Hama vor einer Woche. Im Stadtteil Bab Qibli liegen Tote auf der Straße. Als sie erschossen wurden, trugen sie Handschellen. Die Toten waren Gefangene. Und alles deutet auf eine Hinrichtung hin.
Anas sitzt in einer deutschen Kleinstadt am Computer, seine Mine ist starr. Auf ihn wirken die Bilder doppelt schrecklich. Denn sie zeigen nicht nur, was in seiner Heimatstadt Hama in diesen Tagen passiert, sie wecken auch Erinnerungen an das, was dort vor 30 Jahren geschah. Im Februar 1982 erstürmten Regierungstruppen die Stadt und wüteten dort drei Wochen lang – am Ende waren 20.000 Menschen tot, so die vorsichtigen Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen. Das Massaker von Hama zählt bis heute zu den schlimmsten Verbrechen im Nahen Osten des 20. Jahrhunderts. Dabei ist es noch gar nicht richtig dokumentiert und aufgearbeitet.
Anas sagt, er habe Angst, dass sich die Geschichte wiederholt. Seit einer Woche kann er seinen Vater nicht erreichen, weil in dessen Stadtteil in Hama regelmäßig Telefon und Strom abgestellt werden. Stattdessen spricht Anas mit seiner Tante, die ebenfalls in Hama wohnt. Was sie erzählt, ist beunruhigend.
"Wir versuchen, da wo das Ganze Bombardement und die Schießerei stattfindet, anzurufen, da ist nichts. Da sind die Telefone tot. Wenn du aus dem Fenster schaust, ist dort alles im Dunkeln, und wir haben so viele Soldaten und Panzer auf der Straße, da traut sich keiner hinzugehen und zu sagen, ich gucke mal, was um die Ecke passiert."
Anas ist 45 Jahre alt, mehr als die Hälfte seines Lebens hat er in Deutschland verbracht. Er ist Manager in der Automobilbranche, ein feingliedriger Mann mit intellektueller Metallbrille. Anas heißt in Wirklichkeit anders. Er will anonym bleiben, um seine Familie in Syrien nicht zu gefährden. Neben seinem Vater in Hama hat er Geschwister und Cousinen in den Vororten von Damaskus. Auch dort wird demonstriert und gekämpft, auch dort gibt es jeden Tag Tote.
"Sie berichten von massiven militärischen Angriffen, von Panzern in den Straßen, vom Bombardement, von Massenverhaftungen, Erschießungen, Leichen auf den Straßen. Und das erinnert mich an damals, dieses brutale Vorgehen."
Die Ereignisse in Syrien im Februar 2012 gleichen auf fatale Weise den Ereignissen von vor 30 Jahren. Panzer gegen Zivilisten – damals wie heute. Doch anders als heute gab es damals nur ein einziges Massaker – heute gibt es täglich Tote im ganzen Land: Viele kleinere Massaker, wie Anas sagt. Doch der wichtigste Unterschied liegt in der Vorgeschichte.
Rückblende.
Als sich 1970 der damalige Verteidigungsminister Hafiz al-Assad unblutig an die Macht putscht, hat es in Syrien zum ersten Mal ein Vertreter der Unterschicht an die Spitze der Macht geschafft. Assad kommt vom Land, er gehört zu der traditionell benachteiligten schiitischen Minderheit der Alawiten und er nutzt die Ideologie der Baath-Partei, eine Mischung aus Sozialismus und arabischem Nationalismus, um Syrien zu stabilisieren und zu einer selbstbewussten Nation zu machen.
Doch schon bald verrät die Baath-Partei ihre eigenen Ideale. Im Laufe der 1970er-Jahre entsteht ein Netzwerk aus Korruption und Vetternwirtschaft, Regimevertreter bereichern sich schamlos. Der Unmut wächst, vor allem bei den gesellschaftlichen Verlierern. Das städtische Bürgertum büßt politischen Einfluss ein, alteingesessene Händler kämpfen mit neureichen Emporkömmlingen und religiöse Autoritäten versinken angesichts des dominanten säkularen Klimas in der Bedeutungslosigkeit.
Das alles ist der Nährboden für eine immer aktivere islamistische Opposition. Die Partei der Muslimbrüder gibt den konservativen Sunniten eine Stimme und gewinnt vor allem in Aleppo und Hama Anhänger. In Damaskus dagegen gelingt es Präsident Assad, den Einfluss der Muslimbrüder zu begrenzen, indem er wichtige sunnitische Gesellschaftskreise wirtschaftlich an sich bindet. Dieses enge Verhältnis besteht bis heute – deshalb wendet sich die Geschäftselite der Hauptstadt auch in der jetzigen Krise nicht offen vom Regime ab.
