Dirk-Oliver Heckmann: Es ist vielleicht der Aufreger des Tages, zumindest hier in Deutschland. Peer Steinbrück, der designierte Kanzlerkandidat der SPD, gibt heute Details über seine Nebentätigkeiten bekannt. 1,2 Millionen Euro hatte er in den vergangenen Jahren nebenher erzielt – großes Thema in den Zeitungen heute. Unterstützung bekommt er dennoch von Sigmar Gabriel.
Am Telefon begrüße ich Volker Wissing, er ist stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion und deren finanzpolitischer Sprecher. Schönen guten Morgen, Herr Wissing.
Volker Wissing: Guten Morgen, ich grüße Sie.
Heckmann: Herr Wissing, 1,2 Millionen Euro nebenher, halten Sie das eigentlich für unanständig?
Wissing: Nein, das ist ja nicht verboten, in Deutschland Geld zu verdienen, und deswegen ist es nicht unanständig. Was man allerdings ganz klar sehen kann ist, dass Peer Steinbrück ganz offensichtlich nicht damit gerechnet hat, noch mal in eine führende Funktion in Deutschland zurückzukehren. Es war für ihn wohl klar, er versucht jetzt, aus seiner Bekanntheit Vortragshonorare zu generieren, und natürlich ist das etwas merkwürdig, wenn jemand zunächst Finanzminister war, Aufträge vergeben hat an private Rechtsanwaltskanzleien, dann später dort Honorare kassiert hat und dann wieder in die Politik zurück will. Ich glaube, es ist das, was bei vielen jetzt zu einem Stirnrunzeln führt. Aber er hat sich an Recht und Gesetz gehalten und es war für ihn wohl recht überraschend, dass er Kanzlerkandidat wird.
Heckmann: Dennoch: Bei der Vielzahl von Vorträge, die er da gehalten hat, würden Sie sagen, dass man bei einer solchen Nebenbeschäftigung seinem Mandat eigentlich noch nachkommen kann?
Wissing: Es gibt keine fest vorgeschriebenen Arbeitszeiten für Abgeordnete, sie sind frei gewählt. Und niemand anderes als die Wählerinnen und Wähler können sich ein Bild und müssen sich ein Bild darüber verschaffen, welche Leistung der von ihnen gewählte Abgeordnete erbringt oder auch nicht.
Heckmann: Peer Steinbrück legt alles offen und hat sich an Recht und Gesetze gehalten, Sie haben es gerade eben gesagt. Sie sind dazu nicht bereit, zumindest nicht, alles offenzulegen, Sie von der FDP und von der Union:
Wissing: Ich persönlich habe das getan und ich …
Heckmann: Aber nicht Ihre Fraktion!
Wissing: Na ja, es gibt natürlich – und das sehen auch alle anderen so – ein Problem, wenn Berufsgeheimnisträger wie Rechtsanwälte oder Ärzte verpflichtet werden sollen, die Namen all ihrer Mandanten oder Patienten öffentlich zu publizieren. Ich glaube auch nicht, dass das im Interesse der Patienten wäre. Und nichts anderes reklamiert die FDP. Wir sagen, man kann nicht verlangen, dass ein Arzt, der Mitglied des Deutschen Bundestages ist, der Öffentlichkeit sämtliche Namen seiner Patienten nennt.
Heckmann: Man hat ein bisschen den Eindruck, dass sich die FDP und auch die Union ein bisschen hinter dieser Begründung versteckt.
Wissing: Dem Vorwurf setzt man sich schnell aus. Trotzdem ist dieser Einwand, den wir vorbringen, berechtigt, und wir haben ja selbst gesagt. Wir wollen mehr Transparenz haben, wollen mehr Stufen haben, gehen jetzt auch diesen Weg. Aber ich halte diese Debatte, die gegenwärtig in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, als seien Abgeordnete bestechlich und korrupt und als sei das an der Tagesordnung, das geht an der Realität vollkommen vorbei. Wir sollten da mal die Kirche wieder im Dorf lassen.
Es ist so, dass Abgeordnete selbstverständlich keine politisch neutrale Meinung vertreten. Wir sind für eine bestimmte pointierte Meinung auch gewählt. Und ob ein Abgeordneter jetzt in einer Gewerkschaft ist oder nicht, ist etwas, was die Öffentlichkeit wissen kann. Aber ich halte es für übertrieben, von einem Abgeordneten zu erwarten, dass er immer eine neutrale Meinung vertritt. Das geht doch an der Realität vollkommen vorbei.
