Thielko Grieß: Der afghanische Präsident Hamid Karsai, den wir da gehört haben. Er hat drei Bedingungen genannt für Gespräche mit den Taliban, und das hat er gesagt vor zwei Tagen. Und da hieß es in den Schlagzeilen schon, es gebe einen Hoffnungsschimmer für Afghanistan. Inzwischen, zwei Tage später, ist die Lage wieder anders, sie ist komplizierter.
Was auf dem Schild steht, heißt übersetzt "Islamisches Emirat Afghanistan". Es ist ein Schild, das die Taliban an ihrem Verbindungsbüro in Doha in Katar aufgehängt haben, und sie haben über dem Gebäude ihre Flagge gehisst. Das alles sind gezielte Provokationen, womit die Taliban suggerieren wollen zum einen einen Alleinvertretungsanspruch und den Charakter Afghanistans als ein quasi arabisches Emirat. Schild und Flagge sollen in Doha inzwischen wieder abgenommen sein, aber der Schaden ist bereits entstanden. Denn die Vereinigten Staaten stehen in Doha bereit, um Gespräche mit den Taliban zu beginnen. Der afghanische Präsident wiederum, Karsai, hat erbost reagiert und seinerseits Gespräche mit den Vereinigten Staaten auf Eis gelegt.
Nun gibt es auch erst einmal keine Verhandlungen mehr zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban. Mitgehört hat Jochen Hippler, Politikwissenschaftler und Friedensforscher, Afghanistan-Fachmann an der Universität Duisburg. Guten Tag!
Jochen Hippler: Guten Tag, Herr Grieß.
Grieß: Wir haben gehört, was die Taliban auf das Schild geschrieben haben, das inzwischen wieder abgenommen ist, an dem Verbindungsbüro in Doha: islamisches Emirat Afghanistan. Das sorgt für Wut in Kabul. Was hätten die Taliban denn sonst auf ihr Schild schreiben sollen?
Hippler: Eine gute Frage. Die begreifen sich so, und wenn man mit denen Verhandlungen führen will, dann kann man natürlich schlecht darum herumkommen, sie auf einer bestimmten Ebene auch als politischen Akteur ernst zu nehmen. Insofern ist es selbstverständlich, dass das für Herrn Karsai unerfreulich ist, dass es schlimm ist, aber richtig überraschend gekommen dürfte das eigentlich nicht sein. Was hätten sie denn draufschreiben sollen. Die Aufständischen in Afghanistan wäre vielleicht ein bisschen informell gewesen.
Grieß: Welche Position haben sie denn, die Taliban? Wie darf man sie, wie soll man sie ansprechen, wenn man mit ihnen verhandeln will?
Hippler: Ich glaube, in der ersten Phase ist es wahrscheinlich eine relativ wichtige Sache, dass man über inhaltliche Sachen redet und dass man vermeidet, die Sachen so hoch zuhängen. Also auch protokollarisch hoch zu hängen. Aber man muss natürlich auch daran denken, dass das Hauptinteresse der Taliban nicht darin besteht, eine Friedenslösung für Afghanistan zu finden, sondern internationale Anerkennung zu gewinnen. Insofern geht es den Taliban erst mal darum, diese Gleichberechtigung mit der afghanischen Regierung protokollarisch durchzusetzen und gleichberechtigt mit den USA zu verhandeln, das ist deren eigentliches Ziel, während weder die Regierung Karsai, noch die Taliban die Vorstellung haben werden, dass es durch diese Verhandlungen jemals zu einem Friedensschluss kommen wird. Die Taliban haben das nicht mehr nötig, sie haben den Krieg gewonnen politisch, gegen die NATO und gegen die afghanische Regierung. Warum sollten sie verhandeln aus ihrer eigenen Sicht. Und umgekehrt: die NATO – da hat die Korrespondentin eben sehr recht gehabt – und die USA sind vor allen Dingen daran im Moment interessiert, heil wieder rauszukommen und das Gesicht zu wahren. Das sind keine guten Ausgangslagen für Verhandlungen und deshalb habe ich den Eindruck, dass diese Frage, was für ein Schild vor der Tür hängt, derzeit hochgespielt wird, aber wirklich eine Nebensache ist.
Grieß: Demzufolge ist das Schild, das wir geklebt haben, wir als Journalisten geklebt haben auf diese Gespräche, unter dem Titel Friedensgespräche auch ein falsches Schild?
