Im Körper einer Frau geschieht so etwas ohne viel Aufhebens. Oft ungeplant, oder gar ungewollt beginnt das Wunder der Entwicklung mit der Vereinigung zweier Zellen. Vor 25 Jahren hat der Brite Bob Edwards diese Initialzündung des Lebens aus dem Dunkel der Bauchhöhle ins helle Licht der Laborlampen gezerrt; hat Ei und Spermium im Reagenzglas verschmelzen lassen. Seither sind weltweit mehr als 300.000 Kinder mit Hilfe der In Vitro Fertilisation gezeugt worden, 9000 deutsche Retortenbabies jährlich verzeichnet das zuständige Register in Lübeck, wo Professor Klaus Diedrich die Uni-Frauenklinik leitet.
Die In Vitro Befruchtung, wurde ja entwickelt für Paare, wo der Eileiter, wo ja normalerweise die Befruchtung stattfindet, nicht funktionsfähig ist oder entfernt werden musste, so dass diese Paare hoffnungslos kinderlos blieben. Und da war es schon eine großartige Entwicklung für mich, dass es möglich wurde, diese Eizelle im Reagenzglas zu befruchten und den Embryo 2 Tage später dann in die Gebärmutter zurückzusetzen.
Eine großartige Entwicklung zweifellos für viele tausend Paare. Die Sympathie der Hilfesuchenden gehört dabei den Ärzten, die den intimen Kinderwunsch ihrer Patienten erfüllen. Die Euphorie über den Erfolg der In Vitro Fertilisation hat die Mediziner angespornt; hat sie weiter experimentieren lassen mit den Zellen, mit denen das Leben beginnt. Heute können sie mit der ICSI-Technik unfruchtbaren Männern zu Kindern verhelfen. Und Frauen gebären noch weit jenseits der 40. Vor allem im Ausland, in Belgien, Großbritannien und Amerika, wo mehr erlaubt ist als in Deutschland, probieren die Fruchtbarkeitsärzte immer neue und heiklere Methoden aus, menschliches Leben auf den Weg zu bringen.
Reproduktionsmedizin unterscheidet sich nicht von anderen Zweigen der Medizin. Wir lindern Schmerz und Leid, sagt Zev Rosenvacs, Leiter einer der bedeutendsten Reproduktions-Kliniken in den USA an der Cornell Universität in New York.
Ich wollte immer nur den Patienten helfen, sagt Hung Ching Liu, die ebenfalls am Weill Cornell Medical College an der künstlichen Gebärmutter arbeitet.
Wir hoffen, dass unsere Technologie das ultimative Werkzeug sein wird, mit dem wir allen unfruchtbaren Paaren zu genetisch eigenen Kindern verhelfen, sagt Zsolt Peter Nagy, der derzeit in Atlanta an der Entwicklung künstlicher Eizellen experimentiert. Das klingt, als sei Unfruchtbarkeit eine Krankheit, die behandelt werden kann und soll.
Es ist eine Krankheit und die WHO definiert es auch als Krankheit. Die WHO definiert ungewollte Kinderlosigkeit als Krankheit.
Darin sind sich die Reproduktionsmediziner einig. Differenzen gibt es nur über die Mittel bei der Verfolgung des anerkannten Ziels.
Es gibt sicherlich zwei Strömungen im Bereich der Reproduktionsmedizin, die eine Gruppe, die alles versuchen will, was heute möglich ist oder worüber auch nur einer mal kurzfristig nachgedacht hat; und die andere Gruppe, vielleicht eher etwas konservativ, die sich darüber gezielt Gedanken macht, wie können wir die Reproduktionsmedizin verbessern.
Professor Klaus Diedrich, Vorsitzender der Deutschen Gynäkologischen Gesellschaft, zählt sich natürlich zur zweiten Gruppe. In der Experimentierfreude seiner Kollegen in Amerika erkennt er weniger Barmherzigkeit mit den Kinderlosen als handfeste finanzielle Interessen:
Die Amerikaner arbeiten ja meist in niedergelassenen Zentren oder privaten Zentren, die einer Universität angegliedert sind. Und in Amerika ist das schon ein sehr finanzkräftiger Bereich. Und wenn man Patienten haben will, muss man natürlich auch gute Ergebnisse bringen. Man muss sich fortschrittlich zeigen und muss Dinge propagieren, von denen man sich viel verspricht, die aber vielleicht noch gar nicht bewiesen sind, dass sie wirklich zu einer Verbesserung der Schwangerschaftsrate führen. Das heißt man versucht schon in Amerika zu einer Schwangerschaft um jeden Preis zu kommen, weil das das Ansehen eines Zentrums erhöht.
