Ein Dutzend Regisseure sitzt zusammen, sie schauen sich Filme an und diskutieren darüber. Alle vorgestellten Werke behandeln nur ein Thema: den Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren und seine Folgen. Denn hier trifft sich die "Armenisch-türkische Kinoplattform", ein Zusammenschluss von Filmemachern aus beiden Ländern - eine von etlichen Versöhnungsinitiativen, die in den vergangenen Jahren zwischen Armenien und der Türkei entstanden sind. Die Türkin Belgin Cengiz ist von Beginn an dabei. Sie arbeitet derzeit an einem Dokumentarfilm über die Stieftochter von Republikgründer Atatürk, die vermutlich ein armenisches Waisenkind war. Ihr Beitrag zu einer überfälligen historischen Wahrheit, erklärt sie:
"Eine Million Menschen sind damals verschwunden. Die Konsequenz daraus muss doch sein, dass wir beiden Völker in einen Dialog treten und uns gegenseitig Empathie entgegen bringen. Aber es gibt leider immer noch diejenigen in der Türkei, die an den alten Tabus festhalten und von Schuld nichts wissen wollen."
Bücher und Filme, die "Völkermord" im Titel tragen
Der Völkermord an den Armeniern ist - aller offizieller Nicht-Anerkennung zum Trotz - kein Tabuthema mehr in der Türkei. Auf etlichen Veranstaltungen gedenken heute Türken und Armenier gemeinsam den Opfern von 1915. Zudem findet am Wochenende an der Bosporus-Universität eine internationale Konferenz zum Völkermord statt. Einer der Organisatoren ist der Istanbuler Historiker Bülent Bilmez. Für ihn ist der Völkermord eine historische Tatsache. Und er ist davon überzeugt, dass auch die Mehrheit der türkischen Bevölkerung genau weiss, was damals passiert ist.
"Es geht ja bei diesem Verbrechen nicht allein um die Ermordeten. Deren Besitz wurde beschlagnahmt, ihre Kirchen und Häuser zerstört oder beschlagnahmt. Das hat jeder gesehen und gewusst. Nur durfte darüber jahrzehntelang nicht geredet werden. Auch die Regierung kennt die Wahrheit. Mit ihrer Abwehrhaltung versucht sie nur jedes Jahr das Gedenkdatum 24. April irgendwie hinter sich zu bringen."
Neben Konferenzen gibt es mittlerweile auch etliche Bücher, die den Begriff "Völkermord" im Titel tragen - und eben auch Filme, wie die des armenischen Regisseurs Harout Ekmanian. Für einen Film über einen türkischen Offizier, der Dutzende Armenier vor dem Tod gerettet hat, arbeitet er mit türkischen Kollegen zusammen.
Seine Familie stammt aus der heutigen südosttürkischen Stadt Diyarbakir, ein Großteil seiner Verwandten wurde vor 100 Jahren ermordet. Versöhnung zwischen den Völkern sei wichtig, sagt Ekmanian, aber er reise auch jedes Mal mit gemischten Gefühlen in die Türkei:
"Ich fühle, dass dies hier auch mein Heimatland ist. Aber ich könnte niemals hier leben. Es ist ja immer noch das Land der Nachkommen der Mörder meiner Familie."
"Die Mauer zwischen beiden Ländern muss niedergerissen werden"
Nicht immer geht es in der Filmemachergruppe konfliktfrei zu. Die überwiegend jungen Türken sehen sich zu Unrecht in Haftung genommen für die Verbrechen ihrer Urgroßeltern, die Armenier fühlen sich in ihrem kollektiven Trauma nicht verstanden. Belgin Cengiz ist dennoch von den Treffen begeistert:
"Unsere Zusammenarbeit ist sehr produktiv. Und wir entdecken unsere Gemeinsamkeiten. Mit unseren armenischen Brüdern und Schwestern versuchen wir wenigstens im Kulturbereich wieder da anzuknüpfen, wo unser Zusammenleben vor 100 Jahren so abrupt aufgehört hat."
Ihr armenischer Kollege Harout Ekmanian ist da etwas zurückhaltender. Aber auch er will an dem Austausch festhalten. Der Weg zur historischen Wahrheit führe nur über Versöhnung und Dialog:
"Von solchen Projekten müsste es noch mehr geben. Denn die Grenze zu Armenien ist von der Türkei ja geschlossen worden und darum kann es nur wenig Kontakt zwischen einfachen Bürgern geben. Die Mauer zwischen beiden Ländern muss niedergerissen werden, dann können wir uns mit unserer gemeinsamen Vergangenheit beschäftigen."