Jürgen Liminski: Obama will also die Zustimmung des Kongresses einholen. Das hatte auch sein britischer Verbündeter Cameron versucht und war gescheitert. Auch der zweite europäische Verbündete, Frankreichs Staatspräsident Hollande, will das Parlament, die Nationalversammlung, einberufen – allerdings nur, um es zu informieren. Aber die Stimmen werden lauter, dass auch in Paris ein Votum erfolgen soll. Mitgehört hat in Berlin der Historiker und Publizist Michael Stürmer. Mit ihm wollen wir eine Folgenabschätzung für die Weltpolitik vornehmen. Guten Morgen, Herr Stürmer.
Michael Stürmer: Guten Morgen nach Köln!
Liminski: Herr Stürmer, drei Weltmächte gibt es. So zitiert Schopenhauer die alten Griechen und nennt sie Klugheit, Stärke und Glück. Alle drei scheinen, für Obama dringend nötig zu sein. Was fehlt ihm denn derzeit am meisten?
Stürmer: Eine klare Lagebeschreibung und eine Beschreibung dessen, was das Ziel eines Militärschlages sein soll, am Tage danach, im Monat danach und im Jahr danach. Das ist bisher die große Schwäche. An militärischer Stärke, anders als Frankreich oder Großbritannien, von Deutschland gar nicht zu reden, fehlt es ja nicht. Woran es fehlt, ist eine klare Zielbestimmung, was mit einem militärischen Schlag erreicht werden soll: Wiederherstellung des Chemiewaffen-Abkommens, das ja eklatant verletzt worden ist, offensichtlich durch das syrische Regime, oder Bestrafung von Baschar al-Assad. Und was dann? Wie bestraft man ihn? Wie hält man bei gleichzeitigem Militärschlag Syrien zusammen? Es ist in niemandes Interesse, von den Russen bis zu den Israelis, dass Syrien zerspringt in tausend Stücke. Heute ist es bereits in wahrscheinlich 500 Stücke zersprungen, wobei einige von diesen Stücken außerordentlich gefährlich sind und durch einen Raketenschlag oder einen Cruise-Missile-Schlag nicht wieder zusammenzusetzen sind. Das sind die wirklichen Probleme und das steht als strategische Analyse hinter den großen Zweifeln.
Liminski: Die militärische Stärke ist gegeben, sagen Sie auch. Wird er sie denn nutzen oder nutzen müssen?
Stürmer: Nach jetzigem Erkenntnisstand ja. Er ist sehr weit gegangen. Wenn Obama so weit geht, wie er es jetzt öffentlich gegangen ist, und dann passiert nach dem 9. November zunächst einmal nichts und zwei Wochen später ist immer noch nichts passiert, dann können Sie der Weltmachtstellung der Vereinigten Staaten gute Nacht sagen. Dass das im Weltinteresse liegt, im Weltordnungsinteresse liegt, das werden selbst die geschworenen Gegner eines Militärschlags nicht behaupten.
Liminski: Ist denn im Falle eines Militärschlags ein Flächenbrand zu befürchten? Sehen Sie weltpolitische Verwerfungen im Fall eines Militärschlages?
Stürmer: Es kommt darauf an, wie Sie einen Flächenbrand beschreiben. Wenn Sie ihn beschreiben als Ausbreitung von islamistischem Terrorismus, El Kaida und vielen anderen Unannehmlichkeiten, dann ja. Wenn Sie es beschreiben als einen kalt entschlossenen Angriff, etwa wie er angekündigt worden ist vom syrischen Regime, Angriff auf Israel, dann eher nein. Das Regime in Damaskus ist nicht in einer Lage, sich neue Feinde zuzuziehen, und die Israelis würden, wenn angegriffen, mit überwältigender Kraft zurückschlagen und das würde das Regime nicht überleben. Aber wiederum stellt sich die Frage, was dann. Es reicht nicht, militärische Kraft auszuüben und ein gewaltiges Feuerwerk zu entfesseln. Das können die Amerikaner. Aber was dann? Flächenbrand im Sinne von Eingreifen Russlands, das ist praktisch nach jetzigem Erkenntnisstand ausgeschlossen. Russland hat eine Flottendemonstration angelegt, nicht so groß wie die Amerikaner, aber um Präsenz zu zeigen. Russland hat Interessen in Syrien, Russland hat dort einen mittelgroßen Kriegshafen, aber mehr ist das nicht. Nein, Russland wird weiterhin den Amerikanern zeigen wollen, dass gegen Russland und China in den Vereinten Nationen nichts zu erreichen ist. Russland kann dabei fest auf andere Mächte zählen wie Deutschland. Deutschland hat gesagt, wir sind militärisch nicht dabei, aber wenn wir dabei wären, würden wir auch einen Beschluss des Sicherheitsrates verlangen, um auf der völkerrechtlichen Seite einigermaßen gesichert zu sein. Also die Sache ist diplomatisch-politisch völlig blockiert und der Schlüssel würde liegen beim Baschar-Assad-Regime und die hätten genug zu tun, um die Trümmer einzusammeln, wenn es zu einer Militäraktion kommt.
