Peter Kapern: Die Zahlen sind beeindruckend: 100 Delegationen sind angereist, 1.000 Delegierte haben sie mitgebracht, unter ihnen allein 60 Außenminister. Aber führt die Zusammenballung von politischer Macht und Kompetenz auch wirklich zu einem tragfähigen Ergebnis? – Die Rede ist von der Afghanistan-Konferenz, die heute in Bonn beginnt. Die politischen Koordinaten sind klar: die internationalen Truppen wollen zehn Jahre nach dem Einmarsch das Land am Hindukusch verlassen. Völlig offen ist aber, ob die dort installierte Regierung von Präsident Karsai diesen Abzug überleben kann, oder ob das Land vor einer neuen Schreckensherrschaft der Taliban und der Warlords steht.
Mitgehört hat Thomas Ruttig, Ko-Vorsitzender des Afghanistan Analysts Network, eines Zusammenschlusses von Afghanistan-Kennern und –Forschern. Guten Morgen, Herr Ruttig.
Thomas Ruttig: Guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern: Es scheint ja, zwei Grundvoraussetzungen für einen Frieden in Afghanistan zu geben, Herr Ruttig. Erstens muss Pakistan eine konstruktivere Rolle spielen als bisher und zweitens müssen die Taliban in eine Lösung des Dauerkonflikts eingebunden werden. Nun sitzen beide, Pakistan und die Taliban, in Bonn nicht mit am Tisch. Ist die Konferenz also Geldverschwendung?
Ruttig: Ich glaube, das wäre etwas zu krass gesagt. Als die Konferenz konzipiert wurde, war die Situation noch etwas anders. Es gab Anlass zu gewissen Hoffnungen, dass die Taliban sich bewegen könnten in Richtung Bereitschaft zu einer Verhandlungslösung und dass man neben Pakistan ja auch die anderen Nachbarstaaten stärker einbeziehen könnte, was Zusagen betrifft, sich nicht gegenseitig in die Angelegenheiten einzumischen, was die diplomatische Umschreibung dafür ist, dass Pakistan die Taliban nicht weiter unterstützen soll, von seinem eigenen Territorium aus nach Afghanistan hineinzuwirken. Das ist nun an diesem unglücklichen Grenzzwischenfall zwischen den US- und den pakistanischen Truppen gescheitert und es ist auch bereits vorher gescheitert daran, dass man nicht geschafft hat, wirklich wirkungsvolle Kanäle in Richtung der Taliban zu öffnen, wo es allerdings auch gute Ansätze gegeben hatte.
Kapern: Wie sehen Sie denn die Chancen für die Einbindung der Taliban? Es heißt ja immer, wenigstens die gemäßigten könnten eingebunden werden.
Ruttig: Ja, da gibt es zwei Punkte zu nennen. Zum einen denke ich, dass es nicht grundsätzlich unmöglich ist, die Taliban zu einer politischen Lösung zu bewegen. Es hat in den vergangenen zehn Jahren immer wieder Versuche gegeben, auch von Seiten der Taliban ins Gespräch zu kommen. Aber gleich nach dem Sturz ihres Regimes war es zu Zeiten von Präsident Bush in den USA die "Politik", nicht mit Terroristen zu reden, als es vielleicht noch leichter möglich gewesen wäre, die Taliban einzubinden, denn sie waren militärisch geschwächt nach 2001. Und dann hat die Truppenaufstockung unter Präsident Obama Anfang 2009 auch Türen zugeschlagen, die von den Taliban eher als Kriegserklärung denn als Gesprächsangebot gesehen worden ist.
Zweitens: Die Taliban sind eine relativ einheitliche Bewegung. Es sind zwar unterschiedliche Kräfte, aber im Grunde sind sie politisch und ideologisch jetzt relativ einheitlich. Dazu hat auch der militärische Druck beigetragen.
Dann hat es den Mord am Vorsitzenden des Hohen Friedensrates in Afghanistan gegeben, auch ein ehemaliger Staatspräsident, Professor Rabbani, welcher interpretiert worden ist als im Grunde Nein der Taliban zu Gesprächen. Aber auch das ist, glaube ich, etwas zu weitgehend. Kleine Gruppen von Taliban können natürlich versucht haben, möglicherweise mit Unterstützung bestimmter pakistanischer Kräfte, genau Ansätze dieses Gesprächsprozesses aus der Bahn zu werfen, und das scheint nun erstmal gelungen zu sein.