Mit Assads Machtübernahme beginnt der Aufstieg der Alawiten. Viele verlassen ihre Heimat im bergigen Hinterland der Mittelmeerküste, wo sie über Jahrhunderte Schutz vor Verfolgung gesucht haben, und gehen in die Städte. Dort finden sie Anstellung in der öffentlichen Verwaltung, in den Geheimdiensten und im Militär – bis heute sind Alawiten in den staatlichen Sicherheitskräften überproportional vertreten.
Diese neue Machtkonstellation lässt aus Opfern Täter werden. Minderwertigkeitskomplexe und Rachegefühle treiben die alawitischen Geheimdienstmitarbeiter an, wenn sie die meist gut ausgebildeten sunnitischen Islamisten zu fassen kriegen, meint Anas. Er erzählt von seinem Cousin, der 1979 für ein Jahr und acht Monate inhaftiert war.
"Eine psychische Folter, nicht nur körperlich, auch psychisch. Die haben ihm gesagt: "Du bist doch so ein Besserwisser, so ein Studierender, so ein Schlauer und wir sind hier die Idioten, wir zeigen es dir jetzt mal. Hier. Wo ist die Ecke von diesem Kreis?" "Der Kreis hat keine Ecke." Schläge. "Das ist die Ecke, willst du uns für blöd halten? Meinst du wir sind immer noch Bauern und so was?" Solche primitiven Dinge. Ich habe seinen Rücken gesehen, seine Fingernägel gesehen. Es läuft mir immer noch kalt den Rücken runter, wenn ich mich daran erinnere."
Seine zweite Verhaftung überlebt Anas´ Cousin nicht. So wie die meisten aus Hama stammenden Männer seiner Generation den Machtkampf zwischen Muslimbrüdern und Assad-Regime nicht überleben.
In seiner politisch aktiven Familie bekommt Anas vieles mit, ohne selbst beteiligt zu sein. Einige ältere Cousins schließen sich der Tali´a Al Muqatila an, dem bewaffneten islamistischen Widerstand, der sich als – so die wörtliche Übersetzung – "kämpfende Vorhut" der Muslimbrüder versteht. Mit gezielten Attentaten auf Regierungsvertreter und mit Bombenanschlägen auf öffentliche Gebäude und Militäreinrichtungen fordern die Islamisten das säkulare Baath-Regime heraus.
Präsident Assad schlägt brutal zurück. Unmittelbar nach einem Mordanschlag, den er knapp überlebt, stellt er die Mitgliedschaft bei den Muslimbrüdern per Dekret unter Todesstrafe – ein Freibrief zum Töten, der bis heute gilt. Hunderte inhaftierter Muslimbrüder werden in ihren Gefängniszellen massakriert, in Aleppo und Hama werden Männer und Jungen über 14 Jahren willkürlich zusammengetrieben und kurzerhand erschossen.
"Die wollten Hama zu einem offenen Krieg zwingen, denn sie litten seit Mitte der 60er-Jahre an dieser Stadt und irgendwann muss Schluss sein."
Der offene Krieg beginnt in der Nacht zum 2. Februar 1982. Eine Einheit der Armee greift in der Altstadt von Hama Verstecke der Muslimbrüder an. Hunderte Kämpfer schlagen die Soldaten zunächst in die Flucht, erstürmen Regierungsgebäude, töten führende Parteifunktionäre und erklären Hama am Vormittag des 2. Februar für befreit. Ein Schock für das Regime in Damaskus. Es rüstet sich für die alles entscheidende Schlacht gegen die Islamisten. Für Assad geht es nicht mehr darum, sie zu besiegen, sondern sie zu vernichten.
Was folgt, ist ein dreiwöchiger Albtraum. Ein Albtraum, aus dem auch Abdelghani Sibahi noch heute aufschreckt. Der über 50jährige ist damals Mitglied der syrischen Spezialeinheiten, ihr Auftrag lautet, alle Bewohner von Hama zu töten.
"Wir fragen nicht nach den Namen und Überzeugungen. Egal ob Sunniten, Schiiten, Alawiten, Mädchen, Jungen, Alte – wir töten jeden. Wir gehen von Straße zu Straße, treiben die Menschen aus den Häusern und stellen sie am Ende der Straße auf, um sie zu erschießen. Manchmal 200, manchmal 400 manchmal 600. Ich sehe das alles noch vor mir. Ich schwöre bei meinen Kindern, manchmal wache ich nachts auf und weine."
Sibahis Aussagen decken sich mit den Berichten von Augenzeugen, die Menschenrechtsorganisationen dokumentiert haben. Und mit dem, was Anas von seinen Verwandten gehört hat. Anas selbst gelingt gleich zu Beginn des Massakers die Flucht aus Hama, er ist der einzige Mann seiner Familie im wehrfähigen Alter, der die Stadt lebend verlässt.
Hama bleibt in Schutt und Asche zurück. Die historische Altstadt, ein UNESCO-Weltkulturerbe, ist für immer verloren, Moscheen und Kirchen wurden systematisch zerstört. Etwa 20.000 Menschen sind tot, Zehntausende werden verhaftet oder gelten als verschwunden, viele von ihnen kehren nie zurück.
