"Security" steht auf seiner dunklen Dienstjacke. Auf finsterer Bühne steht Peter Kurth in der Rolle des Wachmannes vorne an der Rampe und mimt zu Beginn der Aufführung ziemlich ausführlich und - mit vielen Gesten in die leere Theaterluft illustriert - eine allabendliche Verrichtung: Teekochen mit Wasserkessel, Teebeutel, Kanne. Inklusive Geräuschen. Vor den Beginn des Literaturtheaters stellt Armin Petras also erst mal: Theatertheater. Die Inszenierung will sich nicht unwidersprochen auf Clemens Meyers Melancholie der Nacht einlassen.
"Die Nächte waren öde und endlos, begannen um sechs und endeten um sechs, sie waren wie dunkle Tage, die sich berührten, und als sie aufhörten, öde zu sein, wurden sie noch endloser und dunkler, und wir wünschten uns die Langeweile zurück, Stunden im Halbschlaf zwischen den Rundgängen."
Dieser Wachmann steht im Erzählband "Die stillen Trabanten" am Anfang einer in drei Gruppen gegliederten Folge von neun Geschichten, von denen Armin Petras fünf in seine Theateradaption übernimmt, ergänzt durch die Geschichte "Der kleine Tod" aus einer früheren Sammlung von Erzählungen des Leipziger Autors. Ein Wachmann also, ein Lokführer, eine Friseurin, eine Zugreinigungskraft, ein Imbissbudenbesitzer sind unter anderen die Protagonisten. Es sind Figuren von den Rändern der großen Städte, da wo die schicken Trends, Moden und Lifestyles nicht angekommen oder unbezahlbar sind, da, wo mit Billiglöhnen die Drecksarbeit gemacht wird. Sie alle sind Tagträumer, Heimgesuchte von Erinnerungsbildern der Vergangenheit.
Getrieben von Trauma oder unerfüllter Liebe
Der Wachmann glaubt unweit des von ihm zu bewachenden Brennpunktobjektes eine Jungendliebe wiederzuerkennen. Das schnauzbärtige Gesicht eines Selbstmörders grinst einem Lokführer mitten auf den Gleisen entgegen. Wenn diese Figuren das Trauma nicht umtreibt, dann unerfüllte Liebe, wie sie sich in der Begegnung von Friseurin Birgit und Zugputzfrau Christa in einer nächtlichen Bahnhofskneipe ausdrückt.
Zusammen mit Theatermusiker Miles Perkin suchen sie in einer der eher gelungenen Szenen der Aufführung nach einem Song, der ihre noch nicht gestorbenen Träume der Vergangenheit einfängt. Zu Uriah Heeps "Lady in Black" deren Musik es in der DDR übrigens als Lizenzpressung zu kaufen gab, schwofen Anja Schneider und Katrin Wichmann ziemlich angekrampft auf ihrem Weg in die körperliche Annäherung, in einer Liebesgeschichte, die nicht in Erfüllung geht.
DDR-Vergangenheit dämmert in die Geschichten hinein
"Gegenwärtigkeit ist eine Legende und ein vollkommen falscher Begriff, wir befinden uns immer wieder woanders", lässt Meyer eine seiner Figuren später, durchaus programmatisch, sagen. In seine nachtdunklen Geschichten dämmert immer wie aus der Ferne eine andere Wirklichkeit hinein. Persönliche Phantome, oder eine verdrängte Kollektiverinnerung: Die DDR-Vergangenheit.
"Man spürte es irgendwie, die Grenze, die Entfernung, den Unterschied. Die Bahnsteige der Bahnhöfe sahen anders aus, die Menschen, die dort standen, sahen anders aus. Obwohl die Grenze seit fünfundzwanzig Jahren keine Grenze mehr war."
Viele der Meyer-Figuren sind Wendeverlierer und fristen ihr Dasein mit unterdrücktem Trotz und Stolz. Das Schöne an seinen Erzählungen ist, dass er die wie nur so eben ins Leben getupften Figuren mit ihren flüchtigen Gefühlswelten nie mit bleischwerer historischer Bedeutung auflädt. Meyers Bruder im Geiste, der Regisseur Armin Petras, der in Leipzig bereits vor zehn Jahren dessen "Als wir träumten" inszeniert hatte, erdrückt diese verhuschten Gestalten allerdings auf weitgehend kahler Bühne unter heftigem Krawalltheater: Sie müssen auf Teufel komm raus komisch sein, Kabarettisten, Komödianten.
Musik gibt Stück Melancholie zurück
Dass diese mit drei Stunden ohnehin viel zu lange Aufführung die Theatertauglichkeit dieser Literatur kaum auslotet, ist offensichtlich. Dass sie überhaupt über die Runden kommt, liegt an dem exzellenten Miles Perkin, der dem Abend mit seiner Musik etwas von Meyers epischer Melancholie zurückgibt, für die Petras nicht mehr nach Bildern und Spielformen sucht.
Das ist im Übrigen wieder mal ein Beispiel für die längst etablierte Praxis auf nicht nur deutschen Bühnen, Gefühle nicht mehr zu erspielen, sondern sie sich von Musikern und Sounddesigner fertig zuliefern zu lassen.