Kapern: Herr Ruttig, wir alle haben noch die Bilder im Kopf, die es aus dem Afghanistan gab, das von den Taliban kontrolliert wurde, wie Menschen da an Torpfosten, an Latten von Fußballtoren aufgeknüpft wurden, ähnliche grausame Dinge. Nun sagen Sie, die Taliban sind eine einheitliche Bewegung. Darf man die überhaupt an der Macht in Afghanistan beteiligen, oder liefert man damit das Land wieder einer Schreckensherrschaft aus?
Ruttig: Wir haben hier in Bonn ja schon die Konferenz der afghanischen Zivilgesellschaft gehabt, auch eine wichtige, aber bisher nicht ausreichend gehörte Stimme. Die haben sich dafür ausgesprochen, eine politische Lösung anzustreben, aber nicht eine politische Lösung, die einem Ausverkauf gleichkommt, also nicht vor den Taliban zu kapitulieren. Aber die sagen damit natürlich auch, wir kommen an den Taliban nicht vorbei, und sie sagen im Grunde auch dasselbe, was Außenminister Westerwelle gesagt hat, dass eine militärische Lösung nicht funktioniert hat und dass man deswegen nach einer politischen Lösung suchen muss. Da hat man relativ spät mit angefangen, viel Zeit ist verloren gegangen, aber es sind noch einige Jahre Zeit, in denen man das verfolgen kann. Man darf jetzt nicht überstürzt daran gehen und nicht erwarten, dass sich Erfolge in ein paar Wochen einstellen. Das ist ein schwieriger Prozess. Und wie Sie sagen: die Taliban sind auch keine liberale Bewegung. Aber es hat gewisse Bewegungen gegeben, die Taliban haben bestimmte Positionen gemäßigt.
Kapern: Was ist denn, Herr Ruttig, Ihr wahrscheinlichstes Szenario für die Zeit nach dem Abzug der internationalen Truppen?
Ruttig: Das Szenario ist, dass es sehr, sehr schwierig wird. Der Zeitpunkt 2014 ist aus innenpolitischen Erwägungen in den westlichen Ländern festgelegt worden. Das hat natürlich den Taliban auch Türen geöffnet zu sagen, wir müssen vielleicht gar nicht verhandeln, wir warten einfach, bis die abziehen, dann versuchen wir, die Sache militärisch zu regeln.
Kapern: Läuft das auf einen Bürgerkrieg hinaus?
Ruttig: Es ist möglich, dass es zu einem Bürgerkrieg kommen wird.
Kapern: Thomas Ruttig war das, der Ko-Vorsitzende des Afghanistan Analysts Network, eines Zusammenschlusses von Afghanistan-Kennern und –Forschern. Herr Ruttig, vielen Dank, dass Sie sich heute Morgen für uns Zeit genommen haben.
Ruttig: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mitgehört hat Thomas Ruttig, Ko-Vorsitzender des Afghanistan Analysts Network, eines Zusammenschlusses von Afghanistan-Kennern und –Forschern. Guten Morgen, Herr Ruttig.
Thomas Ruttig: Guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern: Es scheint ja, zwei Grundvoraussetzungen für einen Frieden in Afghanistan zu geben, Herr Ruttig. Erstens muss Pakistan eine konstruktivere Rolle spielen als bisher und zweitens müssen die Taliban in eine Lösung des Dauerkonflikts eingebunden werden. Nun sitzen beide, Pakistan und die Taliban, in Bonn nicht mit am Tisch. Ist die Konferenz also Geldverschwendung?
Ruttig: Ich glaube, das wäre etwas zu krass gesagt. Als die Konferenz konzipiert wurde, war die Situation noch etwas anders. Es gab Anlass zu gewissen Hoffnungen, dass die Taliban sich bewegen könnten in Richtung Bereitschaft zu einer Verhandlungslösung und dass man neben Pakistan ja auch die anderen Nachbarstaaten stärker einbeziehen könnte, was Zusagen betrifft, sich nicht gegenseitig in die Angelegenheiten einzumischen, was die diplomatische Umschreibung dafür ist, dass Pakistan die Taliban nicht weiter unterstützen soll, von seinem eigenen Territorium aus nach Afghanistan hineinzuwirken. Das ist nun an diesem unglücklichen Grenzzwischenfall zwischen den US- und den pakistanischen Truppen gescheitert und es ist auch bereits vorher gescheitert daran, dass man nicht geschafft hat, wirklich wirkungsvolle Kanäle in Richtung der Taliban zu öffnen, wo es allerdings auch gute Ansätze gegeben hatte.
Kapern: Wie sehen Sie denn die Chancen für die Einbindung der Taliban? Es heißt ja immer, wenigstens die gemäßigten könnten eingebunden werden.
