2014, Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien, die Copa das Copas. Moderator Reinhold Beckmann in der ARD: "Geben wir schnell rüber zu Steffen Simon nach Cuiabá - Nigeria gegen Bosnien-Herzegowina." Vier WM-Spiele finden in der damals neugebauten Arena Pantanal im tropischen Herzen Brasiliens statt. Steffen Simon: "Hier im so genannten Glutofen von Brasilien. Cuiabá heute 30 Grad um 18 Uhr Ortszeit."
Knapp vier Jahre später, im April 2018 sitzt Bruno Luis Viniski in einer der klimatisierten früheren VIP-Logen. Er schaut durchs Panoramafenster auf den Rasen und die Tribünen. Dann dreht er sich in Richtung Tafel. Bruno ist in der zehnten Klasse der staatlichen Sport-Schule "Governador José Fragelli". 2017 wurden 96 VIP-Säle zu Klassenzimmern umfunktioniert.
Unterricht im leeren Stadion
Besonders gefällt Bruno der Ausblick: "Ich fühle mich privilegiert in einer Schule innerhalb der Arena lernen zu dürfen, weil sie normalen Unterricht mit einer Sportorientierung kombiniert." Die Schule ist eine Notlösung für die Arena Pantanal. Baukosten: Umgerechnet 160 Millionen Euro. Kapazität: 43.000 Zuschauer. Zuschauerschnitt 2017 bei der Landesmeisterschaft des Bundesstaates Mato Grosso pro Spiel: 766! Ein Stadion ohne Zuschauer. Was also damit tun?
Der Wissenschaftler und Buchautor Gilmar Mascarenhas sagt: "Besser eine Schule zu installieren, als gar nichts." Allerdings hätte man für die Kosten der Arena Pantanal 170 Schulen konstruieren können. "Damit will man die Auswirkungen eines sehr großen Fehlers begrenzen. Besser wäre es gewesen, die Stadien nie zu bauen."
"Kritik galt als Angriff auf die nationale Idee der WM"
Zwölf FIFA-gerechte Hightech-Arenen ließ Brasilien entstehen. Renato Cosentino forscht zu Auswirkungen von Großereignissen. Er erklärt: "Die WM kam zu einem politischen Zeitpunkt, als Brasilien der Welt von sich ein Bild zeigen wollte, von einem Land im Aufstieg." Buchautor Gilmar Mascarenhas ergänzt: "Die regierende Arbeiterpartei hatte ein Interesse an einer WM, die das ganze Land einschließt, dass keine Region ohne Stadion bleibt, deshalb die Stadien in Manaus, in Cuiabá." 2014 waren nämlich auch Präsidentschaftswahlen. Die großen Baukonzerne waren so gleich mit im Boot.
Jede Kritik wurde als Angriff auf eine nationale Idee angesehen, erinnert sich Forscher Renato Cosentino: "Die Position war, dass die WM Entwicklung, Fortschritt, Arbeitsplätze, Einkommen bringen werde. Das ist nicht passiert. Der Effekt verpuffte in einer finanziellen Krise, brachte Arbeitslosigkeit, Gewalt, Schwierigkeiten zu überleben."
Viele Infrastruktur-Projekt wurden bis heute nicht fertig gestellt. Und bei den Stadien multiplizierten sich die Baukosten - aus ursprünglich umgerechnet geplanten 500 Millionen Euro wurden über zwei Milliarden Euro.
Ein Stadion für Busse und Beamte
Die Amazonas-Hauptstadt Manaus ist so ein Beispiel. Ex-Fußballer und ARD-Experte Giovane Élber kritisierte schon 2014, dass Manaus keine Profimannschaft hat: "Das ist ein Stadion, wo man später nicht spielen wird. Also es wird vielleicht Konzerte geben, aber man kann ja nicht jede Woche ein Konzert geben, in so einem Stadion."
Baukosten der Arena da Amazônia: umgerechnet 160 Millionen Euro. Vier WM-Spiele gab es 2014. Heute sind es eher Hochzeiten oder Heimtier-Basare. Der klamme Bundesstaat stottert bis 2033 die Kredite ab. Dazu kommt der Unterhalt des Stadions: Bis Ende 2017 machte die Arena da Amazônia einen Verlust von mehr als fünf Millionen Euro.