Hippler: Ja natürlich! Denken Sie mal an Palästina, an die Osloer Verträge, wo wir immer von Friedensvereinbarungen gelesen haben, die es 20 Jahre später immer noch nicht gegeben hat.
Grieß: In dem Fall zwischen den Palästinensern und Israel?
Hippler: Richtig! Und so ähnlich ist das hier auch. Beide sind bereit zu verhandeln, aber beide sind bereit, aus taktischen Gründen zu verhandeln. Solche Gespräche werden manchmal regional Waffenstillstände zur Folge haben. Letztlich aber ist das die Arena, wo die Ordnung nach dem Abzug der NATO ausgehandelt wird, und das wird sicher nicht so sein, dass eine im Land zunehmend unbeliebte afghanische Regierung Karsai, die schwach ist ohne äußere Unterstützung, gleichberechtigt mit den im Prinzip politisch siegreichen Taliban, obwohl sie militärisch natürlich weiter schwach sind, verhandeln werden können. Das ist einfach eine Vorstellung, die hat man, die man einfach nicht ernst nehmen könnte.
Grieß: Die Taliban, haben Sie gesagt, versuchen, sich in Position zu bringen für die Zeit nach 2014, nach dem Abzug der westlichen Kampftruppen. Können wir das noch ein bisschen genauer fassen, was für eine Position das sein soll, die die Taliban erreichen wollen?
Grieß: Die erste ist jetzt eben die der formellen Akzeptierung als Gleichberechtigte. Die Verhandlungen, von denen Herr Karsai immer gesprochen hat und wo die USA lange mitgemacht haben, waren, dass die Taliban die Waffen niederlegen sollen und dass die Taliban die afghanische Verfassung respektieren und akzeptieren sollen, und dann könnte man ja in Gespräche und Verhandlungen eintreten. Das ist natürlich eine Verhandlungsposition, die Verhandlungen unmöglich macht. Wenn eine Kriegspartei, weil wir haben noch eine Kriegssituation, wenn eine Kriegspartei Verhandlungen nur unter der Voraussetzung führen möchte, dass die andere vorher aufgeben und sich entwaffnen soll, dann ist das mehr für Propaganda, aber natürlich nicht für eine Verständigung, und die Taliban wollen im ersten Schritt tatsächlich gleichberechtigt mit der US-Regierung, gleichberechtigt mit der afghanischen Regierung anerkannt werden. In dem zweiten Schritt, ist mein Eindruck, dass es ihnen einfach darum geht, Zeit zu gewinnen, weil wenn die NATO erst mal draußen ist, und wenn in Europa und Amerika das Interesse an Afghanistan abnehmen wird und dann auch die Unterstützung für Karsai finanziell und militärisch sinken wird, dann ist die Erwartung relativ hoch, dass das Karsai-Regime einfach zerbröseln wird, wie früher die Regierung Nadschibullah nach dem Abzug der Sowjetunion einfach zerbröselt ist. Die sind ja nie militärisch besiegt worden, sondern die sind einfach zerbröckelt.
Grieß: Herr Hippler, ich nehme an, dieses Szenario, das Sie uns schildern, wird in den Köpfen der Vereinigten Staaten, der Regierungszentralen durchaus mitgedacht. Aber warum setzen sich die Vereinigten Staaten dann doch noch an einen Verhandlungstisch mit den Taliban?
Hippler: Aus diesem taktischen Grund, warum auch damals die Sowjetunion bei diesem Abzugsprozess mitgemacht hat, der einfach auch ihre Niederlage ratifiziert hat. Die USA sehen nicht mehr ein, unter vertretbaren Kosten – und es geht jetzt um militärische Kosten, um finanzielle Kosten, aber auch politische Kosten. Das heißt, einen Krieg gegen die Taliban zu gewinnen, würde eine massive Eskalation des Militärs bis auf 400, 500.000 US-Soldaten voraussetzen. Das ist einfach unrealistisch, das ist in der amerikanischen Gesellschaft nicht mehr durchsetzbar. Und wenn das nicht durchsetzbar ist und man den Krieg militärisch nicht gewinnen kann, man den Krieg politisch nicht gewinnen kann, weil die Unterstützung Karsais in der afghanischen Gesellschaft nicht funktioniert hat, weil Karsai jetzt fast so verhasst ist wie die Taliban, was soll man machen. Da bleibt einfach nur der Abzug, und der Abzug muss aber so organisiert werden, dass man Gesicht wahrt, genau wie die Sowjetunion nicht einseitig abgezogen ist, offiziell, sondern aufgrund eines halben Friedensabkommens mit den USA, Pakistan und Afghanistan. Genauso wollen jetzt NATO und USA den Abzug so organisieren, dass die Schuld am eigenen Scheitern den Afghanen und nicht der NATO und den USA nachher auf den Tisch gelegt wird.