Hama wird zum Trauma einer ganzen Nation. Und zum Tabu. Die Stadt selbst wird in kürzester Zeit wieder aufgebaut, die Spuren beseitigt. Über die gesellschaftlichen Narben legt sich ein Mantel des Schweigens. Ein kollektives Schweigen.
"Wenn du sagst, ich bin aus Hama, dann ist erst mal Totenstille. Hama steht für eine Lehre, die erteilt wurde und wenn es erwähnt wird, möchte keiner mehr der Nächste sein und dann verstummen einfach die Stimmen."
Das Regime macht bis heute die Muslimbrüder für die Gewalt verantwortlich. 1983, ein Jahr nach Hama, spricht Hafiz Al-Assad vor Anhängern über deren Verbrechen.
Auf Arabisch spielt Assad dabei mit den Worten und bezeichnet die "muslimischen Brüder" als "kriminelle Brüder", die im Namen des Islam Frauen, Kinder und Alte töteten.
Syrien ist das einzige Land der Region, in dem die Partei der Muslimbrüder faktisch ausgelöscht wird. Aktive Mitglieder werden getötet, Anhänger verhaftet, und wer der Verfolgung entkommt, flieht ins Ausland. Wer innerhalb des Landes mit ihnen sympathisiert, hält den Mund – schließlich steht noch immer die Todesstrafe auf Unterstützung der Muslimbrüder. Deshalb ist es schwierig einzuschätzen, welchen Rückhalt sie derzeit noch in der syrischen Gesellschaft haben. In einem Interview mit dem arabischen Sender Al-Jazeera gibt sich ihr Vorsitzender Mohammed Riad Al Shaqfa zuversichtlich.
"Wir Muslimbrüder existieren nur außerhalb Syriens, wir haben keine Vertreter im Land. Aber das bedeutet nicht, dass wir keine Unterstützung in der syrischen Gesellschaft haben. Das syrische Volk ist in der Mehrheit religiös, wenn wir anfangen, uns ins Syrien zu organisieren, werden viele mit uns zusammenarbeiten."
Shaqfa lebt in der Türkei, wo sich die syrische Auslandsopposition seit Monaten organisiert. Innerhalb des syrischen Nationalrats, des wichtigsten Oppositionsbündnisses außerhalb Syriens, stellen die Muslimbrüder die größte Fraktion, manchen ist ihr Einfluss schon jetzt zu dominant. Vor allem die Minderheiten in Syrien – Christen, Alawiten, Drusen und andere – fürchten sich vor der islamischen Agenda einer sunnitischen Mehrheit. Generalsekretär Shaqfa bemüht sich, diese Befürchtungen zu zerstreuen.
"Wir als Muslimbrüder werden die Rechte der Minderheiten verteidigen. Die Gesetze und die Verfassung in einem demokratischen Staat unterscheiden nicht zwischen Sunniten, Christen oder Alawiten – sie sind alle Bürger mit gleichen Rechten."
Anas überzeugen solche Aussagen nicht. Er vermisst bei den Muslimbrüdern eine ehrliche und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit in Syrien. Parteichef Shaqfa, der sich schon seit den 70er-Jahren im Ausland aufhält, distanziert sich vom islamistischen Terror von einst und behauptet, die Anschläge seien damals von eigenständigen Zellen verübt worden, die offiziell gar nicht zu den Muslimbrüdern gehörten. Für Anas ist das ein Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Doch die Muslimbrüder haben gerade andere Sorgen, schließlich werden sie auch jetzt wieder für die Gewalt verantwortlich gemacht.
Präsident Bashar Al-Assad hat zwar nicht das kämpferische Auftreten seines Vaters, bedient sich aber der gleichen Rhetorik. Auch 30 Jahre nach Hama beschwört er die islamistische Gefahr: Vom Ausland gesteuerte Terrorgruppen wollten Syrien zerstören, behauptet er ein ums andere Mal. Doch im Gegensatz zu damals geht die Propaganda heute völlig an der Realität vorbei.
Nicht bewaffnete Terroristen, sondern friedliche Demonstranten, die von Deserteuren unterstützt werden, fordern das Assad-Regime seit elf Monaten heraus. Während damals eine radikale sunnitische Minderheit ein islamisches Staatswesen wollte, fordern heute Syrer aller Religionen und sozialen Schichten Freiheit und Demokratie. Kurz: Vor 30 Jahren bekämpfte eine islamistische Partei ein säkulares Regime, heute befreit sich das breite Volk von einer Diktatur.
Bashar al-Assad will diese Realität nicht wahrhaben und flüchtet sich in Verschwörungstheorien. Belügt er sich selbst? Glaubt er noch an den Machterhalt? Oder ist der 45jährige Augenarzt gefangen in einem System, dessen Führung jetzt nur noch gemeinsam siegen oder sterben kann? Für Anas steht fest: Der syrische Präsident ist überfordert und wird diese Krise politisch nicht überstehen. Überrascht ist er davon nicht, vor allem wenn er an seine Begegnung mit Bashar al-Assad im Sommer 1982 denkt. Nur wenige Monate nach dem Massaker in Hama nehmen die beiden Altersgenossen an einem militärischen Trainingscamp teil, das für alle Jugendlichen eines Jahrgangs verpflichtend ist – auch für den Sohn des Präsidenten.