Heckmann: Wir sprechen mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, mit Volker Wissing. – Herr Wissing, beim Thema Glaubwürdigkeit ist man auch ganz schnell beim Thema Griechenland. Ich möchte Ihnen mal ein Zitat vorlesen, das lautet: "Die Zeitachse, die das Reformprogramm für Griechenland festlegt, darf nicht verschoben werden." Wissen Sie, von wem dieses Zitat kommt?
Wissing: Das haben viele gesagt und Rainer Brüderle hat das auch gesagt und er hat auch Recht, wenn er sagt, dass die Kernzeitachse nicht verschoben werden darf. Was er damit meint, ist ganz klar: Wir dürfen vom Reformkurs, den wir Griechenland auferlegt haben, nicht abweichen.
Heckmann: Sie sprechen jetzt von der Kernzeitachse, die nicht verschoben werden darf. Das hat sich vor zwei Monaten noch anders angehört, nämlich die Zeitachse dürfe überhaupt nicht verschoben werden.
Jetzt sagt er, wenn Griechenland die Reformvorhaben beschließt und die Regierung ernsthaft diese Reformen angeht, dann können wir gegebenenfalls über einen überschaubaren Zeitaufschub reden. Und auch die Kanzlerin hat gestern in Schwerin gesagt, wenn das Wirtschaftswachstum geringer ist als gedacht, obwohl die Reformmaßnahmen umgesetzt werden, dann muss man auf die geänderten Gegebenheiten reagieren können - Zitat Ende. Können Sie nachvollziehen, dass sich viele Menschen belogen fühlen in Deutschland?
Wissing: Nein, denn niemand bleibt so hart, was die Reformen in Europa angeht, wie diese christlich-liberale Regierung. Ich halte wenig davon, wenn vereinzelt zu hören ist, man solle Exempel statuieren und anderes. Solche Rhetorik passt nicht zu unseren Aufgaben in Europa. Was wir leisten müssen, ist Europa zu einer Reformgemeinschaft zu führen, die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu erhöhen, und dazu ist alles mit aller Kraftanstrengung zu tun, was wir tun können.
Heckmann: Aber, Herr Wissing, vor wenigen Wochen, vor wenigen Tagen noch hat die FDP Nachbesserungen ausgeschlossen, die natürlich auch Geld kosten würden. Jetzt aber nicht mehr?
Wissing: Also zunächst einmal müssen wir abwarten, was im Troika-Bericht genau drinsteht, welche Handlungsempfehlungen uns dieser Bericht gibt.
Heckmann: Aber Sie schließen es nicht aus?
Wissing: Nein. Für uns steht nach wie vor fest: Wir sind nicht bereit, vom Reformkurs abzuweichen. Schauen Sie, das ganze macht doch nur Sinn, wenn am Ende dieser Krise eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit ganz Europas steht.
Heckmann: Und dazu sind Sie bereit, auch mehr Zeit zu geben? Das heißt aber auch, wieder mehr Geld reinzustecken.
Wissing: Ja, dazu sind wir bereit, auch über die Frage der Zeitachse nachzudenken. Aber der Kernpunkt, zu sagen, Griechenland muss so schnell wie es irgendwie möglich Reformen durchführen, genauso wie Portugal, Spanien und Italien, diese Kernfrage ist für uns nicht verhandelbar, und zwar in keiner Weise.
Heckmann: Wenn aber um zwei Jahre verschoben wird, wie es ja jetzt derzeit im Gespräch ist, kostet das 20 bis 30 Milliarden Euro.
Wissing: Also ich beteilige mich an diesen Spekulationen nicht. ich halte auch nichts davon, ständig nach neuen spektakulären Sensationen in der Euro-Krise zu suchen. Wir wollen Vertrauen der Märkte zurückgewinnen und sollten deswegen auch alles dafür tun, der Öffentlichkeit und auch den Märkten klar zu machen, was unser Kurs ist: Reformen durchsetzen, Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Und jetzt kann man doch nicht ernsthaft darüber diskutieren, ob man dann über einen Monat oder zwei Monate mehr oder weniger redet. Das kann es doch nicht sein. Die Glaubwürdigkeit der Euro-Zone hängt doch alleine an einer Frage: Schaffen wir es, durch überzeugende Reformpolitik das Vertrauen der Märkte dauerhaft zurückzugewinnen.
