Archiv


Die Träne der Pinie

Seit jeher trinken Weinliebhaber in Griechenland Retsina. Die einheimischen Winzer sind stolz auf ihren eigenen Wein – nicht nur wegen des Geschmacks. Auch die Geschichte des edlen Tropfens ist eine besondere.

Von Marianthi Milona | 21.07.2013
    Im Lager der Weinkellerei Kechris, knappe 15 Kilometer vom Stadtzentrum Thessalonikis entfernt, reift der Retsinawein in Eichenfässern. Eleni Kechri, Önologin und Winzerstochter flüstert wie in jedem guten Weinkeller dieser Welt. Die Weine sollen nicht einmal durch die Vibration ihrer Stimme in Unruhe versetzt werden, betont sie. Das ist zunächst einmal nichts Erstaunliches. Aber als Chefin eines der größten Retsinahäuser Griechenlands hat sie diesen typisch griechischen Harzwein in wahrsten Sinne des Wortes revolutioniert. Und damit sein Image international konkurrenzfähig gemacht. Aus gutem Grund:

    "Wir haben in der EU den gesetzlichen Rahmen dafür geschaffen, den griechischen Schafskäse einerseits, aber auch den Retsina anderseits, als rein griechisches Produkt zu positionieren. Ein Vorteil also für uns, von dem ich hoffe, es hoffentlich dauerhaft für uns nutzen zu können. Wir haben bisher das 'typisch Griechische' in unseren Produkten nie hervorheben wollen. Retsina gibt es bei uns seit Tausenden von Jahren. Unser Familienunternehmen will deshalb ganz bewusst dafür werben."

    Sechshundertfünfzig Tonnen Wein werden allein nur in dieser griechischen Weinkellerei im Jahr verkauft. Dabei gibt es in Griechenland schon längst keine Qualitätsunterschiede mehr zwischen einem hochwertigen Weißwein und Retsina. Das seit Jahrzehnten existierende Vorurteil Retsina sei nur ein billiger minderwertiger Weißwein, gibt es nicht mehr. Moderne Weinexperten, wie Eleni Kechri, betrachten den Retsina als einen Weißwein von vielen. Da gibt es also nicht Weißweine und Retsina, hört man immer wieder das Argument. Auch ist der Retsina mit seinen 11,5 Prozent Alkoholgehalt nicht leichter, als die herkömmlichen Weißweine. Das Problem mit dem Retsina war, dass die griechischen Winzer es versäumt haben, ihn genauso sorgfältig wie die anderen Weine herzustellen. Diese stiefmütterliche Behandlung erinnerte mehr an antike Herstellungsverfahren des Retsina, zu Zeiten, als dieses erfrischende Getränk eher zufällig entstanden war. Eleni Kechri schlägt ein Weinbuch auf und erklärt:

    "Retsina gibt es seit der Antike. Die alten Griechen wussten bereits, dass der Sauerstoff vom Wein ferngehalten werden muss. Bewahrt wurde der Wein in Amphoren aus Ton, die luftdicht geschlossen werden mussten. Zum Abdichten wurde Pinienharz verwendet, weil es damals der einzig bekannte Klebstoff war. Dabei fielen einzelne Tropfen eher zufällig in den Wein. Das war die Geburtsstunde von Retsina. Die alten Griechen gewöhnten sich allmählich an den harzigen Geschmack des Weins. Bis heute hat sich der Retsina in unserer Trinkkultur erhalten. Wir glauben sogar, dass er ganz hervorragend mit unseren einheimischen Gerichten harmoniert. Heute dosieren wir ganz bewusst den Weißwein dafür mit dem Harz der Pinie, 'pinus halepensis'. Diesen hochwertig hergestellten Retsina haben wir in unserem Haus mit dem Namen 'die Träne der Pinie' getauft."

    Heute weiß man, dass der Retsina genauso qualitativ hoch herzustellen ist, wie jeder teure Weißwein auf dem Markt. Bei Eleni war es ein deutscher Freund, der den Anreiz dafür lieferte.

    "Ich war vor ein paar Jahren in Deutschland. Das war noch, bevor ich Önologie in Bordeaux zu studieren begann. Ein Freund, der in einem Weingeschäft arbeitete, fragte mich eines schönen Tages, mit leicht ironischem Unterton, wie wir Griechen es nur immer wieder schaffen, als Einzige auf der Welt, eine eigene Weinsorte zu besitzen, mit eigenem Brandnamen Retsina und ihn aber in einer solch schlechten Qualität herzustellen?"

