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Die Tour de France Afrikas

Radsport ist in Burkina Faso Nationalsportart. Seit 25 Jahren organisiert der Staat die Tour du Faso, Afrikas größte Rennrad-Rundfahrt.

Von Tim Farin |
    Der letzte Freitag im Oktober, kurz vor elf am Morgen, es ist schon unerbittlich heiß. Jubel bricht aus in Pa, einem kargen Dorf in Burkina Faso, einem der unterentwickeltsten Länder der Welt. Die Sonne brennt auf den rauen Asphalt, als Rasmané Ouedraogo im Zielsprint die Konkurrenz aus Deutschland und Algerien überholt. Offiziere, Sponsoren, Politiker jubeln auf der Ehrentribüne, Schulkinder applaudieren dem Sieger aus ihrem Land, der die weißen Männer im Spurt distanziert hat, bejubeln ihren Etappensieger aus Burkina:

    Zum 25. Mal hat das arme Land im Westen Afrikas im Herbst seine internationale Rennrad-Rundfahrt "Tour du Faso" organisiert. 1280 Kilometer in 10 Etappen, 15 Mannschaften mit jeweils sechs Fahrern. Auch ein deutsches Team ist mit dabei – zum ersten Mal seit 15 Jahren. Eine Gruppe von Rennrad-Weltenbummlern vom Radverein Trier.

    Zustande kam das deutsche Gastspiel durch eine Forschungsarbeit. Vor zwei Jahren war der Münsteraner Ethnologe Malte Wulfinghoff in Burkina Faso, um das traditionsreiche Rennen wissenschaftlich zu erkunden. Er knüpfte Freundschaften zum Radsportverband und wurde eingeladen, ein deutsches Team auf die Beine zu stellen. Für ihn eine Ehre:

    "Die meisten kommen einfach auf die Straße gerannt, weil die einfach sehen wollen, wie da auch Weiße über die Straße fahren, und weil sie mehr stolz auf die Tour du Faso insgesamt sind, die jetzt gar nicht so sehr diese Rennergebnisse haben wollen, sondern die sind einfach stolz darauf, dass hier in Burkina Faso das größte Rennen in Afrika ausgetragen wird. Und das schon seit 25 Jahren. Es hat so eine gesellschaftsstiftende Funktion."

    Die Tour du Faso ist eine offizielle Veranstaltung im Rennkalender des Welt-Radsportverbandes UCI. Vor 15 Jahren hatte sie ein Deutscher gewonnen, der Bahnrad-Olympiasieger Guido Fulst. Doch die Zeiten europäischer Dominanz sind vorbei, was auch an der besonderen Mischung des Wettkampfs liegt. Hier treten europäische Amateure gegen afrikanische Profi-Sportler gegen an, wobei der Bergriff "Profi" relativ ist.

    "Profis heißt wirklich in dem Sinne nur, dass es die besten aus dem Land sind. In dem europäischen Sinne eines Profitums, dass sie damit ihr Einkommen gesichert haben und dass es ihr Hauptberuf ist, das ist nicht der Fall. Die haben alle noch nebenbei einen zweiten Job, müssen alle wirklich noch nebenbei auf dem Markt arbeiten gehen oder sind noch KFZ-Mechaniker nebenbei. Und das ist natürlich manchmal für den Radsport eher hinderlich."

    Und das sieht man auch: Die Etappen verlaufen oft hektisch. Es mangelt an taktischer Zusammenarbeit. Flaschenübergaben aus den Begleitfahrzeugen gelingen oft nur mit Schwierigkeiten. Und man sieht auch, wie sich abgehängte Fahrer zurück zum Feld ziehen lassen, wenn die Juroren vom Weltverband mal nicht hinschauen.

    Die Rahmenbedingungen der Tour du Faso sind dagegen gut: Die Fahrräder technisch gut bestückt, die Straßen fast durchgehend asphaltiert, der Verkehr geregelt. Die Mannschaften bekommen Begleitfahrzeuge gestellt. Sie werden mit Essen und Trinken versorgt und in Hotels untergerbacht.
    Nur in kleineren Etappenorten muss das Fahrerlager in einem Biwak aus Zelten übernachten. Ausnahmem gibt es für niemanden: Auch der Träger des Gelben Trikots ruht hier. Lokalmatador Hamidou Bangba Zidweiba:

    "Vor kurzem kannte mich niemand, weil ich Neueinsteiger bin. Jetzt, wo ich das Gelbe Trikot habe, sehen mich die Leute jeden Abend im Fernsehen. Das macht mich stolz."

    Selbst langjährige Beobachter hatten nicht mit dem 27 Jahre alten ehemaligen Schafhirten gerechnet – trotzdem verteidigte er das Gelbe Trikot bis ins Ziel in der Hauptstadt Ouagadougou. Der Radsportler, der niemals eine ordentliche Schule besucht hat, redet nun in seiner Heimatsprache Mòoré von seinem nächsten Traum:

    "Es hat noch nie ein Burkinabé geschafft, an einem europäischen Wettbewerb teilzunehmen, geschweige denn etwas zu gewinnen. Ich möchte die Chance bekommen, in Europa mit einem Team zu trainieren, eine Ausbildung als Radfahrer bekommen."

    Für den Gesamtsieg streicht Zidweiba am Ende etwa 2500 Euro plus Prämien ein, die er sich mit seinen fünf Teamkollegen teilt. Viel Geld für Burkina Faso, und doch sind es Welten bis zu den Profirennen in Europa, deren Millionenetats auch die Schattenseite des Dopings florieren lassen. Auch bei der Tour du Faso ist Doping ein Thema, denn nach jeder Etappe stehen Kontrollen an. Doch hat es noch keinen positiven Test gegeben. Und auch in diesem Jahr ist damit kaum zu rechnen, meint Tour-Forscher Malte Wulfinghoff.

    "Doping ist für die Afrikaner einfach viel, viel zu teuer. Epo-Eigenblut kann man sich niemals leisten, könnte man auch logistisch nicht einfach so bewerkstelligen, weil: das muss ja ständig kühl gelagert werden, und wenn einmal diese Kühlkette unterbrochen wird, dann ist alles kaputt. Die anderen Mittel – ja, da kommt man auch nicht so leicht dran. Und für Europäer ist es einfach nicht nötig zu dopen, weil man kann so mithalten."

    Am Ende sind es allerdings nicht die Europäer sondern die Gastgeber, die jubeln: Über Ihren Gesamtsieger Zidweiba. Mehr als eine halbe Million Euro kostet die zehntägige Tour, das meiste Geld kommt vom Staat, der eigentlich jeden Cent für Gesundheit und Bildung ausgeben müsste. Doch für das Land und ihre Lenker ist die Tour du Faso eben mehr: Ein Symbol dafür, dass es Dinge gibt, mit denen sich Burkina Faso international präsentieren kann. Schließlich ist die Akzeptanz für den Sport enorm. Tour-Chef Alassane Ouangraoua:

    "Wenn Sie in Burkina ein Kind haben, dann kaufen sie ihm als erstes ein Fahrrad. Wenn ein Kind kein Fahrrad bekommt, ist es kein stolzes Kind. Man sagt, dass die Burkinabé lernen, in die Pedale des Fahrrads zu treten, bevor sie lernen zu laufen. Das ist wahr."