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"Die Uhr tickt"

Anfang kommender Woche beginnt im mexikanischen Cancun der UN-Klimagipfel. Dort müsse es Ergebnisse geben, sonst würden einige Staaten ihr Engagement wieder herunterfahren, sagt EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard. Die europäische Politik zeige außerdem, dass klare Vorgaben Innovation geradezu hervorzwinge.

Connie Hedegaard im Gespräch mit Marc-Christoph Wagner |
    Stefan Heinlein: Viele Worte, magere Ergebnisse, so die Bilanz der UN-Klimakonferenz von Kopenhagen vor knapp einem Jahr. Vereinbart wurde damals nur ein unverbindlicher Minimalkonsens. Wirkliche Fortschritte im Kampf gegen die globale Erderwärmung wurden nicht erreicht. Nun wird ein neuer Anlauf unternommen. Anfang kommender Woche beginnt im mexikanischen Cancun der UN-Klimagipfel. Doch auch diesmal sind die Aussichten auf einen Durchbruch eher gering. – Mein Kollege Marc-Christoph Wagner hat mit der dänischen EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard über die Perspektiven für Cancun gesprochen und sie gefragt, was man aus Kopenhagen gelernt hat.

    Connie Hedegaard: Zunächst einmal meine ich nicht, Kopenhagen war eine Katastrophe. Es war eine Enttäuschung, ganz bestimmt. Als es darauf ankam, wollten die Teilnehmer sich nicht bewegen. Dennoch: Erst mals hat man sich überhaupt darauf geeinigt, dass die Temperaturen um nicht mehr als zwei Grad steigen dürfen, man hat sich festgelegt auf gemeinsame Standards bei der Überwachung, auch auf Geld hat man sich geeinigt – insofern hat es schon Resultate gegeben.

    Hinzu kommt: Es gelang, die Themen Klima und Energie ganz nach oben auf die politische Tagesordnung zu bringen – sowohl bei den Staats- und Regierungschefs sowie bei den tonangebenden Unternehmen. Das hat es zuvor noch nicht gegeben. Und im letzten halben Jahr vor Kopenhagen haben eine Reihe von Staaten ihre Ambitionen entweder verschärft – oder erstmals überhaupt derlei Klimaziele formuliert – große Staaten wie Brasilien, Indien, letztendlich sogar China.

    Das zeigt: Wenn es eine Deadline gibt, wenn die Staats- und Regierungschefs der Weltöffentlichkeit erklären müssen, welche Maßnahmen sie in ihrem eigenen Land ergreifen, dass das am Ende doch zu Bewegung führt. Heute gibt es sehr, sehr viele Staaten mit einer expliziten Klimapolitik.

    Wagner: Wenn wir jetzt einmal nach vorne schauen, nach Cancun, und Lehren ziehen aus Kopenhagen, muss man dann nicht sagen, die UNO ist vielleicht gar nicht das richtige Forum, um einen solchen Klimakompromiss zu finden? Ist es nicht vielmehr eine politische Entscheidung, die gefunden werden muss?

    Hedegaard: Gewiss. Das Problem ist nur, so leicht es auch ist, die Schwierigkeiten des UNO-Prozesses zu sehen, so schwer ist es bisher gewesen, eine Alternative auszumachen. In Europa haben wir nichts dagegen, das Thema Klima innerhalb der G-20 zu diskutieren, aber bislang war es nicht möglich, diese Fragen ernsthaft innerhalb der G-20 zu diskutieren, und schon gar nicht, sich dort auf irgendetwas zu einigen. Es macht auch keinen Sinn, das Thema innerhalb der G-8 zu debattieren, denn dort sind die Schwellenländer noch nicht einmal vertreten. Die G-2, also USA und China, haben sich im vergangenen Jahr ich weiß nicht wie oft getroffen, ebenfalls mit einem sehr bescheidenen Ergebnis.

    Mit anderen Worten: Es ist sehr leicht zu sehen, wie schwierig und langsam sich die Verhandlungen innerhalb der UNO gestalten, allein ist es sehr, sehr schwierig zu sehen, was ist die Alternative. Zudem sollte man den Zeitfaktor bei diesem Thema nicht unterschätzen. Die Uhr tickt. Und deswegen meine ich, dass wir uns in einer sehr ernsten Situation befinden, wenn Cancun zu keinen oder nur wenigen Resultaten führt. Denn das riskiert man, dass der UNO-Prozess zwar formell weitergeht, die Staaten sich in der Realität jedoch von ihm abkehren.

    Wagner: Das heißt, wenn Cancun keine wesentlichen Fortschritte erreicht, dann ist das zwar nicht das formelle Ende des UNO-Prozesses, aber doch in der Realität?