"Ich habe ihn als eine graue Figur wahrgenommen. Das ist ein Mensch, den du nicht zur Kenntnis nimmst. Er hat keine Präsenz, keine Aura."
Dass sich Bashar al-Assad immer noch an der Macht halten kann, liegt vor allem an dem Sicherheitsapparat, den er von seinem Vater geerbt hat. Nach der Erfahrung mit den Islamisten in den 1980er-Jahren schuf Hafiz al-Assad ein System aus konkurrierenden Geheimdiensten, loyalen Militärverbänden und Spezialeinheiten, die einzelnen Familienmitgliedern direkt unterstellt sind. Dieses Netzwerk schützt Bashar al-Assad bis heute vor Putschversuchen und Verwerfungen innerhalb der Führungsspitze.
Doch weiter unten in der Hierarchie knirscht es. Jeden Tag verlassen weitere Soldaten die regulären Streitkräfte und schließen sich der Freien Syrischen Armee an.
Inzwischen desertieren nicht mehr einzelne Soldaten, sondern zum Teil ganze Brigaden mit ihren Befehlshabern. Statt auf das eigene Volk zu schießen, wollten sie es ab sofort beschützen, erklärt ein Major namens Ali Ayub in der Provinz Homs, etwa 40 Soldaten stehen hinter ihm und schwören einen neuen Eid auf den Sturz des Regimes.
Noch ist die "Freie Syrische Armee" eher ein Sammelbecken für Deserteure. Sie besteht aus einzelnen Kampfeinheiten, die keiner zentralen Befehlsgewalt unterstehen, sondern autonom agieren. Zunehmend gelingt es den Deserteuren, einzelne Stadtteile oder Ortschaften vorübergehend unter ihre Kontrolle zu bringen – auch in den Randbezirken der Hauptstadt Damaskus. Zwar erobert die Armee diese Gebiete regelmäßig zurück, aber die Kämpfe zeigen, dass die "Freie Syrische Armee" stärker wird. Von Bürgerkrieg mag Suheir Al Atassi in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Die bekannte Oppositionelle ist vor kurzem ins Ausland geflohen und betont, dass sich bei den Auseinandersetzungen nicht bewaffnete Zivilisten, sondern Soldaten gegenüber stehen.
"Wir können die Freie Syrische Armee nicht als "bewaffnete Gruppen" oder "Aufständische" bezeichnen. Sie besteht aus regulären Soldaten, die wie alle Syrer Geiseln einer herrschenden Familie waren. Jetzt befreien sie sich und besinnen sich ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich das Volk zu beschützen und nicht das Assad-Regime zu verteidigen."
Nicht nur Soldaten kehren dem Regime den Rücken, sondern auch andere Bevölkerungsgruppen, die bis vor kurzem noch an Bashar al-Assad glaubten. Vor allem in der Hauptstadt dreht sich die Stimmung, erzählen Syrer, die Damaskus gerade verlassen haben. Die Gewalt wirke so schockierend, dass sich selbst Regierungsvertreter, Beamte und Geschäftsleute innerlich abwenden. Diese Damaszener sieht man zwar nicht auf der Straße, aber viele unterstützen die Revolution heimlich. Reiche Unternehmer finanzieren die Auslandsopposition, wer beruflich verreist, schmuggelt Filmmaterial außer Landes. Frauen sammeln Geld für die Familien getöteter Demonstranten. Dieser gesellschaftliche Zusammenhalt erinnert Anas an früher.
"Das sind für mich die bewegendsten Bilder, wenn einer auf der Straße fällt und der andere unter seinem Lebenseinsatz hingeht und sagt, den ziehe ich jetzt aus der Schusslinie raus. Aus Beistand zu der Familie, die einen Menschen verloren hat, gehe ich auf dessen Beerdigung, um ihnen zu zeigen, ihr steht nicht allein. Und ich riskiere mein Leben."
Diese Bilder von Beerdigungszügen und Protesten erreichen die Welt fast in Echtzeit, aus unscharfen und grobkörnigen Videoclips ist im Laufe der vergangenen Monate professionelles Beweismaterial geworden. Während über das Massaker in Hama 1982 nur sporadisch Nachrichten nach außen drangen, ist die ganze Welt heute Zeuge der Gewalt in Syrien.
Dennoch scheint die internationale Staatengemeinschaft zum Zuschauen verdammt zu sein. Die Arabische Liga ist mit ihrer Beobachtermission gescheitert, der Weltsicherheitsrat durch Assads Verbündete Russland und China blockiert. Militärisch will sich in Syrien niemand die Finger verbrennen. Und so sind die Syrer bis heute allein auf sich gestellt.