Im ZDF präsentiert 2014 Oliver Welke eine weitere Stadt: "Und wir nähern uns jetzt so langsam dem ersten Spiel des WM-Tages. Schweiz gegen Ecuador. Und damit haben wir auch zum ersten Mal ein Spiel in Brasilia. Das ist, wie sie sicherlich wissen, die Hauptstadt. Das Stadion ist das Estádio Nacional." Das "Mane Garricha" war mit 380 Millionen Euro Baukosten das teuerste Stadion der WM 2014. Leerstehend und bis zu sieben Monate ohne Fußballspiel, nutzte die Staatsverwaltung zunächst den Außenbereich als Parkplatz für 400 Linienbusse. 2015 zogen drei Ministerien mit 400 Beamten ein.
Jetzt versucht der Staat, das Mane Garricha zu privatisieren, um es in einen Show- und Event-Tempel zu verwandeln. Aber selbst falls das klappt: Eine Studie des staatlichen Immobilienverwalters hat ausgerechnet, man würde bei einer 100-jährigen Vermietung gerade zwölf Prozent der Baukosten wieder reinbekommen.
Das "größte Desaster" der WM
Besser sieht es in Porto Alegre und Curitiba aus, sagt Martin Curi, ein in Rio lebender deutscher Anthropologe, der sich mit brasilianischem Fußball beschäftigt: "Ich gehe davon aus, dass die Fans in Südbrasilien, wo die Stadien in privater Hand sind, in der Hand der Vereine, ganz zufrieden sind, dass ihr Verein ein Stadion hat, das neu ist und funktioniert." In beiden Städten sind die Stadien gut besucht und es sind die einzigen ohne Schmiergeld-Ermittlungen.
In den anderen zehn Arenen sollen Gouverneure und ihre Begünstigten Hunderte Millionen abgezweigt haben. Zum Beispiel beim Komplett-Umbau des Maracanã in Rio de Janeiro. Von den 300 Millionen Euro soll der Ex-Gouverneur fünf Prozent bekommen haben, 15 Millionen Euro. Forscher Gilmar Mascarenhas: "Das Maracanã war das größte Desaster der WM 2014! Das Maracanã war ein Symbol Brasiliens. Ein solch historisches und kulturelles Erbe abzureißen, ist ein Verbrechen!"
Nach der WM bekam der brasilianische Konzern Odebrecht, ein weltweit agierender Bauriese, den Zuschlag als Arena-Verwalter. Doch das Unternehmen versank in einem Milliarden-Korruptionsskandal namens Lava Jato und versuchte das Stadion schnell wieder loszuwerden. Die Zuschauer blieben weg und damit auch Rios Traditionsvereine. "Es ist so, dass die Mietkosten unglaublich angestiegen sind", sagt Martin Curi.
Rios vier Erstliga-Mannschaften seien auf kleineren Stadien ausgewichen. Zwischen 2014 und 2016 sammelte sich bei den Betriebskosten ein Minus von 40 Millionen Euro an. Der Streit zwischen Odebrecht, dem Staat Rio de Janeiro und den Traditions-Fußballclubs eskalierte nach den Olympischen Spielen 2016. Ein neuer möglicher neuer Betreiber, die Franzosen Lagardère, zogen sich 2017 zurück, entnervt von der Unzuverlässigkeit von Rios Staatsregierung.
Profitiert hat die FIFA
2014 in der ARD mit Moderator Matthias Opdenhövel: "Das ist der Schauplatz des Finales der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien, das legendäre Maracanã in Rio de Janeiro." Eine schöne Kulisse für die WM. Was heute aber aus Brasiliens berühmtesten Stadion werden soll, ist unklar. Auch viele andere Stadien haben kaum Publikum, verursachen aber Millionenkosten im Unterhalt.
Profitiert haben von ihrem Bau Politiker und Baukonzerne, die Hunderte Millionen einstrichen und deren Geschäfte heute von der brasilianischen Polizei untersucht werden. Und profitiert hat bei der WM 2014 auch und vor allem die FIFA. Sie machte einen Rekordgewinn.