    Hedegaard: Mit letzter Sicherheit kann ich das so natürlich nicht sagen. Wir wissen ja nicht, was passieren wird. Aber ich denke, das Risiko ist vorhanden. Und ich glaube, dass einige der Staaten, die den UNO-Prozess noch nie besonders geliebt haben, sie würden, wenn wir in Cancun nichts erreichen, dies als Vorwand betrachten, um ihr Engagement herunterzufahren.

    Wagner: Nun, man soll ja bekanntlich bei sich selber anfangen, und das heißt:Wir sind in Europa, Sie fahren nach Cancun als EU-Klimakommissarin. Muss Europa nicht mit einer Stimme sprechen? Müssen nicht Sie die Verhandlungen führen, anstatt sich ständig mit 27 Umweltministern beraten und abstimmen zu müssen?

    Hedegaard: Ich meine, das ist eine der ganz entscheidenden Lehren, die die EU aus Kopenhagen ziehen muss. Wenn die EU den internationalen Einfluss haben möchte, zu dem uns die Größe unserer Wirtschaft, die ja die weltweit größte ist, berechtigt, dann müssen wir mit einer Stimme sprechen. Das bedeutet nicht, dass nur einer, dass nur ich diese eine Stimme verkörpern muss. Natürlich müssen sich auch andere äußern können. Entscheidend ist, dass am Ende die gleichlautende Botschaft vermittelt wird. Wenn China mit dem deutschen Umweltminister spricht, wenn China mit mir redet, mit Griechenland oder Irland, dann müssen die gleichen Botschaften, die gleichen Prioritäten vermittelt werden. Sobald jemand vernehmen kann, gut, dies ist zwar die Position der EU, aber in diesem Punkt hat Frankreich Vorbehalte, in einem anderen ein anderes Mitgliedsland und hier ein drittes, dann werden wir gegeneinander ausgespielt, und das hat nur eine Konsequenz: Die EU verliert an Einfluss. Insofern: Mit einer Stimme zu sprechen, ist ganz entscheidend, auch in Cancun.

    Wagner: Und wie realistisch ist diese eine Stimme?

    Hedegaard: Ich glaube eigentlich, dass viele Vertreter der EU in Kopenhagen eine so starke Erfahrung gemacht haben, dass man diesen Punkt rational und intellektuell begriffen hat. Die Herausforderung liegt eher darin, sich tatsächlich auch umzustellen, denn natürlich schränkt das die zuständigen Minister der Mitgliedstaaten ein.

    Wagner: Einer der unsicheren Faktoren, die Europa diskutiert hat in Kopenhagen, war diese Zahl 20/30. Wie gehen wir jetzt damit um? Sollen wir das europäische CO2-Reduktionsziel von 20 auf 30 Prozent erhöhen? Ist das ein Pfand, den wir geben sollen, der aber nur eingelöst wird, wenn die anderen sich auch bewegen?

    Hedegaard: Also zunächst einmal sagen wir noch immer, auch in Cancun, wir stehen zu unserem alten Versprechen, dass, wenn andere auch vernünftige Beiträge leisten, dann erhöhen wir auf 30 Prozent. Keine Diskussion! Ich meine aber, dass selbst wenn andere sich nicht bewegen und auch Cancun keine großen Fortschritte bringt, dann müssen wir nach Cancun diskutieren, wie sorgen wir dafür, dass wir bei energieeffektiven Produkten und der Energieeffektivität unserer Wirtschaft überhaupt, die starke Position der EU beibehalten. Wenn wir Standards und Ziele festsetzen und wenn wir regulieren, dann treibt das die Innovation innerhalb unserer Unternehmen voran. Das hat uns wirtschaftlich geholfen! Darum machen mir all diejenigen große Sorgen, die sagen, nun lasst uns erst einmal die Krise überwinden, lasst uns erst dann über Klimaschutz reden. Ich glaube, die kommenden fünf bis zehn Jahre werden ganz entscheidend dafür sein, welchen Platz Europa in der Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts einnehmen wird.

    Wagner: Sie haben es schon angesprochen, im Moment bewegen sich die Dinge vor allem in der Wirtschaft. Passiert Klimapolitik eigentlich noch in der Politik? Oder ist es der Markt, sind es die Unternehmen, die wirkliche Fortschritte bedeuten?

    Hedegaard: Ich denke, die Unternehmen fangen damit an, eine Menge zu tun. Sie begreifen, es ist in ihrem eigenen Interesse. Aber es geht sehr viel schneller, wenn man sagt, da ist etwas, was ihr machen müsst, also in fünf Jahren müsst ihr das und das erreichen, oder in zehn Jahren muss etwa die europäische Autoindustrie noch weniger CO2 ausstoßen, als sie dies aus eigenem Antrieb tun würde. Ich meine, bei uns in Europa gibt es sehr, sehr viele Beispiele dafür, dass eine vernünftige, austarierte Regulierung, Innovation geradezu hervorzwingt.

    Heinlein: Vor dem UN-Klimagipfel in Cancun die dänische EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard im Gespräch mit meinem Kollegen Marc-Christoph Wagner.