Liminski: Gibt es denn überhaupt noch eine Chance, die Russen und die Chinesen für eine scharfe UN-Resolution zu gewinnen? Was könnte, was müsste man den Russen oder den Chinesen bieten?
Stürmer: Zunächst einmal muss man ihre Interessenlage kennen und die Russen sind ja … Letzten Endes geht die Spur nicht nur der Mittelstreckenraketen, sondern auch die der Chemiewaffen auf die alte Sowjetunion zurück, und von dort wiederum geht diese Spur auch nach Deutschland zurück. Diese historischen Zusammenhänge sind jedenfalls in der Region nicht ganz unbekannt. Was müsste man Russen und Chinesen bieten? Zunächst einmal von Anfang an – und das ist verpasst worden – der Versuch, die wenigen Gemeinsamkeiten, die es in der Syrien-Frage gibt, zu bündeln und zu einem glimpflichen Ende zu kommen. Das ist blockiert worden schon vor Monaten. Die ganze Krise ist ja nicht über Nacht auf uns gekommen, sondern die Krise hat sich seit über zwei Jahren aufgebaut und man kann sagen, dass herzlich wenig geschehen ist. Die Russen und Chinesen haben blockiert, der Westen hat so getan, als ob es reichen würde, etwas Sympathie zu äußern für weitgehend unbekannte Rebellen, etwas Waffen zu liefern, nicht tödliche Waffen, was immer das ist. Man hat sich im Grunde um dieses Problem nicht wirklich gekümmert.
Jetzt sagt auch die deutsche Diplomatie, der deutsche Außenminister, er habe mit den Russen so viel wie möglich gesprochen. Der G20-Gipfel steht bevor. Dort wird man natürlich über das Problem sprechen. Aber ob den Russen etwas zu bieten ist, dass sie sozusagen diese Verbindung nach Süden in Richtung Mittelmeer infrage stellen, dass sie eher mit Amerikanern und Europäern gemeinsame Sache machen als mit ihren arabischen Verbündeten, das steht dahin. Eins ist klar: Auch die Russen sind sehr ordnungsbewusst und ein Zerspringen Syriens sehen sie nicht als in ihrem Interesse an. Dass sie aber wissen, wie es weitergehen soll, das kann man auch nicht sagen. Den Status Quo bewahren ist nicht möglich.
Liminski: Im Hintergrund wirft ja die Iran-Krise ihre Schatten voraus, Herr Stürmer. Israel ist von Obama enttäuscht. Und was bedeutet die Syrien-Krise nun für die Atomgespräche mit Teheran? Ist das ein Vorlauf, eine Demonstration der Stärke und Entschlossenheit, oder der Schwäche und des Zauderns?
Stürmer: Sie sagen es! Man kann es doppelt lesen. Man kann einerseits sagen, Obama will für das eigentliche Problem die volle Zustimmung beider Häuser des Kongresses haben. Darauf kann er in Sachen Iran rechnen. Und nun ist die Frage, ob im Sog der Iran-Auseinandersetzung, der Iran-Krise er auch die Syrien-Krise lösen kann. Die beiden Probleme sind mindestens in der amerikanischen Innenpolitik sehr eng miteinander verknüpft.
Liminski: Würde denn ein Militärschlag die UNO entwerten? Im Fall Kosovo und im Fall Irak reichte eine Koalition der Willigen. Ist das nicht Kanonenboot-Politik auf höherem Niveau?
Stürmer: Nein, es ist nicht Kanonen-Politik auf höherem Niveau. Das Tragische oder das mindestens Bizarre ist ja, dass dieses Chemiewaffen-Abkommen, das ja die rechtliche Grundlage wäre, ein UN-beaufsichtigtes Abkommen ist und die UN so oder so verlieren. Wird das Chemiewaffen-Abkommen sichtbar ein Fetzen Papier, indem niemand sich dafür einsetzt, auch nicht die Amerikaner, von den Deutschen gar nicht zu reden, ist das nicht gut für die UN. Ein Angriff ohne UN-Unterstützung, ohne UN-Billigung und Auftrag ist auch nicht gut. Also wie immer man es darstellt: Die UN sind die Verlierer. Aber die UN sind ohnehin sehr schwach, weil sie im Grunde nur handeln können in solch einer Größenordnung, wenn der Sicherheitsrat mitmacht, mindestens sich der Stimme enthält.
