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"Die Stasi hat meinen Einfluss extrem überschätzt"

Wann immer Günter Grass die Grenze zur DDR passierte, hatte er die Staatssicherheit in seinem Schatten. Der Literaturnobelpreisträger, der davor gewarnt hat, die Prosa der Stasi-Informanten für bare Münze zu nehmen, sieht sich nun selbst im Spiegel von Spitzeln und ist überrascht.

Von Sigried Wesener |
    "Also allein schon die Überschätzung meines Einflusses, als sei ich der Leibhaftige gewesen, der versucht hat dort eine Konspiration aufzubauen oder die DDR-Autoren zu überreden in den Westen zu kommen, was nicht stimmte. Das waren die Ängste und Vermutungen, die Hybris, die innerhalb des Staatsicherheitsdienstes waltete.""

    Bereits am 18.8.1961, also fünf Tage nach dem Berliner Mauerbau, vermerkt ein sogenannter Suchzettel der Staatssicherheit über Günter Grass: "Aufgefallen wegen Provokation", Grass wird – wie es heißt - bei jedem Grenzübertritt "in Fahndung" genommen. Einreiseverbote, tageweise aufgehoben, konnten ihn dennoch nicht davon abhalten, mit den Dichterkollegen in der DDR im Gespräch zu bleiben.

    "Eine der Überraschungen war, dass Hermann Kant von dieser Zeit schon zu den Top-Informanten gehörte, also einer der Intellektuellen innerhalb der Schriftstellerszene in der DDR, war er von Anfang an dabei. Eine andere Enttäuschung ist der Verleger Hans Marquardt."

    Der langjährige Leiter des Leipziger Reclam-Verlages hatte 1984 mit "Das Treffen in Teltge" das erste Buch des Schriftstellers in der DDR herausgebracht. Im selben Jahr erschien beim Verlag für internationale Literatur "Volk und Welt" die Novelle "Katz und Maus", denn im offiziellen Verständnis galt Günter Grass als ausländischer Autor.

    Der erste Teil der Danziger Trilogie, "Die Blechtrommel", kam erst 1986 - 27 Jahre nach der Buchpremiere - als Bückware in die Buchläden zwischen Rostock und Dresden.
    Bei der anschließenden Lesereise 1987 hefteten sich wie schon bei den "Berliner Begegnungen" oder bei den offiziellen Besuchen des Präsidenten der Westberliner Akademie der Künste IMs und offizielle Schnüffler an seine Fersen. Dennoch:

    "Man merkt es an den Berichten, dass die eingesetzten Informanten über Literatur nicht viel Bescheid wussten. Die Namen der westdeutschen Autoren sind zum Teil falsch geschrieben, selbst die der DDR-Autoren. Um nur dieses Detail aus den 70ern rauszugreifen, also wie wir mehrere Jahre lang bis zur Ausweisung Biermanns immer wieder mit Autoren rüberfuhren und in Privatwohnungen bei Schädlich, bei Kunert, bei Sarah Kirsch und so weiter uns trafen und vorgelesen haben. Sie sind nie hineingekommen."

    Dass bei diesen Treffen Hans-Joachim Schädlich aus seinem in der DDR nicht veröffentlichten Band "Versuchte Nähe" las oder Günter Grass aus seinem Roman "Der Butt" ist nicht aus den Akten zu erfahren, sondern aus den nachgestellten Kommentaren und Erinnerungen.

    Die Stasi-Informanten blieben draußen, und anders, als man vermuten konnte, waren diese Dichterwohnungen nicht verwanzt. Mitteilungen wie "Grass und seine Ehefrau waren sauber und ordentlich gekleidet" – zeigen das geistige Niveau dieser Beschattungsgänger.

    "Was den Staatssicherheitsdienst und die Führungsleute verunsichert hat, dass ich nicht in ihre Raster hineinpasste, weil ich mich ja nicht nur kritisch der DDR gegenüber, sondern kritisch gegenüber Verhältnissen in der Bundesrepublik geäußert habe."

    Günter Grass, der von sich sagt: "Ich bin Skatspieler und reize gern", hat sich streitbar eingemischt in West und in Ost, er hat die Freiheit des Wortes angemahnt und prominente DDR-Schriftsteller zu deutlichen Widerworten gegen die offizielle Kulturpolitik herausgefordert. Grass, der durch den Krieg seinen Kindheitsort Danzig verlor, hat die Existenzberechtigung des anderen deutschen Staates als Folge des Krieges gesehen, für die auch seine Generation mitverantwortlich war.

    "Im Gegensatz zu Darstellungen, wie sie sich in westdeutschen Zeitungen, mich betreffend, wie sie nach 89 zu finden waren, habe ich, als niemand mehr in Ost und West an eine Vereinigung glaubte, immer daran festgehalten, dass wir eine Kulturnation sind."

    Die Akten der Staatssicherheit werfen ein Schlaglicht auf den untergegangenen Staat DDR, sie rehabilitieren einen kritischen Streiter für eine deutsche Kulturnation.

    "Als sei ich der Leibhaftige gewesen" - Günter Grass: Stasi hat meinen Einfluss überschätzt