Anfang des Jahres reisen Fachleute im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation nach China. Ihr Auftrag: Herausfinden, woher das Virus stammt, das im Dezember 2019 wie aus dem Nichts aufgetaucht ist und sich in Windeseile um den Erdball ausgebreitet hat. Vier Wochen lang sieht sich das Team vor Ort um. Die Erwartungen sind hochgesteckt.
Am 9. Februar tritt der Leiter des WHO-Teams, Peter Ben Embarek, zur Pressekonferenz in Wuhan vor die Kameras: "Hat sich unser Bild von dem, was sich im Dezember 2019 zugetragen hat, drastisch verändert? Nein, ich denke nicht."
Von Anfang an eine politische Frage
Das sollte das Ergebnis gewesen sein? Nach monatelanger Vorbereitung und vier Wochen Recherche vor Ort? Neue Details. Aber kein geschlossenes Gesamtbild, keine neue Spur zur Quelle des Übels. Die zu finden, sieht die Weltgesundheitsorganisation als ihre Aufgabe, um die Zusammenhänge zu verstehen und die nächste Pandemie im besten Fall zu verhindern. Aber eine reine Erkenntnisfrage war es nie. Sie war von Anfang an politisch.
Für den damals amtierenden US-Präsidenten Donald Trump gibt es keinen Zweifel, woher die Krankheit stammt: aus einem chinesischen Labor. Das Verhältnis zwischen den USA und China ist sowieso angespannt. Und Mitte Mai, während die WHO-Task-Force eine zweite Reise nach China erwägt, spülen amerikanische Geheimdienste die Labor-Theorie plötzlich wieder ganz nach oben - obwohl viele Fachleute aus der Wissenschaft sie längst abgehakt haben. Die Gemengelage macht die Suche nach der Herkunft des Erregers nicht unbedingt leichter.
Der deutsche Wissenschaftler im WHO-Untersuchungsteam
Für mich beginnt die Geschichte im Dezember 2020. Fabian Leendertz gehört zu den Fachleuten, die im Auftrag der WHO nach Wuhan reisen, um die Quelle von SARS-CoV-2 zu finden. Er ist der einzige Deutsche im Team.
Leendertz ist ein versierter Virenjäger. Im Jahr 2014 hatte er zusammen mit seinem Team und Fachleuten vor Ort nach dem Ursprung der Ebola-Epidemie in Westafrika gesucht. Er konnte damals tatsächlich den Baum finden, in dem eine Kolonie von Fledermäusen Unterschlupf gefunden hatte. Von diesen Tieren hatte die Seuche ihren Ausgang genommen. Im Fall von SARS-CoV-2 dürfte sich die Suche deutlich schwieriger gestalten.
"Als Wissenschaftler bin ich immer sehr, sehr vorsichtig mit Spekulationen. Wir wissen leider noch sehr, sehr wenig. Die einzigen Hinweise, die es gibt, sind verwandte Viren des SARS-CoV-2 in einer Fledermausart, die auch im südlichen China vorkommt. Dann gibt es Hinweise aus anderen Tierarten. Da gab es die Geschichte mit dem Schuppentier. Aber das sind alles noch keine schlüssigen Spuren, denen man folgen sollte."
Ein gigantisches Puzzle, von dem etliche Teile fehlen. Eines dieser Puzzlestücke ist der sogenannte Indexfall. Der Patient, von dem die Seuche ursprünglich ausging. Beim Ebola-Ausbruch in Westafrika war das Kind bereits identifiziert, als das Team um Fabian Leendertz seine Arbeit aufnahm. In China muss dieser Patient Null aber erst einmal gefunden werden.
