Archiv

"Die Undercover-Dschihadistin"
Skypen mit dem IS

Eine französische Journalistin gab sich als muslimische Konvertitin aus und knüpfte Kontakte zur Terrororganisation Islamischer Staat, ein IS-Kämpfer in Syrien schmeichelte ihr in zahlreichen Skype-Gesprächen und machte ihr Versprechungen. "Undercover-Dschihadistin" heißt das Buch von Anna Erelles und es liest sich spannend wie ein Thriller.

Von Suzanne Krause |
    Eine Frau schaut auf eine Website mit Propaganda des IS.
    Anna Erelles hat Gespräche mit über 700 Dschihadisten geführt, meist über soziale Netzwerke. (picture alliance/dpa/Oliver Berg)
    Anna Erelles: So nennt sich die französische Journalistin. Es ist nicht ihr wahrer Name. Den muss sie schützen, genau wie ihr Leben. Sie erhält Morddrohungen, wird Tag und Nacht von der Polizei bewacht. Das ist ihr Preis für ein Buch, das sie geschrieben hat und das in Frankreich seit Wochen für Diskussionen sorgt. Seit heute liegt es auch auf Deutsch vor.
    Die Autorin wollte Rekruteure der IS-Dschihadisten ködern. Dafür legte sie sich ein Facebook-Konto zu, mit einer zweiten Identität: als 20-Jährige Konvertitin namens Melodie. Dort meldete sich ein doppelt so alter Franzose, im Einsatz an der syrisch-irakischen Front: Abu Bilel al Faransi. Die rechte Hand des IS-Chefs al-Baghdadi, für die US-Regierung der gefährlichste Verbrecher weltweit. Das jedoch ahnte die Journalistin anfangs nicht, als Bilel die vermeintliche Muslimin mit einer Flut von Emails zu erobern versuchte.
    (Buchauszug)
    "Ich liebe dich für und vor Allah. Du bist mein Juwel und der Islamische Staat ist dein Haus. Gemeinsam werden wir unsere Namen in der Geschichte verewigen, indem wir Stein auf Stein eine bessere Welt aufbauen, in der es keinen Platz für die Käfir - die Ungläubigen – gibt. Ich habe eine riesige Wohnung für dich gefunden! Wenn Du Freundinnen mitbringst, suche ich dir noch eine größere. Tagsüber wirst du dich um die Waisen und Verwundeten kümmern, während ich kämpfe. Abends treffen wir uns wieder... Inschallah.“
    Melodie fühlt sich geliebt. Sie fühlt sich nützlich. Schon so lange sucht sie einen Sinn in ihrem Leben und endlich hat sie ihn gefunden.
    Seit Jahren schon berichtet Anna Erelle, selbst ein Kind der Banlieue, über die zunehmenden Umtriebe radikaler Islamisten in französischen Trabantensiedlungen. Sie kennt viele Familien, in denen Sohn, Tochter oder Vater urplötzlich an der Front im Irak oder in Syrien verschwanden. Erelles Alter Ego Melodie nun erlaubt der Journalistin einen Einblick in den Alltag an der Dschihad-Front.
    Erelles: "Als ich das erste Mal mit Bilel skypte, erwartete ich, jemand Heruntergekommenen zu erblicken. Ganz so wie bei den Syrern, mit denen ich schon Kontakt gehabt hatte und, die nicht in den Krieg verwickelt waren. Bilel hingegen war schick gekleidet, militärisch, aber ganz offensichtlich trug er eine Ausgeh-Uniform. Bei seinem Handy handelte es sich um das allerneueste Smartphonemodell. Ganz locker fragte er mich: He, Schatz, wie geht es dir? Das war einer der Momente während meiner Recherche, der mich am meisten schockierte. Zwar hat mir Bilel viel von seinem Alltag im Krieg erzählt, aber ich war nie mit entsprechenden Bildern konfrontiert. Pardon, dass ich diesen Ausdruck verwende: Der Terrorist kam mir vor wie ein Metrosexueller, der Gesichtscreme aufträgt, bevor er mit seiner Liebsten chattet."
