichten, dass man extrem hohe Konzentrationen, außergewöhnliche Situationen, auch beherrschen kann."
Das Trinkwasser aus der Warnow darf keine Krankheitserreger enthalten. Egal, was im Fluss passiert, ob jemand illegal Abwässer einleitet oder Starkregen Gülle von den Feldern in den Fluss schwemmt. Früher, zu DDR-Zeiten, haben sie die gefährlichen Keime mit extrem hohen Dosen an Chlor abgetötet. Viele Rostocker verziehen heute noch das Gesicht, wenn sie daran denken, wie das Wasser gerochen und geschmeckt hat. Nach der Wende wurde das Wasserwerk saniert, das Chlor von modernen Aufbereitungstechnologien abgelöst. Wenn das Wasser hier in der Hauptozonung angekommen ist, hat es schon mehrere Aufbereitungsstufen hinter sich: Eine Vorbehandlung mit Ozon ganz am Anfang und verschiedene Filtersysteme. Mit jeder Reinigungsstufe sinkt die Zahl der Krankheitserreger,
"bis schlussendlich nachher die Desinfektion mit Ozon noch kommt, und sichergestellt ist, dass da keiner durchbrechen kann."
Alle Stufen zusammen halten 99,999 Prozent aller Pathogene zurück, sagt Ralf Troppens. Die meisten Bakterien und Viren scheitern schon an den ersten Reinigungsstufen.
"Natürlich sind so ein bisschen Koloniezahlen, Coli und E-coli gar kein Thema, das kann man relativ schnell beherrschen. Aber man braucht ein Wasserwerk, das auch in der Lage ist, Parasiten zu beherrschen - Giardien und Kryptosporidien, die eine entsprechende gesundheitliche Relevanz haben für denjenigen, der den einen halt kriegt, den er trinkt, und wir müssen sicherstellen, dass keiner da ist."
Parasiten sind besonders hartnäckig. Sie bilden Dauerformen, die monatelang überleben. Ab und zu schafft es ein Parasit durch die Aufbereitungsstufen, bis zur Hauptozonung. Aber spätestens hier sei Schluss, sagt Ralf Troppens und späht durch das Bullauge ins Ozon-Eintragsbecken.
"Was passiert da jetzt drin, letzten Endes müssen wir mit dem Ozon durch die Zelle hindurch, der Zellkern muss geschädigt werden, die Zelle stirbt ab, und es muss bei entsprechenden Organismen eine ausreichende Anzahl an Zellen geschädigt werden, damit der Organismus stirbt."
In Mecklenburg-Vorpommern sind 181 Menschen an dem EHEC-Erreger O104:H4 erkrankt. In Rostock waren es zwölf. Das Klärwerk der Stadt liegt viel weiter flussabwärts, sieben Kilometer unterhalb des Wasserwerks. Doch es gibt noch andere Klärwerke in der Region, die ihre Abwässer in die Warnow leiten. Deshalb ist es gut möglich, dass sich O104:H4 auch in die Warnow verirrt. Für Ralf Troppens kein Problem.
"Also EHEC ist in der Trinkwasseraufbereitung kein Thema. Überhaupt kein Thema. Wir müssen hier eigentlich eine Technologie vorhalten, die in der Lage ist, Parasiten zu beherrschen, und da kommt es nicht so sehr auf E. coli an, denn die werden mit Sicherheit beherrscht. Die werden sehr viel früher inaktiviert, als wir es mit Parasiten machen könnten. Und von daher, und das zeigen ja unsere Analysen auch, gibt es keinerlei E.-coli-Befunde, und wenn ich keine Befunde habe, kann ich auch nicht verifizieren, ob jetzt da, wo nichts da ist, einer davon EHEC wäre."
"Also E. coli haben wir im Trinkwasser hier im Wasserwerk Rostock noch überhaupt nicht gefunden."
Die Biologin Kerstin Gröbe von Aqua Service Schwerin schüttelt den Kopf.
"Und auch ein Nachweis von coliformen Bakterien ist ganz, ganz, ganz selten. Ich kann mich gar nicht erinnern, nee."
Das Labor analysiert Trinkwasserproben – im Auftrag des Wasserwerks. Das Wasserwerk Rostock überprüft sich in erster Linie selbst. Das ist in der Trinkwasserverordnung so vorgesehen. Gröbe:
"Das Trinkwasser vom Wasserwerk Rostock wird täglich untersucht. Werktäglich untersucht. Jeden Tag."
Jeden Tag fahndet Kerstin Gröbe auch nach E. coli und anderen Darmbakterien. Wenn die im Wasser schwimmen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass das Wasser an irgendeiner Stelle mit Fäkalien verunreinigt worden ist.
Kerstin Gröbe baut Petrischalen, Messbecher und verschiedene Fläschchen vor sich auf.
"Die Wasserprobe wird natürlich vorher ordentlich geschüttelt."
Die Trinkwasserverordnung schreibt einen klaren Grenzwert für E. coli und andere Darmbakterien im Trinkwasser vor: Null pro einhundert Milliliter. Kerstin Gröbe zündet erst einmal den Bunsenbrenner an.
"Der Brenner ist zum Abflammen des Membranfiltrationsgerätes, damit man sicher ist, dass man sich keine Fremdkeime von außen einzieht."
Um eventuelle Darmbakterien aufzuspüren, muss sie das Wasser filtern.
"Dazu kommt dieser Messbecher, und die Wasserprobe wird wieder gut geschüttelt in den Aufsatz gegeben und filtriert."
Sie schüttet 100 Milliliter in eine Art Trichter mit einer Membran am Ende, die so groß ist wie eine Zwei-Euro-Münze. Mit einer Pumpe wird das Wasser durch die Membran hindurch gesaugt.
