Archiv

"Die Ungehaltenen" im Gorki-Studio Berlin
Auf der Suche nach Halt

"Migration ist etwas, das einen krank macht" - das sagt Theaterregisseur Hakan Savaş Mican, selber Sohn von türkischen Einwanderern. In seinem Stück "Die Ungehaltenen" im Gorki-Studio Berlin erzählt er von der Suche vieler Migranten nach Halt in der Familie und in der Gesellschaft.

Von Oliver Kranz |
    Zwei Jugendliche laufen Hand in Hand durch eine Unterführung
    Dem Protagonisten in "Die Ungehaltenen" fehlt der Halt - in der Familie, in der Gesellschaft, im ganzen Leben. (imago/Westend61)
    "Ich stehe am Fenster, gucke auf die Straße und fühle mich wie ein Fisch in einem Aquarium. Diese ganzen Touristen und Zugezogenen mit Skinny Jeans, Jacketts, Vollbärten und Seitenscheiteln - diese ganzen Jutebeutel!"
    Im Zentrum des Stücks: ein zorniger junger Mann. Elyas ist wütend, ohne zu wissen warum. Ihm fehlt der Halt - in der Familie, in der Gesellschaft, im ganzen Leben. Und das ist typisch für Migranten, sagt Hakan Savaş Mican:
    "Das ist ein großes Lebensgefühl, das wir oder meine Generation von unseren Eltern als Erbe bekommen haben. Der Titel "Die Ungehaltenen" ist vielleicht die beste Beschreibung dafür - mit sehr viel Wut, Enttäuschung, Schwermut, Melancholie, unterdrückter Trauer. Und natürlich eine große Suche."
    Elyas ist als Sohn türkischer Gastarbeiter in Berlin aufgewachsen und hat mit seinem Vater nie wirklich reden können. Nun liegt er auf seinem Sterbebett:
    "Alter Mann, hörst du mich? Hier spricht dein Sohn!!!"
    Doch der Alte bleibt stumm. Mehmet Ateşçí als Elyas blickt sich unsicher um. Links und rechts haben Musiker ihre Instrumente aufgebaut. Hinten erscheinen auf einer Panoramaleinwand diverse Stadtlandschaften. Erst sind wir in Berlin, dann in der Türkei. Elyas lernt ein Mädchen kennen, das nach Istanbul übersiedelt. Er greift sich ein Mikrofon und beginnt, für seine Angebetete zu singen.
    Mehmet Ateşçí wirft sich auf die Knie und greift sich ans Herz - doch das ist in der Aufführung nur ein ironisches Zitat. Elyas ist viel zu cool, um bei türkischen Popsongs dahin zu schmelzen. Doch er beherrscht die Pose. Und so wird auch in vielen andern Szenen gespielt - Gefühle werden mit Selbstironie gekontert, doch sie werden nicht denunziert.
    "Bei Migration gibt's immer ganz große Beschädigungen"
    Die Musiker, die neben Elyas auf der Bühne stehen, verkörpern die anderen Figuren. Hakan Savaş Mican ist wichtig, dass man sie als Typen aus Berlin-Kreuzberg wiedererkennt:
    "Im Grunde genommen ist Migration etwas, was einen krank macht. Bei Migration gibt's immer ganz große Beschädigungen. Das ist etwas, was ich sehr spüre in meiner Arbeit. Darüber mache ich auch sehr oft Theaterstücke."
    Hakan Savaş Mican gehört zu den Wegbereitern des post-migrantischen Theaters in Berlin. Er hat ein Talent, bittere Geschichten mit Humor zu erzählen, Geschichten, die um die Erfahrungen von Migranten kreisen. Das Gefühl, um das es in seiner neuen Produktion geht, kennt er selbst gut. Er wurde 1978 in Berlin geboren, ist aber in der Türkei aufgewachsen. Seine Eltern hatten keine Zeit für ihn und schickten ihn zu seiner Großmutter.
    "Diese Familienkonstellation, die ich bei mir habe, finde ich genauso bei Familien oder bei Menschen in meiner Generation, die in Deutschland immer zusammengelebt haben. Also dieses Ackern, dieses Arbeiten für ein besseres Leben, war etwas, was die Generation meiner Eltern ausgemacht hat. Die haben wirklich geschuftet ohne Ende und haben links und rechts nichts gesehen..."
    Was an den Kindern natürlich nicht spurlos vorüber ging. Im Stück weigert sich Elyas bei der Beerdigung seines Vaters in der Türkei dabei zu sein. Später reist er dann doch zu dessen Grab:
    "Du hast dich in einen Metallsarg zuschrauben und fast 4.000 Kilometer weit schleppen lassen, um am Ende doch in meinem Kopf bestattet zu werden. Das sind gar keine Würmer, das sind meine Gedanken, die dich auffressen."
    Ein bewegender Moment. Auf einmal ist das Stück keine Migrationsgeschichte mehr, sondern eine allgemein-menschliche. Es geht um die Suche nach Halt in der Familie und in der Gesellschaft.