Es waren bewegte Zeiten, damals, zwischen Oktober 1989 und März 1990, als die Deutsche Demokratische Republik auf ihr Ende zusteuerte: Verlassen von ihren Bürgern, finanziell bankrott, politisch implodiert, stand vor allem eine Frage im Mittelpunkt: Kommt es zu einer Angliederung der schwachen DDR an die starke BRD oder gibt es Fusion gleichberechtigter Partner? Kommt es gar zu einer Wirtschafts- und Währungsunion? Ein Schritt, den der damalige Bundesbankchef Karl Otto Pöhl strikt ablehnte.
"Kommt überhaupt nicht infrage, ausgeschlossen."
Die Wiedervereinigung dürfe nicht mit der Notenpresse finanziert werden. Es kam anders, weil der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl es anders wollte.
"Ich glaube, wir müssen jetzt an die DDR herantreten und einfach sagen, dass wir bereit sind, mit ihr unverzüglich in Verhandlungen über eine Währungs- und Wirtschaftsunion einzutreten."
So überraschte Kohl Anfang Februar 1990 die CDU-Bundestagsfraktion und drückte damit der Wiedervereinigung unumkehrbar seinen Stempel auf. Noch war der Satz von den "blühenden Landschaften, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt" nicht gefallen, da begann mit Macht der Verteilungskampf um die DDR-Wirtschaft. Und damit die Bürger der DDR nicht leer ausgehen, beantragte am 12. Februar 1990 der DDR-Dissident Gerd Gebhard am Runden Tisch im Schloss Schönhausen die Bildung …
"… einer Treuhandanstalt zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am ‚Volkseigentum’ der DDR."
Es war der letzte Tagesordnungspunkt, die erschöpften Teilnehmer nickten ihn ab, die Dinge nahmen ihren Lauf. Allerdings ganz anders, als es sich Gebhard gedacht hatte. Detailliert bis in feinste Verästelungen verfolgt Dirk Laabs auf 384 Seiten die Geschichte der Treuhandanstalt. Ein Polit- und Wirtschaftskrimi ohnegleichen! Für 10.000 Betriebe mit vier Millionen Arbeitnehmern war sie zuständig, niemals zuvor hatte es eine solche Superbehörde gegeben, niemals zuvor eine so erfolglose: Die Treuhand türmte 120 Milliarden Euro Schulden auf, erwirtschaftete durch den Verkauf der gesamten DDR-Volkswirtschaft aber gerade mal 34 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Versteigerung der UMTS-Mobilfunk-Lizenzen spülte mehr als 50 Milliarden Euro in die Kassen des Finanzministers. Warum war das so? Weil eine fatale "Goldgräberstimmung" herrschte, so Laabs, weil die Gier nach dem ganz großen Gewinn grenzenlos war und weil niemand die Akteure kontrollierte. Da war etwa der "Außenhandelsbetrieb Metallurgiehandel", auf den die Thyssen AG ein Auge warf.
"Das Handelsunternehmen macht 1989 mit seinen mehr als 3.400 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 34 Milliarden Mark Ost. Es ist zu diesem Zeitpunkt eines der größten Stahlhandelsunternehmen weltweit. Der Metallurgiehandel kauft auf dem Weltmarkt die Rohstoffe für die Stahlwerke in der DDR. Im Gegenzug verkauft der Metallurgiehandel den Stahl (…) auch in den Westen und erwirtschaftet damit einen Devisenüberschuss von 500 Millionen Mark-West."
Die Thyssen AG gründete mit dem Metallurgiehandel ein gemeinsames Unternehmen und hatte dadurch Zugriff auf das "Wissen und die Geschäftskontakte der Firma Metallurgiehandel im Ausland." Wenige Monate später änderte sich aber die Situation dramatisch. Weil die DDR-Stahlwerke ihre Rohstoffe nun selber einkauften, warf der Metallurgiehandel keinen Gewinn mehr ab.
"Der Rest des Metallurgiehandels hätte als eigenständiges Unternehmen keine Überlebenschance. Das kann Thyssen verschmerzen. Das Wertvollste – das Know-how – hat der Konzern ja bereits abgeschöpft."