"Das wäre natürlich optimal, diesen Patient Zero, diesen allerersten ausfindig zu machen, weil man dann eben schauen kann: Was ist das für ein Mensch? Wo hat er gearbeitet? Ist es ein Farmer oder jemand, der in der Stadt gearbeitet hat? Ist es jemand, der besondere Essensgewohnheiten hatte und so weiter. Aber das wird bei diesem Virus extrem schwierig sein, weil es oft doch milde Symptome hervorruft und weil die Symptome, wie wir alle ja jetzt wissen, leider sehr ähnlich sind zu anderen respiratorischen Erkrankungen, die wir mit uns rumschleppen."
Die chinesischen Behörden verweisen auf einen Mann aus Wuhan, der als Bürokraft für ein privates Unternehmen arbeitet, Mitte Vierzig. Bei ihm machte sich die Krankheit am 8. Dezember bemerkbar. In einer Veröffentlichung im Fachmagazin "The Lancet" wird jedoch von einem Patienten berichtet, der bereits am 1. Dezember Symptome zeigte. In beiden Fällen verliert sich die Spur jedenfalls in einer Sackgasse. Etwas über die Hälfte der Patienten aus den ersten Wochen jedoch hatte den Huanan-Tiermarkt besucht. Deshalb dürfte er eine zentrale Rolle gespielt haben für den Ausbruch.
Ist das denn überhaupt noch wahrscheinlich, dass man nach all dieser Zeit auf diesem Wildtiermarkt irgendwelche Spuren findet?
"Die Zeit ist natürlich ein kritischer Faktor und der Markt ist ja meines Wissens auch geschlossen. Aber trotzdem haben wir die Hoffnung, dass es Dokumentationen über herkommen und so weiter. Das sind Fragen, die wir mit den chinesischen die Arten, die dort gehandelt wurden, gibt. Und da muss man gucken, wie gut die sind und daraus auch Schlüsse ziehen kann, wo die Tiere ursprünglich auch Kolleginnen und Kollegen erörtern werden."
Eine wichtige Säule der wissenschaftlichen Methodik ist das Experiment: ein isoliertes System, kontrollierte Bedingungen. Die Ermittlungen des WHO-Teams sehen ganz anders aus: Sie sollen ein singuläres Ereignis in der Vergangenheit ergründen. Die Daten sind unvollständig, Spuren führen in viele verschiedene Richtungen und nicht überall lässt sich Peking von der WHO in die Karten schauen.
Was können die Fachleute also tun? Aufgrund der vorhandenen Informationen verschiedene Szenarien auf Plausibilität prüfen. Zum Beispiel: Was spricht eigentlich dafür, dass das Virus nicht aus dem Labor stammt, sondern einen natürlichen Ursprung hat?
Jan Felix Drexler kennt sich damit aus. Er ist an der Berliner Charité Experte für Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die aus dem Tierreich stammen. "Bei der Suche nach dem Ursprung von SARS-CoV-2 sind die Fledermäuse ja als natürliches Reservoir für die Viren unter Verdacht geraten. Warum denn gerade die Fledermäuse?"
"Weil wir eigentlich schon beim ersten Ausbruch von SARS, damals 2003 in China vor allem, kurze Zeit später gesehen haben, dass mit dem damaligen SARS-Coronavirus, dass damit genetisch ganz nah verwandte Viren in Fledermäusen vorkamen. Und das war eine Initialzündung für das Suchen nach solchen Viren, vor allem auch Coronaviren in Fledermäusen weltweit. Also, das sind nicht DIE Fledermäuse als solche, sondern ganz besonders die Gattung Rhinolophus oder eben Hufeisennasen."
Eine vielfältige "Wolke" von Coronaviren
Bei dieser ausgedehnten Suche sammelten Forscherinnen und Forscher über die Jahre hinweg tausende von Proben. Und sie wurden fündig. Sie entdeckten unzählige Erreger, die dem ursprünglichen SARS-Virus von 2003 stark ähnelten. Und das nicht nur in China. Auch in Thailand, Laos, Kambodscha und Japan ließen sich Erreger dieser Art nachweisen. Und SARS-CoV-2 ist ebenfalls ein typischer Vertreter.
