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"Die stärkste Fraktion stellt den Ministerpräsidenten"

Die thüringische Finanzministerin und geschäftsführende Ministerpräsidentin Birgit Diezel (CDU) lehnt eine Große Koalition unter dem SPD-Politiker Christoph Matschie als Ministerpräsident ab.

Birgit Diezel im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Die ersten Sondierungsgespräche sind geführt, aber erst einmal sind weitere Sondierungsrunden anberaumt. In Thüringen haben die Sozialdemokraten als drittstärkste Kraft die Wahl zwischen einer Koalition mit der Partei Die Linke und einer Regierungsbildung mit der CDU. Nach dem Absturz bei der Landtagswahl um mehr als zehn Prozentpunkte bleibt die Ausgangslage für die Christdemokraten schwierig. Telefonisch bin ich jetzt verbunden mit der geschäftsführenden Ministerpräsidentin. Guten Morgen, Birgit Diezel.

    Birgit Diezel: Guten Morgen.

    Schulz: Steht die schwarz-rote Koalition noch bis zur Bundestagswahl?

    Diezel: Ich würde mir das sehr wünschen, weil Thüringen es braucht. Wir sind in einer schwierigen Wirtschafts- und Finanzkrise. Wir brauchen auch eine handlungsfähige Regierung, eine Regierung, die nicht von wechselnden Mehrheiten getragen wird, die immer bangen muss um ihre Mehrheiten, sondern wir brauchen eine stabile Regierung. Es geht um Bürgschaften, es geht um Kredite, es geht um Gespräche mit Unternehmen. All das muss in den nächsten Tagen, in den nächsten Wochen geklärt sein.

    Schulz: Frau Diezel, die SPD hat ja die Wahl zwischen Ihnen und der Partei Die Linke. Die Linke hat jetzt schon Bereitschaft signalisiert, auf das Amt des Ministerpräsidenten zu verzichten, obwohl sie viel mehr Stimmen bekommen hat, genauso wie Sie als die SPD. Bieten Sie mehr?

    Diezel: Es gibt parlamentarische Gepflogenheiten, die sich über die vielen Jahre hinweg auch bewährt haben, immer die stärkste Fraktion stellt den Ministerpräsidenten, und es gibt solche Gepflogenheiten, an die man sich halten wird.

    Schulz: Aber wie wollen Sie dann auf die Sozialdemokraten zugehen? Als die CDU die absolute Mehrheit hatte, da galt die SPD ja eher als Sündenbock. Müssen Sie da nicht was anbieten?

    Diezel: Wir werden in den nächsten Gesprächen genauso offen über Inhalte sprechen, auch über das, was in den letzten Jahren zwischen uns stand, was es an Verletzungen gab. Ich glaube, es ist wichtig, erst mal ein Klima zu bilden, das Vertrauen für beide Seiten zeigt.

    Schulz: Mit Christoph Matschie als Ministerpräsident?

    Diezel: Nein.

    Schulz: Aber müssten Sie nicht langsam dann mal einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus Ihren Reihen bestimmen?

    Diezel: Zuerst sind die Inhalte gefragt und dann die Personen. Das ist auch gute parlamentarische Gepflogenheit.

    Schulz: Ja, aber dass mit Spitzenkandidaten in die Wahl gegangen wird, das ist auch parlamentarische Gepflogenheit. Warum ist Christine Lieberknecht, die derzeit ja Gesundheitsministerin ist, noch nicht offiziell nominiert als Althaus-Nachfolgerin?

    Diezel: Wir haben ein Verhandlungsteam, ein Sondierungsteam, was einstimmig im Landesvorstand bestätigt worden ist, mit vier Personen. Ich bin stellvertretende Landesvorsitzende und ich leite diese Sondierungsgespräche seitens der CDU und so ist die Ausgangslage.

    Schulz: Aber wie wollen Sie denn das Amt des Ministerpräsidenten besetzen, wenn es dafür überhaupt keine Personalentscheidung gibt?

    Diezel: Diese Personalentscheidung wird die Partei fällen, aber zur gegebenen Zeit. Wir sind in Sondierungsgesprächen, wir haben ein Sondierungsgespräch gehabt.

    Schulz: Geben Sie mit dieser Haltung nicht den Kritikern Recht, die jetzt ein Machtvakuum in der CDU in Thüringen beklagen?

    Diezel: Es gibt überhaupt kein Machtvakuum in der CDU in Thüringen. Ich weiß nicht, wie die Beschlüsse in der SPD fallen, ob es in die Richtung geht, machen wir mit Rot und Grün oder machen wir mit CDU. Ich glaube, das ist ja auch noch nicht endgültig entschieden, wie die Mehrheitsverhältnisse in der SPD sind. Bei uns gibt es kein Machtvakuum. Wir wollen diese Koalitionsgespräche, aber nicht um jeden Preis, und wir lassen uns auch nicht wie ein Bär mit dem Nasenring durch den Ring führen.

