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Die UKIP und der Brexit
"Stimmt für den Ausstieg!"

Nigel Farage von der UKIP fordert die Menschen auf, für den Ausstieg zu stimmen. Der Chef der Partei für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs betont, ein Europäer zu sein. Doch darüber steht für ihn die Unabhängigkeit Großbritanniens. Und er wirbt mit Ressentiments gegen Einwanderer.

    UKIP-Chef Nigel Farage setzte sich für den Brexit ein.
    UKIP-Chef Nigel Farage setzte sich für den Brexit ein. (picture-alliance/epa/Facundo Arrizabalaga)
    Der lilafarbene Wahlkampfbus mit Nigel Farage obenauf biegt in die Haupteinkaufsstraße von Kingston ganz im Westen Londons. Aus den Lautsprechern tönt die Titelmusik des Kinoklassikers"The Great Escape","Gesprengte Ketten" – ein Film über die Flucht britischer Soldaten aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager. Nigel Farage, soll das heißen, ist der Mann, der jetzt die Ketten sprengt, in denen die EU Großbritannien gefangen hält.
    "Es gibt 183 Länder weltweit, die einen Unabhängigkeitstag haben, wir werden das 184. werden. Ein normales Land."
    "Thank you, Nigel! Nigel for PM!"
    "Nigel for PM": Farage soll Premierminister werden, ruft eine Frau. Der UKIP-Chef ist umgeben von seinen Wahlkampfhelfern und –helferinnen. Sie halten Schilder hoch mit der Aufschrift:"Wir wollen unser Land wieder haben. Stimmt für den Ausstieg!"
    "Er ist hunderttausend Mal besser als Merkel. Das ist doch alles Angstmacherei von Cameron."
    "Ich liebe Europa, absolut. Ich bin wirklich pro Europa. Aber wir wollen aus der EU raus. In Europa ja, aber raus aus der EU. Wir mögen die EU nicht."
    "Ich war Französisch- und Deutsch-Lehrerin, ich liebe Europa. Ich war oft auf Klassenfahrt mit den Schülern dort."
    UKIP geht es ums Prinzip
    Nigel Farage scheint den Spaziergang durch die High Street zu genießen. Von Wahlkampfmüdigkeit keine Spur. Der Tag des Referendums könnte sein größter Tag werden.
    "Es geht um das Prinzip: Wer regiert Großbritannien? Wollen wir eine uns selbstregierende, unabhängige und demokratische Nation sein oder Teil einer größeren politischen Union? Darum geht es."
    Die umstehenden Passanten schauen sich den Trubel um den UKIP-Auftritt mit etwas Abstand an. Einige stimmen ihm zu, andere nicht.
    "Ich vertraue ihm nicht, vor allem wegen der Wirtschaft. Ich bin für Remain, also bleiben."
    "Er ist ein großartiger und wunderbarer Typ. Ich sehe fast alles so wie er. Er wird sehr schlecht und nicht akkurat in der Presse dargestellt."
    "German Bratwurst against Brexit!"
    Ortswechsel – der Bahnhof Charing Cross gleich neben dem Trafalgar Square. Bratwurst gegen Brexit heißt es hier, eine Aktion aus Deutschland, vom Bundesverband Junger Unternehmer.
    "Mustard? Ketchup?"
    Die Bratwürste gibt es kostenlos, dazu Senf und Ketchup und eine kleine Broschüre mit dem Titel"Statt Brexit - Instead of Brexit". Die Bratwürste finden regen Absatz, dabei versuchen die Jungunternehmer, ins Gespräch zu kommen.
    "Wir müssen uns wirklich für die EU einsetzen. Ich glaube, dass wir wirklich keine andere Chance haben in der Zukunft. Wir können nur gemeinsam weiter stark sein. Wenn Großbritannien uns verlässt, dann bricht glaube ich die gesamte EU zusammen."
    Labour warnt vor negativen Brexit-Folgen
    Die Deutsche Botschaft in London empfiehlt zwar immer wieder, deutsche Politiker sollen sich lieber heraushalten, das sei kontraproduktiv. Aber eine Bratwurst sollte keine Provokation darstellen.
    "Die Bratwurst sieht wirklich gut aus", meint ein Passant und greift zu,"und die Broschüre lese ich auch noch."
    "Tolle Idee, ich werde sowieso für Remain stimmen."
    Die Aktion kommt an, wirklich überzeugend ist ihre Wirkung hier nahe Trafalgar Square aber eher dann doch weniger.
    "Wenn wir aus der EU gehen, dann hat der kleine Mann eine Chance gegen den großen Mann."
    "Ich habe das Gefühl, dass viele sich tatsächlich schon entschieden haben und rausgehen wollen. Auch vorhin bei einer Dame kam mir das so vor, aus gutem Hause und mit hoher Bildung. Sie hat gemeint, sie hat sich schon für Austritt entschieden."
    Der Wahlkampf war über das Wochenende für einige Tage ausgesetzt, aus Respekt für die ermordete Labour-Abgeordnete Jo Cox. Es ist jetzt Dienstag an einer U-Bahn-Station im Stadtteil King's Cross. Die Freiwilligen der"Remain"-Kampagne sind noch tief getroffen von der Attacke eines mutmaßlich Rechtsradikalen und Geistesgestörten.
    "Ich denke, das Attentat hat mir der fürchterlichen Atmosphäre hier in den letzten Wochen zu tun. Ich bin geschockt über die Desinformationen. Tut mir leid, ist das Großbritannien oder Putins Russland hier?"
    Philip Richmond, ein Mann Anfang 40, organisiert den Auftritt hier mit den Tischen und Plakaten. Eine direkte Verbindung zwischen Brexit-Kampagne gegen Einwanderer und dem Mord will er nicht herstellen. Aber:
    "Wer Gefühle in Wallung bringt, gegen Einwanderer, der spielt mit dem Feuer. Dann gibt es jemanden, der ist instabil. Das kann ihn zu etwas antreiben."
    In den Gesprächen mit den Fußgängern spielt das Thema aber keine Rolle. Philip freut sich, dass Nigel Farage ein Poster aus dem Verkehr ziehen muss, dass einen Ansturm von Einwanderern auf Großbritannien zeigt. Alle sind jetzt gespannt auf den Tag des Referendums.
    "Ich habe das Gefühl, wir werden verlieren," sagt ein 87 Jahre alter rüstiger Herr, der für die EU wirbt."Aber es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wir wissen einfach nicht, wie es ausgeht."