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Die Ukraine will blockfrei bleiben

Die Ukraine soll blockfrei bleiben - lautet die Losung des neuen Präsidenten. Die Kommission zur Vorbereitung des NATO-Beitritts hat Wiktor Janukowytsch bereits aufgelöst, nun soll noch gesetzlich verankert werden, dass die Ukraine keinem Militärbündnis beitreten darf.

Von Florian Kellermann |
    In Kiew steht ein ehrwürdiges Denkmal: Ein ungefähr 30 Meter hoher Bogen aus Metall, er soll die Freundschaft zwischen der Ukraine und Russland symbolisieren. Aber im Moment ist das Bauwerk aus Sowjetzeiten zweckentfremdet: Es ist rundherum mit Lichtern in Regenbogenfarben geschmückt für das kleine Volksfest zu seinen Füßen.

    Trotzdem wüssten sie natürlich, was der Bogen bedeute, sagt Mischa, der etwas abseits mit seinem Freund Wolodja Bier aus einem Papp-Becher trinkt.

    "Ja, wir hatten einen gemeinsamen Staat, aber das ist vorbei. Ich bin froh, dass wir uns getrennt haben, denn jetzt sind wir Ukrainer selber für unser Land verantwortlich. Wenn wir nicht vorwärtskommen, dann können wir niemandem die Schuld zuschieben. Außerdem schauen die Russen immer ein bisschen auf uns herab, weil sie Öl haben und reicher sind. Aber Geld ist doch nicht alles: Der Westen ist zivilisierter - und daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen."

    Mischa und Wolodja, beide 38 Jahre alt, haben deshalb nicht für den neuen Präsidenten Wiktor Janukowytsch gestimmt. Seine Politik sei zu Russland freundlich, meinen sie. Trotzdem geben sie ihm in einem Recht, in seinem Verzicht auf einen NATO-Beitritt. Mischa sagt:

    "Als blockfreies Land haben wir mehr Spielraum. Wir können mit dem Osten und dem Westen zusammenarbeiten. Es gibt ja auch längst nicht mehr nur die NATO einerseits und Russland andererseits auf der Welt. Staaten wie China werden immer wichtiger - und auch da können wir als unabhängiges Land leichter Beziehungen aufbauen und letzten Endes Geld verdienen."

    Ein neutrales Land, das seine Sicherheitspolitik selbst gestaltet: Das ist nach Ansicht von Andrij Jermolajew, Experte am staatlichen Institut für strategische Forschungen, auch das Konzept des neuen Präsidenten. Und nur diese Position sei realistisch, so Jermolajew:

    "Das westliche Verteidigungsbündnis hat der Ukraine zwar die Chance auf einen Beitritt gegeben. Gleichzeitig aber hat es deutlich gemacht, dass der Zeitpunkt dafür noch lange nicht gekommen ist. Die Ukraine müsse erst tiefgehende Reformen in Gang setzen, hieß es, zum Beispiel in Sachen Demokratie. Außerdem ist die ukrainische Gesellschaft nicht bereit für die NATO."

    Tatsächlich zeigen Umfragen, dass die Mehrheit der Ukrainer gegen einen Beitritt zu dem Militärbündnis ist. Vor allem im Osten des Landes wollen die meisten Menschen den engen Kontakt zu Russland beibehalten und die bilateralen Beziehungen nicht belasten. Das liegt unter anderem daran, dass viele Ostukrainer Verwandte auf der anderen Seite der Grenze haben oder in Moskau arbeiten. Aber selbst im Westen des Landes sind die Ukrainer zwar klar für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union, stehen der NATO aber deutlich skeptischer gegenüber. Andrij Jermolajew:

    "Eine angemessene Politik bedeutet für die Ukraine, dass sie sich nicht mehr ständig zwischen dem Osten und dem Westen entscheiden muss. Ich nenne diese Strategie den "nationalen Pragmatismus". Auch die Entscheidungsträger im Westen halten sie für richtig, denn Spannungen zwischen Russland und der Ukraine nutzen keinem."

    Immerhin hat Janukowytsch schon versucht, die Menschen im Westen des Landes, die ihn mehrheitlich nicht gewählt haben, zu beruhigen. Seine erste Auslandsreise hat er nicht nach Moskau unternommen, sondern nach Brüssel. Die Botschaft an seine politischen Gegner: Er werde keine pro-russische Politik machen.

    Die Frage ist, ob das Land tatsächliche stark genug für eine eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik ist. Beobachter fürchten, dass die Ukraine zur Schaukel-Taktik von Ex-Präsident Leonid Kutschma zurückkehrt. Der sendete laufend Signale in Richtung Russland und gleichzeitig in Richtung USA aus, um sich auf beiden Seiten Freunde zu machen. Letzten Endes enttäuschte er damit auch beide.

    Mischa und Wolodja schauen vom Platz am Freundschaftsbogen hinunter auf den Dnjepr. Der Fluss gilt als Grenze zwischen der West- und der Ostukraine. Wolodja sagt nachdenklich:

    "Wir sind ein großes Land mit einer unterschiedlichen Geschichte, der Westen hat einmal zu Polen gehört, der Osten zu Russland. Wir müssen wohl erstmal zu einer Nation zusammenwachsen."