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"Die Türken sind auch enttäuscht von der EU"

In Jubel breche keiner aus, nur weil die EU die Beitrittsgespräche mit der Türkei wieder aufnehme, sagt Ahmet Külahci, Deutschland-Korrespondent der türkischen Zeitung Hürriyet. Dennoch könne die EU weiter positiven Einfluss auf den Demokratisierungsprozess in der Türkei nehmen.

Ahmet Külahci im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Die Europäische Union will die Beitrittsgespräche mit der Türkei wieder aufnehmen. Darauf haben sich gestern die Außen- und Europaminister der Mitgliedsstaaten verständigt. Die Gespräche mit Ankara waren auf Eis gelegt worden nach dem gewaltsamen Vorgehen gegen Demonstranten in Istanbul. Zugeschaltet aus Berlin ist Ahmet Külahci, Deutschland-Korrespondent der türkischen Tageszeitung "Hürriyet". Herr Külahci, brechen türkische Politiker jetzt in Jubel aus?

    Ahmet Külahci: Das kann ich mir kaum vorstellen. Das heißt: Selbstverständlich, diese Entscheidung wurde in der Türkei auch von politischer Seite doch sehr positiv aufgenommen. Aber die Euphorie, die mal vor einigen Jahren geherrscht hat, merkt man überhaupt nicht – deswegen nicht, weil man seit 50 Jahren die Türkei vor den Toren von der EU warten lässt. Von daher: Jubel nicht, aber auch der Ministerpräsident Erdogan hat sich gestern positiv geäußert, dass er sich freut, dass eine solche Entscheidung getroffen worden ist, dass die Türkei doch den Weg nach Europa weiter gehen wird.

    Armbrüster: Guido Westerwelle, der Noch-Außenminister, hat ja gesagt, er sehe, dass die Türkei die Lektion der letzten Monate verstanden habe, das Aussetzen dieser Gespräche als Protest gegen das Vorgehen gegen Demonstranten in Istanbul. Haben Sie den Eindruck, ist die Botschaft angekommen in Ankara?

    Külahci: Ich meine, auch ohne Aussetzung dieser Gespräche sollte in der Türkei diese Botschaft aufgenommen worden sein. Das heißt, der Demokratisierungsprozess soll in der Türkei weitergehen. Aber dass die Türken - nicht nur die Politiker jetzt, die türkische Bevölkerung - die Neigung nach Europa, die Euphorie nach Europa verloren haben, die Glaubwürdigkeit an Europa verloren haben; wie gesagt, diese Glaubwürdigkeit an Europa sinkt immer. Vor vier, fünf Jahren waren es fast 70 Prozent der Türken der Meinung, dass die Türkei in der EU aufgenommen, Vollmitglied werden sollte, und das ist jetzt bei circa 30 Prozent. Das heißt, die Türken sind auch enttäuscht von der EU – deswegen, weil man der Türkei schon vor 50 Jahren versprochen hat, dass die Türkei ihren Platz in der EU finden soll. Aber in den letzten Jahren, wie gesagt, gibt es keine Neuigkeiten – deswegen nicht, weil man mit diesen Verhandlungen vor acht Jahren begonnen hat, 35 Kapitel sollten ja erörtert werden, es wurde bis jetzt nur ein Kapitel geschlossen, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung, und alle anderen acht oder zehn Kapitel werden von Zypern und Frankreich blockiert. Ich meine, man wusste ja schon von vornherein, was man für ein Mitglied in die EU aufnimmt, als man Zypern aufgenommen hat. Zypern war ja schon ein geteiltes Land damals und wie gesagt, da wusste man, dass Zypern alles blockieren könnte, aber trotzdem hat man Zypern aufgenommen, die Türkei nicht.

    Armbrüster: Wenn nun die EU-Mitgliedschaft für viele Türken immer uninteressanter wird, gibt es dann vielleicht eine neue Alternative für die Türkei, eine Alternative, ein anderes Bündnis, dem sie sich zuwenden könnte?

    Külahci: Nein, hoffentlich nicht, oder ich wünsche es mir nicht. Selbstverständlich: Die Türkei soll ihre Beziehungen auch zu den anderen Ländern offenhalten.

    Armbrüster: Etwa zum Nahen Osten?

    Külahci: Nicht nur! Nach Asien, nach Nahost, nach Südamerika und ich weiß nicht was. Es gibt ja solche Bestrebungen, da habe ich nichts dagegen. Aber wie gesagt: Die Türkei soll definitiv auf dem Weg nach Europa weitergehen. Das ist sehr wichtig für die Türkei, das ist sehr wichtig für Europa, weil die Türkei Europa braucht, Europa braucht auch die Türkei, wenn es in der Umgebung einigermaßen stark sein will.

    Armbrüster: Aber die Widerstände, Herr Külahci, gerade aus Deutschland gegen eine solche Vollmitgliedschaft, die sind ja nach wie vor riesig. Wieso macht die Türkei denn überhaupt noch mit bei diesem Spiel?

    Külahci: Ja gut, ich finde es gut, dass die Türkei immer noch das mitmacht, obwohl so große Enttäuschungen stattfinden in den letzten Jahren. Nicht nur in Deutschland, glaube ich, auch in einigen europäischen Ländern gibt es ja diese Widerstände. Aber wie gesagt: Man muss doch ehrlich gegenüber der Türkei sein, was man von der Türkei erwartet, was man will. Dass man der Türkei immer noch irgendwelche neuen Bedingungen stellt und sagt, macht das und macht jenes, aber selbst keine positiven Schritte unternimmt, das ist unehrlich, das verdient die Türkei nicht. Wie gesagt, für mich persönlich: Egal welche wirtschaftliche Lage in der Türkei ist, das heißt, ob wirtschaftlich die Türkei Europa nicht braucht - die Türkei braucht Europa, was den Demokratisierungsprozess betrifft, und deswegen sollten, glaube ich, auch die Europäer Interesse daran haben, eine starke, eine demokratische Türkei in der EU zu haben.

    Armbrüster: Ahmet Külahci war das, der Deutschland-Korrespondent der türkischen Tageszeitung "Hürriyet". Besten Dank für das Gespräch, Herr Külahci.

    Külahci: Bitte.


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