Anas sitzt in einer deutschen Kleinstadt am Computer, seine Mine ist starr. Auf ihn wirken die Bilder doppelt schrecklich. Denn sie zeigen nicht nur, was in seiner Heimatstadt Hama in diesen Tagen passiert, sie wecken auch Erinnerungen an das, was dort vor 30 Jahren geschah. Im Februar 1982 erstürmten Regierungstruppen die Stadt und wüteten dort drei Wochen lang – am Ende waren 20.000 Menschen tot, so die vorsichtigen Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen. Das Massaker von Hama zählt bis heute zu den schlimmsten Verbrechen im Nahen Osten des 20. Jahrhunderts. Dabei ist es noch gar nicht richtig dokumentiert und aufgearbeitet.
Anas sagt, er habe Angst, dass sich die Geschichte wiederholt. Seit einer Woche kann er seinen Vater nicht erreichen, weil in dessen Stadtteil in Hama regelmäßig Telefon und Strom abgestellt werden. Stattdessen spricht Anas mit seiner Tante, die ebenfalls in Hama wohnt. Was sie erzählt, ist beunruhigend.
"Wir versuchen, da wo das Ganze Bombardement und die Schießerei stattfindet, anzurufen, da ist nichts. Da sind die Telefone tot. Wenn du aus dem Fenster schaust, ist dort alles im Dunkeln, und wir haben so viele Soldaten und Panzer auf der Straße, da traut sich keiner hinzugehen und zu sagen, ich gucke mal, was um die Ecke passiert."
Anas ist 45 Jahre alt, mehr als die Hälfte seines Lebens hat er in Deutschland verbracht. Er ist Manager in der Automobilbranche, ein feingliedriger Mann mit intellektueller Metallbrille. Anas heißt in Wirklichkeit anders. Er will anonym bleiben, um seine Familie in Syrien nicht zu gefährden. Neben seinem Vater in Hama hat er Geschwister und Cousinen in den Vororten von Damaskus. Auch dort wird demonstriert und gekämpft, auch dort gibt es jeden Tag Tote.
"Sie berichten von massiven militärischen Angriffen, von Panzern in den Straßen, vom Bombardement, von Massenverhaftungen, Erschießungen, Leichen auf den Straßen. Und das erinnert mich an damals, dieses brutale Vorgehen."
Die Ereignisse in Syrien im Februar 2012 gleichen auf fatale Weise den Ereignissen von vor 30 Jahren. Panzer gegen Zivilisten – damals wie heute. Doch anders als heute gab es damals nur ein einziges Massaker – heute gibt es täglich Tote im ganzen Land: Viele kleinere Massaker, wie Anas sagt. Doch der wichtigste Unterschied liegt in der Vorgeschichte.
Rückblende.
Als sich 1970 der damalige Verteidigungsminister Hafiz al-Assad unblutig an die Macht putscht, hat es in Syrien zum ersten Mal ein Vertreter der Unterschicht an die Spitze der Macht geschafft. Assad kommt vom Land, er gehört zu der traditionell benachteiligten schiitischen Minderheit der Alawiten und er nutzt die Ideologie der Baath-Partei, eine Mischung aus Sozialismus und arabischem Nationalismus, um Syrien zu stabilisieren und zu einer selbstbewussten Nation zu machen.
Doch schon bald verrät die Baath-Partei ihre eigenen Ideale. Im Laufe der 1970er-Jahre entsteht ein Netzwerk aus Korruption und Vetternwirtschaft, Regimevertreter bereichern sich schamlos. Der Unmut wächst, vor allem bei den gesellschaftlichen Verlierern. Das städtische Bürgertum büßt politischen Einfluss ein, alteingesessene Händler kämpfen mit neureichen Emporkömmlingen und religiöse Autoritäten versinken angesichts des dominanten säkularen Klimas in der Bedeutungslosigkeit.
Das alles ist der Nährboden für eine immer aktivere islamistische Opposition. Die Partei der Muslimbrüder gibt den konservativen Sunniten eine Stimme und gewinnt vor allem in Aleppo und Hama Anhänger. In Damaskus dagegen gelingt es Präsident Assad, den Einfluss der Muslimbrüder zu begrenzen, indem er wichtige sunnitische Gesellschaftskreise wirtschaftlich an sich bindet. Dieses enge Verhältnis besteht bis heute – deshalb wendet sich die Geschäftselite der Hauptstadt auch in der jetzigen Krise nicht offen vom Regime ab.
Mit Assads Machtübernahme beginnt der Aufstieg der Alawiten. Viele verlassen ihre Heimat im bergigen Hinterland der Mittelmeerküste, wo sie über Jahrhunderte Schutz vor Verfolgung gesucht haben, und gehen in die Städte. Dort finden sie Anstellung in der öffentlichen Verwaltung, in den Geheimdiensten und im Militär – bis heute sind Alawiten in den staatlichen Sicherheitskräften überproportional vertreten.
