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Die Suche nach dem rauchenden Colt

Geophysik. - Die Chance, dass ein Kernwaffentest unentdeckt bleibt, ist gering: Experten der zuständigen UN-Organisation in Wien können sogar den mutmaßlichen Ort einer unterirdischen Sprengung ziemlich genau lokalisieren. Um den Übeltäter zu überführen, müssen dann aber Fachleute vor Ort den rauchenden Colt zweifelsfrei identifizieren. Ein kniffliger Job, der künftig durch eine Erfindung von Geophysikern aus Stuttgart erleichtert werden könnte.

Ultraempfindliche Seismometer verraten den Ort unerlaubter Kernwaffentests |
    Noch ist der Ernstfall nie eingetreten. Aber wenn in der Wiener Zentrale des Monitoring-Systems zur Überwachung des Atomwaffenteststopps tatsächlich einmal die Alarmglocken schrillen, dann stehen die UN-Inspektoren vor einer schwierigen Aufgabe. Weil es die internationalen Verträge so wollen, dürfen sie frühestens drei Wochen nach einem mutmaßlichen Kernwaffentest in das verdächtige Gebiet reisen. Da sind die seismischen Nachbeben aber schon so schwach, dass sie nur noch aus nächster Nähe zu registrieren sind. Das globale Sensornetz kann den mutmaßlichen Explosionsort aber bestenfalls auf 1000 Quadratkilometer genau eingrenzen - also auf ein Areal doppelt so groß wie der Bodensee. Die winzigen Nachbeben in so einem riesigen Gebiet zu detektieren, ist bislang reine Glückssache, sagt Professor Manfred Joswig. Der Geophysiker von der Universität Stuttgart war 2004 bei einem Feldtest in der Slowakei dabei.

    " Und der hat gezeigt, dass mit den klassischen Methoden ich das maximal etwa 500 Meter weit erfassen kann. Das würde heißen, dass ich, um diese 1000 Quadratkilometer abzudecken - weil ich ja im vorhinein nicht weiß, wo diese Nachbeben sind - bräuchte ich 400 Stationen. Und das ist logistisch, vom Personal her, von den Kosten, vom Zeitrahmen her nicht realistisch."

    Der unterirdische Test einer kleinen Atombombe verursacht typischerweise ein Erdbeben der Stärke 4 auf der Richterskala. Verglichen mit einem tektonischen Beben, das durch Verschiebungen in der Erdkruste verursacht wird, sind die Nachbeben einer Kernwaffenexplosion viel schwächer. Drei Wochen nach der Zündung sind nur noch Beben der Magnitude minus zwei zu erwarten, die Menschen schon lange nicht mehr spüren.

    " Also 100 Gramm TNT-Explosion-Äquivalent. Oder aber sie werfen einen Stein von etwa 5 Kilo aus dem zweiten Stock eines Hauses und müssen das in etwa 3 bis 4 Kilometer Entfernung messen und lokalisieren können. Das ist die Herausforderung."

    Um ihr gerecht zu werden, hat Manfred Joswig jeweils vier der gängigen Seismometer mit Kabeln zu einem Sensor-Array zusammengeschaltet. Drei der Sensoren bilden ein gleichseitiges Dreieck, der vierte liegt in der Mitte. Seismisches Navigationssystem, so nennt Joswig das neue Sensordesign, denn durch die räumliche Anordnung ermöglicht bereits jeder einzelne Sensorarray eine Ortspeilung. Mit einer speziellen Software lassen sich aus den aufgezeichneten Daten Entfernung, Richtung und Stärke eines Nachbebens bestimmen. Kombiniert man mehrere der Messstationen, lässt sich der Ort der unterirdischen Sprengung ermitteln.

    " Wenn man jetzt diese fortgeschrittenen Techniken einsetzt, dann sind die einzelnen Stationen um soviel empfindlicher, dass sie einen wesentlich größeren Überwachungsradius haben - typisch 2-3 Kilometer. Und dann reicht eine Anzahl von etwa 35 Stationen, um diese geforderten 1000 Quadratkilometer so überdecken zu können, dass sie sagen können: Wenn irgendwo hier solch ein Magnitude minus 2 Nachbeben passiert, dann werde ich es mitbekommen."

    Die Erschütterungsmessgeräte aus Stuttgart sind zehnmal empfindlicher als alle gängigen Systeme und könnten den UN-Inspektoren im Ernstfall helfen, den Explosionsort zu lokalisieren. Ob dort tatsächlich eine Atombombe gezündet wurde, würden Radioaktivitätsmessungen dann schnell verraten. Einziges Manko der seismischen Mikroskope: Sie sind relativ leicht in die Irre zu führen. Eine Truppenübung mit rollenden Panzern zum Beispiel würde die Seismometer so durchschütteln, dass sie taub sind für alle Nachbeben.

    " Nun kann ich auf der anderen Seite natürlich, wenn ein Land sich solche Mühe gibt, uns zu behindern, Rückschlüsse daraus ziehen: Da ist etwas, was versteckt werden soll. Also es ist im Grunde eine Detektivgeschichte, wo ich das Land immer im Unsicheren lassen muss. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass so etwas entdeckt wird."

    Neben der Unterstützung der UNO-Detektive haben die Stuttgarter Geophysiker bereits andere Anwendungen im Visier. Die Erdölindustrie zum Beispiel erhofft sich von der neuen Technologie eine Art Echtzeit-Monitoring der Geologie unterirdischer Lagerstätten. Und bei mehreren Pilotprojekten in den Alpen konnte Joswigs Team bereits zeigen, dass die seismischen Mikroskope auch erfolgreich als Frühwarnsystem eingesetzt werden können, das Berghänge überwacht, die als besonders erdrutschgefährdet gelten.