Knapp ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl will Carsten Linnemann sie - die Wähler in der Mitte. "Das Problem ist einfach, dass viele Menschen in Deutschland das Gefühl haben, dass es denen ganz oben gut geht, und denjenigen, die Transferleistungen bekommen auch. Aber die in der Mitte der Gesellschaft leben, die morgens aufstehen, die eine Familie haben, die arbeiten gehen, die werden vernachlässigt."
Deshalb will die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union, deren Vorsitzender der Paderborner Linnemann ist, mit einer Steuerreform in drei Stufen die Steuerzahler bis zum Jahr 2020 um 30 bis 40 Milliarden Euro entlasten. Die erste Stufe sieht vor, dass 2018 der pauschale Betrag für Werbungskosten auf 2.000 Euro verdoppelt wird. Das würde für rund zwei Drittel der Steuerzahler bedeuten, dass sie keine Quittungen und Belege mehr sammeln müssten, weil sie den Pauschalbetrag ohnehin nicht ausschöpfen.
Weniger zahlen in drei Stufen
Im Jahr darauf – 2019 - soll im zweiten Schritt der Steuertarif angepasst werden – die Kurve soll flacher laufen als bisher. Dadurch würden bereits Geringverdiener mit einem Jahreseinkommen zwischen 8.600 und 13.700 Euro etwas entlastet werden. Hinzu kommt: Der Spitzensteuersatz soll erst ab 60.000 Euro Jahresgehalt gelten. Bislang liegt die Grenze bei 53.600 Euro. Linnemann führt aus: "Darüber hinaus werben wir für einen Paradigmenwechsel, dass in Zukunft Kinder genauso von der Steuer befreit werden bis zu einem gewissen Betrag wie es bei Erwachsenen der Fall ist."
Deshalb soll 2020 in einem dritten Schritt der Kinderfreibetrag auf den Wert für Erwachsene angehoben werden. Das Kindergeld würde entsprechend angepasst werden. Bezahlt werden soll die Reform aus den Steuermehreinnahmen, die auch für die kommenden Jahre erwartet werden. Rund ein Drittel davon soll jährlich an die Steuerzahler zurückfließen.
Schäuble sieht "gewisse Spielräume"
Und der Bundesfinanzminister? Der nicht nur die schwarze Null im Auge hat, sondern auch die Kosten für die Versorgung und Integration der Flüchtlinge – und die mittlerweile zahlreichen anderen Wünsche, die sowohl CDU als auch SPD-Minister an ihn herangetragen haben. "Konkret zu parteipolitischen Vorschlägen äußern wir uns als Bundesfinanzministerium nicht, " erklärt sein Sprecher am Mittag in Berlin: "Aber Sie wissen ja, dass der Bundesfinanzminister selbst seit einiger Zeit schon hervorgehoben hat, dass es gewisse Spielräume gibt."
Die Mittelstandvereinigung der Union präsentiert mit der Entlastung der Mittelschicht bei der kalten Progression ein klassisches, konservativ liberales Wahlkampfthema, sagt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Grundsätzlich sei es zwar auch für die SPD interessant, weil es ihre Wählerschaft betrifft. "Das Problem ist aber dabei, das kostet relativ schnell viel Geld, das dann in der Kasse fehlt, auch für andere Projekte."
Deswegen erwarte er, dass SPD und Grüne unter anderem auch wieder mit der Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz in den Wahlkampf ziehen. FDP-Chef Christian Lindner nennt das Konzept des ehemaligen Koalitionspartners einen Scherz. Die Union habe seinerzeit die FDP im Regen stehen lassen und dann mit der SPD die Belastungsschraube ordentlich weitergedreht. Der Wirtschaftsflügel der Union stelle sich mit seinem Konzept in Widerspruch zu allem, was er tagtäglich im Deutschen Bundestag mittrage.