Grieß: Lassen Sie uns im letzten Abschnitt dieses Gesprächs noch einmal schauen auf die Rolle Katars. Das Land ist ja nicht nur demnächst, in einigen Jahren Gastgeberland der Fußball-WM, geriert sich als ein Hort von Medienberichterstattung mit dem Sender Al Jazeera. Aber dort finden ja auch solche Gespräche statt. Welche Rolle spielt dieses verhältnismäßig kleine arabische Land?
Hippler: Ganz faszinierende Frage, weil in den letzten Jahren wirklich dieses winzige Katar aufgrund von seinem Reichtum – das ist ja eines der reichsten Länder der Welt – und aufgrund des politischen Aktivismus seiner Herrscher im Syrien-Konflikt, damals in Libyen, jetzt in Afghanistan, in Ägypten (sie haben gerade fünf Milliarden Dollar spendiert, um die ägyptische Regierung zu stützen) eine ganz bedeutende regionale Rolle spielt. Da glaube ich, dass einerseits das kleine Katar eine sehr ambitionierte Entwicklungspolitik nach innen macht, autoritär offensichtlich, aber sehr massiv modernisierend – ich bin gerade zurückgekommen aus Katar -, und gleichzeitig aber in der Region wirklich insgesamt eine Führungsrolle übernimmt, die man normalerweise eher von Saudi-Arabien oder von externen Ländern vermutet hat oder vom Iran, und das ist wirklich interessant. Das führt jetzt aber auch schon zu Reibereien mit Saudi-Arabien und teilweise auch mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, weil man da das Gefühl hat, dass die wesentlich aktiver und dominierender sind, als so einem Kleinstaat das zukommt. Das ist wirklich, jetzt auch Afghanistan, ein neues Beispiel dafür, man ist völlig fasziniert, was Katar im Moment macht, sie sind gerade dabei, die deutsche Solarindustrie zu retten, spendieren Libyen Geld, und das ist im Moment wirklich sehr, sehr ambitioniert.
Grieß: Jochen Hippler war das, Politikwissenschaftler, Friedensforscher an der Universität Duisburg. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit.
Hippler: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Was auf dem Schild steht, heißt übersetzt "Islamisches Emirat Afghanistan". Es ist ein Schild, das die Taliban an ihrem Verbindungsbüro in Doha in Katar aufgehängt haben, und sie haben über dem Gebäude ihre Flagge gehisst. Das alles sind gezielte Provokationen, womit die Taliban suggerieren wollen zum einen einen Alleinvertretungsanspruch und den Charakter Afghanistans als ein quasi arabisches Emirat. Schild und Flagge sollen in Doha inzwischen wieder abgenommen sein, aber der Schaden ist bereits entstanden. Denn die Vereinigten Staaten stehen in Doha bereit, um Gespräche mit den Taliban zu beginnen. Der afghanische Präsident wiederum, Karsai, hat erbost reagiert und seinerseits Gespräche mit den Vereinigten Staaten auf Eis gelegt.
Nun gibt es auch erst einmal keine Verhandlungen mehr zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban. Mitgehört hat Jochen Hippler, Politikwissenschaftler und Friedensforscher, Afghanistan-Fachmann an der Universität Duisburg. Guten Tag!
Jochen Hippler: Guten Tag, Herr Grieß.
Grieß: Wir haben gehört, was die Taliban auf das Schild geschrieben haben, das inzwischen wieder abgenommen ist, an dem Verbindungsbüro in Doha: islamisches Emirat Afghanistan. Das sorgt für Wut in Kabul. Was hätten die Taliban denn sonst auf ihr Schild schreiben sollen?
Hippler: Eine gute Frage. Die begreifen sich so, und wenn man mit denen Verhandlungen führen will, dann kann man natürlich schlecht darum herumkommen, sie auf einer bestimmten Ebene auch als politischen Akteur ernst zu nehmen. Insofern ist es selbstverständlich, dass das für Herrn Karsai unerfreulich ist, dass es schlimm ist, aber richtig überraschend gekommen dürfte das eigentlich nicht sein. Was hätten sie denn draufschreiben sollen. Die Aufständischen in Afghanistan wäre vielleicht ein bisschen informell gewesen.