Liminski: Fast nur Verlierer in der Syrien-Krise – das war hier im Deutschlandfunk der Historiker und Publizist Michael Stürmer. Besten Dank für das Gespräch, Herr Stürmer.
Stürmer: Gerne. Danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Michael Stürmer: Guten Morgen nach Köln!
Liminski: Herr Stürmer, drei Weltmächte gibt es. So zitiert Schopenhauer die alten Griechen und nennt sie Klugheit, Stärke und Glück. Alle drei scheinen, für Obama dringend nötig zu sein. Was fehlt ihm denn derzeit am meisten?
Stürmer: Eine klare Lagebeschreibung und eine Beschreibung dessen, was das Ziel eines Militärschlages sein soll, am Tage danach, im Monat danach und im Jahr danach. Das ist bisher die große Schwäche. An militärischer Stärke, anders als Frankreich oder Großbritannien, von Deutschland gar nicht zu reden, fehlt es ja nicht. Woran es fehlt, ist eine klare Zielbestimmung, was mit einem militärischen Schlag erreicht werden soll: Wiederherstellung des Chemiewaffen-Abkommens, das ja eklatant verletzt worden ist, offensichtlich durch das syrische Regime, oder Bestrafung von Baschar al-Assad. Und was dann? Wie bestraft man ihn? Wie hält man bei gleichzeitigem Militärschlag Syrien zusammen? Es ist in niemandes Interesse, von den Russen bis zu den Israelis, dass Syrien zerspringt in tausend Stücke. Heute ist es bereits in wahrscheinlich 500 Stücke zersprungen, wobei einige von diesen Stücken außerordentlich gefährlich sind und durch einen Raketenschlag oder einen Cruise-Missile-Schlag nicht wieder zusammenzusetzen sind. Das sind die wirklichen Probleme und das steht als strategische Analyse hinter den großen Zweifeln.
Liminski: Die militärische Stärke ist gegeben, sagen Sie auch. Wird er sie denn nutzen oder nutzen müssen?
Stürmer: Nach jetzigem Erkenntnisstand ja. Er ist sehr weit gegangen. Wenn Obama so weit geht, wie er es jetzt öffentlich gegangen ist, und dann passiert nach dem 9. November zunächst einmal nichts und zwei Wochen später ist immer noch nichts passiert, dann können Sie der Weltmachtstellung der Vereinigten Staaten gute Nacht sagen. Dass das im Weltinteresse liegt, im Weltordnungsinteresse liegt, das werden selbst die geschworenen Gegner eines Militärschlags nicht behaupten.
Liminski: Ist denn im Falle eines Militärschlags ein Flächenbrand zu befürchten? Sehen Sie weltpolitische Verwerfungen im Fall eines Militärschlages?
Stürmer: Es kommt darauf an, wie Sie einen Flächenbrand beschreiben. Wenn Sie ihn beschreiben als Ausbreitung von islamistischem Terrorismus, El Kaida und vielen anderen Unannehmlichkeiten, dann ja. Wenn Sie es beschreiben als einen kalt entschlossenen Angriff, etwa wie er angekündigt worden ist vom syrischen Regime, Angriff auf Israel, dann eher nein. Das Regime in Damaskus ist nicht in einer Lage, sich neue Feinde zuzuziehen, und die Israelis würden, wenn angegriffen, mit überwältigender Kraft zurückschlagen und das würde das Regime nicht überleben. Aber wiederum stellt sich die Frage, was dann. Es reicht nicht, militärische Kraft auszuüben und ein gewaltiges Feuerwerk zu entfesseln. Das können die Amerikaner. Aber was dann? Flächenbrand im Sinne von Eingreifen Russlands, das ist praktisch nach jetzigem Erkenntnisstand ausgeschlossen. Russland hat eine Flottendemonstration angelegt, nicht so groß wie die Amerikaner, aber um Präsenz zu zeigen. Russland hat Interessen in Syrien, Russland hat dort einen mittelgroßen Kriegshafen, aber mehr ist das nicht. Nein, Russland wird weiterhin den Amerikanern zeigen wollen, dass gegen Russland und China in den Vereinten Nationen nichts zu erreichen ist. Russland kann dabei fest auf andere Mächte zählen wie Deutschland. Deutschland hat gesagt, wir sind militärisch nicht dabei, aber wenn wir dabei wären, würden wir auch einen Beschluss des Sicherheitsrates verlangen, um auf der völkerrechtlichen Seite einigermaßen gesichert zu sein. Also die Sache ist diplomatisch-politisch völlig blockiert und der Schlüssel würde liegen beim Baschar-Assad-Regime und die hätten genug zu tun, um die Trümmer einzusammeln, wenn es zu einer Militäraktion kommt.