Hung Ching Liu von der Cornell Universität, eine mollige Chinesin, Mitte 40, schwört auf die so genannte Cokultur. Dabei setzt sie den Embryo nicht wie sonst bei der In Vitro Befruchtung üblich nach drei Tagen in die Gebärmutter zurück. Sondern sie züchtet ihn für insgesamt fünf Tage auf Zellen der Gebärmutterschleimhaut außerhalb des Körpers.
Ich glaube, dass das aus folgendem Grund funktioniert: Normalerweise nistet sich der Embryo in der Gebärmutterschleimhaut ein, richtig? (Die Schleimhaut muss also eine Funktion haben und bei dieser Cokultur können wir studieren, wie Embryo und Schleimhaut kommunizieren. Sie reden ja miteinander.) Die Schleimhaut produziert Botenstoffe, also Wachstumsfaktoren, die die Entwicklung des Embryo unterstützen. Ich glaube, dass wir die Qualität des Embryo durch die Cokultur verbessern. Die Flüssigkeit, in der wir ihn normalerweise bis zur Implantation züchten ist wahrscheinlich nicht optimal für ihn.
Die Cokultur von Embryo und Gebärmutterschleimhaut im Reagenzglas hat die Universitätsklinik mittlerweile bei hunderten Patientinnen angewendet. Die einzige Studie zur Wirksamkeit der Methode bezog sich aber nur auf die ersten 39 Patientinnen von Hung Ching Liu.
Patientinnen, die bei uns mit der normalen In Vitro Behandlung dreimal gescheitert sind, hatten wir gefragt, ob sie die Cokultur freiwillig testen wollen. Deren Schwangerschaftsrate stieg enorm an. Von 0 auf 60 Prozent. Es funktionierte toll und jetzt bieten wir das Verfahren kommerziell an. Die Patientin kann sich zwischen Cokultur und normaler In Vitro Behandlung entscheiden.
Dass sie so Cokulturen machen, das wird ja auch viel drüben propagiert. Hier sind Studien gelaufen, die überhaupt nicht zeigen konnten, dass hier eine Verbesserung dadurch passiert, ob man jetzt den Transfer des Embryos am 3. Tag macht oder am 5. Tag im Blastocystenstadium. Da gibt es eine schöne Studie, die die Amerikaner aber natürlich nicht so gerne sehen, die eben durchaus gezeigt hat, dass kein Unterschied besteht.
Die New Yorker Forscherin Hung Ching Liu macht dennoch weiter mit ihren Experimenten. Viel weiter sogar. Anstatt nur einer einzigen Schicht von Gebärmutterschleimhautzellen, züchtet sie neuerdings ein richtiges, dreidimensionales Stück Gebärmutterwand. Ein biologisch abbaubares Schwämmchen aus Kollagen ist die Matrix, auf der Schleimhautzellen aus dem Uterus ein Gewebe bilden. Mit diesem Gewebe, meint Liu, kann der Embryo nicht nur kommunizieren, er kann sich auch darin einnisten. In Vitro.
In dieser dreidimensionalen Schleimhaut wächst der Embryo wie in der Natur. Nach fünf Tagen schlüpft er und behält doch seine runde Form. Auch der Zeitrahmen ist derselbe wie in der Natur. Am fünften Tag schlüpfen sie, am Sechsten setzen sie sich in den tieferen Zellschichten fest.
Mit Schlüpfen meint sie, dass der Embryo über das 8-Zell-Stadium hinauswächst und größer wird als die ursprüngliche Eizelle. Er muss sich dann aus der Außenhaut des Eis befreien.
Dieses Experiment, sagt Liu, habe sie nach sechs Tagen beendet. Aber sie wolle noch etwas weiter gehen. 10 Tage vielleicht. Bei 14 Tagen setzt ihr auch das US-Gesetz Grenzen. Aber bis dahin darf sie mit menschlichen Embryonen arbeiten. Mit Mäusen geht sie bereits weiter. Denen transplantiert sie die künstliche Schleimhaut samt Embryo zurück in den Uterus.