Bloß: ein Virus, das hundertprozentig übereinstimmt, konnte bisher noch nicht gefunden werden – weder mit dem alten noch dem neuen SARS-Coronavirus. "Aber die Vielfalt, die genetische Vielfalt, die in solchen Fledermäusen existiert, zeigt sehr klar, dass SARS-Coronaviren über sehr, sehr lange Zeiträume in diesen Fledermäusen evolviert sein müssen."
RaTG13 – so heißt das Coronavirus, das bisher am nächsten dran ist an SARS-CoV-2. Beschrieben hat es ein Team vom Institut für Virologie Wuhan. Die Forscherinnen und Forscher um Shi Zhengli hatten es in einem Kupferbergwerk im Süden von China entdeckt, in der Provinz Yunnan. Sein Erbgut stimmt zu 96,2 Prozent mit demjenigen des Pandemievirus überein. Aber was heißt das nun?
"Es ist keine exakte Übereinstimmung, es ist nicht der Vorläufer von SARS-Coronavirus-2, aber es ist Teil einer großen Wolke von Vorläufern, aus der das SARS-Coronavirus-2 sich halt irgendwann heraus entwickelt hat."
Einige Jahrzehnte Evolution liegen zwischen Sars-CoV-2 und seinem nächsten Verwandten, so haben es Forschende abgeschätzt anhand von typischen Mutationsgeschwindigkeiten von Coronaviren.
"Das Problem bei solchen Rückrechnungen von der Evolutionsgeschwindigkeit ist allerdings, dass die Evolution der Coronaviren noch viel, viel mehr beinhaltet als solche linearen Prozesse wie eine Mutation einer Nukleinsäure, eines Nukleinsäurebausteins. Sondern da passieren ganz viele evolutionäre Geschehnisse gleichzeitig in solchen Fledermäusen. Zum Beispiel kommt es immer wieder zum Austausch von Genomfragmenten zwischen verschiedenen Viren."
Rekombination nennt sich das. Sie kann stattfinden, wenn verschiedene Coronaviren in ein und derselben Fledermaus zusammenkommen. Und das ist gar nicht so unwahrscheinlich. Denn die Tiere leben in Kolonien, im engen Kontakt zueinander. Social Distancing ist für Fledermäuse keine Option. Und so brüten sie als kleine, fliegende Virenfabriken ständig neue Varianten aus.
"Und deshalb kann es auch sein, dass das SARS-Coronavirus-2 sich gar nicht linear zum Beispiel aus einem Vorläufervirus wie RaTG13 entwickelt haben muss, sondern durch ein sogenanntes Rekombinationsereignis aus verschiedenen Vorläuferviren sprunghaft entstanden sein könnte."
In der Natur, eine Manipulation im Biolabor wäre dazu gar nicht notwendig. "Die Evolution von SARS-Coronaviren in Fledermäusen ist so lange, also die ist so alt, das passiert schon so lange, dass man sagen muss: Das ist doch gar nicht verwunderlich, dass alle möglichen Varianten entstehen. Und jetzt haben wir halt Pech gehabt. Und Pech heißt: Wir haben dieses Virus abbekommen, wir als Menschheit. Wir sind sehr vernetzt. Ein Virus kann also unfassbar schnell den Planeten umkreisen mit uns gemeinsam, und das hat es ja auch getan. Und dann ist es natürlich auch so, dass wir einiges dafür tun, dass solche Viren aus Wildtieren in unsere Nähe kommen, indem wir die natürlichen Habitate zerstören und damit in eine Nähe zu solchen Tieren kommen, die wir früher eigentlich viel seltener hatten."
Dabei gibt es bloß ein Problem: Die Tiere leben vor allem im Süden von China, in der Provinz Yunnan zum Beispiel, über eintausendfünfhundert Kilometer von Wuhan entfernt. Also: Wie ist das Virus von dort in die Metropole gereist?
