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Die "Sunnhordland" aus Norwegen
Lokaljournalismus extrem

Wenn Chefredakteure über die Zukunft diskutieren, dann laden sie sich gerne Vertreter aus Sunnhordland ein, einer dünn besiedelten Region in Norwegen. Wie alle musste auch diese Redaktion zuletzt sparen. Doch sie hat aus der Not eine Tugend gemacht - und damit Erfolg.

Von Daniel Bouhs |
    Ein Haus in Vindafjord.
    Vindafjord, Teil des Berichtsgebiets der "Sunnhordland". (Imago /Imagebroker)
    "Wir haben das E-Paper, die Kopie der Zeitung, und wir haben die News-App".
    Magne Kydland beugt sich über sein Smartphone. Er öffnet die App seiner Zeitung und checkt die Lage.
    "Es passiert immer etwas, den ganzen Tag. Diese Nacht etwas Dramatisches: Die Polizei musste in ein Auto fahren. Es flüchtete von der Polizei."
    Was in der Region Sunnhordland im Westen Norwegens los ist: Die Redaktion der gleichnamigen Zeitung meldet es online rund um die Uhr. Und das, obwohl sie auch eine Tageszeitung herausbringt. Das große Thema dieser Tage: Proteste gegen Windräder, die zwar saubere Energie bringen, aber die Landschaft verschandeln. Dazu kommt drei mal im Jahr ein Hochglanzmagazin, aktuell zum Kampf von Kindern aus der Region gegen Krebs. Das Onlineangebot, die Zeitung, das Magazin – all das kommt von gerade einmal acht Reportern und Fotografen.
    "Es ist hart. (lacht) Aber auch ein riesen Spaß. Wir müssen alle möglichen Jobs machen, jeder", sagt Hilde Nybø, die Nachrichtenchefin. "Wann immer du irgendwo mit Leuten sprichst, bekommst du eine Story mit. Abends gehst du ins Internet und hältst Ausschau nach Themen. Das ist eine Lebenseinstellung."
    Nur noch drei statt fünf gedruckte Ausgaben - noch
    "Sunnhordland" wird in der Verlagsszene seit Jahren als Erfolgsbeispiel gehandelt. Die wohl wichtigste Entscheidung der Redaktion: Die Zeitung erscheint statt fünf nur noch drei mal die Woche. Günstiger wurde das Abonnement dadurch nicht. Ein Risiko, das für alle Seiten gut ausging.
    "Es ging soviel Zeit für die Produktion der Zeitung drauf. Sie fehlte für Journalismus. Jetzt sehen unsere Abonnenten: Wir geben ihnen bessere Geschichten. Deswegen waren sie nicht sehr böse. Es war kein großes Problem."
    Im Gegenteil: Obwohl die Zeitung bei gleichem Preis seltener erscheint, kommen neue Leser. "Sunnhordland" zählt aktuell knapp 6.500 Abonnenten, bei etwa 60.000 Menschen in der Region. Am liebsten würde Chefredakteur Magne Kydland den Schalter komplett umlegen und seine Abonnenten aktuell nur noch digital informieren, dazu die gelegentlichen Magazine. Doch beim Verkauf von Werbung kommt auch hier fast jede Krone noch immer aus der gedruckten Ausgabe.
    "Da wäre es doch sehr dumm, darauf zu verzichten. Das ist wegen Google und Facebook und der ganzen Konkurrenz. Und auf den Mobilgeräten ist auch gar nicht so viel Platz für Werbung. Es fällt uns sehr schwer, im Digitalen genauso viel für Werbung zu bekommen. Das ist nicht nur in Norwegen ein Problem, sondern praktisch weltweit."
    Extreme Arbeitsverdichtung
    Mehr Redakteure kann sich der Chefredakteur in diesen Zeiten einfach nicht leisten. Die Folge: Seine Redaktion könnte unter dem Stichwort "Arbeitsverdichtung im Journalismus" in die Lehrbücher eingehen. Nachrichtenchefin Hilde Nybø zieht während des Interviews einen Ärmel hoch: Ihr Arm ist bandagiert. Krank machen muss sie sich verkneifen.
    Das Erstaunliche: "Sunnhordland" wird mit Preisen überschüttet – für modernes Layout in Zeitung und Magazin, trotz oder gerade weil die Redaktion so klein ist. Die Grafiker – der Chefredakteur zählt sie nicht zu seiner Redaktion – können ihrer kreativen Energie freien Lauf lassen. Kein Journalist quatscht ihnen rein. Dafür fehlt ohnehin die Zeit.
    Wie lange dieses Modell wohl gut geht? Chefredakteur Magne Kydland ist optimistisch.
    "Was wir in den vergangenen Jahren in Norwegen gesehen haben: Der Lokaljournalismus ist tatsächlich stärker geworden. Es sind mehr die überregionalen und regionalen Zeitungen, denen es noch schlechter geht. In Norwegen haben wir viele Lokalzeitungen. Sie alle haben in den vergangenen Jahren gewonnen, während die größeren verlieren. Deshalb glaube ich: Lokaler Journalismus ist die Zukunft."
    Aber die Finanzierung bleibt ein Problem?
    "Kein Problem, eine Herausforderung."
    Und so arbeiten die acht Journalisten weiter bis zur Belastungsgrenze – irgendwie aus Berufung, damit "Sunnhordland" weiter eine Zeitung hat. Sie ist ohnehin schon seit Jahren in der Region nur noch die einzige.