"Die Bakterien, die möglicherweise in diesen 100 Milliliter Wasser enthalten sind, bleiben auf diesem Membranfilter obendrauf liegen, und diesen Membranfilter nehme ich dann ab, nach der Filtration, leg ihn auf ein spezielles Nährmedium, und zwar ist das in diesem Fall der Lactose-TTC-Agar."
Danach muss die Petrischale für 21 Stunden in den Brutschrank. Wenn tatsächlich Darmbakterien auf dem Filter gelandet sind, färbt sich der Nährboden gelb. Gröbe:
"Wenn das der Fall wäre, dann hätten wir möglicherweise eine Verunreinigung des Wassers."
Kerstin Gröbe hat aber noch nie einen E. coli aufgespürt. Und auch noch keinen Parasiten.
"Im Trinkwasser überhaupt nicht."
Wasserwerke und Behörden arbeiten eng zusammen. Das Wasserwerk Rostock gibt die Labordaten an das Umweltbundesamt weiter, und an das Gesundheitsamt in Rostock. Das Gesundheitsamt entnimmt ebenfalls Proben aus dem Trinkwassernetz, etwa einmal im Monat. Ganz ähnlich läuft das auch bei den anderen großen Wasserversorgern in Deutschland ab. E.-coli-Funde kommen vor, sind aber selten. Und wenn, dann gehe man der Sache sofort nach.
"Wir sind von daher sehr sicher, dass das Trinkwasser für große Anlagen in Deutschland eine hervorragende Qualität auch in mikrobiologischer Hinsicht hat."
Ingrid Chorus, Leiterin der Abteilung Trink- und Badebeckenwasserhygiene im Umweltbundesamt.
"Ein bisschen anders sieht es in manchen Regionen, und da betone ich ausdrücklich, keineswegs überall, aber in manchen Landstrichen schon bei den kleinen öffentlichen Trinkwasserversorgungen aus, da haben wir ein bisschen mehr Probleme, da gibt es öfter mal Coli-Funde, und in manchen Gegenden findet man in der Hälfte der Hausbrunnen E. colis, das wissen oft die Betreiber, die Besitzer gar nicht, die denken, der Brunnen ist prima, dass sie möglicherweise Krankheitserreger an ihre Besucher und Kinder und an sich selbst verteilen, ist vielen Menschen, die diese Brunnen betreiben, nicht klar."
Es geht dabei vor allem um Brunnen, die in einem Karstgebiet liegen, wie etwa in Südbayern. Durch Risse im Gestein können Bakterien direkt ins Grundwasser gespült werden. Und so kann es passieren, dass E.-coli-Bakterien im Trinkwasser landen. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit hat bereits vor zehn Jahren kleine Wasserwerke und Hausbrunnen in Südbayern analysiert. Bei den öffentlichen Versorgern war jede zehnte Probe verunreinigt, bei den Hausbrunnen sogar jede zweite. Sogar EHEC-Erreger sind im Trinkwasser ab und zu aufgetaucht. Allerdings nicht der derzeitige Ausbruchsstamm O104:H4. Das Landesamt kam schon im Jahr 2004 zu dem Schluss, Zitat:
Die weite Verbreitung neuer Krankheitserreger wie EHEC in der Umwelt stellt ein Gefahrenpotenzial dar, das im Zusammenhang mit Trinkwasser als ernsthaftes Problem zu betrachten ist.
Doch gerade die kleinen öffentlichen Wasserwerke und Hausbrunnen müssen laut Trinkwasserverordnung nur selten auf E. coli kontrolliert werden. Die kleinsten Wasserwerke sogar nur einmal pro Jahr. Ingrid Chorus:
"Wir sind ganz klar der Meinung, das müsste öfter sein für öffentliche Wasserversorgungen."
E.-coli-Bakterien zeigen an, dass das Wasser mit Fäkalien verunreinigt ist. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass auch Krankheitserreger im Wasser sind. Doch wenn die Ausscheider, die Menschen und Tiere, krank waren, wird es heikel. Chorus:
"Der Brunneneigentümer kann es selber eher schlecht beurteilen, der braucht die Fachkompetenz aus dem Gesundheitsamt, und wenn die zu wenig Personal haben, so etwas dann auch aufzuklären, hat man da natürlich auch leicht mal eine Risikosituation."
Gerade in den ländlichen Gebieten wird in den Gesundheitsämtern gespart, Fachleute fehlen. Wie viele Infektionen tatsächlich auf verunreinigtes Trinkwasser zurückgehen, ist unklar. Chorus:
"Es wäre verwunderlich, wenn es nicht hier und da welche gäbe."
Es gibt nur wenig Fälle in Deutschland, die restlos aufgeklärt sind, wo erwiesenermaßen ein Brunnen die Krankheitserreger unter das Volk gebracht hat. Wolfgang Dott vom Uniklinikum Aachen.
"Also ich muss immer an die Trinkwasserepidemie in München-Ismaning denken. Ich glaube, '78 war das."
Der Sommer war heiß, und der bayerischen Landeshauptstadt gingen die Trinkwasserquellen aus. Das Wasserwerk ist auf einen Brunnen ausgewichen, der nicht genehmigt war. Dott:
"Und zufällig war dieser Brunnen kontaminiert durch die Versitzgrube des Wasserwerkers selbst, der auch zuvor noch zufällig in Afrika, ich glaube in Ägypten, war und sich da als Souvenir neben den normalen Souvenirs auch noch eine Shigellen-Infektion mitgebracht hat. Und die hat er dann natürlich in Ismaning verteilt. Die ersten, die es gemerkt haben, waren die Apotheker. Denn die Leute, die da erkrankten, haben sich da Kohletabletten besorgt, um den Durchfall zu unterbinden."