Die Suche nach dem Ursprung findet zunächst nur auf Papier statt
Zurück in die zweite Januarwoche dieses Jahres. Nach einigen Verwicklungen um ungeklärte Visafragen sind die Teilnehmer der WHO-Mission unterwegs nach Wuhan – . Nur Fabian Leendertz ist immer noch in Deutschland - "aus privaten Gründen musste ich spontan die Reise absagen, aber nehme, soweit ich kann, von hier aus teil."
Die Teams der WHO und der Chinesen sichten epidemiologische Daten, etwa aus Krankenhausakten oder aus Blutproben. Sie durchforsten Aufzeichnungen zum Huanan-Tiermarkt und versuchen, die Handelswege nachzuvollziehen. In den ersten beiden Wochen findet die Suche nur auf Papier statt.
Nach dem Ende der Reise wird es zu einer Diskussion kommen, ob Peking den Fachleuten der WHO wichtige Daten vorenthalten hat. Dabei geht es um Akten von Patienten aus Wuhan, die im Dezember 2019 mit Atemwegsinfekten diagnostiziert worden waren. Die chinesische Seite hat hier eine Vorauswahl getroffen, das WHO-Team die Rohdaten nicht zu Gesicht bekommen.
SARS-CoV-2 ähnelt Coronaviren, die bei Fledermäusen im Süden von China gefunden wurden. Also über tausendfünfhundert Kilometer entfernt von Wuhan, wo die ersten Infizierten gemeldet wurden. Viel näher, nämlich in Wuhan selbst, liegt ein Forschungsinstitut, das Coronaviren erforscht. Könnte das doch ein Indiz dafür sein, dass das Virus dem Labor entkommen ist? Nein, nicht unbedingt. Ein anderes Tier könnte den Erreger übertragen haben, ein Zwischenwirt.
Thomas Mettenleiter, der Präsident des Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit. Er schlägt eine andere Bezeichnung vor - Brückenwirt: "Die Brücke zwischen dem Naturreservoir und dem Menschen. Ich glaube, Brücke ist da so ein gutes Bild. Daher bevorzuge ich den Terminus."
Am FLI wurden die Marderhunde genauer unter die Lupe genommen. Was sind denn das für Tiere?
"Marderhunde sind eben auch Tiere, die in großen Zahlen nahe am Menschen in solchen Pelztierfarmen gehalten werden. Marderhunde waren bereits positiv getestet worden auch im Kontext des ersten SARS und sind deshalb auch in den Verdacht geraten, hier möglicherweise eine Rolle spielen zu können. Wir haben dann das Experiment in Marderhunden durchgeführt, und sie sind in der Tat empfänglich. Sie vermehren den Erreger, sie zeigen keine klinischen Symptome, sie tragen ihn aber auch weiter, das heißt also diese Voraussetzungen einer möglichen Brückenspezies würden Marderhunde dann auch erfüllen."
Führt die Spur in die Pelztier-Industrie?
Marderhunde werden in China als Pelztiere gehalten; auf Hinterhöfen oder zu Hunderten auf Farmen. Sie stecken in engen Drahtkäfigen, die meist nach oben hin nicht vollkommen geschlossen sind. Über Kot oder Urin könnte eine Fledermaus in Yunnan einen Marderhund vor Ort infiziert haben.
Das Virus hätte sich dann wohl sehr schnell über die ganze Pelztierfarm ausgebreitet. Danach kann man sich zwei Szenarien vorstellen, wie der Erreger den Weg nach Wuhan gefunden hat: Ein Mensch auf der Pelztierfarm könnte sich infiziert haben und dann in die nördliche Metropole gereist sein. Oder infizierte Marderhunde wurden dorthin auf einen Markt gebracht.
Eines dieser Szenarien aber auch mit Daten zu belegen, dürfte schwierig werden. Besonders wenn das Virus nicht mehr in jener hypothetischen Pelztierfarm zirkuliert.