    Allabendlich verschleierte sich Anna Erelle für ihre virtuellen Rendezvous von Kopf bis Fuß, gab sich als devote Melodie. Tagsüber überprüfte sie die Informationen, die sie dem sich immer verliebter gebärdenden Terroristen entlockte. Die Reporterin enthüllte die Lügen und Trugbilder, die Bilel Melodie aufbinden wollte.
    (Buchauszug)
    "Im Koran steht geschrieben, dass wir diejenigen, die gegen unsere Regeln sind, verurteilen können. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, gelesen zu haben, dass man Gott dient, indem man anderen Menschen das Leben nimmt."
    "Doch! Weil sie versuchen, uns auszulöschen. Wir aber vertreten den Willen Gottes."
    Melodie will darauf eingehen, Bilel unterbricht sie jedoch. Er hat eine Postkartenidylle zu verkaufen. Und auch ein ideales Leben.
    "Wir sprechen zu viel über die Toten. Hier ist alles schön und es gibt so viel zu sehen. Das Meer ist wundervoll und die Berge sind faszinierend. Du wirst auch viele Freundinnen finden, deinen eigenen Kreis haben und ihr werdet gemeinsam Frauensachen machen. Das ist die wahre Welt... und bald deine kleine Welt."
    "Werde ich auch viele französische Schwestern treffen?"
    "Na klar! Vor allem Belgierinnen und Französinnen. Die sind hier in der Überzahl. Und ich schwöre dir, sie sind fast schlimmer als wir! Im Moment ist der Sprengstoffgürtel, den sie um die Hüften tragen, ihr neuester Modegag."
    "Um Terrorist zu spielen?"
    "Ja und vor allem, um sich in die Luft zu sprengen, wenn es nötig ist...."
    Einen Monat lang bedrängte Abu Bilel die vermeintliche junge Konvertitin, bis sie gen Syrien aufbrach. In Istanbul dann wollte sie sich aus dem Staub machen. Beim Zwischenstopp in Amsterdam jedoch forderte Bilel, sie solle bis in eine türkische Grenzstadt fliegen – eine IS-Hochburg. Erelle zog den Heimflug vor und setzte damit einen Schlusspunkt unter ihre Existenz als Undercover-Dschihadistin. Seither lebt sie unter Polizeischutz. Denn Bilel vergisst Melodie keineswegs, wie seine im Buch dokumentierten Skype-Nachrichten beweisen.
    (Buchauszug)
    "Du hast dein Gegenüber unterschätzt. Du hast dich mit einer Terror-Organisation angelegt! Du wolltest mich zum Narren halten, aber das wirst du mir büßen! LOL."
    Bei ihrer Schilderung, wie sie das Rekrutierungsnetzwerk des "Islamischen Staats" ausspionierte, schreibt Anna Erelle von ihren Erlebnissen und Gefühlen in Ich-Form. Sobald es um Melodie geht, verwendet Erelle die dritte Person. Politische Analysen überlässt die Autorin anderen – sie deckt Details des dschihadistischen Front-Alltags, den tiefen Graben zwischen heroisierende Propaganda des "Islamischen Staats" und Realität, auf. Trotz einiger Längen liest sich ihr Bericht wie ein Thriller.
    In Frankreich erschien Erelles Buch mitten in der blutigen Attentatswelle Anfang Januar. Und fand entsprechend viel Medienecho. Nun gilt das Werk als eine Art Pflichtlektüre bei Familien, aus deren Reihen Angehörige zum 'Islamischen Staat' überwechselten.
    Erelles: Viele muslimische Leser bedanken sich bei mir dafür, jede Form von Amalgam unterlassen zu haben. Mir ging es darum, den Familien selbst ernannter Dschihadisten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und vor allem wollte ich aufzeigen, dass der Islam nichts gemein hat mit der Terror-Organisation "Islamischer Staat". Dass diese beiden Botschaften angekommen sind, freut mich sehr.
    Anna Erelles: "Undercover-Dschihadistin. Wie ich das Rekrutierungsnetzwerk des Islamischen Staats ausspionierte"
    Aus dem Französischen übersetzt von Martina Bunge, Eliane Hagedorn und Barbara Reitz.
    272 Seiten, Droemer Verlag, 19,99 Euro