Ein anderer Fall liegt noch nicht so lange zurück. Im August 2009 hatten sich fast 500 Wanderer auf einer Hütte im Allgäu mit dem Norovirus infiziert. Sehr wahrscheinlich durch Trinkwasser: Die Trinkwasserdesinfektionsanlage auf der Hütte war tagelang defekt. Solche großen, schweren Ausbrüche lassen sich schnell erkennen. Auf einen Schlag erkranken hunderte, wenn nicht tausende Menschen. Nicht immer sind Infektionen durch Trinkwasser so offensichtlich. Wenn ein sehr kleines Wasserwerk oder ein Hausbrunnen harmlosere Durchfallkeime verteilt, dann fällt das nicht unbedingt auf. Wenn nur ein paar Menschen im Dorf an Durchfall erkranken, dann wird der Hausarzt wahrscheinlich nicht gleich das Gesundheitsamt alarmieren. Ingrid Chorus
"Und es ist so, selbst wenn es meldepflichtige Krankheiten sind, dann werden die zwar ans Robert-Koch-Institut gemeldet, aber bei der Weitergabe vom Gesundheitsamt ans Robert-Koch-Institut wird nicht die genaue Adresse mitgeliefert, aus Datenschutzgründen. Und das verhindert, dass man auf Bundesebene aggregiert auch gucken kann, wo gibt es Häufungen, wo gibt es Cluster, da würden wir uns ein besseres Meldewesen und eine bessere Epidemiologie sehr wünschen, um solche Dinge besser erkennen und vielleicht auch nur, um sie besser ausschließen zu können und zu wissen, dass man auf der sicheren Seite ist. So haben wir immer eine gewisse Unsicherheit."
Eine gewisse Unsicherheit bleibt. Auch bei O104:H4. Helge Karch befürchtet: Der EHEC-Erreger wird sich in der Natur einnisten.
"Er hat aber derzeit keine andere Strategie, um sich effizient zu vermehren, als wieder in den Menschen zurückzukehren. Und das ist aber auch für uns auf der anderen Seite eine Abwehrstrategie, dass wir dies verhindern müssen, dass er zum Menschen zurückkehrt. Wir hoffen natürlich, dass er bald verschwindet. Und dass er nie mehr auftaucht.""
Vielleicht tut er das. Vielleicht verschwindet O104:H4 genauso schnell, wie er gekommen ist. Im Erlenbach ist O104H4 nicht mehr aufgetaucht – oder besser gesagt: er wurde nicht mehr gefunden. Weitere Proben aus dem Bach waren jedenfalls negativ. Doch es gibt viele Krankheitserreger, darunter viele andere EHECs. Und dass die theoretisch auch eine Trinkwasserepidemie auslösen können, zeigt der Fall in Walkerton, Kanada. Vor elf Jahren sind dort 2500 Menschen durch verunreinigtes Trinkwasser an einem anderen EHEC-Stamm erkrankt. 18 sind damals gestorben. Das System Wasser hat auch in Deutschland seine Schwachstellen. Die wird es auch immer haben: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Trotzdem könnte mehr getan werden. Das Umweltbundesamt stellt deutliche Forderungen: Kläranlagen, die ihr Wasser in der Nähe von Badeseen einleiten, müssen bei Bedarf mit einer vierten Reinigungsstufe nachgerüstet werden. Und: Auch die kleinsten öffentlichen Wasserwerke sollten per Gesetz vier Mal im Jahr auf E.-coli-Bakterien untersucht werden. Im November 2010 hat der Bundesrat die Novelle der Trinkwasserverordnung beschlossen. Sie tritt im kommenden November in Kraft. Ursprünglich war darin auch vorgesehen, dass in Zukunft die kleinen Brunnen viermal pro Jahr beprobt werden müssen. Aber der Vorschlag wurde abgelehnt.
"Wir haben jetzt, nachdem diese Diskussion hier aufkam, uns überprüfen lassen und konnten EHEC-Bakterien nachweisen."
Vom Darm der Infizierten in die Kanalisation. Die Kläranlage als Sammelbecken und als Bakterienschleuder. Gefährliche Superkeime gelangen in unsere Flüsse, setzen sich dort fest, bedrohen die Trinkwasserversorgung. Eine Horrorvision. Und der Beginn einer Spurensuche.
Es ist ein heißer Sommertag. Der Erlenbach ist zu einem spärlichen Rinnsal zusammengeschrumpft, aber das braune Wasser in der Kläranlage strömt in gewaltigen Mengen durch die Kanäle und die Becken. Ein modrig-fauliger Duft liegt über dem Zulauf der Anlage.
"Das riecht auch noch ein bisschen hier, ja. – Ist halt Abwasser."
Martin Ruddies, der stellvertretende Betriebsleiter, zieht seine grüne Latzhose stramm und deutet auf gewaltige Metallschnecken, wie in einem Fleischwolf. Die heben das Wasser um einige Meter nach oben, bevor es dann im freien Gefälle weiter strömt.
"Nächster Schritt wäre dann die Rechenanlage, die sich hier in diesem Gebäude befindet. Da werden Grobstoffe rausgefiltert. Plastikstoffe und Äste, Laub und so weiter. Alles, was grobe Abwasserinhaltsstoffe sind, die wollen wir nicht in der Kläranlage drin haben."
Die Brühe strömt dann weiter in einen Kanal, der als Sandfang dient. Schwere Partikel, die den Rechen passiert haben, sinken hier nach unten. Die Fäkalien aber treiben mit dem Wasser weiter. Und mit ihnen eine Unzahl von Bakterien aus dem menschlichen Darm – auch potentielle Krankheitserreger.
Das vielleicht prominenteste Fäkalbakterium ist Escherichia coli, kurz: E. coli. Zu diesen stäbchenförmigen Einzellern gehören auch die EHEC-Erreger, die beim jüngsten Ausbruch in Deutschland über 40 Todesopfer gefordert haben. Helge Karch hat seine Karriere diesen Einzellern gewidmet. Am Universitätsklinikum Münster leitet der Professor das Institut für Hygiene.
