Die Täufer haben allgemein keinen besonders guten Ruf. Das galt schon vor 500 Jahren, als die Täuferbewegung im Zuge der Reformation entstanden ist. Und das gilt zum Teil bis heute.
"Traditionell wird das Täufertum von den Vertretern der Konfessionskirchen immer als eine schlimme Verirrung wahrgenommen. Chaoten-Truppe, die Ordnungen auflösen, fundamental in Frage stellen, etc.", sagt Thomas Kaufmann.
Taufe erst im Erwachsenenalter
Er ist Kirchenhistoriker, genauer Reformationshistoriker an der Universität Göttingen. Was die Täufer so verdächtig macht: Sie wollten und wollen nicht ihre Kinder taufen lassen, sondern selbstbestimmt entscheiden, ob und wann sie sich als Erwachsene taufen lassen. Führende Reformatoren waren aber strikt gegen die Erwachsenentaufe.
"Luther hat an der Kindertaufe festgehalten, weil er der Bekenntnis- oder Entscheidungstaufe unterstellte, dass der Mensch dadurch etwas für sein Heil tun will. Also er hat letztlich von seiner Rechtfertigungstheologie her gegen die Entscheidungstaufe argumentiert. Zwingli hat anders angesetzt. Zwingli hat von seinem Verständnis der Taufe in Analogie zur Beschneidung her gedacht. Wie der Beschneidungsritus an Säuglingen vollzogen wird, so soll das auch bei der Taufe sein. Die Taufe als Bundeszeichen des Neuen Bundes. Und das Bundesvolk ist eben das gesamte Gemeinwesen."
Verfolgt als Ketzer und Schwärmer
Und so kommen Luther, Zwingli und ihre Nachfolger zu dem Urteil, das Täufertum sei Schwärmerei, ja verdammungswürdige Ketzerei. Mit dem Ergebnis, dass der täufernahe Thomas Müntzer und seine aufständischen Bauern ebenso vernichtet wurden wie später das Täuferreich von Münster. Heute aber müssten die Täufer anders bewertet werden, sagt Kaufmann, nämlich so, ...
"… dass das Täufertum ein Spross auf dem Baum der Reformation ist. Das Täufertum geht hervor aus Positionen, wie sie in Zürich von Zwingli, wie sie in Wittenberg von Luther und Karlstadt artikuliert wurden. Ist also Teil eines in sich vielfältigen pluralen Phänomens Reformation."
Denn die Täufer hätten die Reformation ernster genommen als die großen Reformatoren selbst. Sie haben die Bibel wortwörtlich gelesen.
Für Luther zu radikal
"Nehmen wir mal die Bilderfrage - Zwingli sagt: Die Bilder müssen raus, aber schön langsam und so, dass der Rat sie raus schafft. Luther sagt 1522: Ja, ja, ich bin den Bildern auch nicht hold. Aber wir müssen erst mal die Bilder aus den Herzen reißen. Also lassen wir sie in den Kirchen. Und da sagen die Radikalinskis eben: Ne, das geht nicht! Wenn das Bilderverbot gilt, dann haben wir es unmittelbar umzusetzen. Und es ist ein Verstoß gegen Gottes gute Ordnung. Also, ein Impuls im Horizont apokalyptischer Naherwartung. Die Leute leben in dem Bewusstsein, dass das Ende der Zeit nahe ist."
Und deswegen, so Thomas Kaufmann, waren die Täufer radikal im Wortsinn, haben sich also zu den Wurzeln ihres Glaubens konsequent bekannt. Luther waren die Täufer zu radikal. Dabei hatte er selbst wesentlich zu ihrer Entstehung beigetragen, meint Kirchenhistoriker Kaufmann.
"Ich vergleiche Luther gerne mit dem Zauberlehrling, dem goetheschen Zauberlehrling. Er ruft Geister, die er nicht wieder loswird. Das ist die Grundsignatur der reformatorischen Bewegung, da sind Leute inspiriert worden, entfacht worden, die ihr eigenes Ding machen, die ihren eigenen Kopf haben und in eine Richtung weiter denken, die dem Alten in Wittenberg immer unbehaglicher wird. Hochgebildet, kompetent im Umgang mit den alten Sprachen. Vertraut mit dem Druckmedium. Verbunden mit den verschiedenen kulturellen Zentren. Das sind Leute, die eng vernetzt sind. Die sind, das erkennt Zwingli, das erkennt Luther, die sind brandgefährlich, das sind keine Dumpfbacken."
Freie Liebe und Bruch mit den Konventionen
Seit Beginn der Reformation gab es eine Vielzahl von Täufergruppen und -strömungen. Einige Täufer machten sich sogar an eigene Übersetzungen der Bibel. Anders als Luther arbeiteten sie dabei teils gezielt mit Juden und Rabbinern zusammen.
"Das war unter den Bedingungen des 16. Jahrhunderts mit Sicherheit etwas ganz Besonderes, dass man Rabbinern nicht nur ihre Handschriften abkauft, sondern dass man sie aufsucht, den Kontakt sucht, um schwierige hebräische Texte zu verstehen."
