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Die Türkei ist "kein europäisches Land"

Gerade jetzt mit der Türkei über einen EU-Beitritt zu verhandeln, wäre eine "europapolitische Geisterfahrt", sagt der außenpolitische Sprecher der CSU im Europaparlament, Bernd Posselt. Er fordert, man solle dem Land einen Gefallen tun und ehrlich sagen, dass es eine Mitgliedschaft nie geben werde.

Bernd Posselt im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag, Volker Kauder, CDU, hat eine rote Linie zwischen der Türkei und Europa gezogen. Er könne Ankara – Zitat – "nur warnen, auch noch Militär einzusetzen. Das würde die Türkei um Lichtjahre von Europa entfernen, dann müsste die EU die Beitrittsverhandlungen unterbrechen." Zitat Ende. Die türkische Regierung hatte in der Tat vor wenigen Tagen mit dem Einsatz der Streitkräfte gedroht, sollten die Proteste andauern, und Bundesaußenminister Guido Westerwelle, FDP, meinte allerdings:

    Guido Westerwelle: Wir hätten uns gewünscht, dass die türkische Regierung auf Dialog setzt und deswegen kritisieren wir auch dieses Vorgehen der türkischen Regierung.

    Liminski: Also keine klare Aussage zu den Folgen der türkischen Unruhen, nur Wünsche. Am Telefon ist nun der außenpolitische Sprecher der CSU im Europaparlament, Bernd Posselt. Er ist auch der Präsident der Paneuropa-Union, der größten fraktionsübergreifenden Gruppe im Straßburger Parlament. Guten Morgen, Herr Posselt!

    Bernd Posselt: Grüß Gott!

    Liminski: Herr Posselt, ziehen Sie die Linie von Volker Kauder mit oder teilen Sie eher die abwartende Haltung von Außenminister Westerwelle?

    Posselt: Ich glaube, dass man zwei Dinge unterscheiden muss: Erstens ist die Türkei überhaupt ein ungeeigneter Beitrittskandidat, weil sie kein europäisches Land ist und damit ein entscheidendes Kriterium nicht erfüllt, also man sollte eigentlich unter keinen Umständen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei führen. Das andere ist die aktuelle Entwicklung, die ist zu höchster Besorgnis alarmierend, und ich sage ganz klar, unter solchen Umständen zu überlegen, wie das der Bundesaußenminister tut, das Kapitel Justiz und Inneres zu eröffnen, das wäre eine europapolitische Geisterfahrt. Man stelle sich vor, bisher hat man das Kapitel Justiz und Inneres nicht geöffnet mit der Begründung, die Türkei sei auf diesen Gebieten noch nicht weit genug. Dann prügelt sie ihre Bevölkerung zusammen, und als Antwort darauf eröffnet man das Kapitel, also ich glaube nicht, dass das irgendjemand verstehen würde.

    Liminski: Also egal wie die Demonstrationen in der Türkei weitergehen, Sie sind für einen Abbruch der Verhandlungen?

    Posselt: Ich bin nicht nur für einen Abbruch der Verhandlungen, sondern ich bin dafür, für die Türkei ein völlig neues Konzept zu entwickeln. Mein Kollege Brok hat das im Europaparlament eine Norwegenlösung genannt, also Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum. Ich spreche von einem maßgeschneiderten Spezialstatus – wir brauchen die Türkei, sie ist ein wichtiger Partner, sie ist eine Brücke, aber eine Brücke steht nie auf nur einem Ufer, sondern verbindet die beiden miteinander, sie ist einfach kein europäisches Land. Aber um eine Brückenfunktion zu erfüllen und ein wichtiger Partner zu sein, muss sie auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erfüllen. Sie ist Mitglied im Europarat, sie ist längst verpflichtet durch die Menschenrechtskonventionen, die sie ratifiziert hat – ich verstehe überhaupt nicht, warum man glaubt, dass die Türkei sich mehr an die Menschenrechte hält, wenn sie zum dritten oder vierten Mal einen Text unterschreibt, den sie dann nicht einhält.

    Liminski: Die Stimmung zwischen Berlin und Ankara ist stark abgekühlt, Botschafter werden wechselseitig einbestellt, Deutschland, so heißt es unter Diplomaten, blockiere die Beitrittsverhandlungen. Würde da ein ehrlicher Abbruch, wie Sie ihn befürworten, nicht noch mehr Porzellan zertrümmern?

    Posselt: Ich glaube, im Gegenteil – ich glaube, dass die Türkeipolitik, die wir in den letzten Jahren betrieben haben, sehr, sehr unehrlich war. Man hat sich verhalten wie ein Bräutigam, der zur Braut sagt, im nächsten Jahr heiraten wir, und es dann immer wieder vor sich herschiebt aus den unterschiedlichsten Gründen, dann kommt irgendwann die Frustration. Und das, was wir im Moment erleben, ist ein Ausbruch von Frustration, nicht gegenüber der Europäischen Union, aber gegenüber dieser Gesamtsituation. Ich glaube einfach, dass man, um der Türkei einen Gefallen zu tun, aber auch die eigenen geostrategischen Interessen zu wahren, ehrlich sein sollte, klar sagen sollte, dass es eine türkische EU-Mitgliedschaft nie geben wird, aber dann gemeinsam mit der Türkei alles tun sollte, um eine auf die Türkei abgestimmte Partnerschaft zu entwickeln. Deren Basis muss aber genau so Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sein.