"E. coli sind an und für sich harmlose Darmbakterien, die jeder von uns in seinem Darm beherbergt. Sie kommen aber nicht nur beim Menschen vor, sondern auch bei Tieren."
Die meisten Stämme schützen den Darm vor gefährlichen Infektionen, weil sie durch ihre Besiedlung anderen Bakterien das Leben schwer machen. Karch:
"Es gibt neben diesen Nützlingen auch Ganoven, die Darmerkrankungen hervorrufen, aber auch sogenannte extraintestinale Erkrankungen, also außerhalb des Darms. Am bekanntesten ist E. coli als Erreger von Harnwegsinfektionen beispielsweise."
Manche dieser Übeltäter, nämlich die EHEC-Bakterien, können blutigen Durchfall verursachen. Im schlimmsten Fall erkranken die Patienten an einem hämolytisch-urämischen Syndrom, kurz HUS. Bei dem jüngsten Ausbruchsstamm litten ungewöhnlich viele Betroffene unter dieser schweren Komplikation. Denn der spezielle EHEC-Stamm O104:H4, kombiniert einige Eigenschaften, die ihn besonders virulent machen. Wie gewöhnliche EHEC auch produzieren diese Bakterien einen Giftstoff und sie haften an den Zellen der Darmschleimhaut – deutlich fester als andere Stämme. Karch:
"Sie binden sehr effektiv an diese Zellen und mauern die regelrecht ein. Das sieht also aus wie ein Mauerwerk, das sich um diese Zellen herum bildet, und dieses Mauerwerk ist sehr fest. Wir können das kaum abwaschen."
Nicht nur im Darm kleben die EHEC-Erreger an dem Gewebe. Außerhalb des menschlichen Körpers haften sie hervorragend an Oberflächen aus Glas oder Plastik. Auch sonst handelt es sich bei diesen EHEC-Bakterien um eher robuste Lebewesen. Sie können zwischen minus 20 und plus 70 Grad Celsius existieren. Sie widerstehen sauren Bedingungen deutlich besser als andere Krankmacher im Wasser. Und wahrscheinlich können sie auch eine gewisse Zeit Trockenheit überdauern.
"Zu der Resistenz gegenüber Trockenheit wissen wir noch wenig, denn wir kennen diesen Stamm ja erst seit dem 24. Mai. Wir haben aber festgestellt, dass er diesen Zeitraum bis jetzt in unserem Kühlschrank im Wasser sehr gut überlebt hat."
Der Schluss liegt daher nahe: EHEC könnte über den Weg der Kläranlage in Flüsse und Seen gelangen und sich dort dauerhaft ansiedeln. Karch:
"Wir müssen derzeit davon ausgehen, dass der jetzige Ausbruchsstamm den Menschen braucht, um sich effektiv zu vermehren. Über sein Leben in der Umwelt wissen wir noch wenig, ja nichts, würde ich sagen. So gut wie nichts. Vielleicht liegt ein Phasenwechsel zugrunde, dass er in der Umwelt in Kontakt tritt mit Pflanzen oder dass er in Oberflächengewässern lebt. Wir wissen es nicht. Er ist jedenfalls bis jetzt noch nicht in Tieren gefunden worden. So dass, wenn er sich wieder vermehrt, zum Menschen zurückmuss. Und dies müssen wir verhindern."
Bislang hat man die EHEC-Erreger nur im hessischen Obererlenbach wieder gefunden. Für die Mikrobiologin Regine Szewzyk vom Umweltbundesamt Berlin ist das zunächst einmal keine Überraschung:
"Wir vermuten, dass nur sehr wenige von diesem Ausbruchsstamm, von diesen EHEC-Erregern in die Oberflächengewässer gelangen, da es im Verhältnis zu normalen Personen nur ganz wenige Ausscheider gibt. Wir vermuten, dass vielleicht so zehn- bis zwanzigtausend Personen jetzt mit diesem E. coli infiziert sind, mit diesem EHEC-Ausbruchsstamm, und gegenüber Millionen von anderen Personen, die ja die normalen E. colis in ihrem Darm haben, das heißt, es findet eine große Verdünnung statt, und wenn man dann nur wenige E. colis in diesem Oberflächengewässer findet, wird man noch sehr viel weniger von diesem Ausbruchsstamm in den Oberflächengewässern finden."
Die Menge mag gering sein, doch Sorge bereitet schon die Tatsache, dass überhaupt EHEC in einem Fluss nachgewiesen werden konnte. Und: Wo Coli-Bakterien auftauchen, da sind oft auch andere Krankheitserreger aus dem Darm nicht fern – etwa Bakterien wie Salmonellen, Listerien und Shigellen. Oder auch Viren, die deutlich länger unter widrigen Bedingungen überleben können. Genauso wie einzellige Parasiten, Kryptosporidien oder Giardien zum Beispiel. Sie alle könnten denselben Weg nehmen wie die EHEC-Erreger – aus der Kläranlage in die Oberflächengewässer.
Zurück in Ober-Erlenbach. Martin Ruddies blickt über drei große Becken, durch die das Schmutzwasser auf verschlungenen Wegen hindurch fließt.
"So, hier stehen wir jetzt an den Belebungsbecken, das ist quasi das Kernstück der Kläranlage. Sie sehen hier das schlammfarbige Wasser, das sind alles Bakterien, Mikroorganismen, die hier am Leben gehalten werden. Wir bieten denen halt nur optimale Lebensbedingungen."
Die fleißigen Helfer im Klärbecken zerlegen die organischen Stoffe und die Stickstoffverbindungen. Dazu brauchen sie reichlich Sauerstoff. Deshalb pumpen die Fachleute von der Kläranlage Luft durch die Brühe.
"Ja, hier ist jetzt nur noch ein leicht modriger Geruch festzustellen. Also Gestank gibt es hier eigentlich nur im Zulauf-Bereich, wo das Fäkalwasser ankommt oder beim Rechen. Ansonsten riecht das alles hier ganz normal."