"Und die Pandemie ist ja nun schon über ein Jahr alt. Das heißt, dann wird es ein Glückstreffer sein, wenn man möglicherweise solche Reservoire noch sehen kann. Da ist dann wahrscheinlich die Serologie, also der Antikörpernachweis das beste Überwachungsverfahren, möglicherweise auch mit Proben, mit Rückstellproben, die vielleicht noch übrig sind oder aufbewahrt werden von Tieren, die möglicherweise schon lange tot sind."
Von Pelztierfarmen dürften so etwas nicht existieren. Und auch sonst war die Spurensuche bisher erfolglos: Nach dem Ausbruch haben die chinesischen Behörden Tierproben vom Huanan-Markt genommen. Darin wurden keine Spuren des Virus gefunden. Und auch nichts in rund 30-tausend Tieren, die chinesische Forschern 2019 und 2020 untersucht hatten. Darunter Haustiere, Wildtiere und Nutztiere auf Farmen. Allerdings: Der Tiermarkt in Wuhan wurde von Großhändlern beliefert, die ihre Ware aus dem Süden des Landes beziehen. Theoretisch bestünde zumindest die Möglichkeit, dass der Erreger so die Distanz von über eintausend Kilometern bewältigt hat. Diese These führt zur Lieblingstheorie der chinesischen Regierung. Denn die meisten dieser Fleischprodukte sind als Tiefkühlkost nach Wuhan gelangt.
Könnte das Virus sozusagen eiskalt aus dem Ausland nach China importiert worden sein? Peking sieht Belege dafür: Mehrfach sollen Infektionen in China wiederaufgeflammt sein, weil kontaminierte Kost über die Kühlkette sozusagen reimportiert wurde. In einem Fall geriet im November 2020 auch Ware aus Deutschland ins Visier.
"Da kam der Verdacht von chinesischer Seite auf, dass durch gekühlte Schweinshaxe, die offensichtlich aus Bremen kommen sollte, und von hier aus nach China transportiert wurde, dort eine Infektion bei einem Arbeiter, der mit dieser Kühlware umging, stattgefunden haben sollte. Das wurde dann im Nachhinein geklärt, weil in Bremen werden solche Waren nicht hergestellt und verpackt, aber letztendlich erfolgte die Verschiffung tatsächlich von Bremerhaven aus nach China."
Ganz in der Nähe der Hansestadt, aus der die Haxen stammen sollten, forscht der Virologe Andreas Dotzauer.
Nehmen wir einmal an, dass tatsächlich ein infizierter Hafenarbeiter in Deutschland im November 2020 auf eine Haxe gehustet hat. Wäre es dann möglich, dass sich ein Hafenarbeiter in China Wochen später an dieser Haxe ansteckt? Wenn Ja, wäre es dann auch vorstellbar, dass ein Jahr zuvor das Pandemievirus aus dem Ausland nach China gekommen ist – per Anhalter auf Tiefkühlkost?
Auf dem Huanan-Markt in Wuhan wurden lebende Tiere verkauft, aber auch gekühlte und gefrorene Fleischprodukte zum Teil aus dem Ausland. Ist es tatsächlich möglich, dass Coronaviren an der Oberfläche von diesen Waren eine lange Reise zurücklegen und dann immer noch infektiös sind?
Von der Haxe muss das Virus auf die Schleimhäute geraten
"Im Prinzip ist die Übertragung über Kühlkettenprodukte möglich. Die wissenschaftliche Grundlage hierfür ist, dass das Coronavirus nachgewiesenermaßen noch nach drei Wochen sowohl bei vier Grad als auch bei minus zwanzig Grad und minus achtzig Grad infektiös bleibt und damit natürlich potentiell für eine Ansteckung sorgen kann."
Wie infektiös das Virus dann noch ist, sei allerdings von vielen Faktoren abhängig: Wie ist die Oberfläche beschaffen? Wie sieht es aus mit der Feuchtigkeit? Wie groß ist die Virenlast?
"Sie sehen, eine ganze Liste von Variablen, die ein solches Infektionsgeschehen beeinflussen kann und auch dann diese Möglichkeit sehr stark in der Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung auch reduziert."
