Mehr als eine Millionen Arbeitsplätze waren in den vergangenen vier Jahren verloren gegangen, mehr als tausend Soldaten hatten ihr Leben in einem fragwürdigen Krieg gelassen - als die Amerikaner 2004 an die Wahlurnen strömten, lag die Zustimmung zur Politik des Amtsinhabers George W. Bush bei mageren 50 Prozent. John Kerry, damals räsidentschaftskandidat der Demokraten, vertrat zu fast allen politischen Themen die Position der Mehrheit der Amerikaner. Trotzdem verlor er die Wahl. Warum? Entscheidend war, dass Kerry zwar die Fakten auf seiner Seite hatte, aber nicht in der Lage war, in Worte zu fassen, für welche Werte er stand.
Dies ist, in Kurzform, die These des US-Linguisten George Lakoff. Nicht zuletzt ihm haben es die Demokraten zu verdanken, dass sie heute besser dastehen. Denn auch die rhetorische Strahlkraft Barack Obamas ist, Jahrhunderttalent hin oder her, nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis harter Arbeit. Und ein Verdienst seiner Berater. Lakoff, im Hauptberuf Professor für kognitive Wissenschaft und Linguistik in Berkeley, ist einer davon. Mit "Auf leisen Sohlen ins Gehirn" liegt nun eine auch für Nicht-Linguisten verständliche Einführung in das Werk dieses streitbaren Wissenschaftlers vor. In lebhaften Gesprächen erklären Lakoff und seine deutsche Mitarbeiterin Elisabeth Wehling, wie wir die Welt begreifen, wie unser Denken über Politik funktioniert und wie die Politik darauf Einfluss nehmen kann. Gleichzeitig stellen sie gängige Vorstellungen von Identität, Kommunikation und nicht zuletzt von der Rationalität des menschlichen Denkens in Frage. Mit der Macht des besseren Arguments jedenfalls ist es laut Lakoff nicht weit her. Das menschliche Gehirn funktioniere anders. "Frames", das sind tief im Gehirn verankerte Wert- und Sinnzusammenhänge, würden unser Denken prägen. So berichtet er von einem Experiment, das er regelmäßig mit seinen Studenten durchführt.
"Wenn ich an der Universität eine Einführung [ ... ] gebe, dann betrete ich am ersten Unterrichtstag [ ... ] den Seminarraum, stelle mich vor meine Studenten und sage: ‘Ich möchte, dass ihr jetzt genau das tut, was ich euch sage. Denkt nicht an einen Elefanten!' Ich habe noch nie einen Studenten erlebt, der es geschafft hätte, diese Anweisung zu befolgen."
Dieses Beispiel mag banal erscheinen. Doch es zeigt, wie das menschliche Gehirn funktioniert. Wir können nämlich nicht "nicht denken"; können eine Idee nicht negieren, ohne gleichzeitig den dahinter stehenden Deutungsrahmen aufzurufen.
Was nun hat das alles mit Politik zu tun? Laut Lakoff regeln solche Frames nicht nur unsere Vorstellung von den grauen Giganten des Dschungels. Auch unser Verständnis von Gut und Böse, von Gerechtigkeit oder von internationaler Politik ist von diesen Verschaltungen im Gehirn abhängig. Aktiviert werden diese neurologischen Schaltstellen durch Sprache. Je häufiger ein Begriff benutzt und durch die Medien verbreitet wird, desto stärker werden sie. So entwickeln sich die Politikbegriffe zum Common Sense, zum allgemeinen Verständnis der Situation, und die damit verbundenen Denkstrukturen verfestigen sich. Virtuos beherrschten dies in der Vergangenheit die Republikaner, meint Lakoff. Und in der Tat: wer würde eine Gesetzesinitiative für einen "sauberen Himmel", Clear Skies, nicht begrüßen? Wer wäre nicht dankbar für einen Tax Relief, das Steuersenkungsmodel mit dem Bush seine erste Amtszeit begann? Und wer würde eine Death Tax, eine Steuer auf den eigenen Tod, nicht empört ablehnen? Dass die Clear Skies-Initiative einem Persilschein für Umweltverschmutzer glich, die Steuer-Erleichterungen lediglich Großverdienern zu Gute kamen und mit dem Begriff Death Tax die von den Republikanern abgelehnte Erbschaftssteuer gemeint war, drang kaum durch.
