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Die Tricks der Smogpropheten

Umwelt. - Die Wettervorhersage liefert verlässliche Informationen über Temperaturen, Niederschläge und Wind der nächsten Tage. Was fehlt, sind Vorhersagen über die zu erwartende Luftqualität. In einem EU-Projekt namens "GEMS" wurden in den letzten vier Jahren die Voraussetzungen für eine derartige "integrierte Vorhersage" geschaffen.

Von Volker Mrasek |
    GEMS. Das steht für "globale und regionale Beobachtung des Erdsystems". Und dahinter verbirgt sich ein hoher Anspruch. Vier Jahre lang trachtete man in dem EU-Projekt danach, die Voraussetzungen für eine umfassendere Wettervorhersage zu schaffen. In Zukunft soll sie nicht nur angeben, wie warm, windig oder regnerisch es werden könnte. Sie soll auch die Luftqualität Tage im voraus prognostizieren – durch eine engere Symbiose mit der Atmosphärenchemie. Martin Schultz, Physiker und Modellspezialist im Forschungszentrum Jülich:

    "Es geht also über die normale Wettervorhersage hinaus und beinhaltet insbesondere die Modellierung von chemischen Komponenten – Aerosolen und Treibhausgasen – in einem operationellen Wettermodell. Welchen Einfluss die dann aufs Wetter haben und umgekehrt auch: Wie diese Komponenten eben mit dem Wetter transportiert werden und dann zum Beispiel Gesundheitsauswirkungen durch hohe Ozonbelastungen oder Aerosolbelastungen ausüben können - das wurde bisher halt nicht berücksichtigt."

    Aerosole oder "Schwebteilchen", wie man sie gelegentlich nennt: Es gibt eine ganze Fülle solcher Partikel, die durch die Atmosphäre geistern und das Wetter beeinflussen können. Vom Menschen produzierte wie Ruß und Sulfatstaub aus Kraftwerksschloten und Verkehr sind dabei. Aber auch natürliche. Dazu Leonard Barrie, Atmosphärenchemiker und Forschungsdirektor der Welt-Meteorologieorganisation in Genf:

    "Am Amazonas zum Beispiel ist die Sonneneinstrahlung am Boden zur Zeit von Brandrodungen um 30 Prozent reduziert. Ähnlich sieht es in China und anderen Gebieten mit starker Luftverschmutzung aus. Solche veränderten Energieflüsse haben starke Auswirkungen auf die Vorhersagemodelle. Auch Staubeinträge aus der Sahara und aufgewirbeltes Seesalz sollte man im Modell realistisch abbilden. Denn auch diese Aerosole haben Einfluss auf Hochs und Tiefs, die vom Atlantik über Europa heraufziehen."

    Saharastaub oder Seesalz können tagelang in der Luft sein, der Rauch von starken Wald- und Buschbränden sogar noch länger. In dieser Zeit werden die Aerosole mit dem Wind verdriftet, zum Teil über Kontinente hinweg, und greifen dann an ganz anderer Stelle in das Wettergeschehen ein.

    "Meteorologen haben bisher Wettervorhersagen für drei bis fünf Tage gerechnet. Da standen die Aerosole noch nicht so im Vordergrund. Jetzt aber ist man dabei, den Vorhersagezeitraum auszudehnen – auf sieben bis vierzehn Tage oder sogar einen Monat. Und das klappt nicht, ohne auch Aerosole oder langlebige Spurengase wie Ozon mit einzubeziehen. Das GEMS-Projekt ist hier einzigartig. Erstmals arbeiten Wettermodellierer und Atmosphärenchemiker jetzt systematisch zusammenarbeiten."

    Diese Arbeit bestand zunächst darin, das Globalmodell des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen zu erweitern. Die GEMS-Forscher bauten zusätzliche Chemie- und Transportmodule darin ein - für die wichtigsten Aerosole und Spurengase. Daneben musste ein weltumspannendes Netzwerk aus Satelliten und Messstationen geknüpft werden. Sie liefern die benötigten Wetter- und Stoffdaten aus der Atmosphäre. Mittlerweile läuft das System im Testbetrieb. Aus dem Gebaren von Aerosolen und Spurengasen auf dem ganzen Globus leiten Martin Schultz und seine Kollegen ihre regionale Vorhersage ab, ...

    "... sodass man insbesondere für die Luftqualität eben dann auf feinerer Skala, auf einem Gitter von fünf Kilometern, ganz Europa abdecken kann. Was wir ganz konkret wollen, ist eigentlich, dass in etwa fünf Jahren die tägliche Wettervorhersage der Tagesthemen oder Heute-Nachrichten dann auch Informationen über die Belastung mit verschiedenen Spurengasen oder Aerosolen mit anbietet."

    Dies zu erreichen, ist nun Sache eines Nachfolgeprojektes. Es startet noch in diesem Jahr und soll zu einem volloperationellen Vorhersagesystem für Wetter und Schadstoff-Lagen führen – in enger Kooperation mit künftigen Nutzern wie Umweltbehörden und Wetterdiensten.