Grieß: Welche Position haben sie denn, die Taliban? Wie darf man sie, wie soll man sie ansprechen, wenn man mit ihnen verhandeln will?
Hippler: Ich glaube, in der ersten Phase ist es wahrscheinlich eine relativ wichtige Sache, dass man über inhaltliche Sachen redet und dass man vermeidet, die Sachen so hoch zuhängen. Also auch protokollarisch hoch zu hängen. Aber man muss natürlich auch daran denken, dass das Hauptinteresse der Taliban nicht darin besteht, eine Friedenslösung für Afghanistan zu finden, sondern internationale Anerkennung zu gewinnen. Insofern geht es den Taliban erst mal darum, diese Gleichberechtigung mit der afghanischen Regierung protokollarisch durchzusetzen und gleichberechtigt mit den USA zu verhandeln, das ist deren eigentliches Ziel, während weder die Regierung Karsai, noch die Taliban die Vorstellung haben werden, dass es durch diese Verhandlungen jemals zu einem Friedensschluss kommen wird. Die Taliban haben das nicht mehr nötig, sie haben den Krieg gewonnen politisch, gegen die NATO und gegen die afghanische Regierung. Warum sollten sie verhandeln aus ihrer eigenen Sicht. Und umgekehrt: die NATO – da hat die Korrespondentin eben sehr recht gehabt – und die USA sind vor allen Dingen daran im Moment interessiert, heil wieder rauszukommen und das Gesicht zu wahren. Das sind keine guten Ausgangslagen für Verhandlungen und deshalb habe ich den Eindruck, dass diese Frage, was für ein Schild vor der Tür hängt, derzeit hochgespielt wird, aber wirklich eine Nebensache ist.
Grieß: Demzufolge ist das Schild, das wir geklebt haben, wir als Journalisten geklebt haben auf diese Gespräche, unter dem Titel Friedensgespräche auch ein falsches Schild?
Hippler: Ja natürlich! Denken Sie mal an Palästina, an die Osloer Verträge, wo wir immer von Friedensvereinbarungen gelesen haben, die es 20 Jahre später immer noch nicht gegeben hat.
Grieß: In dem Fall zwischen den Palästinensern und Israel?
Hippler: Richtig! Und so ähnlich ist das hier auch. Beide sind bereit zu verhandeln, aber beide sind bereit, aus taktischen Gründen zu verhandeln. Solche Gespräche werden manchmal regional Waffenstillstände zur Folge haben. Letztlich aber ist das die Arena, wo die Ordnung nach dem Abzug der NATO ausgehandelt wird, und das wird sicher nicht so sein, dass eine im Land zunehmend unbeliebte afghanische Regierung Karsai, die schwach ist ohne äußere Unterstützung, gleichberechtigt mit den im Prinzip politisch siegreichen Taliban, obwohl sie militärisch natürlich weiter schwach sind, verhandeln werden können. Das ist einfach eine Vorstellung, die hat man, die man einfach nicht ernst nehmen könnte.
Grieß: Die Taliban, haben Sie gesagt, versuchen, sich in Position zu bringen für die Zeit nach 2014, nach dem Abzug der westlichen Kampftruppen. Können wir das noch ein bisschen genauer fassen, was für eine Position das sein soll, die die Taliban erreichen wollen?
Grieß: Die erste ist jetzt eben die der formellen Akzeptierung als Gleichberechtigte. Die Verhandlungen, von denen Herr Karsai immer gesprochen hat und wo die USA lange mitgemacht haben, waren, dass die Taliban die Waffen niederlegen sollen und dass die Taliban die afghanische Verfassung respektieren und akzeptieren sollen, und dann könnte man ja in Gespräche und Verhandlungen eintreten. Das ist natürlich eine Verhandlungsposition, die Verhandlungen unmöglich macht. Wenn eine Kriegspartei, weil wir haben noch eine Kriegssituation, wenn eine Kriegspartei Verhandlungen nur unter der Voraussetzung führen möchte, dass die andere vorher aufgeben und sich entwaffnen soll, dann ist das mehr für Propaganda, aber natürlich nicht für eine Verständigung, und die Taliban wollen im ersten Schritt tatsächlich gleichberechtigt mit der US-Regierung, gleichberechtigt mit der afghanischen Regierung anerkannt werden. In dem zweiten Schritt, ist mein Eindruck, dass es ihnen einfach darum geht, Zeit zu gewinnen, weil wenn die NATO erst mal draußen ist, und wenn in Europa und Amerika das Interesse an Afghanistan abnehmen wird und dann auch die Unterstützung für Karsai finanziell und militärisch sinken wird, dann ist die Erwartung relativ hoch, dass das Karsai-Regime einfach zerbröseln wird, wie früher die Regierung Nadschibullah nach dem Abzug der Sowjetunion einfach zerbröselt ist. Die sind ja nie militärisch besiegt worden, sondern die sind einfach zerbröckelt.