Das wohl prominenteste Beispiel republikanischer Sprachschöpfung: der "Krieg gegen den Terror". Unaufhörlich wiederholten Regierung und ihr nahe stehende Denkfabriken, Universitäten und Medien nach dem 11. September diesen Slogan. So konnte sich George W. Bush als zielstrebiger Feldherr eines auch wortwörtlich mit Bomben und Toten geführten Krieges gegen das Böse inszenieren. "Metaphern können töten", mit diesen Worten begann Lakoff im Vorfeld des Irak-Krieges einen wütenden Meinungsartikel. Vier Jahre später, im Gespräch mit Wehling darauf angesprochen, ergänzt er: "Metaphern haben getötet". Im Falle des Irak-Krieges habe das Handeln nach Metaphern wie der "Achse des Bösen" zum Tode unzähliger Menschen geführt. Spätestens hier wird deutlich, dass Lakoff sich nicht mit der Rolle des neutralen Beobachters begnügt. Er betreibt Wissenschaft mit linkem Veränderungsanspruch. Zu oft hätten die Demokraten in der Vergangenheit den Republikanern die Diskurshoheit überlassen, indem sie - wie etwa bei den Steuererleichterungen - den gegnerischen Frame angriffen, ohne eine alternative Sichtweise zu bieten. Im Endeffekt sei dadurch der konservative Frame, dass Steuern ein dem kleinen Mann aufoktroyiertes Übel seien, von dem es ihn zu "befreien" gelte, nur gestärkt worden. Lakoff dagegen empfiehlt den Demokraten, Steuern offensiver zu kommunizieren. Denn nicht ihre politischen Positionen zu Steuern, Umweltschutz oder Sozialprogrammen seien das Problem, sondern die Unfähigkeit, diese mit den eigenen, durchaus mehrheitsfähigen Wertzusammenhängen zu verknüpfen.
"Wenn Sie politische Zustimmung gewinnen wollen, müssen Sie über Werte sprechen. Denn das ist es, worin sich Parteien unterscheiden: in ihren moralischen Werten. Und in Werten können sich Wähler mit Parteien identifizieren."
Nicht immer überzeugen Lakoffs Ausführungen. Schablonenhaft - zumindest in der populärwissenschaftlichen Interviewform - bleibt etwa die Gegenüberstellung von unterschiedlichen Familienmodellen, der zufolge konservative Werte einer - wörtlich - "Strenger-Vater"-Moral, progressive einem "Fürsorgliche-Eltern"-Konzept zugrunde liegen. Aber gerade weil er in der Lage ist, die komplexen Erkenntnisse der Neurolinguistik in allgemeinverständliche und politiktaugliche Begrifflichkeiten zu übersetzen, gehören Lakoffs Bücher längst zur Standardlektüre im politischen Washington. Und so ist die Tatsache, dass prominente Demokraten, allen voran Obama, inzwischen den Schuldenberg der Bush-Administration als "unmoralisch" geißeln, traditionelle Familienwerte für sich reklamieren oder gar aus der Bibel zitieren, wenn sie über ihre Ziele reden, auch auf ihn zurückzuführen. Auch in Deutschland wird viel über eine scheinbar immer größer werdende Verständniskluft zwischen Politik und Wählern diskutiert. "Auf leisen Sohlen ins Gehirn" skizziert Wege dagegen vorzugehen. Eindrucksvoll legen Wehling und Lakoff dar, dass sich Politik nicht rein sachlogisch vermitteln lässt, dass es dafür konsistenter Erzählungen und einer im wahrsten Sinne ansprechenden Sprache bedarf. Und schließlich zeigen die beiden auch, dass all dem auch eine nicht zu unterschätzende Manipulationsgefahr innewohnt.
