Akustischer Höhepunkt: der Jubel von etwa noch 1.000, auf dem ehrwürdigen Messegelände verbliebenen Gästen nach Ende des lang vorher angekündigten optischen Höhepunkts – oder "Events": 300 synchron fliegende Pixel – schwebende Lichtpunkte am wolkenverhängten Nachthimmel, die in knapp sieben Minuten verschiedene Symbole formten: Leuchtende Gesichter, sowie das Signet der "neuen" CEBIT – deren fünf Buchstaben künftig in Versalien – also großgeschrieben erstrahlen. Natürlich fehlte das Runde im Eckigen nicht – ein gepixelter Fußball – und das Firmenlogo.
Weltrekord mit über 1.200 Drohnen
In der von Bratwurstduft geschwängerten Luft über der "Neuen Cebit" hätte ein humorvolles "Intel Outside" mein Technikherz erfreut. Doch Spaß ist aus Sicht jedes Ausstellers wohlkalkuliert, der Messeauftritt teuer – und in diesem Fall auch ohne Kalauer gelungen. Also treffe ich "inside" Matthias Beldzik, der sich als als "Intel- Drone Mission Operation Manager" vorstellt:
"Wir haben hier eine sehr kleine Drohne mit 330 Gramm, ein komplexes Sicherheitssystem. Wir haben einen Schutzrahmen um die Propeller, so dass also diese kleinen Drohnen zu hunderten, gerne auch zu tausenden in die Luft geschickt werden können. Wir halten momentan einen Weltrekord von über 1.200 Drohnen, die gleichzeitig in der Luft fliegen. Jetzt haben wir hier 300 gesehen. Diese Systeme haben tatsächlich nur LEDs. Die sind eigens für diese Show konzipiert. Die Idee ist natürlich, hier auch zu zeigen, was schon möglich ist, im Flottenmanagement."
Wie aber wird die exakte Positionierung realisiert. Mit Hilfe des noch recht ungenauen GPS? Mit Hilfe des russischen Satellitensystems Glonass? Oder mittels einer Kombination beider Systeme? Diese Frage beantwortete Matthias Beldzik nicht ganz:
"Also die Steuerung funktioniert über GPS und was sonst passiert, technisch, ist noch nicht in der Form öffentlich. Praktisch ist es so, dass natürlich gewisse Drohnen miteinander reden, um sich gegenseitig zu referenzieren und die Orientierung zu ermöglichen."
Diktiergeräte, Schreibmaschinen und Büromöbel
Rückblick: Zu Beginn 1980, als es nur die Industriemesse gab und die sogenannte Cebit-Halle für Diktiergeräte, Schreibmaschinen und Büromöbel reserviert war, hatte ein US-Aussteller keine Bedenken, mir bis ins kleinste Detail seine, für medizinische Diagnosen entwickelte Hypertext-Anwendungen zu erklären. Hypertext, eine der Basistechnologien des späteren World Wide Web, sah ich in einem extra für "diese Computer- und Hochschulmenschen" aufgestellten Bierzelt. Das Zelt wirkte auf die Aussteller wie ein Magnet. Alle wollten, mussten "mal reinschauen". Dies war das Schlüsselerlebnis für Jörg Schomburg, ein Vorstandmitglied der Hannover-Messe. Kurz vor dessen Tod im Jahr 2006 erinnerte Schomburg an zunächst widerwillige Aussteller, die eine von der Industriemesse abgekoppelte Computermesse verhindern wollten:
"...weil die Cebit- Industrie selbst Angst hatte, dass der Glamour, der auf der Hannover-Messe liegt, mit den Chefs aus allen Industriebranchen dann dieser Messe verloren geht und sie eine Messe wie viele andere ist. Also ist das gescheitert. Und dann, nachdem die Wartelisten immer größer wurden, wurde 1984 ein zweiter Versuch gestartet. Und da hat dann die Industrie auch selbst gesehen: "Es geht nicht anders", obwohl der Streit quer durch die Firmen ging, "sollen wir's machen? – sollen wir's nicht machen?" Aber letzten Endes haben fast alle eingesehen: "das ist der einzige Ausweg".
Dieser wurde DER Erfolg und Schomburg gefeiert, als "Mr. Cebit".
Euphorie und Skepsis
Jetzt, im Jahr 2018, während der Wiedergeburt der Cebit sind vergleichbare Reaktionen erkennbar wie beim damaligen Start der ersten Cebit: Euphorie und Skepsis aus dem Munde von zwei Ausstellern:
"Ich würde mir wünschen, dass de Cebit nächstes Jahr wieder so erfolgreich wird, wie dieses Jahr."
"Wir sind jetzt schon das vierte Mal auf der Cebit – Es ist schön verpackt, aber wenn man dann etwas tiefer schaut, sieht man schon, dass sich zwar das Konzept geändert hat, aber die Aussteller nicht."