Heckmann: Das heißt, Herr Wissing, mehr als zwei Monate quasi dürfen es nicht sein? Zwei Jahre kommt für Sie nicht in die Tüte?
Wissing: Nein, ich lasse mich auch darauf nicht festlegen, weil ich glaube, dass das nicht die entscheidende Frage ist. Die entscheidende Frage ist: Schauen Sie, wir haben in Portugal es geschafft, erste Reformen zu sehen. Portugal gewinnt Weltmarktanteile zurück, die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Wir sehen, dass in Italien Reformen umgesetzt werden. Andere, die empfohlen hatten, macht große Umschuldungsprogramme, macht Schuldenschnitte, macht einen Strich darunter, die haben alle übersehen, dass das, was dann passiert wäre, mit hoher Wahrscheinlichkeit passiert wäre, dass das für uns alle viel teurer geworden wäre.
Wir haben deutsche Interessen zu wahren und uns nicht in Prinzipienreiterei zu verlieren. Wenn wir wegen einer zeitlichen Frage Deutschlands Finanzen aufs Spiel setzen würden, wäre das unverzeihlich und hätte auch mit gemeinwohlorientierter Politik nichts mehr zu tun.
Heckmann: Die Bundesregierung hat gestern einen zweiten Schuldenschnitt ausgeschlossen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat hier im Deutschlandfunk am Sonntag aber ein Schuldenrückkaufprogramm ins Spiel gebracht. Hört sich toll an, kostet aber auch Geld. Oder denken Sie, ist das umsonst zu haben?
Wissing: Also die ganze Stabilisierung unserer Währung ist nicht umsonst zu haben. Das ist mindestens mit erheblichen Haftungsrisiken verbunden. Und ein Schuldenerlass für Griechenland ist haushaltsrechtlich in Deutschland nicht darstellbar. Er hätte zur Folge, dass man neue Haftungsübernahmen nicht mehr verantworten und vertreten könnte. Und ein Schuldenschnitt wäre auch für die EZB nicht vertretbar. Die Europäische Zentralbank würde im Falle eines Schuldenschnittes direkte Staatsfinanzierung betreiben. Deswegen muss man nach einem anderen Weg suchen.
Heckmann: Blicken wir, Herr Wissing, noch zuletzt auf den deutschen Bundeshaushalt. Die Steuerschätzer, die werden ja offenbar zu dem Ergebnis kommen, dass die Steuerquellen stärker sprudeln als gedacht. Von über sechs Milliarden Euro in diesem Jahr ist die Rede. Die Union, die dämpft allerdings die Erwartung, dass schon im Jahr 2014 eine schwarze Null zu schreiben ist. Der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Norbert Barthle, der sagte, für den Fall müsse die schwarz-gelbe Steuerentlastung wieder zurückgenommen werden. Sind Sie dazu bereit, um eben einen ausgeglichenen Haushalt schon 2014 zu bekommen?
Wissing: Nein, überhaupt nicht. Zunächst einmal ist Wolfgang Schäuble wesentlich näher bei der FDP als Herr Barthle. Herr Schäuble selbst sagt ja, dass man früher eine schwarze Null erreichen kann. Und was die Steuerfrage angeht: Wir haben in Deutschland ja eines bewiesen. Man kann Rekordsteuereinnahmen generieren, ohne dass es zuvor zu Steuererhöhungen kommen muss. Es wurde ja immer behauptet, man kann den Staatshaushalt nur sanieren, wenn man massiv die Steuern erhöht. Das ist doch nun wirklich grandios widerlegt.
Wir haben sogar entlastet zum Jahr 2010 um 24 Milliarden und haben auf Steuererhöhungen, die von der Opposition immer vorgeschlagen werden, gänzlich verzichtet. Das Ergebnis: sprudelnde Steuereinnahmen, maximale Beschäftigung und eine gesunde Wirtschaft. Und auf diesem Kurs müssen wir weiterarbeiten. Wir nennen das wachstumsorientierte Haushaltskonsolidierung. Und wenn wir schneller vorankommen können, als wir bisher erwartet haben, dann sollten wir auch schneller voranschreiten.