Ursprünglich wollte ich nur die Einnistung erforschen. Aber dann meinten die Leute: Oh, Sie können den Ebryo in vitro wachsen lassen. Das heißt, Sie können eine künstliche Gebärmutter herstellen! Aber so weit bin ich noch nicht. Alle reden nur drüber. Ich muss allerdings zugeben, dass ich den Ehrgeiz habe, so etwas wie einen künstlichen Uterus zu schaffen. Doch das wird lange dauern. Wenn wir so ein Organ wirklich herstellen könnten, könnten wir damit Patientinnen helfen, deren Uterus beschädigt oder entfernt wurde. Wir könnten ihnen den künstlichen Uterus implantieren und darin würde sich ihr Kind entwickeln können.
Hung Ching Liu weiß, dass sie von dieser Vision noch meilenweit entfernt ist. So ein künstlicher Uterus müsste im Körper der Frau ja an das Blutsystem angeschlossen werden, damit er mit Nahrung, Sauerstoff und Hormonen versorgt wird, seine Abfallprodukte entsorgt werden. Dennoch redet die Forscherin schon ganz gerne über ihr Fernziel und reagiert mit einigem Unverständnis auf das Entsetzen, das ihre Visionen bei Zeitgenossen auslösen.
Wir stehen permanent in der Kritik. Deshalb verteidige ich mich gerne. Wir arbeiten schließlich zum Wohle der Patienten. Keiner von uns ist ein verrückter Wissenschaftler.
Die Grenze des medizinisch Sinnvollen ist für Liu erst bei den Experimenten einiger japanischer Kollegen überschritten. Die arbeiten an einem künstlichen Uterus aus Stahl: Einem Tank, in dem sie Fehlgeburten am Leben erhalten wollen. Die Zicklein, die sie bislang in dem Tank versorgen und beatmen, überleben das aber nie länger als 10 Tage. Offenbar fehlt ihnen etwas Überlebenswichtiges. Noch weiß niemand im Detail, wie der Fötus versorgt, wie seine Entwicklung gesteuert wird, welche Botenstoffe und Signale er von der Mutter braucht. Deshalb hält Liu zumindest diese Idee eines externen maschinellen Uterus für Unfug.
Mutter Natur ist kompliziert und perfekt eingerichtet. Niemand kann sie ersetzen. Nehmen sie ein Dialyse-Gerät. Das ist noch immer lang nicht so gut wie eine echte Niere, oder?
Man muss ja mal eins sagen: Die Entwicklung der In Vitro Fertilisation und auch die weitere Entwicklung nach dem ersten IVF-Kind, sind ja alle aus Europa gekommen. Das heißt, das erste IVF-Kind ist in England geboren, das erste Kind nach ICSI ist in Belgien geboren, die Präimplantationsdiagnostik ist in England erstmals erfolgreich gemacht worden und die ganze hormonelle Therapie, wie sie jetzt für die Stimulation gemacht wird. Das kommt aus Europa und die Amerikaner versuchen jetzt sozusagen all diese Entwicklungen zu toppen mit neuen Entwicklungen, die noch gar nicht bewiesen sind, dass sie wirklich etwas bringen, sei es der Cytoplasmaaustausch oder was auch immer bis hin zum Klonen, nicht?
Der Cytoplasmaaustausch. Er soll Frauen helfen, die zu alt geworden sind zum Kinder kriegen. Wenn sich ihre Eizellen, während der Reifung teilen, verteilen sich die Chromosomen oft falsch. Die Wahrscheinlichkeit für Kinder mit dem Down Syndrom, für Fehlgeburten und frühe Spontanaborte steigt. Die Empfängsnis funktioniert deutlich schlechter. Deshalb verfielen einige Reproduktionsmediziner auf die Idee einer Auffrischungskur für die Eizelle: Sie picken den Kern aus dem Ei einer dieser zu alten Patientinnen und setzen ihn in eine entkernt junge Eizelle. Dieses Konstrukt muss dann den Rest der Eireifung samt Reifeteilung durchlaufen und befruchtet werden.
Dieses Verfahren ist als erstes von den Leuten an der New York University Downtown ausprobiert worden, 1997 bei einer Patientin, ohne dass sie irgendwelche Vorexperimente gemacht hätten. Sie haben diesen Embryo einfach eingepflanzt. Keine Schwangerschaft. Und dann gab es Kritik, weil sie keine genetischen Vorstudien gemacht hatten. Die Regulierungsbehörde FDA hat jetzt erstmal alles abgeblasen. Wir können diese Verfahren nicht mehr durchführen.