George Lakoff und Elisabeth Wehling: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht. Carl Auer-Verlag, 184 Seiten, 17,95 Euro.
Dies ist, in Kurzform, die These des US-Linguisten George Lakoff. Nicht zuletzt ihm haben es die Demokraten zu verdanken, dass sie heute besser dastehen. Denn auch die rhetorische Strahlkraft Barack Obamas ist, Jahrhunderttalent hin oder her, nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis harter Arbeit. Und ein Verdienst seiner Berater. Lakoff, im Hauptberuf Professor für kognitive Wissenschaft und Linguistik in Berkeley, ist einer davon. Mit "Auf leisen Sohlen ins Gehirn" liegt nun eine auch für Nicht-Linguisten verständliche Einführung in das Werk dieses streitbaren Wissenschaftlers vor. In lebhaften Gesprächen erklären Lakoff und seine deutsche Mitarbeiterin Elisabeth Wehling, wie wir die Welt begreifen, wie unser Denken über Politik funktioniert und wie die Politik darauf Einfluss nehmen kann. Gleichzeitig stellen sie gängige Vorstellungen von Identität, Kommunikation und nicht zuletzt von der Rationalität des menschlichen Denkens in Frage. Mit der Macht des besseren Arguments jedenfalls ist es laut Lakoff nicht weit her. Das menschliche Gehirn funktioniere anders. "Frames", das sind tief im Gehirn verankerte Wert- und Sinnzusammenhänge, würden unser Denken prägen. So berichtet er von einem Experiment, das er regelmäßig mit seinen Studenten durchführt.
"Wenn ich an der Universität eine Einführung [ ... ] gebe, dann betrete ich am ersten Unterrichtstag [ ... ] den Seminarraum, stelle mich vor meine Studenten und sage: ‘Ich möchte, dass ihr jetzt genau das tut, was ich euch sage. Denkt nicht an einen Elefanten!' Ich habe noch nie einen Studenten erlebt, der es geschafft hätte, diese Anweisung zu befolgen."
Dieses Beispiel mag banal erscheinen. Doch es zeigt, wie das menschliche Gehirn funktioniert. Wir können nämlich nicht "nicht denken"; können eine Idee nicht negieren, ohne gleichzeitig den dahinter stehenden Deutungsrahmen aufzurufen.
Was nun hat das alles mit Politik zu tun? Laut Lakoff regeln solche Frames nicht nur unsere Vorstellung von den grauen Giganten des Dschungels. Auch unser Verständnis von Gut und Böse, von Gerechtigkeit oder von internationaler Politik ist von diesen Verschaltungen im Gehirn abhängig. Aktiviert werden diese neurologischen Schaltstellen durch Sprache. Je häufiger ein Begriff benutzt und durch die Medien verbreitet wird, desto stärker werden sie. So entwickeln sich die Politikbegriffe zum Common Sense, zum allgemeinen Verständnis der Situation, und die damit verbundenen Denkstrukturen verfestigen sich. Virtuos beherrschten dies in der Vergangenheit die Republikaner, meint Lakoff. Und in der Tat: wer würde eine Gesetzesinitiative für einen "sauberen Himmel", Clear Skies, nicht begrüßen? Wer wäre nicht dankbar für einen Tax Relief, das Steuersenkungsmodel mit dem Bush seine erste Amtszeit begann? Und wer würde eine Death Tax, eine Steuer auf den eigenen Tod, nicht empört ablehnen? Dass die Clear Skies-Initiative einem Persilschein für Umweltverschmutzer glich, die Steuer-Erleichterungen lediglich Großverdienern zu Gute kamen und mit dem Begriff Death Tax die von den Republikanern abgelehnte Erbschaftssteuer gemeint war, drang kaum durch.