Doch nicht nur chemische Substanzen verschwinden hier aus dem Abwasser. Auch bei einem großen Teil der Darmbakterien kommt es zu einer deutlichen Reduktion. Denn Coli-Bakterien sind in der Regel an einen Temperatur von knapp 40 Grad angepasst, nicht an kaltes Kläranlagenwasser. Auch das Überangebot von Sauerstoff und der Mangel an Nährstoffen machen ihnen zu schaffen. In der hintersten Ecke des Geländes steht ein metallisch schimmernder Kasten, der an einen Kühlschrank erinnert.
"Das ist quasi die letzte Station. Hier sind noch einmal ein paar Messungen…"
Alle zwei Stunden wird hier eine Probe des gereinigten Wassers gezogen und auf organische Bestandteile, Phosphate und Nitrate hin untersucht. Ruddies:
"Also, wir machen jeden Tag vom Zulauf eine Probe und jeden Tag vom Ablauf eine Probennahme. Und wir müssen ja gucken, dass wir unsere Werte einhalten und auch den Reinigungsgrad so hoch wie möglich halten. Da muss halt immer drauf geachtet werden."
Was nicht routinemäßig überprüft wird, ist die Belastung des Wassers mit Krankheitserregern – wie etwa EHEC. Und das ist eine offene Flanke nahezu aller deutschen Kläranlagen. Regine Szewzyk vom Umweltbundesamt.
"Lange Jahre war die Abwasserreinigung hauptsächlich zur Nährstoffentfernung. Also mehr die ökologische Qualität der Gewässer stand im Vordergrund, und da haben wir ja auch sehr große Erfolge erzielt. Dass im Rhein wieder Lachse schwimmen und so, also mehr diese ökologische Verbesserung der Gewässerqualität. Und erst in den letzten Jahren wurde es klar, dass mit der ökologischen Verbesserung nicht unbedingt auch die hygienische Verbesserung der Gewässer einhergeht, und daher haben wir jetzt die Diskussion, dass wir jetzt eben auch zusätzlich noch etwas für die Hygiene tun müssen. Und das Umweltbundesamt ist der Meinung, in sensiblen Gewässern brauchen wir da eventuell eine Nachrüstung mit einer vierten Reinigungsstufe."
Technisch ist das bereits möglich. Man kann die Bakterien zum Beispiel mit UV-Licht abtöten oder das Wasser durch eine feinporige Kunststoffmembran pressen. Doch die wenigsten deutschen Kläranlagen verfügen über diese Technologie. Dabei gilt seit 2008 eine neue EG-Badegewässerrichtlinie. Regine Szewzyk sieht deutlichen Handlungsbedarf.
"Ich denke, in bestimmten Bereichen müssen wir mehr tun, wo Abwässer eben in sensible Gewässer eingeleitet werden, wie zum Beispiel in Badegewässer. Da wird sich jetzt auch einiges tun, denke ich, denn für alle Badegewässer müssen so genannte Badegewässerprofile erstellt werden, das heißt, die Behörden müssen ganz genau hinschauen, wo kommen denn jetzt die Verunreinigungen her, die das Badegewässer beeinflussen könnten, und wenn sich zeigt, dass die aus Abwassereinleitungen kommen, dann gibt es ganz klar die Vorgabe aus der EG-Badegewässerrichtlinie, dass dann Maßnahmen getroffen werden müssen, um die Situation zu verbessern."
Aber nicht nur über Badegewässer kann der Erreger der Darminfektionen zum Menschen zurückkehren, wie das Beispiel in Hessen zeigt. Im Sommer schrumpft der Erlenbach zu einem Rinnsal zusammen. Unterhalb der Kläranlage fließt überwiegend geklärtes Abwasser in seinem Bett. Badende gibt es dort nicht, aber in der Nähe landwirtschaftliche Betriebe. Drei von ihnen hatten sich vom Regierungspräsidium eine Genehmigung erteilen lassen, mit der sie das Flusswasser zur Beregnung der Felder nutzen durften. Zwei dieser Lizenzen wurden nach dem Fund der EHEC-Erreger wieder zurückgezogen. Das Risiko, dass die Bakterien über Obst und Gemüse zum Menschen zurückkehren, ist bekannt, sagt der Hygiene-Experte Werner Mathys vom Universitätsklinikum Münster
"Wir wissen von anderen EHEC-Bakterien, dass die auch in der Lage sind, Biofilme auf Lebensmitteln, zum Beispiel auf Salat zu bilden. Das ist eine exzellente Überlebensstrategie. Denn der Biofilm bedeutet: Resistenz in der Umwelt, langes Überleben. Und der bedeutet gleichzeitig natürlich auch Schwierigkeiten bei der Entfernung. Also da reichen dann unter Umständen die einfachen Empfehlungen - Wasch mal dein Lebensmittel ab - nicht mehr aus."
Der Erlenbach plätschert weiter. Er mündet in die Nidda, und die, bei Frankfurt, in den Main. Dann in den Rhein, in die Nordsee. Und überall können Krankheitserreger ins Wasser gelangen, nicht nur von den Abläufen der Kläranlagen. Besonders kritisch wird es zum Beispiel, wenn es stark regnet. Der Niederschlag spült die Gülle von den Weiden in den nächsten Bach. In den Städten kann die Kanalisation überlaufen: Das Abwasser mit den Fäkalien und möglicherweise auch Krankheitserregern wird dann völlig ungeklärt in die Flüsse geleitet. Doch im fließenden Wasser verläuft sich die Spur der Erreger. Sie fallen den Selbstreinigungskräften der Flüsse und Bäche zum Opfer, werden von Sonnenstrahlen zerstört oder von winzigen Wassertierchen gefressen. Ihre Konzentration nimmt ab. Das Wasser verdunstet und regnet wieder hinab. Es versickert bis auf den Grund. Die Passage durch die verschiedenen Bodenschichten dauert manchmal ein Jahr, manchmal 100. Spätestens hier, im Boden, bleiben die letzten Keime hängen. Und dann kommt das Wasser zu uns zurück: Als Trinkwasser.