Diese neue Machtkonstellation lässt aus Opfern Täter werden. Minderwertigkeitskomplexe und Rachegefühle treiben die alawitischen Geheimdienstmitarbeiter an, wenn sie die meist gut ausgebildeten sunnitischen Islamisten zu fassen kriegen, meint Anas. Er erzählt von seinem Cousin, der 1979 für ein Jahr und acht Monate inhaftiert war.
"Eine psychische Folter, nicht nur körperlich, auch psychisch. Die haben ihm gesagt: "Du bist doch so ein Besserwisser, so ein Studierender, so ein Schlauer und wir sind hier die Idioten, wir zeigen es dir jetzt mal. Hier. Wo ist die Ecke von diesem Kreis?" "Der Kreis hat keine Ecke." Schläge. "Das ist die Ecke, willst du uns für blöd halten? Meinst du wir sind immer noch Bauern und so was?" Solche primitiven Dinge. Ich habe seinen Rücken gesehen, seine Fingernägel gesehen. Es läuft mir immer noch kalt den Rücken runter, wenn ich mich daran erinnere."
Seine zweite Verhaftung überlebt Anas´ Cousin nicht. So wie die meisten aus Hama stammenden Männer seiner Generation den Machtkampf zwischen Muslimbrüdern und Assad-Regime nicht überleben.
In seiner politisch aktiven Familie bekommt Anas vieles mit, ohne selbst beteiligt zu sein. Einige ältere Cousins schließen sich der Tali´a Al Muqatila an, dem bewaffneten islamistischen Widerstand, der sich als – so die wörtliche Übersetzung – "kämpfende Vorhut" der Muslimbrüder versteht. Mit gezielten Attentaten auf Regierungsvertreter und mit Bombenanschlägen auf öffentliche Gebäude und Militäreinrichtungen fordern die Islamisten das säkulare Baath-Regime heraus.
Präsident Assad schlägt brutal zurück. Unmittelbar nach einem Mordanschlag, den er knapp überlebt, stellt er die Mitgliedschaft bei den Muslimbrüdern per Dekret unter Todesstrafe – ein Freibrief zum Töten, der bis heute gilt. Hunderte inhaftierter Muslimbrüder werden in ihren Gefängniszellen massakriert, in Aleppo und Hama werden Männer und Jungen über 14 Jahren willkürlich zusammengetrieben und kurzerhand erschossen.
"Die wollten Hama zu einem offenen Krieg zwingen, denn sie litten seit Mitte der 60er-Jahre an dieser Stadt und irgendwann muss Schluss sein."
Der offene Krieg beginnt in der Nacht zum 2. Februar 1982. Eine Einheit der Armee greift in der Altstadt von Hama Verstecke der Muslimbrüder an. Hunderte Kämpfer schlagen die Soldaten zunächst in die Flucht, erstürmen Regierungsgebäude, töten führende Parteifunktionäre und erklären Hama am Vormittag des 2. Februar für befreit. Ein Schock für das Regime in Damaskus. Es rüstet sich für die alles entscheidende Schlacht gegen die Islamisten. Für Assad geht es nicht mehr darum, sie zu besiegen, sondern sie zu vernichten.
Was folgt, ist ein dreiwöchiger Albtraum. Ein Albtraum, aus dem auch Abdelghani Sibahi noch heute aufschreckt. Der über 50jährige ist damals Mitglied der syrischen Spezialeinheiten, ihr Auftrag lautet, alle Bewohner von Hama zu töten.
"Wir fragen nicht nach den Namen und Überzeugungen. Egal ob Sunniten, Schiiten, Alawiten, Mädchen, Jungen, Alte – wir töten jeden. Wir gehen von Straße zu Straße, treiben die Menschen aus den Häusern und stellen sie am Ende der Straße auf, um sie zu erschießen. Manchmal 200, manchmal 400 manchmal 600. Ich sehe das alles noch vor mir. Ich schwöre bei meinen Kindern, manchmal wache ich nachts auf und weine."
Sibahis Aussagen decken sich mit den Berichten von Augenzeugen, die Menschenrechtsorganisationen dokumentiert haben. Und mit dem, was Anas von seinen Verwandten gehört hat. Anas selbst gelingt gleich zu Beginn des Massakers die Flucht aus Hama, er ist der einzige Mann seiner Familie im wehrfähigen Alter, der die Stadt lebend verlässt.
Hama bleibt in Schutt und Asche zurück. Die historische Altstadt, ein UNESCO-Weltkulturerbe, ist für immer verloren, Moscheen und Kirchen wurden systematisch zerstört. Etwa 20.000 Menschen sind tot, Zehntausende werden verhaftet oder gelten als verschwunden, viele von ihnen kehren nie zurück.