Infektiöses Virenmaterial alleine ist jedoch nicht gefährlich – solange es nicht auf menschliche Schleimhäute gelangt.
SARS-CoV-2 übersteht das Milieu im Magen nicht
"Das muss also von den Händen angefasst werden. Und hier ist auch wieder die Zeit abhängig, wie lange dieser Kontakt stattfindet, wieviel Material auf den Händen hängen bleibt. Und dann ist der Aufnahmeweg entscheidend. Es müsste eine Infektion der Schleimhäute stattfinden, was bedarf, dass die Finger dann wirklich in den Mund genommen werden, damit dieser Kontakt hergestellt wird. Eine Infektion durch Verschlucken ist hochgradig unwahrscheinlich."
Das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR erklärt, es gebe derzeit keinen Fall, bei dem nachgewiesen sei, dass sich Menschen über den Verzehr kontaminierter Lebensmittel mit dem neuartigen Coronavirus infiziert hätten. Coronaviren können zwar tatsächlich Darmzellen infizieren, sagt Andreas Dotzauer. Doch die Passage durch den Magen überstehen sie nicht, weil das Milieu dort umgehend ihre Hüllen zerstört.
"Allerdings wenn diese Viren eingebettet in irgendwelche Fleischpartikel, an irgendwelchen kleineren Partikeln haften, könnten sie natürlich auch geschützt sein und könnten tatsächlich den Darm erreichen, aber das ist hochgradig unwahrscheinlich."
Die WHO-Delegation besucht den Huanan-Tiermarkt
Erste Februarwoche 2021.* Die Mitglieder der WHO-Delegation haben ihre Quarantäne-Hotel in Wuhan verlassen. Fabian Leendertz ist von Deutschland aus zugeschaltet.
Reporter: "Hallo Herr Leendertz, wie schaut’s denn aus? Ihre Kolleginnen und Kollegen sind unterwegs vor Ort?"
Leendertz: "Ja, die sind wirklich super busy vor Ort. Die haben jeden Tag die Woche durchgearbeitet, auch Samstag, Sonntag, wie auch schon in der Quarantänezeit. Und was eben hinzugekommen ist, sind Besuche vor Ort. Da wurden ja schon verschiedenste Orte besucht. Sowohl dieser Markt, der da viel diskutiert wurde, aber auch, um so ein bisschen die Stimmung mal einzufangen, dieses Corona-Museum, Memorial, was da jetzt eingerichtet worden ist. Es wurden verschiedene Institute inzwischen besucht. Also, das ist natürlich nochmal ein bisschen was anderes, den persönlichen Kontakt zu den chinesischen Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu haben. Ich denke, das ist nochmal wesentlich effizienter."
Reporter: "Dieser Tiermarkt selbst ist aber im Moment geschlossen, oder?"
Leendertz: "Genau, der ist geschlossen. Da war jetzt das Hauptziel, dass man mal so ein Gefühl dafür kriegt: Wie gut ist da die Luftzirkulation, wie eng sind die Gänge, dass man sich das so vorstellen kann. Und wenn ich richtig informiert bin, steht auch noch auf dem Plan, einen jetzt momentan funktionierenden Markt zu besuchen, um da auch das mal live zu erleben, wie es da ist."
Neben den Tiermärkten und der Propaganda-Ausstellung, die Chinas Triumph über die Seuche feiert, hat das Team unter anderem auch das Krankenhaus besucht, in dem die ersten Covid-19-Patienten behandelt wurden. Auch das Institut für Virologie Wuhan stand auf dem Plan. Es beheimatet die größte Virensammlung Asiens und steht im Zentrum der Laborhypothese. Und bei allen Ortsterminen sind immer offizielle Behördenvertreter und Mitglieder der Kommunistischen Partei zugegen.