Wasser für den menschlichen Gebrauch muss frei von Krankheitserregern, genusstauglich und rein sein. Paragraph 4 der Trinkwasserverordnung. Die meisten Wasserwerke in Deutschland gewinnen ihr Trinkwasser aus Grundwasser. Es wird natürlich kurz aufbereitet, aber an und für sich ist das Grundwasser aus vielen Regionen schon trinkfertig. Wer Trinkwasser dagegen direkt aus einem Fluss gewinnen will, muss da schon andere Geschütze auffahren. Es gibt in Deutschland gerade einmal zwei Wasserwerke, die das machen: Das Wasserwerk in Düren, und das Wasserwerk in Rostock.
"Wir befinden uns hier in der Ozonanlage des Wasserwerkes Rostock, wo wir über die Zugabe von Ozon eine Desinfektion des Wassers vornehmen."
Das Wasserwerk der Hansestadt versorgt 220.000 Menschen mit Trinkwasser – direkt aus der Warnow. Ingenieur Ralf Troppens bleibt vor einer massiven Betonwand stehen. Durch ein Bullauge kann man direkt ins Wasserbecken schauen. Im klaren Wasser sprudeln tausende von winzigen Bläschen: Ozon.
"Natürlich sind in der Warnow Krankheitserreger vorhanden. Weil... sonst bräuchten wir diesen Aufwand nicht betreiben."
Eigentlich, sagt der Wasserwirtschaftler, sei die Warnow ein ziemlich sauberer Fluss. Kein Vergleich zu Rhein und Ruhr. Im Einzugsgebiet der Warnow leben nur wenige Menschen. Die Bauern müssen sich an strenge Auflagen halten, die Schifffahrt ist verboten. Trotzdem bleibt die Warnow immer noch ein Fluss. Troppens:
"Wir müssen davon ausgehen dass die gesamte Palette der Mikrobiologie vorhanden ist. Eigentlich alles, was man sich vorstellen kann. Da gibt es Darmbakterien, da gibt es Viren, andere pathogene Keime, bis hin zu Parasiten, die letzten Endes gesundheitlich sicher beherrscht werden müssen. Und dafür muss man ein Wasserwerk so ausrichten, dass man extrem hohe Konzentrationen, außergewöhnliche Situationen, auch beherrschen kann."
Das Trinkwasser aus der Warnow darf keine Krankheitserreger enthalten. Egal, was im Fluss passiert, ob jemand illegal Abwässer einleitet oder Starkregen Gülle von den Feldern in den Fluss schwemmt. Früher, zu DDR-Zeiten, haben sie die gefährlichen Keime mit extrem hohen Dosen an Chlor abgetötet. Viele Rostocker verziehen heute noch das Gesicht, wenn sie daran denken, wie das Wasser gerochen und geschmeckt hat. Nach der Wende wurde das Wasserwerk saniert, das Chlor von modernen Aufbereitungstechnologien abgelöst. Wenn das Wasser hier in der Hauptozonung angekommen ist, hat es schon mehrere Aufbereitungsstufen hinter sich: Eine Vorbehandlung mit Ozon ganz am Anfang und verschiedene Filtersysteme. Mit jeder Reinigungsstufe sinkt die Zahl der Krankheitserreger,
"bis schlussendlich nachher die Desinfektion mit Ozon noch kommt, und sichergestellt ist, dass da keiner durchbrechen kann."
Alle Stufen zusammen halten 99,999 Prozent aller Pathogene zurück, sagt Ralf Troppens. Die meisten Bakterien und Viren scheitern schon an den ersten Reinigungsstufen.
"Natürlich sind so ein bisschen Koloniezahlen, Coli und E-coli gar kein Thema, das kann man relativ schnell beherrschen. Aber man braucht ein Wasserwerk, das auch in der Lage ist, Parasiten zu beherrschen - Giardien und Kryptosporidien, die eine entsprechende gesundheitliche Relevanz haben für denjenigen, der den einen halt kriegt, den er trinkt, und wir müssen sicherstellen, dass keiner da ist."
Parasiten sind besonders hartnäckig. Sie bilden Dauerformen, die monatelang überleben. Ab und zu schafft es ein Parasit durch die Aufbereitungsstufen, bis zur Hauptozonung. Aber spätestens hier sei Schluss, sagt Ralf Troppens und späht durch das Bullauge ins Ozon-Eintragsbecken.
"Was passiert da jetzt drin, letzten Endes müssen wir mit dem Ozon durch die Zelle hindurch, der Zellkern muss geschädigt werden, die Zelle stirbt ab, und es muss bei entsprechenden Organismen eine ausreichende Anzahl an Zellen geschädigt werden, damit der Organismus stirbt."
In Mecklenburg-Vorpommern sind 181 Menschen an dem EHEC-Erreger O104:H4 erkrankt. In Rostock waren es zwölf. Das Klärwerk der Stadt liegt viel weiter flussabwärts, sieben Kilometer unterhalb des Wasserwerks. Doch es gibt noch andere Klärwerke in der Region, die ihre Abwässer in die Warnow leiten. Deshalb ist es gut möglich, dass sich O104:H4 auch in die Warnow verirrt. Für Ralf Troppens kein Problem.
"Also EHEC ist in der Trinkwasseraufbereitung kein Thema. Überhaupt kein Thema. Wir müssen hier eigentlich eine Technologie vorhalten, die in der Lage ist, Parasiten zu beherrschen, und da kommt es nicht so sehr auf E. coli an, denn die werden mit Sicherheit beherrscht. Die werden sehr viel früher inaktiviert, als wir es mit Parasiten machen könnten. Und von daher, und das zeigen ja unsere Analysen auch, gibt es keinerlei E.-coli-Befunde, und wenn ich keine Befunde habe, kann ich auch nicht verifizieren, ob jetzt da, wo nichts da ist, einer davon EHEC wäre."
