Regisseur Hans Karl Breslauer nennt sein anderthalbstündiges Werk "Stadt ohne Juden" im Untertitel "Filmgroteske". Der Film basiert auf dem gleichnamigen satirischen Roman von Hugo Bettauer, der zwei Jahre zuvor, 1922, in Wien erschienen ist. In beiden Werken ist ein dystopischer Unterton unüberhörbar, auch wenn dieser Vision ein Happy End aufgesetzt wird.
Frühe und scharfe Analyse des Antisemitismus
"Das Volk tobt", sind die ersten Worte, die weiß auf schwarz in diesem Stummfilm eingeblendet werden. Das Geld ist entwertet. Auf dem Markt empören sich einfache Leute. Sie können noch nicht mal mehr das Gemüse zahlen und werfen mit Tomaten und Eiern. Derweil – Szenenwechsel – die Spekulanten Feste feiern.
Das Volk rottet sich zusammen. Es protestiert vor dem Rathaus. In einer zwischengeblendeten Straßenszene wird einem Alten der Hut immer wieder eingedetscht. "Es sind die Juden, die uns die Arbeit wegnehmen", empört sich das Volk. In den Kneipen prallen die Meinungen wein- und bierselig, bald handgreiflich aufeinander.
Und bald ist ausgemacht, wer Schuld an allem hat: Die jüdische Bevölkerung in der Stadt. Die Antisemiten haben ihre Kampfparole gefunden. "Hinaus mit den Juden!" Und die Juden werden zur Emigration gezwungen. Was die Wirtschaft endgültig zusammenbrechen lässt, so die Schlussfolgerung in diesem Film. Also werden die Juden zurück gerufen und vom Bürgermeister als "mein lieber Jude" wieder begrüßt. Ein Happy-End, das aus heutige Sicht völlig unglaubwürdig scheint.
Prestigeträchtige und politisch engagierte Komposition
Wie der Diskurs geführt wird – in Schriftzügen, vor allem in Einzel-, Familien- und öffentlichen Szenen, das wirft Schlaglichter auf einen bereits in den 1920ern grassierenden Antisemitismus, der sicherlich nicht nur in Wien virulent war. Messerscharf analysiert Regisseur Hans Karl Breslauer hier aus der Mitte die Bildung antisemitischer Parolen und Gesinnung. Und wie Breslauer ins Bild setzt, was 15 Jahre später in die Shoa mündet, ist bis auf den heutigen Tag verstörend.
Als 2015 verloren geglaubte Fragmente des Films wieder auftauchen, entschließt sich das Filmarchiv Austria zu einer neu restaurierten Fassung. ZDF und ARTE zu einer Produktion auf DVD. Diese visionäre Parabel ist noch immer lehrreich. Und Olga Neuwirth sofort bereit, kompositorisch mitzuwirken.
Politisches Engagement gehört zu ihrem Künstlerverständnis. Das Verstehen wollen von Mechanismen wie Macht, Populismus und Antisemitismus habe in ihrem Leben schon immer eine Rolle gespielt. Die apokalyptische Kraft der filmischen Bilder habe sie geradezu angespornt, ihre persönliche musikalische Perspektive beifügen zu wollen. Das schreibt sie im Begleittext zur DVD. Zudem ist ihr die Arbeit von einem prestigeträchtigen Kollektiv nahegelegt worden. Das Konzerthaus Wien, The Barbican London, die Elbphilharmonie Hamburg, das Sinfonieorchester Basel sind die Auftraggeber. Nicht zuletzt das Ensemble intercontemporain Paris, das die Musik unter Matthias Pintscher eingespielt hat.
Elektronische Samples vermischt mit traditionellen Liedern
Es wummert und vibriert in gewaltigen Klangflächen. Sie geben dem Film eine atmosphärische Drohkulisse. Die Bilder wirken dadurch noch bedrohlicher. Zu jeder der virtuos ineinander geschnitten Szenen findet Neuwirth aber einen speziellen Ton. Elektronische Samples sind gefüttert mit Bier- und heurigen Liedern, wie sie Hans Moser tatsächlich gesungen hat. In diesem Film spielt er als antisemitischer Stadtratsabgeordneter, eine seiner ersten Filmrolle.