Heckmann: Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Volker Wissing war das hier im Deutschlandfunk. Danke Ihnen und auf Wiederhören!
Wissing: Ja, auf Wiederhören! Danke Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon begrüße ich Volker Wissing, er ist stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion und deren finanzpolitischer Sprecher. Schönen guten Morgen, Herr Wissing.
Volker Wissing: Guten Morgen, ich grüße Sie.
Heckmann: Herr Wissing, 1,2 Millionen Euro nebenher, halten Sie das eigentlich für unanständig?
Wissing: Nein, das ist ja nicht verboten, in Deutschland Geld zu verdienen, und deswegen ist es nicht unanständig. Was man allerdings ganz klar sehen kann ist, dass Peer Steinbrück ganz offensichtlich nicht damit gerechnet hat, noch mal in eine führende Funktion in Deutschland zurückzukehren. Es war für ihn wohl klar, er versucht jetzt, aus seiner Bekanntheit Vortragshonorare zu generieren, und natürlich ist das etwas merkwürdig, wenn jemand zunächst Finanzminister war, Aufträge vergeben hat an private Rechtsanwaltskanzleien, dann später dort Honorare kassiert hat und dann wieder in die Politik zurück will. Ich glaube, es ist das, was bei vielen jetzt zu einem Stirnrunzeln führt. Aber er hat sich an Recht und Gesetz gehalten und es war für ihn wohl recht überraschend, dass er Kanzlerkandidat wird.
Heckmann: Dennoch: Bei der Vielzahl von Vorträge, die er da gehalten hat, würden Sie sagen, dass man bei einer solchen Nebenbeschäftigung seinem Mandat eigentlich noch nachkommen kann?
Wissing: Es gibt keine fest vorgeschriebenen Arbeitszeiten für Abgeordnete, sie sind frei gewählt. Und niemand anderes als die Wählerinnen und Wähler können sich ein Bild und müssen sich ein Bild darüber verschaffen, welche Leistung der von ihnen gewählte Abgeordnete erbringt oder auch nicht.
Heckmann: Peer Steinbrück legt alles offen und hat sich an Recht und Gesetze gehalten, Sie haben es gerade eben gesagt. Sie sind dazu nicht bereit, zumindest nicht, alles offenzulegen, Sie von der FDP und von der Union:
Wissing: Ich persönlich habe das getan und ich …
Heckmann: Aber nicht Ihre Fraktion!
Wissing: Na ja, es gibt natürlich – und das sehen auch alle anderen so – ein Problem, wenn Berufsgeheimnisträger wie Rechtsanwälte oder Ärzte verpflichtet werden sollen, die Namen all ihrer Mandanten oder Patienten öffentlich zu publizieren. Ich glaube auch nicht, dass das im Interesse der Patienten wäre. Und nichts anderes reklamiert die FDP. Wir sagen, man kann nicht verlangen, dass ein Arzt, der Mitglied des Deutschen Bundestages ist, der Öffentlichkeit sämtliche Namen seiner Patienten nennt.
Heckmann: Man hat ein bisschen den Eindruck, dass sich die FDP und auch die Union ein bisschen hinter dieser Begründung versteckt.
Wissing: Dem Vorwurf setzt man sich schnell aus. Trotzdem ist dieser Einwand, den wir vorbringen, berechtigt, und wir haben ja selbst gesagt. Wir wollen mehr Transparenz haben, wollen mehr Stufen haben, gehen jetzt auch diesen Weg. Aber ich halte diese Debatte, die gegenwärtig in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, als seien Abgeordnete bestechlich und korrupt und als sei das an der Tagesordnung, das geht an der Realität vollkommen vorbei. Wir sollten da mal die Kirche wieder im Dorf lassen.
Es ist so, dass Abgeordnete selbstverständlich keine politisch neutrale Meinung vertreten. Wir sind für eine bestimmte pointierte Meinung auch gewählt. Und ob ein Abgeordneter jetzt in einer Gewerkschaft ist oder nicht, ist etwas, was die Öffentlichkeit wissen kann. Aber ich halte es für übertrieben, von einem Abgeordneten zu erwarten, dass er immer eine neutrale Meinung vertritt. Das geht doch an der Realität vollkommen vorbei.