"Also E. coli haben wir im Trinkwasser hier im Wasserwerk Rostock noch überhaupt nicht gefunden."
Die Biologin Kerstin Gröbe von Aqua Service Schwerin schüttelt den Kopf.
"Und auch ein Nachweis von coliformen Bakterien ist ganz, ganz, ganz selten. Ich kann mich gar nicht erinnern, nee."
Das Labor analysiert Trinkwasserproben – im Auftrag des Wasserwerks. Das Wasserwerk Rostock überprüft sich in erster Linie selbst. Das ist in der Trinkwasserverordnung so vorgesehen. Gröbe:
"Das Trinkwasser vom Wasserwerk Rostock wird täglich untersucht. Werktäglich untersucht. Jeden Tag."
Jeden Tag fahndet Kerstin Gröbe auch nach E. coli und anderen Darmbakterien. Wenn die im Wasser schwimmen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass das Wasser an irgendeiner Stelle mit Fäkalien verunreinigt worden ist.
Kerstin Gröbe baut Petrischalen, Messbecher und verschiedene Fläschchen vor sich auf.
"Die Wasserprobe wird natürlich vorher ordentlich geschüttelt."
Die Trinkwasserverordnung schreibt einen klaren Grenzwert für E. coli und andere Darmbakterien im Trinkwasser vor: Null pro einhundert Milliliter. Kerstin Gröbe zündet erst einmal den Bunsenbrenner an.
"Der Brenner ist zum Abflammen des Membranfiltrationsgerätes, damit man sicher ist, dass man sich keine Fremdkeime von außen einzieht."
Um eventuelle Darmbakterien aufzuspüren, muss sie das Wasser filtern.
"Dazu kommt dieser Messbecher, und die Wasserprobe wird wieder gut geschüttelt in den Aufsatz gegeben und filtriert."
Sie schüttet 100 Milliliter in eine Art Trichter mit einer Membran am Ende, die so groß ist wie eine Zwei-Euro-Münze. Mit einer Pumpe wird das Wasser durch die Membran hindurch gesaugt.
"Die Bakterien, die möglicherweise in diesen 100 Milliliter Wasser enthalten sind, bleiben auf diesem Membranfilter obendrauf liegen, und diesen Membranfilter nehme ich dann ab, nach der Filtration, leg ihn auf ein spezielles Nährmedium, und zwar ist das in diesem Fall der Lactose-TTC-Agar."
Danach muss die Petrischale für 21 Stunden in den Brutschrank. Wenn tatsächlich Darmbakterien auf dem Filter gelandet sind, färbt sich der Nährboden gelb. Gröbe:
"Wenn das der Fall wäre, dann hätten wir möglicherweise eine Verunreinigung des Wassers."
Kerstin Gröbe hat aber noch nie einen E. coli aufgespürt. Und auch noch keinen Parasiten.
"Im Trinkwasser überhaupt nicht."
Wasserwerke und Behörden arbeiten eng zusammen. Das Wasserwerk Rostock gibt die Labordaten an das Umweltbundesamt weiter, und an das Gesundheitsamt in Rostock. Das Gesundheitsamt entnimmt ebenfalls Proben aus dem Trinkwassernetz, etwa einmal im Monat. Ganz ähnlich läuft das auch bei den anderen großen Wasserversorgern in Deutschland ab. E.-coli-Funde kommen vor, sind aber selten. Und wenn, dann gehe man der Sache sofort nach.
"Wir sind von daher sehr sicher, dass das Trinkwasser für große Anlagen in Deutschland eine hervorragende Qualität auch in mikrobiologischer Hinsicht hat."
Ingrid Chorus, Leiterin der Abteilung Trink- und Badebeckenwasserhygiene im Umweltbundesamt.
"Ein bisschen anders sieht es in manchen Regionen, und da betone ich ausdrücklich, keineswegs überall, aber in manchen Landstrichen schon bei den kleinen öffentlichen Trinkwasserversorgungen aus, da haben wir ein bisschen mehr Probleme, da gibt es öfter mal Coli-Funde, und in manchen Gegenden findet man in der Hälfte der Hausbrunnen E. colis, das wissen oft die Betreiber, die Besitzer gar nicht, die denken, der Brunnen ist prima, dass sie möglicherweise Krankheitserreger an ihre Besucher und Kinder und an sich selbst verteilen, ist vielen Menschen, die diese Brunnen betreiben, nicht klar."
Es geht dabei vor allem um Brunnen, die in einem Karstgebiet liegen, wie etwa in Südbayern. Durch Risse im Gestein können Bakterien direkt ins Grundwasser gespült werden. Und so kann es passieren, dass E.-coli-Bakterien im Trinkwasser landen. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit hat bereits vor zehn Jahren kleine Wasserwerke und Hausbrunnen in Südbayern analysiert. Bei den öffentlichen Versorgern war jede zehnte Probe verunreinigt, bei den Hausbrunnen sogar jede zweite. Sogar EHEC-Erreger sind im Trinkwasser ab und zu aufgetaucht. Allerdings nicht der derzeitige Ausbruchsstamm O104:H4. Das Landesamt kam schon im Jahr 2004 zu dem Schluss, Zitat:
Die weite Verbreitung neuer Krankheitserreger wie EHEC in der Umwelt stellt ein Gefahrenpotenzial dar, das im Zusammenhang mit Trinkwasser als ernsthaftes Problem zu betrachten ist.
Doch gerade die kleinen öffentlichen Wasserwerke und Hausbrunnen müssen laut Trinkwasserverordnung nur selten auf E. coli kontrolliert werden. Die kleinsten Wasserwerke sogar nur einmal pro Jahr. Ingrid Chorus:
"Wir sind ganz klar der Meinung, das müsste öfter sein für öffentliche Wasserversorgungen."