    Liminski: Halten Sie denn die Türkei generell nicht für europafähig oder plädieren Sie nur aus geografischen Gründen nur für eine privilegierte oder Spezialpartnerschaft?

    Posselt: Die Türkei ist erstens kein europäisches Land, und ich als überzeugter Paneuropäer und Europaföderalist hatte ja auch im Europaparlament darüber eine Auseinandersetzung mit dem liberalen Fraktionsvorsitzenden Verhofstadt, weil ich gesagt habe, er will wie ich auch eine europäische Föderation, aber kein Mensch kann sich doch vorstellen, dass mit einem großen nichteuropäischen Land von der Peripherie sich eine solche europäische Föderation verwirklichen ließe. Mit dieser Lebenslüge muss endlich Schluss gemacht werden. Auf der anderen Seite überfordert man die Türkei, man überdehnt die EU, und man überfordert die Türkei. Und ich glaube, dass beides falsch ist, und außerdem unterminiert es das Vertrauen der Bürger in den europäischen Einigungsprozess, wenn man diesen als Spiel ohne Grenzen gestaltet.

    Liminski: In unmittelbarer Nachbarschaft der Türkei liegt die Wiege der Demokratie, Griechenland, dort aber scheint es mit Europa auch nicht so recht zu klappen. Jetzt steht die Regierung Samaras möglicherweise vor einer neuen Krise: Ein Koalitionspartner ist ausgestiegen. Ist die Demokratie in Griechenland wegen des Sparkurses gefährdet?

    Posselt: Ich glaube nicht, ich glaube, sie ist stabiler, als viele meinen. Ich kenne Herrn Samaras aus seiner Zeit im Europäischen Parlament, wir haben uns die ganze Zeit gestritten, aber er ist ein sehr durchsetzungsstarker und intelligenter Mensch. Ich glaube, er ist jetzt der Richtige, um das Land zu sanieren, und er hat ja jetzt schon beeindruckende Leistungen vollbracht, gemeinsam mit den linken Koalitionspartnern von der PASOK, und den noch linkeren Koalitionspartnern von der halbkommunistischen Partei, die da auch noch beteiligt war. Also das ist schon eindrucksvoll, was er zustande gebracht hat. Nur jetzt hat er einfach überzogen, die Schließung des Fernsehsenders, das war wirklich so etwas, wie wenn man plötzlich den Deutschlandfunk schließen würde, das war ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit und die kulturelle Substanz Griechenlands.

    Liminski: Danke für die Blumen, Herr Posselt. Die Regierung in Griechenland hat nur noch eine Mehrheit von drei Stimmen. Reicht denn das für weitere harte Maßnahmen?

    Posselt: Ja, also es reicht in meinen Augen, denn niemand wird derzeit diese Regierung stürzen wollen. Auch die Tsipras-Leute werden die Regierung nicht stürzen wollen, denn sie wollen diesen Sanierungskurs. Ich halte das mehr für ein innenpolitisches Spiel innerhalb der Linken, weil sie müssen sehen, die beiden linken Parteien, die in der Regierung beteiligt waren, anders als die Partei des Premierministers Nea Dimokratia waren sie eben zwei rivalisierende linke Parteien. Die rivalisieren sehr um die Stimmen bei der nächsten Wahl, und ich glaube, dass man eben in diesem Thema der Schließung des Fernsehsenders einen populären Punkt gesehen hat, wobei ich sagen muss, das steht außerhalb der Parteipolitik. Meine Kollegin Doris Pack von der CDU, Vorsitzende des Kulturausschusses im Europaparlament, hat mit unser aller Unterstützung ein energisches Protestschreiben nach Athen geschickt, dass man so mit öffentlich-rechtlichen Medien nicht umgehen kann.

    Liminski: Wenn Sie vergleichen müssten, welches Land ist demokratischer, Griechenland oder die Türkei?

    Posselt: Ja, Griechenland ist ohne Weiteres und ohne Zweifel eine Demokratie, wenn auch eine Demokratie mit Mängeln. Es ist das Klientelsystem, was in Griechenland das Problem ist. Und das zu überwinden, ist natürlich eine sehr, sehr schwierige Aufgabe. Das heißt, dass ganze Familiencliquen den Staat und die Wirtschaft beherrschen, das ist das eigentliche Problem.

    Liminski: Die Türkei und Griechenland und die Demokratie und Europa – das war der außenpolitische Sprecher der CSU im Europaparlament, Bernd Posselt. Besten Dank fürs Gespräch, Herr Posselt!

    Posselt: Grüß Gott!


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