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Die Suche nach einem Impfstoff gegen alle Corona-Varianten

Viele Impfstoffhersteller arbeiten zurzeit an Vakzinen, die speziell an Omikron angepasst sind. Wie gut sie gegen zukünftige Varianten des SARS-Coronavirus-2 schützen, ist dabei fraglich. In Tübingen entwickelt ein Team nun einen Impfstoff, der einen breiten Immunschutz bieten soll.

Arndt Reuning |
Illustration: Eine Hand mit Spritze injiziert in einen Globus.
Ein Impfstoff, der gegen alle Corona-Varianten hilft? Daran arbeiten Tübinger Forscher. (imago / Ikon Images / Gary Waters)
Ende November im ersten Pandemiejahr 2020. Das Mainzer Pharmaunternehmen Biontech reicht den Antrag auf bedingte Marktzulassung für seinen Covid-19-Imfpstoff ein. Und in Tübingen hat eine Arbeitsgruppe zwei Monate zuvor erste Ergebnisse für eine ganz andere Art von Impfstoff veröffentlichen können.
Das Prinzip stammt aus der Krebstherapie: Dort werden Immunzellen, sogenannte T-Zellen, aktiviert, die Tumorzellen erkennen und vernichten können. Das müsste eigentlich auch mit virenbefallenen Körperzellen funktionieren, sagte sich Juliane Walz vom Universitätsklinikum Tübingen:

Wissen über Immunzellen genutzt

„Wir haben in Vorarbeiten uns letztendlich eine ganz große Kohorte an Patienten angeschaut, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben und davon genesen waren und haben in deren Blut letztendlich untersucht: Was erkennen denn die T-Zellen, also welche Bestandteile des Virus erkennen die T-Zellen? Und diese haben wir uns dann ausgesucht für unseren Impfstoff.“
Und dabei hat die Medizinerin eine Überraschung erlebt, die in Zukunft noch wichtig werden könnte: Die T-Zellen nutzen nicht nur das prominente Spike-Protein des Virus. Sondern auch andere Bausteine des Erregers. Während herkömmliche Impfstoffe sich allein auf das Spike-Protein konzentrieren, enthält die Vakzine aus Tübingen nun diese große Vielfalt an molekularen Erkennungsmerkmalen, an viralen Bestandteilen.

Mutiertes Spike-Protein dann egal

Und das führt dazu, „dass wir eben nicht so anfällig sind, wenn dieses Spike-Protein mutiert in den verschiedenen Virusvarianten, weil wir eben verschiedene Proteine abdecken. Und das sehen wir jetzt beispielsweise an der Omikron-Variante. Die haben wir schon untersucht und sehen da, dass unser Impfstoff nicht beeinträchtigt ist.“
Bisherige Impfstoffe sind immer auf eine bestimmte Variante zugeschnitten. Zurzeit laufen die Anpassungsarbeiten an Omikron. Doch mit diesem Ansatz läuft man immer der Entwicklung der Pandemie hinterher. Ob die modifizierten Impfstoffe auch noch schützen, wenn Omikron weitermutiert ist, kann niemand sagen. Juliane Walz aber ist der Überzeugung, dass der Kandidat aus Tübingen zuverlässig vor schweren Verläufen schützt – bei allen Varianten. In einer Phase-1-Studie wurde er bereits erprobt. Sechsunddreißig gesunde Probandinnen und Probanden erhielten das Präparat.

Starke Immunantwort in Phase-1-Studie

„Unser Impfstoff wird nur einmal appliziert und hat in hundert Prozent dieser Probanden zu einer sehr, sehr starken T-Zell-Antwort geführt. Wir konnten zeigen, dass diese T-Zell-Antwort stärker ist als die T-Zell-Antwort nach einer natürlichen Infektion. Und wir konnten auch zeigen, dass die T-Zell-Antwort stärker ist als die T-Zell-Antwort nach Impfung mit bislang zugelassenen mRNA- oder Vektorimpfstoffen.“
Dazu kommt, dass die T-Zell-Immunität auch lange anhält. Das haben erste Untersuchungen schon zeigen können. Solch eine dauerhafte, breite Immunität durch die Aktivierung von T-Zellen könnte einer bestimmten Risikogruppe ganz besonders zugutekommen: solchen Menschen, deren Immunsystem keine Antikörper bilden kann.

Ziel: Schutz auch von Risikopatienten

„Und es sind insbesondere Patienten mit angeborenem Immundefekt, aber auch vor allem Patienten mit Krebserkrankungen, die aufgrund der Erkrankung selber oder aufgrund bestimmter Therapien, die verhindern, dass noch Antikörper gebildet werden können, eben nicht profitieren von Antikörper-induzierenden Impfstoffen. Und in dieser Gruppe sehen wir einen sehr, sehr hohen Bedarf für einen Impfstoff, der starke T-Zell-Antworten macht, um diese Gruppe auch zu schützen. Und deshalb untersuchen wir in der aktuell laufenden Phase-2-Studie unseren Impfstoff jetzt ganz gezielt in dieser Patientenkohorte.“
Vor einer Infektion würden solche T-Zell-aktivierenden Impfstoffe nicht bewahren. Aber sie könnten einen verbesserten Schutz bieten für solche Menschen, deren Immunsystem auf bisherige Vakzine nur eingeschränkt reagiert. Wenn die aktuell laufende klinische Untersuchung an Krebs-Patientinnen und -Patienten auch hier einen guten Schutz auf Basis von T-Zellen zeigt, soll eine groß angelegte Phase-3-Studie beginnen – zusammen mit einem Partner aus der Pharmabranche.