Hama wird zum Trauma einer ganzen Nation. Und zum Tabu. Die Stadt selbst wird in kürzester Zeit wieder aufgebaut, die Spuren beseitigt. Über die gesellschaftlichen Narben legt sich ein Mantel des Schweigens. Ein kollektives Schweigen.
"Wenn du sagst, ich bin aus Hama, dann ist erst mal Totenstille. Hama steht für eine Lehre, die erteilt wurde und wenn es erwähnt wird, möchte keiner mehr der Nächste sein und dann verstummen einfach die Stimmen."
Das Regime macht bis heute die Muslimbrüder für die Gewalt verantwortlich. 1983, ein Jahr nach Hama, spricht Hafiz Al-Assad vor Anhängern über deren Verbrechen.
Auf Arabisch spielt Assad dabei mit den Worten und bezeichnet die "muslimischen Brüder" als "kriminelle Brüder", die im Namen des Islam Frauen, Kinder und Alte töteten.
Syrien ist das einzige Land der Region, in dem die Partei der Muslimbrüder faktisch ausgelöscht wird. Aktive Mitglieder werden getötet, Anhänger verhaftet, und wer der Verfolgung entkommt, flieht ins Ausland. Wer innerhalb des Landes mit ihnen sympathisiert, hält den Mund – schließlich steht noch immer die Todesstrafe auf Unterstützung der Muslimbrüder. Deshalb ist es schwierig einzuschätzen, welchen Rückhalt sie derzeit noch in der syrischen Gesellschaft haben. In einem Interview mit dem arabischen Sender Al-Jazeera gibt sich ihr Vorsitzender Mohammed Riad Al Shaqfa zuversichtlich.
"Wir Muslimbrüder existieren nur außerhalb Syriens, wir haben keine Vertreter im Land. Aber das bedeutet nicht, dass wir keine Unterstützung in der syrischen Gesellschaft haben. Das syrische Volk ist in der Mehrheit religiös, wenn wir anfangen, uns ins Syrien zu organisieren, werden viele mit uns zusammenarbeiten."
Shaqfa lebt in der Türkei, wo sich die syrische Auslandsopposition seit Monaten organisiert. Innerhalb des syrischen Nationalrats, des wichtigsten Oppositionsbündnisses außerhalb Syriens, stellen die Muslimbrüder die größte Fraktion, manchen ist ihr Einfluss schon jetzt zu dominant. Vor allem die Minderheiten in Syrien – Christen, Alawiten, Drusen und andere – fürchten sich vor der islamischen Agenda einer sunnitischen Mehrheit. Generalsekretär Shaqfa bemüht sich, diese Befürchtungen zu zerstreuen.
"Wir als Muslimbrüder werden die Rechte der Minderheiten verteidigen. Die Gesetze und die Verfassung in einem demokratischen Staat unterscheiden nicht zwischen Sunniten, Christen oder Alawiten – sie sind alle Bürger mit gleichen Rechten."
Anas überzeugen solche Aussagen nicht. Er vermisst bei den Muslimbrüdern eine ehrliche und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit in Syrien. Parteichef Shaqfa, der sich schon seit den 70er-Jahren im Ausland aufhält, distanziert sich vom islamistischen Terror von einst und behauptet, die Anschläge seien damals von eigenständigen Zellen verübt worden, die offiziell gar nicht zu den Muslimbrüdern gehörten. Für Anas ist das ein Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Doch die Muslimbrüder haben gerade andere Sorgen, schließlich werden sie auch jetzt wieder für die Gewalt verantwortlich gemacht.
Präsident Bashar Al-Assad hat zwar nicht das kämpferische Auftreten seines Vaters, bedient sich aber der gleichen Rhetorik. Auch 30 Jahre nach Hama beschwört er die islamistische Gefahr: Vom Ausland gesteuerte Terrorgruppen wollten Syrien zerstören, behauptet er ein ums andere Mal. Doch im Gegensatz zu damals geht die Propaganda heute völlig an der Realität vorbei.
Nicht bewaffnete Terroristen, sondern friedliche Demonstranten, die von Deserteuren unterstützt werden, fordern das Assad-Regime seit elf Monaten heraus. Während damals eine radikale sunnitische Minderheit ein islamisches Staatswesen wollte, fordern heute Syrer aller Religionen und sozialen Schichten Freiheit und Demokratie. Kurz: Vor 30 Jahren bekämpfte eine islamistische Partei ein säkulares Regime, heute befreit sich das breite Volk von einer Diktatur.
Bashar al-Assad will diese Realität nicht wahrhaben und flüchtet sich in Verschwörungstheorien. Belügt er sich selbst? Glaubt er noch an den Machterhalt? Oder ist der 45jährige Augenarzt gefangen in einem System, dessen Führung jetzt nur noch gemeinsam siegen oder sterben kann? Für Anas steht fest: Der syrische Präsident ist überfordert und wird diese Krise politisch nicht überstehen. Überrascht ist er davon nicht, vor allem wenn er an seine Begegnung mit Bashar al-Assad im Sommer 1982 denkt. Nur wenige Monate nach dem Massaker in Hama nehmen die beiden Altersgenossen an einem militärischen Trainingscamp teil, das für alle Jugendlichen eines Jahrgangs verpflichtend ist – auch für den Sohn des Präsidenten.