Ruttig: Ja, da gibt es zwei Punkte zu nennen. Zum einen denke ich, dass es nicht grundsätzlich unmöglich ist, die Taliban zu einer politischen Lösung zu bewegen. Es hat in den vergangenen zehn Jahren immer wieder Versuche gegeben, auch von Seiten der Taliban ins Gespräch zu kommen. Aber gleich nach dem Sturz ihres Regimes war es zu Zeiten von Präsident Bush in den USA die "Politik", nicht mit Terroristen zu reden, als es vielleicht noch leichter möglich gewesen wäre, die Taliban einzubinden, denn sie waren militärisch geschwächt nach 2001. Und dann hat die Truppenaufstockung unter Präsident Obama Anfang 2009 auch Türen zugeschlagen, die von den Taliban eher als Kriegserklärung denn als Gesprächsangebot gesehen worden ist.
Zweitens: Die Taliban sind eine relativ einheitliche Bewegung. Es sind zwar unterschiedliche Kräfte, aber im Grunde sind sie politisch und ideologisch jetzt relativ einheitlich. Dazu hat auch der militärische Druck beigetragen.
Dann hat es den Mord am Vorsitzenden des Hohen Friedensrates in Afghanistan gegeben, auch ein ehemaliger Staatspräsident, Professor Rabbani, welcher interpretiert worden ist als im Grunde Nein der Taliban zu Gesprächen. Aber auch das ist, glaube ich, etwas zu weitgehend. Kleine Gruppen von Taliban können natürlich versucht haben, möglicherweise mit Unterstützung bestimmter pakistanischer Kräfte, genau Ansätze dieses Gesprächsprozesses aus der Bahn zu werfen, und das scheint nun erstmal gelungen zu sein.
Kapern: Herr Ruttig, wir alle haben noch die Bilder im Kopf, die es aus dem Afghanistan gab, das von den Taliban kontrolliert wurde, wie Menschen da an Torpfosten, an Latten von Fußballtoren aufgeknüpft wurden, ähnliche grausame Dinge. Nun sagen Sie, die Taliban sind eine einheitliche Bewegung. Darf man die überhaupt an der Macht in Afghanistan beteiligen, oder liefert man damit das Land wieder einer Schreckensherrschaft aus?
Ruttig: Wir haben hier in Bonn ja schon die Konferenz der afghanischen Zivilgesellschaft gehabt, auch eine wichtige, aber bisher nicht ausreichend gehörte Stimme. Die haben sich dafür ausgesprochen, eine politische Lösung anzustreben, aber nicht eine politische Lösung, die einem Ausverkauf gleichkommt, also nicht vor den Taliban zu kapitulieren. Aber die sagen damit natürlich auch, wir kommen an den Taliban nicht vorbei, und sie sagen im Grunde auch dasselbe, was Außenminister Westerwelle gesagt hat, dass eine militärische Lösung nicht funktioniert hat und dass man deswegen nach einer politischen Lösung suchen muss. Da hat man relativ spät mit angefangen, viel Zeit ist verloren gegangen, aber es sind noch einige Jahre Zeit, in denen man das verfolgen kann. Man darf jetzt nicht überstürzt daran gehen und nicht erwarten, dass sich Erfolge in ein paar Wochen einstellen. Das ist ein schwieriger Prozess. Und wie Sie sagen: die Taliban sind auch keine liberale Bewegung. Aber es hat gewisse Bewegungen gegeben, die Taliban haben bestimmte Positionen gemäßigt.
Kapern: Was ist denn, Herr Ruttig, Ihr wahrscheinlichstes Szenario für die Zeit nach dem Abzug der internationalen Truppen?
Ruttig: Das Szenario ist, dass es sehr, sehr schwierig wird. Der Zeitpunkt 2014 ist aus innenpolitischen Erwägungen in den westlichen Ländern festgelegt worden. Das hat natürlich den Taliban auch Türen geöffnet zu sagen, wir müssen vielleicht gar nicht verhandeln, wir warten einfach, bis die abziehen, dann versuchen wir, die Sache militärisch zu regeln.
Kapern: Läuft das auf einen Bürgerkrieg hinaus?
Ruttig: Es ist möglich, dass es zu einem Bürgerkrieg kommen wird.
Kapern: Thomas Ruttig war das, der Ko-Vorsitzende des Afghanistan Analysts Network, eines Zusammenschlusses von Afghanistan-Kennern und –Forschern. Herr Ruttig, vielen Dank, dass Sie sich heute Morgen für uns Zeit genommen haben.
Ruttig: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.