Viele Täufer versteckten sich auf dem Land oder lebten ihren Glauben im Verborgenen. Manche brachen mit allen Konventionen, erprobten sich nackt in der freien Liebe unter Gottes blauem Himmel, die ersten Aussteiger und Hippies sozusagen. Den weltlichen und kirchlichen Herrschern war auch ein Dorn im Auge, dass manche Täufer das Privateigentum aufheben wollten.
Privateigentum abschaffen
"Es gibt ja in den Traditionsbeständen des Christentums ein Motiv, das von besonderer Bedeutung für sozialethische Vorstellungen war: In Apostelgeschichte 2 und 4 ist von der Gütergemeinschaft der Ur-Gemeinde in Jerusalem die Rede. Und dieses Motiv ist durch die ganze Kirchengeschichte immer wieder als ein sozialkritisches Motiv gegen eine reiche, der Luxuria frönende Kirche in Anschlag gebracht worden. Das Mönchtum basiert im Wesentlichen auf der Idee der Gütergemeinschaft. Ideales Christentum leben die Mönche in der mittelalterlichen Gesellschaft. Und die Täufer sagen: Nee, ideales Christentum geht alle an."
Und noch mit einer weiteren Forderungen zogen die Täufer den Zorn der Obrigkeiten auf sich: Sie wollten Staat und Kirche besser trennen.
"Die Täufer waren schon der Meinung, dass diese enge Verquickung von Kirche und Staat, die das Christentum durch ein Jahrtausend, das wir Mittelalter nennen, geprägt hat, dass das eine sehr problematische Symbiose ist, die es nicht möglich macht, auch bestimmte herrschaftskritische Momente, die in der christlichen Tradition enthalten sind, entsprechend zur Sprache zu bringen."
Quäker, Mennoniten, Amish
Herrschaftskritisch verweigerten die Täufer auch den Soldatendienst. Bis heute ist das für viele Täufer prägend, etwa für Quäker, Mennoniten oder die amerikanischen Amish. In der Anfangszeit der Täuferbewegung war das auch weniger ein Problem, sagt Kaufmann. Denn in Zeiten der Söldnerheere gab es noch keine allgemeine Dienstpflicht. - Weil sie an ihren Idealen gegen alle Widerstände festgehalten haben, sind die Täufer für den Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann so etwas wie die Vorläufer eines modernen und selbstbestimmten Lebens.
"Das Täufertum stellt die erste auf Freiwilligkeit basierende Vergemeinschaftung des Evangelisch-Christlichen im 16. Jahrhundert dar. Im Unterschied zum anstaltlich organisierten, großkirchlichen Christentum sind das Leute, die auf Grund ihrer Überzeugungen Gemeinden bilden. Zumal sich diese Form der Vergemeinschaftung als historisch außerordentlich langlebig erwiesen hat. Wir haben noch heute in einem interessanten quantitativen Umfang täuferische Gemeinden, die sich zum Teil bis aufs 16. Jahrhundert zurückführen können."
Heute werden Täufer nicht mehr verfolgt. Es gibt einen freundlichen Austausch mit den Großkirchen. Die Täufer seien ein unverzichtbarer Strang der Reformation, sagt Kaufmann. Sie seien bis heute die treuesten Verbündeten im Kampf gegen Nationalismus, Rassismus und Militarismus. Den Täufern, einst verfolgt und gejagt, sei es zu verdanken, dass erstmals über den Schutz religiöser Minderheiten nachgedacht wurde. Ohne die Täufer also kein aufgeklärtes Europa, keine Religionsfreiheit?
Radikale Neu-Bewertung der Täufer
"Also ich denke das kann man in der Tat zeigen, dass die radikalen Außenseiter der reformatorischen Bewegung - neben einzelnen Juden - diejenigen gewesen sind, die am frühesten und nachdrücklichsten Toleranzforderungen formuliert haben. Dass diese Art des Denkens, dass Andersgläubige Schutzrechte erfahren sollen, dass diese Elementarform von Toleranz am frühesten von den Außenseitern der Reformation artikuliert worden ist."
Und Thomas Kaufmann sieht in den Täufern nicht nur Vorreiter moderner Werte, sondern auch ein Vorbild für die heutigen schrumpfenden Großkirchen. In seinem neuen Buch schreibt der Kirchenhistoriker sinngemäß, die Kirchen könnten sich ein Beispiel an der religiösen Authentizität der Täufer nehmen, wenn sie denn eine Zukunft haben wollen. Oder in seinen Worten: die Großkirchen könnten nach dem Ende der konstantinischen Symbiose von Thron und Altar vom Täufertum lernen, wie man als Minderheit authentisch überlebt und der Welt gegenüber Zeugnis ablegt von dem in Christus begegnenden Zuspruch Gottes. Denn die Täufer stünden für eine staatsfreie und machtlose religiöse Authentizität. Sie hätten bewiesen, dass ein religionsplurales Gemeinwesen existenzfähig ist. Kaufmanns radikale Neu-Bewertung der Täufer widerspricht den gängigen Kirchengeschichtsdarstellungen bis zumindest am Ende des 20. Jahrhunderts an den theologischen Fakultäten. Eine gewagte Neu-Bewertung - und erhellend.
Thomas Kaufmann: "Die Täufer. Von der radikalen Reformation zu den Baptisten"
C. H. Beck Verlag, 128 Seiten, 9,95 Euro.
C. H. Beck Verlag, 128 Seiten, 9,95 Euro.