"Teilweise haben wir dann auch versucht, ob ich dann mit der Handy-Technik mir Sachen anschauen kann. Da wird einem nur leicht schwindelig, wenn man das längerfristig von hier aus betreibt. Aber ich und auch die anderen Kollegen, die jetzt nicht direkt vor Ort sein können, sind wesentlich besser eingebunden, als wir das befürchtet hätten."
Haben die Expertinnen und Experten der WHO am richtigen Ort gesucht? Tatsächlich führt nicht nur die schwache Tiefkühl-Hypothese ins Ausland. Es existieren Studien, die Spuren des neuartigen Coronavirus in Europa und den USA ausgemacht haben wollen – und zwar vor Dezember 2019, also vor dem offiziellen Ausbruch in Wuhan. Zum Beispiel in Italien. Im Rahmen eines Krebs-Screenings waren Blutproben auf Antikörper untersucht worden. Positive Resultate zeigten sich schon im September 2019. In Frankreich tauchten solche Antikörper im November auf. Und in Spanien fand sich gar eine positive Abwasserprobe vom März 2019. Kann es sein, dass das Coronavirus eigentlich aus Europa stammt?
Anhand von Mutationen lässt sich die Ausbreitung rekonstruieren
"Wir müssen transparent alles aufrollen, denn es ist ja sehr wichtig zu verstehen, wo ist so ein Erreger hergekommen, der eine Pandemie ausgelöst hat, um eine zukünftige Pandemie dann auch im Keim zu ersticken." - Eine Forscherin, die sich mit der Ausbreitung von Pathogenen auskennt, ist Tanja Stadler, Professorin an der ETH Zürich in Basel. Eine Mathematikerin, die biostatistische Analysen durchführt.
Unter anderem verfolgt sie anhand molekulargenetischer Daten, wie sich Krankheitserreger ausbreiten. Und diese Daten könnten helfen, Licht in die frühe Phase der Pandemie zu bringen.
Reporter: "Warum funktioniert das denn überhaupt, dass wir aus dem Genom eines Virus herauslesen können, wie ein Ausbruch dieses Erregers abgelaufen ist?"
Stadler: "Diese Viren, die verändern sich über die Zeit. Und der SARS-CoV-2-Virus, genauso wie menschliche Genome sich durch Mutationen ändern, ändert sich dieser Virus. Und bei dem Virus relativ schnell, alle zwei Wochen sehen wir da eine Mutation. Das heißt, je länger wir warten, desto mehr Mutationen entdecken wir gegenüber den ganz frühen Viren. Jetzt kann man sich vorstellen: Man schaut sich über die Zeit die Viren an und dann in bestimmten Gegenden in Europa sind bestimmte Mutationen aufgetreten. Dann weiß ich, wenn ich in einem Virus eine bestimmte Mutation sehe, dass es wohl irgendwie mit dem Ausbruch in Europa zusammenhängt. Und umgekehrt sehen wir die frühen Viren in Wuhan, die waren alle sehr ähnlich, also haben alle zu einem Ausbruch gehört."
Beginn der Ansteckungsketten im November
Die Virengenome unterschieden sich zu Beginn kaum voneinander. Das heißt, dass in Wuhan noch nicht viel Zeit vergangen sein konnte, seit das Virus für die Ansteckungen gesorgt hatte.
"Und dann kann man zurückrechnen, wie lang ist denn der Virus in Wuhan schon zirkuliert, bevor wir dann Ende Dezember den ersten Fall gesehen haben. Einfach zurückrechnen in der Annahme: Alle zwei Wochen eine Mutation. Und so ist man dann draufgekommen, dass irgendwann November bis Anfang Dezember die Transmissionskette, die zu dem Ausbruch in Wuhan und dann zu der globalen Pandemie geführt hat, gestartet ist."