Die werden sich ändern. Ebenso wie deren Produkte, die nicht mehr mit denen von 1984 vergleichbar sind. Nur einige Aussteller betrachten den hohen Spaß- und Vergnügungsanteil, während dieser ersten "neuen" Cebit noch skeptisch. Doch die für die sogenannte "Digitalisierung" notwendige Transparenz wird mit allem Ernst diskutiert. Transparenz, im Sinne einer offengelegten technischen Basis für Schnittstellen unterschiedlicher Produkte. Zum Beispiel muss eine Treppe für Menschen auch für humanoide Roboter gleichermaßen begehbar sein. Genau so sollten übermittelte Befehle standardisiert sein und so verständlich, wie die Kommunikation der Maschinen untereinander.
Von der Natur abgeschaut hat sich Marc Raibert von Boston Dynamics die Fähigkeiten seiner Roboter, die wie kleine Hunde aussehen und sich auch ähnlich bewegen. Dort, wo an einem echten Hund der Kopf sitzt, ist ein Gelenkarm montiert, der zielsicher nach einer Getränkedose greift um sie dem Boss zu bringen, ohne das Getränk auf den Boden zu verschütten. Und das in einer Geschwindigkeit, die der eines natürlichen Wesens ähnelt.
Niedrigschwellige und höherrangige Künstliche Intelligenz
Es reicht, den Befehl auszusprechen – oder genauer, dem Roboterhund zu vermitteln, dass er jetzt die Getränkedose bringen soll. Wie der den Befehl dann erfüllt, bleibt der Künstlichen Intelligenz des Roboterhundes überlassen und die praktiziert eine Aufgabenteilung:
"Wir glauben, die Fähigkeit dieser Roboter, sich in der Umgebung zurechtzufinden zu steigern, wenn die dafür von uns verwendete niedrigschwelligen Künstliche Intelligenz sich mit einer höherrangigen künstlichen Intelligenz verbindet. Die Höherrangige kümmert sich um die Aufgaben, die niederrangige prüft die Umgebung für den Lösungsweg", so Raibert.
So finden Roboterhunde in unbekannter Umgebung elegante Umwege. Elegante Kleidung gehörte ebenfalls zur Cebit. Die Modenschau für sogenannte Wearables bewies, dass Elektronik auch unauffällig in waschbarer vernetzter Kleidung getragen werden kann. Offen blieb die Frage, wie darüber wohl die Sicherheitsmenschen am Flughafen diskutieren.
Für die Sicherheit aller schrieben Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr Wuppertal eine App, deren Künstliche Intelligenz das spezielle Management Freiwilliger Feuerwehren im Griff hat – vom bereitstehenden Personal bis hin zum Akku-Ladezustand ihrer Einsatzfahrzeuge und berechnet auch, wann die Retter am Einsatzort sind.
Erwähnenswert sind auch die Exoskelette für die Bewegungstherpie, die selbstfahrenden, meist schleichenden Autos und das strahlend weiße "Flugtaxi". Alle haben Sensoren, Aktuatoren, verbunden mit sogenannter Künstlicher Intelligenz für Planung und Berechnung einer kurz- oder langfristigen Folgenabschätzung ihres maschinellen Handelns.
Geplant ist bereits der 24. Juni 2019 für die nächste "neue" Cebit, als kurzzeitig realer Spiegel in eine perfekt scheinende, und doch kaum zu realisierende Zukunft mit Riesenrad – jenseits bedienunfreundlicher Alltagstechnik. Bald sammeln Marc Raiberts vier- und zweibeinige Roboterwesen die am Wegesrand gammelnden Müllsäcke ein.
Künstliche Intelligenz für den BER?
Ob der inzwischen gealterte neue Flughafen Berlin BER schon fertig wäre, mit einer Prise Künstlicher Intelligenz? Professor Claudia Eckert, Leiterin des Fraunhofer Instituts für Angewandte und Integrierte Sicherheit in Garching ist sich nicht so sicher:
"Künstliche Intelligenz muss ja vernünftige Daten haben, um daraus Schlüsse zu ziehen und Empfehlungen herleiten zu können, lernen können. Wenn alle Daten dagewesen wären, dann glaube ich, hätte das Künstliche Intelligenz-System ganz, ganz ganz am Anfang gesagt, "Setzt ein vernünftiges Planungs- Ingenieurbüro da dran, gebt jetzt richtig Geld aus, weil das, wenn ich es hochrechne und voraussimuliere, passt". Das hat man nicht gemacht, man hat mit sehr individuellen Entscheidungskriterien gearbeitet – das ist der menschliche Faktor gewesen, der nicht immer zum Besten ist."