Ein Marsch mit Becken leitet über zu einer Beratung hinter geschlossenen Türen. Die zu einem Lamento umschlägt, wenn der "Herr Bundeskanzler" gewarnt wird, "mit Unmenschlichkeit könne man keine Politik machen!""Die Vertreibung der Juden sei grausam, aber man müsse das Volk zufrieden stellen!"
Wenn hinter geschlossenen Türen antisemitische Meinungen vorformuliert werden, lässt Neuwirth auch mal das rechtspopulistische Lied "Flagge zeigen" in ihrer Musik aufscheinen. Ein Heimatlied, das zur Stimmungsmache bei der Bundespräsidentenwahl 2016 in ihrer Heimat Wien auch eingesetzt wurde. Ein sehr persönlicher Seitenhieb.
Volksmassen hört man grölen, während eine Klarinette in einer ärmlichen jüdischen Wohnung auf den jiddischen Tonfall anspielt. Auch einen Synagogenklang erfindet Neuwirth. Juden mit Hüten und Gebetsdecken auf dem Kopf beten und wippen dazu wie unter Zwang. Und natürlich Marschmusik beim Exodus, wenn die Thorarollen zusammengepackt und ein elender Zug sich in Bewegung setzt.
Ein Marsch mit Becken leitet über zu einer Beratung hinter geschlossenen Türen. Die zu einem Lamento umschlägt, wenn der "Herr Bundeskanzler" gewarnt wird, "mit Unmenschlichkeit könne man keine Politik machen!""Die Vertreibung der Juden sei grausam, aber man müsse das Volk zufrieden stellen!"
Wenn hinter geschlossenen Türen antisemitische Meinungen vorformuliert werden, lässt Neuwirth auch mal das rechtspopulistische Lied "Flagge zeigen" in ihrer Musik aufscheinen. Ein Heimatlied, das zur Stimmungsmache bei der Bundespräsidentenwahl 2016 in ihrer Heimat Wien auch eingesetzt wurde. Ein sehr persönlicher Seitenhieb.
Volksmassen hört man grölen, während eine Klarinette in einer ärmlichen jüdischen Wohnung auf den jiddischen Tonfall anspielt. Auch einen Synagogenklang erfindet Neuwirth. Juden mit Hüten und Gebetsdecken auf dem Kopf beten und wippen dazu wie unter Zwang. Und natürlich Marschmusik beim Exodus, wenn die Thorarollen zusammengepackt und ein elender Zug sich in Bewegung setzt.
Die Bedrohung wird hörbar
Nie drängen sich die Allüren auf oder werden zu einem totalen Mickey-Mousing, wie Hanns Eisler das mal genannt hat. Klischees wirken in dieser Filmmusik subkutan. Angeblich sind auch österreichische Jodler eingearbeitet. Neuwirth versucht, mit ihrer Musik anzurühren, auch mal lustig, herzenswarm aber auch traurig und hart zu sein. Die von Neuwirth geliebte Trompete, oft mit Wawa-Dämpfer eingesetzt, ist hier einmal mehr ihr Leitinstrument. Das auch mal scharf dazwischen fährt. Die Drohkulisse hält einen bis zuletzt im Griff.
Mit der stilistisch vielfältig geschichteten Musik nimmt der Stummfilm "Die Stadt ohne Juden" gefangen und wird in seiner Aussage verschärft. Antisemitismus wird pointiert, gleichzeitig die Bedrohung, die er darstellt. Elfriede Jelinek, langjährige Weggefährtin Neuwirths, liefert einen bissigen Text dazu. Und nicht zuletzt hat das Ensemble intercontemporain Paris die Musik hervorragend eingespielt. Mit der sich Olga Neuwirth – diesmal mit Stummfilmmusik – wieder als eine kompromisslose Dramatikerin erweist.
Mit der stilistisch vielfältig geschichteten Musik nimmt der Stummfilm "Die Stadt ohne Juden" gefangen und wird in seiner Aussage verschärft. Antisemitismus wird pointiert, gleichzeitig die Bedrohung, die er darstellt. Elfriede Jelinek, langjährige Weggefährtin Neuwirths, liefert einen bissigen Text dazu. Und nicht zuletzt hat das Ensemble intercontemporain Paris die Musik hervorragend eingespielt. Mit der sich Olga Neuwirth – diesmal mit Stummfilmmusik – wieder als eine kompromisslose Dramatikerin erweist.