Am 8. Dezember zeigte der erste bekannte Patient Symptome. Das passt. Das Virus dürfte sich zu diesem Zeitpunkt also schon wenige Wochen in Wuhan im Umlauf befunden haben. Aber in Europa? "Es gab ja vereinzelt Berichte, dass es schon vor Dezember 2019 zu Infektionen mit SARS-CoV-2 gekommen ist, und zwar außerhalb von China, hier in Europa – in Italien und Frankreich zum Beispiel. Wie würden Sie denn diese Studien bewerten vom Standpunkt der Molekularbiologie aus?"
"Was man ganz klar sagen muss: Wir haben nachgewiesen in klinischen Proben kein SARS-CoV-2 aus 2019. Wir haben ab Anfang 2020 dann in Europa und den USA Patienten gesehen, bei denen wir wirklich einen SARS-CoV-2 nachweisen konnten und auch die Probe sequenzieren konnten. Und diese frühen Proben aus Mitte Januar 2020, die deuten alle darauf hin, dass das Virus aus Wuhan erst sehr kürzlich eingeschleppt worden ist und passt auch zu quasi Reisedaten, was man über die Patienten wusste."
Wie aussagekräftig sind die Nachweisverfahren?
Die Studien, die eine Anwesenheit des Virus in Europa schon vor Dezember 2019 belegen sollen, sind nicht unumstritten. Komplette sequenzierte Genome liegen für die nachgewiesenen Viren nicht vor. Die Untersuchungen beruhen zum Teil auf dem Nachweis stark degradierter Viren-RNA oder auf dem Nachweis von Antikörpern.
Möglicherweise waren die Tests nicht empfindlich genug und haben Abwehrmoleküle gegen weit verbreitete Erkältungs-Coronaviren entdeckt. In einem Fall war ein PCR-Test negativ, nur ein Gentest nach einem anderen Verfahren schlug an. Und gerade zu Beginn der Pandemie gab es Probleme mit Verunreinigungen von Nachweisreagenzien, welche die Anwesenheit von SARS-CoV-2 möglicherweise nur vorgegaukelt haben. Eine Studie hat nachträglich einen Vermerk erhalten, weil es Unschlüssigkeiten beim Begutachtungsverfahren gegeben haben soll.
Die genetischen Abstammungsdaten seien eindeutig, erklärt Tanja Stadler. "Die Molekulardaten deuten ganz klar darauf hin, dass ab 2020 im Januar quasi dieses SARS-CoV-2 nach Europa, USA exportiert worden ist. Und dann ab Februar wurden so viele Viren aus Wuhan und China nach Europa und USA exportiert, dass man es nicht mehr in den Griff bekommen hat, die ganzen Transmissionsketten zu stoppen und damit bei uns überall in Europa die Pandemie wirklich Fahrt aufgenommen hat."
Und was ist mit der Laborhypothese?
Das Ganze ergibt ein in sich stimmiges Bild. Es ist ein verschwommenes Bild, weil noch immer wichtige Ausschnitte fehlen. Aber so könnte es gewesen sein: In weiten Teilen von Südostasien tragen Fledermäuse hunderte verschiedene Varianten von Coronaviren. Eine dieser Varianten ist übergesprungen auf einen Brückenwirt. Durch Mutationen und genetische Rekombinationen hat dieses Virus schließlich auch Menschen infizieren können – und zwar so effizient, dass es gut zwischen einzelnen Personen ausgetauscht wird. Von Wuhan aus wurde es schließlich in die ganze Welt getragen.
Doch zumindest theoretisch: Eine Rekombination des Erbgutes hätte auch in einem Labor durchgeführt worden sein können. Und wäre das plötzliche Auftauchen, der einmalige Eintrag in die Bevölkerung, nicht auch im Einklang mit einem Laborunfall? Im Großraum Wuhan kämen gleich zwei Einrichtungen dafür in Frage.
Mit der Frage, ob SARS-CoV-2 möglicherweise in der Petrischale erschaffen wurde, geht es im zweiten Teil: Die Spur des Virus - Die Laborhypothese.
[*] An dieser Stelle wurde eine falsche Jahreszahl genannt. Wir haben den Fehler korrigiert.