Heckmann: Wir sprechen mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, mit Volker Wissing. – Herr Wissing, beim Thema Glaubwürdigkeit ist man auch ganz schnell beim Thema Griechenland. Ich möchte Ihnen mal ein Zitat vorlesen, das lautet: "Die Zeitachse, die das Reformprogramm für Griechenland festlegt, darf nicht verschoben werden." Wissen Sie, von wem dieses Zitat kommt?
Wissing: Das haben viele gesagt und Rainer Brüderle hat das auch gesagt und er hat auch Recht, wenn er sagt, dass die Kernzeitachse nicht verschoben werden darf. Was er damit meint, ist ganz klar: Wir dürfen vom Reformkurs, den wir Griechenland auferlegt haben, nicht abweichen.
Heckmann: Sie sprechen jetzt von der Kernzeitachse, die nicht verschoben werden darf. Das hat sich vor zwei Monaten noch anders angehört, nämlich die Zeitachse dürfe überhaupt nicht verschoben werden.
Jetzt sagt er, wenn Griechenland die Reformvorhaben beschließt und die Regierung ernsthaft diese Reformen angeht, dann können wir gegebenenfalls über einen überschaubaren Zeitaufschub reden. Und auch die Kanzlerin hat gestern in Schwerin gesagt, wenn das Wirtschaftswachstum geringer ist als gedacht, obwohl die Reformmaßnahmen umgesetzt werden, dann muss man auf die geänderten Gegebenheiten reagieren können - Zitat Ende. Können Sie nachvollziehen, dass sich viele Menschen belogen fühlen in Deutschland?
Wissing: Nein, denn niemand bleibt so hart, was die Reformen in Europa angeht, wie diese christlich-liberale Regierung. Ich halte wenig davon, wenn vereinzelt zu hören ist, man solle Exempel statuieren und anderes. Solche Rhetorik passt nicht zu unseren Aufgaben in Europa. Was wir leisten müssen, ist Europa zu einer Reformgemeinschaft zu führen, die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu erhöhen, und dazu ist alles mit aller Kraftanstrengung zu tun, was wir tun können.
Heckmann: Aber, Herr Wissing, vor wenigen Wochen, vor wenigen Tagen noch hat die FDP Nachbesserungen ausgeschlossen, die natürlich auch Geld kosten würden. Jetzt aber nicht mehr?
Wissing: Also zunächst einmal müssen wir abwarten, was im Troika-Bericht genau drinsteht, welche Handlungsempfehlungen uns dieser Bericht gibt.
Heckmann: Aber Sie schließen es nicht aus?
Wissing: Nein. Für uns steht nach wie vor fest: Wir sind nicht bereit, vom Reformkurs abzuweichen. Schauen Sie, das ganze macht doch nur Sinn, wenn am Ende dieser Krise eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit ganz Europas steht.
Heckmann: Und dazu sind Sie bereit, auch mehr Zeit zu geben? Das heißt aber auch, wieder mehr Geld reinzustecken.
Wissing: Ja, dazu sind wir bereit, auch über die Frage der Zeitachse nachzudenken. Aber der Kernpunkt, zu sagen, Griechenland muss so schnell wie es irgendwie möglich Reformen durchführen, genauso wie Portugal, Spanien und Italien, diese Kernfrage ist für uns nicht verhandelbar, und zwar in keiner Weise.
Heckmann: Wenn aber um zwei Jahre verschoben wird, wie es ja jetzt derzeit im Gespräch ist, kostet das 20 bis 30 Milliarden Euro.
Wissing: Also ich beteilige mich an diesen Spekulationen nicht. ich halte auch nichts davon, ständig nach neuen spektakulären Sensationen in der Euro-Krise zu suchen. Wir wollen Vertrauen der Märkte zurückgewinnen und sollten deswegen auch alles dafür tun, der Öffentlichkeit und auch den Märkten klar zu machen, was unser Kurs ist: Reformen durchsetzen, Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Und jetzt kann man doch nicht ernsthaft darüber diskutieren, ob man dann über einen Monat oder zwei Monate mehr oder weniger redet. Das kann es doch nicht sein. Die Glaubwürdigkeit der Euro-Zone hängt doch alleine an einer Frage: Schaffen wir es, durch überzeugende Reformpolitik das Vertrauen der Märkte dauerhaft zurückzugewinnen.