Das wohl prominenteste Beispiel republikanischer Sprachschöpfung: der "Krieg gegen den Terror". Unaufhörlich wiederholten Regierung und ihr nahe stehende Denkfabriken, Universitäten und Medien nach dem 11. September diesen Slogan. So konnte sich George W. Bush als zielstrebiger Feldherr eines auch wortwörtlich mit Bomben und Toten geführten Krieges gegen das Böse inszenieren. "Metaphern können töten", mit diesen Worten begann Lakoff im Vorfeld des Irak-Krieges einen wütenden Meinungsartikel. Vier Jahre später, im Gespräch mit Wehling darauf angesprochen, ergänzt er: "Metaphern haben getötet". Im Falle des Irak-Krieges habe das Handeln nach Metaphern wie der "Achse des Bösen" zum Tode unzähliger Menschen geführt. Spätestens hier wird deutlich, dass Lakoff sich nicht mit der Rolle des neutralen Beobachters begnügt. Er betreibt Wissenschaft mit linkem Veränderungsanspruch. Zu oft hätten die Demokraten in der Vergangenheit den Republikanern die Diskurshoheit überlassen, indem sie - wie etwa bei den Steuererleichterungen - den gegnerischen Frame angriffen, ohne eine alternative Sichtweise zu bieten. Im Endeffekt sei dadurch der konservative Frame, dass Steuern ein dem kleinen Mann aufoktroyiertes Übel seien, von dem es ihn zu "befreien" gelte, nur gestärkt worden. Lakoff dagegen empfiehlt den Demokraten, Steuern offensiver zu kommunizieren. Denn nicht ihre politischen Positionen zu Steuern, Umweltschutz oder Sozialprogrammen seien das Problem, sondern die Unfähigkeit, diese mit den eigenen, durchaus mehrheitsfähigen Wertzusammenhängen zu verknüpfen.
"Wenn Sie politische Zustimmung gewinnen wollen, müssen Sie über Werte sprechen. Denn das ist es, worin sich Parteien unterscheiden: in ihren moralischen Werten. Und in Werten können sich Wähler mit Parteien identifizieren."
Nicht immer überzeugen Lakoffs Ausführungen. Schablonenhaft - zumindest in der populärwissenschaftlichen Interviewform - bleibt etwa die Gegenüberstellung von unterschiedlichen Familienmodellen, der zufolge konservative Werte einer - wörtlich - "Strenger-Vater"-Moral, progressive einem "Fürsorgliche-Eltern"-Konzept zugrunde liegen. Aber gerade weil er in der Lage ist, die komplexen Erkenntnisse der Neurolinguistik in allgemeinverständliche und politiktaugliche Begrifflichkeiten zu übersetzen, gehören Lakoffs Bücher längst zur Standardlektüre im politischen Washington. Und so ist die Tatsache, dass prominente Demokraten, allen voran Obama, inzwischen den Schuldenberg der Bush-Administration als "unmoralisch" geißeln, traditionelle Familienwerte für sich reklamieren oder gar aus der Bibel zitieren, wenn sie über ihre Ziele reden, auch auf ihn zurückzuführen. Auch in Deutschland wird viel über eine scheinbar immer größer werdende Verständniskluft zwischen Politik und Wählern diskutiert. "Auf leisen Sohlen ins Gehirn" skizziert Wege dagegen vorzugehen. Eindrucksvoll legen Wehling und Lakoff dar, dass sich Politik nicht rein sachlogisch vermitteln lässt, dass es dafür konsistenter Erzählungen und einer im wahrsten Sinne ansprechenden Sprache bedarf. Und schließlich zeigen die beiden auch, dass all dem auch eine nicht zu unterschätzende Manipulationsgefahr innewohnt.
George Lakoff und Elisabeth Wehling: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht. Carl Auer-Verlag, 184 Seiten, 17,95 Euro.