Liminski: Gibt es denn überhaupt noch eine Chance, die Russen und die Chinesen für eine scharfe UN-Resolution zu gewinnen? Was könnte, was müsste man den Russen oder den Chinesen bieten?
Stürmer: Zunächst einmal muss man ihre Interessenlage kennen und die Russen sind ja … Letzten Endes geht die Spur nicht nur der Mittelstreckenraketen, sondern auch die der Chemiewaffen auf die alte Sowjetunion zurück, und von dort wiederum geht diese Spur auch nach Deutschland zurück. Diese historischen Zusammenhänge sind jedenfalls in der Region nicht ganz unbekannt. Was müsste man Russen und Chinesen bieten? Zunächst einmal von Anfang an – und das ist verpasst worden – der Versuch, die wenigen Gemeinsamkeiten, die es in der Syrien-Frage gibt, zu bündeln und zu einem glimpflichen Ende zu kommen. Das ist blockiert worden schon vor Monaten. Die ganze Krise ist ja nicht über Nacht auf uns gekommen, sondern die Krise hat sich seit über zwei Jahren aufgebaut und man kann sagen, dass herzlich wenig geschehen ist. Die Russen und Chinesen haben blockiert, der Westen hat so getan, als ob es reichen würde, etwas Sympathie zu äußern für weitgehend unbekannte Rebellen, etwas Waffen zu liefern, nicht tödliche Waffen, was immer das ist. Man hat sich im Grunde um dieses Problem nicht wirklich gekümmert.
Jetzt sagt auch die deutsche Diplomatie, der deutsche Außenminister, er habe mit den Russen so viel wie möglich gesprochen. Der G20-Gipfel steht bevor. Dort wird man natürlich über das Problem sprechen. Aber ob den Russen etwas zu bieten ist, dass sie sozusagen diese Verbindung nach Süden in Richtung Mittelmeer infrage stellen, dass sie eher mit Amerikanern und Europäern gemeinsame Sache machen als mit ihren arabischen Verbündeten, das steht dahin. Eins ist klar: Auch die Russen sind sehr ordnungsbewusst und ein Zerspringen Syriens sehen sie nicht als in ihrem Interesse an. Dass sie aber wissen, wie es weitergehen soll, das kann man auch nicht sagen. Den Status Quo bewahren ist nicht möglich.
Liminski: Im Hintergrund wirft ja die Iran-Krise ihre Schatten voraus, Herr Stürmer. Israel ist von Obama enttäuscht. Und was bedeutet die Syrien-Krise nun für die Atomgespräche mit Teheran? Ist das ein Vorlauf, eine Demonstration der Stärke und Entschlossenheit, oder der Schwäche und des Zauderns?
Stürmer: Sie sagen es! Man kann es doppelt lesen. Man kann einerseits sagen, Obama will für das eigentliche Problem die volle Zustimmung beider Häuser des Kongresses haben. Darauf kann er in Sachen Iran rechnen. Und nun ist die Frage, ob im Sog der Iran-Auseinandersetzung, der Iran-Krise er auch die Syrien-Krise lösen kann. Die beiden Probleme sind mindestens in der amerikanischen Innenpolitik sehr eng miteinander verknüpft.
Liminski: Würde denn ein Militärschlag die UNO entwerten? Im Fall Kosovo und im Fall Irak reichte eine Koalition der Willigen. Ist das nicht Kanonenboot-Politik auf höherem Niveau?
Stürmer: Nein, es ist nicht Kanonen-Politik auf höherem Niveau. Das Tragische oder das mindestens Bizarre ist ja, dass dieses Chemiewaffen-Abkommen, das ja die rechtliche Grundlage wäre, ein UN-beaufsichtigtes Abkommen ist und die UN so oder so verlieren. Wird das Chemiewaffen-Abkommen sichtbar ein Fetzen Papier, indem niemand sich dafür einsetzt, auch nicht die Amerikaner, von den Deutschen gar nicht zu reden, ist das nicht gut für die UN. Ein Angriff ohne UN-Unterstützung, ohne UN-Billigung und Auftrag ist auch nicht gut. Also wie immer man es darstellt: Die UN sind die Verlierer. Aber die UN sind ohnehin sehr schwach, weil sie im Grunde nur handeln können in solch einer Größenordnung, wenn der Sicherheitsrat mitmacht, mindestens sich der Stimme enthält.
Liminski: Fast nur Verlierer in der Syrien-Krise – das war hier im Deutschlandfunk der Historiker und Publizist Michael Stürmer. Besten Dank für das Gespräch, Herr Stürmer.
Stürmer: Gerne. Danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.