In schlechter Erinnerung blieb DDR-Bürgern bis heute das Vorgehen der Tengelmann-Tochtergesellschaft Kaiser’s in Schwerin. Ohne Vorwarnung übernahm sie attraktiv gelegene HO-Kaufhallen und trieb damit selbstständige Kaufleute, die ihre Läden im Umfeld der HO-Kaufhallen hatten, in den Ruin. Geschäfte, die übrigens mit freundlicher Unterstützung ostdeutscher HO-Mitarbeiter zustande kamen. Bei der Treuhand gab es zwar Überlegungen, die HO-Kaufhallen wettbewerbsgerechter zu verteilen, der Macht westdeutscher Handelskonzerne konnte in dieser Phase aber niemand etwas entgegensetzen. Es herrschte ein heilloses Chaos, die Treuhand war zumindest in den ersten Jahren personell und strukturell überfordert, außerdem fehlte die politische Kontrolle.
"Diese scheinbar willkürliche Autonomie der Anstalt hat die Ostdeutschen, die gerade ein Leben in Diktatur hinter sich hatten, sehr enttäuscht und verletzt. Die Treuhand wurde ganz bewusst nicht effektiv demokratisch kontrolliert. Wie sollte da bei den Ostdeutschen Vertrauen in die Demokratie entstehen?"
Zum Schluss schlägt der Autor einen Bogen von 1990 bis in die aktuellen Finanzkrisen. Damals wurde eingeübt, was die Deutschen seit 2008 erleben:
"Die Sozialisierung der Verluste; die Ausschaltung des Parlaments, eine Exekutive, die nicht erklären kann oder will, warum sie wirtschaftspolitisch wie handelt. (…) Die Verantwortlichen geben der Öffentlichkeit durch diese Geheimniskrämerei seit 1990 das Gefühl, die Treuhand habe etwas zu verbergen."
"Der deutsche Goldrausch – Die wahre Geschichte der Treuhand" bietet geballte Informationen über ein dunkles und in letzter Konsequenz noch nicht abgeschlossenes Kapitel der deutschen Wiedervereinigung. Chronologisch beschreibt Dirk Laabs die Geschichte der Treuhand von den Anfängen bis zu ihrer Abwicklung Ende 1994; lässt von Alexander Schalck-Golodkowski über Horst Köhler bis Thilo Sarrazin alle Protagonisten zu Wort kommen; er taucht ein in scheinbar unwichtige Details, entreißt Namen und Orte dem Vergessen und stellt so – ein wenig zumindest – die verlorene Ehre vieler DDR-Bürger wieder her. Wer die Wiedervereinigung in all ihren Facetten verstehen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei!
Dirk Laabs: Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand.
Pantheon Verlag, 384 Seiten, 16,99 Euro
ISBN: 978-3-570-55164-6
"Kommt überhaupt nicht infrage, ausgeschlossen."
Die Wiedervereinigung dürfe nicht mit der Notenpresse finanziert werden. Es kam anders, weil der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl es anders wollte.
"Ich glaube, wir müssen jetzt an die DDR herantreten und einfach sagen, dass wir bereit sind, mit ihr unverzüglich in Verhandlungen über eine Währungs- und Wirtschaftsunion einzutreten."
So überraschte Kohl Anfang Februar 1990 die CDU-Bundestagsfraktion und drückte damit der Wiedervereinigung unumkehrbar seinen Stempel auf. Noch war der Satz von den "blühenden Landschaften, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt" nicht gefallen, da begann mit Macht der Verteilungskampf um die DDR-Wirtschaft. Und damit die Bürger der DDR nicht leer ausgehen, beantragte am 12. Februar 1990 der DDR-Dissident Gerd Gebhard am Runden Tisch im Schloss Schönhausen die Bildung …
"… einer Treuhandanstalt zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am ‚Volkseigentum’ der DDR."
Es war der letzte Tagesordnungspunkt, die erschöpften Teilnehmer nickten ihn ab, die Dinge nahmen ihren Lauf. Allerdings ganz anders, als es sich Gebhard gedacht hatte. Detailliert bis in feinste Verästelungen verfolgt Dirk Laabs auf 384 Seiten die Geschichte der Treuhandanstalt. Ein Polit- und Wirtschaftskrimi ohnegleichen! Für 10.000 Betriebe mit vier Millionen Arbeitnehmern war sie zuständig, niemals zuvor hatte es eine solche Superbehörde gegeben, niemals zuvor eine so erfolglose: Die Treuhand türmte 120 Milliarden Euro Schulden auf, erwirtschaftete durch den Verkauf der gesamten DDR-Volkswirtschaft aber gerade mal 34 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Versteigerung der UMTS-Mobilfunk-Lizenzen spülte mehr als 50 Milliarden Euro in die Kassen des Finanzministers. Warum war das so? Weil eine fatale "Goldgräberstimmung" herrschte, so Laabs, weil die Gier nach dem ganz großen Gewinn grenzenlos war und weil niemand die Akteure kontrollierte. Da war etwa der "Außenhandelsbetrieb Metallurgiehandel", auf den die Thyssen AG ein Auge warf.