    Schulz: Also ein Machtvakuum gibt es nicht, aber ein Personenvakuum?

    Diezel: Nein, das gibt es auch nicht. Es sind vier Verhandlungsführer. Das ist ein bisschen Ironie oder auch ein Zeichen. Es sind genau die vier, die nach Dieter Althaus genau in der Reihenfolge auf der Liste waren, und diese vier verhandeln und wir haben einen einstimmigen Landesvorstandsbeschluss.

    Schulz: Sie werden vom Wochenende mit den Worten zitiert, ein "weiter so" werde es nicht geben. Darin steckt ja auch Kritik am bisherigen Kurs. Worauf zielt die ab?

    Diezel: Wir müssen schon wieder Vertrauen bilden. Wir müssen auch viele, die enttäuscht sind, trösten und auch wieder mit einbeziehen. Wir müssen auch inhaltlich sicherlich einiges in der Partei neu aufstellen, aber dazu werden wir in dieser Klausurtagung sprechen, dazu werden wir mit den Kreisvorsitzenden sprechen. Ich glaube, was jetzt gefragt ist, ist auch vielleicht eine ganz andere Gesprächskultur.

    Schulz: Können Sie das konkretisieren? Wen wollen Sie trösten?

    Diezel: Es gibt ja Mitglieder des vorhergehenden Landtages, die jetzt ganz knapp nicht mehr in den Landtag gekommen sind, die einen wunderbaren Wahlkampf geführt haben, einen engagierten Wahlkampf. Auch mit denen muss man sprechen.

    Schulz: Ein Stichwort habe ich jetzt bei Ihnen vermisst, dass der Teamgeist unter Dieter Althaus gelitten habe, der für seine einsamen Entscheidungen bekannt ist. Das stimmt nicht?

    Diezel: Wenn ich die Landesvorstandssitzungen jetzt für mich Revue passieren lasse, dann war das schon ein großer Teamgeist und es herrscht auch ein sehr großer Teamgeist unter den vier Verhandlungsführern, die in die Gespräche gehen. Das kann ich Ihnen versichern: Auch zwischen mir und Christine Lieberknecht gibt es eine enge Abstimmung und wir haben über viele Jahre schon vieles in der Politik erlebt. Wir haben viele Entscheidungen tragen müssen, wir haben uns auseinandergesetzt in Haushaltsgesprächen, aber wir waren immer in einem übereinstimmend, dass erst das Land kommt, dann die Partei und dann die Person.

    Schulz: Wenn das alles mit engem Teamgeist gelaufen ist, können Sie uns dann noch mal schildern, wie dann in der letzten Woche die Abstimmungen waren, bevor Dieter Althaus per Mail mit einem dürren Satz seinen Rücktritt angekündigt hat?

    Diezel: Nun muss man die Person Dieter Althaus, was er in den letzten Monaten selbst erlebt hat, getragen hat und immer noch trägt, etwas ruhiger beschauen. Es ist sicherlich für manchen bedrückend gewesen, auch ein bisschen enttäuschend, dass er es nur mit einer Mail gesagt hat, für viele, die Weggefährten sind, die eng und freundschaftlich mit Dieter Althaus verbunden sind. Aber ich habe mir gesagt, Dieter Althaus musste in dieser Zeit vieles tragen und er hat sich kämpferisch in den Wahlkampf begeben, bis zur letzten Minute gekämpft, an ein gutes Ergebnis geglaubt, und das muss man erst mal verarbeiten.

    Schulz: Das muss man erst mal verarbeiten. Gleichzeitig ist im Blick zurück natürlich auch Analyse gefragt. War es rückblickend richtig, an Dieter Althaus sozusagen als einzigem Führungsspitzenmann festzuhalten?

    Diezel: Sicherlich ist rückblickend Analyse gefragt und die werden wir auch tun und die macht auch jeder für sich selbst. Wir haben in diesem kleinen Kreis der vier natürlich auch diese Gespräche geführt. Aber es gab keinen Zweifel, dass wir mit Dieter Althaus erfolgreich das Land fünf Jahre regiert haben, wenn ich die formalen Zahlen sehe, wenn ich die Erfolge sehe im Bereich der Bildung – ich nenne hier nur Pisa und die Iglu-Studie. Aber man muss natürlich überlegen, wäre es besser gewesen, für bestimmte Politikbereiche noch mehr die Köpfe aus der Partei zu zeigen wie im Bereich der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik, der Bildungspolitik, der Innenpolitik. Das muss man in Ruhe besprechen. Aber hätte, wenn und aber, dafür gibt es im Nachhinein nichts mehr.

    Schulz: Heute morgen in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk Birgit Diezel (CDU), geschäftsführende Ministerpräsidentin in Thüringen. Danke schön für diese Einschätzungen.