E.-coli-Bakterien zeigen an, dass das Wasser mit Fäkalien verunreinigt ist. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass auch Krankheitserreger im Wasser sind. Doch wenn die Ausscheider, die Menschen und Tiere, krank waren, wird es heikel. Chorus:
"Der Brunneneigentümer kann es selber eher schlecht beurteilen, der braucht die Fachkompetenz aus dem Gesundheitsamt, und wenn die zu wenig Personal haben, so etwas dann auch aufzuklären, hat man da natürlich auch leicht mal eine Risikosituation."
Gerade in den ländlichen Gebieten wird in den Gesundheitsämtern gespart, Fachleute fehlen. Wie viele Infektionen tatsächlich auf verunreinigtes Trinkwasser zurückgehen, ist unklar. Chorus:
"Es wäre verwunderlich, wenn es nicht hier und da welche gäbe."
Es gibt nur wenig Fälle in Deutschland, die restlos aufgeklärt sind, wo erwiesenermaßen ein Brunnen die Krankheitserreger unter das Volk gebracht hat. Wolfgang Dott vom Uniklinikum Aachen.
"Also ich muss immer an die Trinkwasserepidemie in München-Ismaning denken. Ich glaube, '78 war das."
Der Sommer war heiß, und der bayerischen Landeshauptstadt gingen die Trinkwasserquellen aus. Das Wasserwerk ist auf einen Brunnen ausgewichen, der nicht genehmigt war. Dott:
"Und zufällig war dieser Brunnen kontaminiert durch die Versitzgrube des Wasserwerkers selbst, der auch zuvor noch zufällig in Afrika, ich glaube in Ägypten, war und sich da als Souvenir neben den normalen Souvenirs auch noch eine Shigellen-Infektion mitgebracht hat. Und die hat er dann natürlich in Ismaning verteilt. Die ersten, die es gemerkt haben, waren die Apotheker. Denn die Leute, die da erkrankten, haben sich da Kohletabletten besorgt, um den Durchfall zu unterbinden."
Ein anderer Fall liegt noch nicht so lange zurück. Im August 2009 hatten sich fast 500 Wanderer auf einer Hütte im Allgäu mit dem Norovirus infiziert. Sehr wahrscheinlich durch Trinkwasser: Die Trinkwasserdesinfektionsanlage auf der Hütte war tagelang defekt. Solche großen, schweren Ausbrüche lassen sich schnell erkennen. Auf einen Schlag erkranken hunderte, wenn nicht tausende Menschen. Nicht immer sind Infektionen durch Trinkwasser so offensichtlich. Wenn ein sehr kleines Wasserwerk oder ein Hausbrunnen harmlosere Durchfallkeime verteilt, dann fällt das nicht unbedingt auf. Wenn nur ein paar Menschen im Dorf an Durchfall erkranken, dann wird der Hausarzt wahrscheinlich nicht gleich das Gesundheitsamt alarmieren. Ingrid Chorus
"Und es ist so, selbst wenn es meldepflichtige Krankheiten sind, dann werden die zwar ans Robert-Koch-Institut gemeldet, aber bei der Weitergabe vom Gesundheitsamt ans Robert-Koch-Institut wird nicht die genaue Adresse mitgeliefert, aus Datenschutzgründen. Und das verhindert, dass man auf Bundesebene aggregiert auch gucken kann, wo gibt es Häufungen, wo gibt es Cluster, da würden wir uns ein besseres Meldewesen und eine bessere Epidemiologie sehr wünschen, um solche Dinge besser erkennen und vielleicht auch nur, um sie besser ausschließen zu können und zu wissen, dass man auf der sicheren Seite ist. So haben wir immer eine gewisse Unsicherheit."
Eine gewisse Unsicherheit bleibt. Auch bei O104:H4. Helge Karch befürchtet: Der EHEC-Erreger wird sich in der Natur einnisten.
"Er hat aber derzeit keine andere Strategie, um sich effizient zu vermehren, als wieder in den Menschen zurückzukehren. Und das ist aber auch für uns auf der anderen Seite eine Abwehrstrategie, dass wir dies verhindern müssen, dass er zum Menschen zurückkehrt. Wir hoffen natürlich, dass er bald verschwindet. Und dass er nie mehr auftaucht.""
Vielleicht tut er das. Vielleicht verschwindet O104:H4 genauso schnell, wie er gekommen ist. Im Erlenbach ist O104H4 nicht mehr aufgetaucht – oder besser gesagt: er wurde nicht mehr gefunden. Weitere Proben aus dem Bach waren jedenfalls negativ. Doch es gibt viele Krankheitserreger, darunter viele andere EHECs. Und dass die theoretisch auch eine Trinkwasserepidemie auslösen können, zeigt der Fall in Walkerton, Kanada. Vor elf Jahren sind dort 2500 Menschen durch verunreinigtes Trinkwasser an einem anderen EHEC-Stamm erkrankt. 18 sind damals gestorben. Das System Wasser hat auch in Deutschland seine Schwachstellen. Die wird es auch immer haben: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Trotzdem könnte mehr getan werden. Das Umweltbundesamt stellt deutliche Forderungen: Kläranlagen, die ihr Wasser in der Nähe von Badeseen einleiten, müssen bei Bedarf mit einer vierten Reinigungsstufe nachgerüstet werden. Und: Auch die kleinsten öffentlichen Wasserwerke sollten per Gesetz vier Mal im Jahr auf E.-coli-Bakterien untersucht werden. Im November 2010 hat der Bundesrat die Novelle der Trinkwasserverordnung beschlossen. Sie tritt im kommenden November in Kraft. Ursprünglich war darin auch vorgesehen, dass in Zukunft die kleinen Brunnen viermal pro Jahr beprobt werden müssen. Aber der Vorschlag wurde abgelehnt.