"Ich habe ihn als eine graue Figur wahrgenommen. Das ist ein Mensch, den du nicht zur Kenntnis nimmst. Er hat keine Präsenz, keine Aura."
Dass sich Bashar al-Assad immer noch an der Macht halten kann, liegt vor allem an dem Sicherheitsapparat, den er von seinem Vater geerbt hat. Nach der Erfahrung mit den Islamisten in den 1980er-Jahren schuf Hafiz al-Assad ein System aus konkurrierenden Geheimdiensten, loyalen Militärverbänden und Spezialeinheiten, die einzelnen Familienmitgliedern direkt unterstellt sind. Dieses Netzwerk schützt Bashar al-Assad bis heute vor Putschversuchen und Verwerfungen innerhalb der Führungsspitze.
Doch weiter unten in der Hierarchie knirscht es. Jeden Tag verlassen weitere Soldaten die regulären Streitkräfte und schließen sich der Freien Syrischen Armee an.
Inzwischen desertieren nicht mehr einzelne Soldaten, sondern zum Teil ganze Brigaden mit ihren Befehlshabern. Statt auf das eigene Volk zu schießen, wollten sie es ab sofort beschützen, erklärt ein Major namens Ali Ayub in der Provinz Homs, etwa 40 Soldaten stehen hinter ihm und schwören einen neuen Eid auf den Sturz des Regimes.
Noch ist die "Freie Syrische Armee" eher ein Sammelbecken für Deserteure. Sie besteht aus einzelnen Kampfeinheiten, die keiner zentralen Befehlsgewalt unterstehen, sondern autonom agieren. Zunehmend gelingt es den Deserteuren, einzelne Stadtteile oder Ortschaften vorübergehend unter ihre Kontrolle zu bringen – auch in den Randbezirken der Hauptstadt Damaskus. Zwar erobert die Armee diese Gebiete regelmäßig zurück, aber die Kämpfe zeigen, dass die "Freie Syrische Armee" stärker wird. Von Bürgerkrieg mag Suheir Al Atassi in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Die bekannte Oppositionelle ist vor kurzem ins Ausland geflohen und betont, dass sich bei den Auseinandersetzungen nicht bewaffnete Zivilisten, sondern Soldaten gegenüber stehen.
"Wir können die Freie Syrische Armee nicht als "bewaffnete Gruppen" oder "Aufständische" bezeichnen. Sie besteht aus regulären Soldaten, die wie alle Syrer Geiseln einer herrschenden Familie waren. Jetzt befreien sie sich und besinnen sich ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich das Volk zu beschützen und nicht das Assad-Regime zu verteidigen."
Nicht nur Soldaten kehren dem Regime den Rücken, sondern auch andere Bevölkerungsgruppen, die bis vor kurzem noch an Bashar al-Assad glaubten. Vor allem in der Hauptstadt dreht sich die Stimmung, erzählen Syrer, die Damaskus gerade verlassen haben. Die Gewalt wirke so schockierend, dass sich selbst Regierungsvertreter, Beamte und Geschäftsleute innerlich abwenden. Diese Damaszener sieht man zwar nicht auf der Straße, aber viele unterstützen die Revolution heimlich. Reiche Unternehmer finanzieren die Auslandsopposition, wer beruflich verreist, schmuggelt Filmmaterial außer Landes. Frauen sammeln Geld für die Familien getöteter Demonstranten. Dieser gesellschaftliche Zusammenhalt erinnert Anas an früher.
"Das sind für mich die bewegendsten Bilder, wenn einer auf der Straße fällt und der andere unter seinem Lebenseinsatz hingeht und sagt, den ziehe ich jetzt aus der Schusslinie raus. Aus Beistand zu der Familie, die einen Menschen verloren hat, gehe ich auf dessen Beerdigung, um ihnen zu zeigen, ihr steht nicht allein. Und ich riskiere mein Leben."
Diese Bilder von Beerdigungszügen und Protesten erreichen die Welt fast in Echtzeit, aus unscharfen und grobkörnigen Videoclips ist im Laufe der vergangenen Monate professionelles Beweismaterial geworden. Während über das Massaker in Hama 1982 nur sporadisch Nachrichten nach außen drangen, ist die ganze Welt heute Zeuge der Gewalt in Syrien.
Dennoch scheint die internationale Staatengemeinschaft zum Zuschauen verdammt zu sein. Die Arabische Liga ist mit ihrer Beobachtermission gescheitert, der Weltsicherheitsrat durch Assads Verbündete Russland und China blockiert. Militärisch will sich in Syrien niemand die Finger verbrennen. Und so sind die Syrer bis heute allein auf sich gestellt.