Grieß: Herr Hippler, ich nehme an, dieses Szenario, das Sie uns schildern, wird in den Köpfen der Vereinigten Staaten, der Regierungszentralen durchaus mitgedacht. Aber warum setzen sich die Vereinigten Staaten dann doch noch an einen Verhandlungstisch mit den Taliban?
Hippler: Aus diesem taktischen Grund, warum auch damals die Sowjetunion bei diesem Abzugsprozess mitgemacht hat, der einfach auch ihre Niederlage ratifiziert hat. Die USA sehen nicht mehr ein, unter vertretbaren Kosten – und es geht jetzt um militärische Kosten, um finanzielle Kosten, aber auch politische Kosten. Das heißt, einen Krieg gegen die Taliban zu gewinnen, würde eine massive Eskalation des Militärs bis auf 400, 500.000 US-Soldaten voraussetzen. Das ist einfach unrealistisch, das ist in der amerikanischen Gesellschaft nicht mehr durchsetzbar. Und wenn das nicht durchsetzbar ist und man den Krieg militärisch nicht gewinnen kann, man den Krieg politisch nicht gewinnen kann, weil die Unterstützung Karsais in der afghanischen Gesellschaft nicht funktioniert hat, weil Karsai jetzt fast so verhasst ist wie die Taliban, was soll man machen. Da bleibt einfach nur der Abzug, und der Abzug muss aber so organisiert werden, dass man Gesicht wahrt, genau wie die Sowjetunion nicht einseitig abgezogen ist, offiziell, sondern aufgrund eines halben Friedensabkommens mit den USA, Pakistan und Afghanistan. Genauso wollen jetzt NATO und USA den Abzug so organisieren, dass die Schuld am eigenen Scheitern den Afghanen und nicht der NATO und den USA nachher auf den Tisch gelegt wird.
Grieß: Lassen Sie uns im letzten Abschnitt dieses Gesprächs noch einmal schauen auf die Rolle Katars. Das Land ist ja nicht nur demnächst, in einigen Jahren Gastgeberland der Fußball-WM, geriert sich als ein Hort von Medienberichterstattung mit dem Sender Al Jazeera. Aber dort finden ja auch solche Gespräche statt. Welche Rolle spielt dieses verhältnismäßig kleine arabische Land?
Hippler: Ganz faszinierende Frage, weil in den letzten Jahren wirklich dieses winzige Katar aufgrund von seinem Reichtum – das ist ja eines der reichsten Länder der Welt – und aufgrund des politischen Aktivismus seiner Herrscher im Syrien-Konflikt, damals in Libyen, jetzt in Afghanistan, in Ägypten (sie haben gerade fünf Milliarden Dollar spendiert, um die ägyptische Regierung zu stützen) eine ganz bedeutende regionale Rolle spielt. Da glaube ich, dass einerseits das kleine Katar eine sehr ambitionierte Entwicklungspolitik nach innen macht, autoritär offensichtlich, aber sehr massiv modernisierend – ich bin gerade zurückgekommen aus Katar -, und gleichzeitig aber in der Region wirklich insgesamt eine Führungsrolle übernimmt, die man normalerweise eher von Saudi-Arabien oder von externen Ländern vermutet hat oder vom Iran, und das ist wirklich interessant. Das führt jetzt aber auch schon zu Reibereien mit Saudi-Arabien und teilweise auch mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, weil man da das Gefühl hat, dass die wesentlich aktiver und dominierender sind, als so einem Kleinstaat das zukommt. Das ist wirklich, jetzt auch Afghanistan, ein neues Beispiel dafür, man ist völlig fasziniert, was Katar im Moment macht, sie sind gerade dabei, die deutsche Solarindustrie zu retten, spendieren Libyen Geld, und das ist im Moment wirklich sehr, sehr ambitioniert.
Grieß: Jochen Hippler war das, Politikwissenschaftler, Friedensforscher an der Universität Duisburg. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit.
Hippler: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.