"Das Handelsunternehmen macht 1989 mit seinen mehr als 3.400 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 34 Milliarden Mark Ost. Es ist zu diesem Zeitpunkt eines der größten Stahlhandelsunternehmen weltweit. Der Metallurgiehandel kauft auf dem Weltmarkt die Rohstoffe für die Stahlwerke in der DDR. Im Gegenzug verkauft der Metallurgiehandel den Stahl (…) auch in den Westen und erwirtschaftet damit einen Devisenüberschuss von 500 Millionen Mark-West."
Die Thyssen AG gründete mit dem Metallurgiehandel ein gemeinsames Unternehmen und hatte dadurch Zugriff auf das "Wissen und die Geschäftskontakte der Firma Metallurgiehandel im Ausland." Wenige Monate später änderte sich aber die Situation dramatisch. Weil die DDR-Stahlwerke ihre Rohstoffe nun selber einkauften, warf der Metallurgiehandel keinen Gewinn mehr ab.
"Der Rest des Metallurgiehandels hätte als eigenständiges Unternehmen keine Überlebenschance. Das kann Thyssen verschmerzen. Das Wertvollste – das Know-how – hat der Konzern ja bereits abgeschöpft."
In schlechter Erinnerung blieb DDR-Bürgern bis heute das Vorgehen der Tengelmann-Tochtergesellschaft Kaiser’s in Schwerin. Ohne Vorwarnung übernahm sie attraktiv gelegene HO-Kaufhallen und trieb damit selbstständige Kaufleute, die ihre Läden im Umfeld der HO-Kaufhallen hatten, in den Ruin. Geschäfte, die übrigens mit freundlicher Unterstützung ostdeutscher HO-Mitarbeiter zustande kamen. Bei der Treuhand gab es zwar Überlegungen, die HO-Kaufhallen wettbewerbsgerechter zu verteilen, der Macht westdeutscher Handelskonzerne konnte in dieser Phase aber niemand etwas entgegensetzen. Es herrschte ein heilloses Chaos, die Treuhand war zumindest in den ersten Jahren personell und strukturell überfordert, außerdem fehlte die politische Kontrolle.
"Diese scheinbar willkürliche Autonomie der Anstalt hat die Ostdeutschen, die gerade ein Leben in Diktatur hinter sich hatten, sehr enttäuscht und verletzt. Die Treuhand wurde ganz bewusst nicht effektiv demokratisch kontrolliert. Wie sollte da bei den Ostdeutschen Vertrauen in die Demokratie entstehen?"
Zum Schluss schlägt der Autor einen Bogen von 1990 bis in die aktuellen Finanzkrisen. Damals wurde eingeübt, was die Deutschen seit 2008 erleben:
"Die Sozialisierung der Verluste; die Ausschaltung des Parlaments, eine Exekutive, die nicht erklären kann oder will, warum sie wirtschaftspolitisch wie handelt. (…) Die Verantwortlichen geben der Öffentlichkeit durch diese Geheimniskrämerei seit 1990 das Gefühl, die Treuhand habe etwas zu verbergen."
"Der deutsche Goldrausch – Die wahre Geschichte der Treuhand" bietet geballte Informationen über ein dunkles und in letzter Konsequenz noch nicht abgeschlossenes Kapitel der deutschen Wiedervereinigung. Chronologisch beschreibt Dirk Laabs die Geschichte der Treuhand von den Anfängen bis zu ihrer Abwicklung Ende 1994; lässt von Alexander Schalck-Golodkowski über Horst Köhler bis Thilo Sarrazin alle Protagonisten zu Wort kommen; er taucht ein in scheinbar unwichtige Details, entreißt Namen und Orte dem Vergessen und stellt so – ein wenig zumindest – die verlorene Ehre vieler DDR-Bürger wieder her. Wer die Wiedervereinigung in all ihren Facetten verstehen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei!
Dirk Laabs: Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand.
Pantheon Verlag, 384 Seiten, 16,99 Euro
ISBN: 978-3-570-55164-6