    Das brachte die Önologin erst auf die Idee. Ihr Vater, Stelios, begann zu experimentieren. Inzwischen wissen die Winzer, dass sie den Retsina-Wein revolutioniert haben. Sie kreierten die "Träne der Pinie", einen geschmacklich bisher einzigartigen Retsina, der inzwischen sämtliche goldene Medaillen auf internationalen Weinmessen gewonnen hat.

    "Als wir diesen Retsina zum ersten Mal noch aus dem Fass probierten, sagte ich zu meinem Vater: Damit kriegen wir den 1. Preis. Das war 2005. Damals wollte man auf den Weinmessen nicht einmal den Namen Retsina aussprechen, geschweige denn probieren. Mein Vater schmunzelte und dachte, ich mache einen Scherz. Ehrlich gesagt habe ich selbst es auch nicht wirklich glauben können. Aber es bewahrheitete sich. Seitdem sind wir immer wieder erstaunt, wie gut sich die griechische Assyrtiko-Rebe mit dem Pinienharz verbindet."

    Das Neue bei diesem Retsina war, dass es nicht aus der sonst so üblichen Roditis-Rebe gewonnen wurde, sondern aus der Assyrtiko-Rebe. Beides seit der Antike typisch griechische Rebsorten. Dieser geniale Versuch führte bei der jungen Eleni und ihrem Vater Stelios zu einer neuen Retsina-Kreation, die 'Träne der Pinie' getauft wurde. Dieser Retsina entsteht aber auch durch ein etwas abgeändertes Herstellungsverfahren, wie Winzerin Eleni verrät:

    "Das Gesetz gibt nicht vor, welche Rebe man zur Retsinaherstellung verwendet. Es sagt nur, dass man nicht mehr als 10 Milligramm Harz zufügen darf. Wir nehmen zwei bis drei Milligramm und geben es während des Gärungsprozesses in den Wein. Man kann den Wein nicht nachträglich mit dem Harz abschmecken. Nur während der Gärung können sich die Aromen von Most und Harz miteinander verbinden."

    Der griechische Retsina ist auf der ganzen Welt als typisch griechischer Wein bekannt. Viele Winzer leben in Griechenland inzwischen sehr gut durch die Produktion dieses typisch griechischen Landweins. Dass ausgerechnet die Winzerfamilie Kechris den Retsina so gut zumindest im Inland etabliert hat, das hat noch mal einen ganz anderen Grund. Und der liegt in ihrem Namen verborgen, mit dem man im Griechischen ein kleines Wortspiel betreiben darf.

    "Kechribari, so hieß unsere erste Retsinasorte. 'Die Träne der Pinie' wurde erst später kreiert. Kechribari bedeutet im Griechischen Bernstein. Im Volksmund verwendete man dieses Wort sowieso im übertragenden Sinn, wenn man vom Retsina sprach, weil seine Farbe ja so golden aussehen kann, wie bei einem Bernstein. Es gibt sogar ein Liebeslied, das eigens für den Retsina geschrieben wurde. Darin geht es um die Liebe zum Retsina. Gleichzeitig ist der Bernstein aber auch ein versteinertes Harz, sodass es wie die Faust aufs Auge passte. Denn der Retsina erhält durch das Harz der Pinie seinen eigentlichen Geschmack."

    Wer dann immer noch seine Zweifel auf Retsina hegt, den lässt Eleni einen Schluck Retsina kosten und erklärt dabei, dass ausgerechnet die Franzosen, die ursprünglich nichts, aber auch gar nichts von Retsina wissen wollten, der "Träne der Pinie" den 1.Preis verliehen haben. Insgesamt konnte der Retsina von Eleni Kechri ganze 22 Preise gewinnen.

    "'Die Träne' hat uns den Weg für den griechischen Retsina geebnet. Olivier Poussier, Sommelier du Monde 2000 hat unseren Retsina in einer sehr bekannten Zeitschrift über alle Töne gelobt. Er schrieb: Vergessen Sie alles, was sie bisher vom Retsina gewusst haben. Sie können die 'Träne der Pinie' kosten. Dieser Wein ist so verführerisch, dass er sie fesseln wird. Er ist von antiker Schönheit."