Heckmann: Das heißt, Herr Wissing, mehr als zwei Monate quasi dürfen es nicht sein? Zwei Jahre kommt für Sie nicht in die Tüte?
Wissing: Nein, ich lasse mich auch darauf nicht festlegen, weil ich glaube, dass das nicht die entscheidende Frage ist. Die entscheidende Frage ist: Schauen Sie, wir haben in Portugal es geschafft, erste Reformen zu sehen. Portugal gewinnt Weltmarktanteile zurück, die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Wir sehen, dass in Italien Reformen umgesetzt werden. Andere, die empfohlen hatten, macht große Umschuldungsprogramme, macht Schuldenschnitte, macht einen Strich darunter, die haben alle übersehen, dass das, was dann passiert wäre, mit hoher Wahrscheinlichkeit passiert wäre, dass das für uns alle viel teurer geworden wäre.
Wir haben deutsche Interessen zu wahren und uns nicht in Prinzipienreiterei zu verlieren. Wenn wir wegen einer zeitlichen Frage Deutschlands Finanzen aufs Spiel setzen würden, wäre das unverzeihlich und hätte auch mit gemeinwohlorientierter Politik nichts mehr zu tun.
Heckmann: Die Bundesregierung hat gestern einen zweiten Schuldenschnitt ausgeschlossen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat hier im Deutschlandfunk am Sonntag aber ein Schuldenrückkaufprogramm ins Spiel gebracht. Hört sich toll an, kostet aber auch Geld. Oder denken Sie, ist das umsonst zu haben?
Wissing: Also die ganze Stabilisierung unserer Währung ist nicht umsonst zu haben. Das ist mindestens mit erheblichen Haftungsrisiken verbunden. Und ein Schuldenerlass für Griechenland ist haushaltsrechtlich in Deutschland nicht darstellbar. Er hätte zur Folge, dass man neue Haftungsübernahmen nicht mehr verantworten und vertreten könnte. Und ein Schuldenschnitt wäre auch für die EZB nicht vertretbar. Die Europäische Zentralbank würde im Falle eines Schuldenschnittes direkte Staatsfinanzierung betreiben. Deswegen muss man nach einem anderen Weg suchen.
Heckmann: Blicken wir, Herr Wissing, noch zuletzt auf den deutschen Bundeshaushalt. Die Steuerschätzer, die werden ja offenbar zu dem Ergebnis kommen, dass die Steuerquellen stärker sprudeln als gedacht. Von über sechs Milliarden Euro in diesem Jahr ist die Rede. Die Union, die dämpft allerdings die Erwartung, dass schon im Jahr 2014 eine schwarze Null zu schreiben ist. Der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Norbert Barthle, der sagte, für den Fall müsse die schwarz-gelbe Steuerentlastung wieder zurückgenommen werden. Sind Sie dazu bereit, um eben einen ausgeglichenen Haushalt schon 2014 zu bekommen?
Wissing: Nein, überhaupt nicht. Zunächst einmal ist Wolfgang Schäuble wesentlich näher bei der FDP als Herr Barthle. Herr Schäuble selbst sagt ja, dass man früher eine schwarze Null erreichen kann. Und was die Steuerfrage angeht: Wir haben in Deutschland ja eines bewiesen. Man kann Rekordsteuereinnahmen generieren, ohne dass es zuvor zu Steuererhöhungen kommen muss. Es wurde ja immer behauptet, man kann den Staatshaushalt nur sanieren, wenn man massiv die Steuern erhöht. Das ist doch nun wirklich grandios widerlegt.
Wir haben sogar entlastet zum Jahr 2010 um 24 Milliarden und haben auf Steuererhöhungen, die von der Opposition immer vorgeschlagen werden, gänzlich verzichtet. Das Ergebnis: sprudelnde Steuereinnahmen, maximale Beschäftigung und eine gesunde Wirtschaft. Und auf diesem Kurs müssen wir weiterarbeiten. Wir nennen das wachstumsorientierte Haushaltskonsolidierung. Und wenn wir schneller vorankommen können, als wir bisher erwartet haben, dann sollten wir auch schneller voranschreiten.
Heckmann: Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Volker Wissing war das hier im Deutschlandfunk. Danke Ihnen und auf Wiederhören!
Wissing: Ja, auf Wiederhören! Danke Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.