Gianpierro Palermo bleibt aber trotzdem dran. Der chic gekleidete Italienier, wie Hung Ching Liu an der Cornell Universität beschäftigt, probiert den Trick mit dem Cytoplasmaaustausch jetzt mit Mäusen. Bei Menschen, rechnet er vor, reifen nach dieser Prozedur nur 50 Prozent der Eizellen heran. Dann muss man das Ei noch befruchten und es muss anfangen sich zu teilen. Bei 10 Eizellen Ausgangsmaterial bleibt mit Glück eine übrig, die man implantieren könnte. Das ist zu uneffizient. Ältere Patientinnen haben pro Behandlungszyklus nur 5 oder 6 Eizellen. Damit die Reifung besser funktioniert, wurde bei den Mausexperimenten bislang täglich frisches Eizellplasma zugegeben.
Zum ersten Mal können haben wir jetzt Mäuse-Nachwuchs bekommen nach der In-Vitro-Reifung von unreifen Eizellen bei Zusatz frischen Zellplasmas.
Wie Hung Ching Liu hat auch Gianpierro Palermo ein hochgestecktes Fernziel. Demnächst soll das Erbgut der älteren Patientin nicht aus ihren Eizellen kommen, sondern aus einer anderen Zelle ihres Körpers, einer somatischen Zelle, wie die Forscher sagen. Das wäre eine Prozedur wie beim Klonen, nur dass die so entstandene Eizelle noch mit einem Spermium befruchtet würde und einen Chromosomensatz abgeben muss. Als Resultat hätten die Forscher eine genetisch eigene künstliche Eizelle für die Patientin hergestellt.
Wir wollen somatische Zellen benutzen, denn was unser Verfahren derzeit begrenzt ist ja nur die Verfügbarkeit von Eizellen der Patientin. Klar, das ist ein ehrgeizigs Projekt, wir wissen nicht, ob sich die Chromosomen richtig trennen, wir suchen derzeit nach Beweisen dafür.
Diese Technologie wird für alle unfruchtbaren Paare hoffentlich das ultimative Werkzeug um genetisch eigenen Nachwuchs zu bekommen, sagt Zsolt Peter Nagy. Ungar. Typ Schwiegermutterliebling. Er und Gianpierro Palermo arbeiten an derselben Technologie der Haploidisierung zur Erzeugung küntlicher Eizellen aus Körperzellen. Beide behaupten, sie hätten das Verfahren als erster ausprobiert. Zsolt Peter Nagy darf auf jeden Fall für sich beanspruchen, den ersten so hergestellten menschlichen Embryo auf Eis liegen zu haben.
An Tag zwei nach der Befruchtung haben wir ihn in den Eisschrank gepackt. Da ist er immer noch. Nachdem er sich zwei mal geteilt hatte, haben wir uns entschlossen, den Embryo einzufrieren.
Niemand weiß so genau, was da in der Reproduktionsklinik von Sao Paolo, wo Nagy zwischenzeitlich beschäftigt war, eigentlich entstanden ist: Ein lebensfähiger Embryo oder, was wahrscheinlicher ist, ein Zellgebilde, das nach dem Auftauen schnell absterben würde. Peter Nagy kann das auch nicht sagen. Deshalb vollzieht er seinen Versuch jetzt mit Mausembryonen nach und will daraus auf seinen Menschenembryo zurückzuschließen. Getreu dem Motto: Erst schießen, dann nachdenken:
Ganz am Anfang habe ich in Sao Paulo mit Jan Tesarik kollaboriert. Er ist auch ein großartiger Forscher. Er besuchte mich als wir gerade eine Patientin hatten mit praktisch keinen eigenen Eizellen. Wir hatten nicht geplant, das Verfahren mit ihr auszuprobieren, aber mit ihrer Einwilligung haben wir diese künstliche Eizelle für eine mögliche Nutzung in der Zukunft kreiert. Natürlich haben wir den Versuch dann nicht fortgesetzt, weil wir erst einmal in Tiermodellen sehen wollten, ob mit der Technik ein Risiko verbunden ist.
Diese Befürchtung ist berechtigt. Denn der Kern der Körperzelle muss, wenn er zur Eizelle wird, die Reifeteilung, die Meiose, nachvollziehen, die normalerweise nur in Eizellen oder Spermien vonstatten geht. Der doppelte Chromosomensatz in der Körperzelle muss zu einem einfachen werden. Reproduktionsmediziner wie Nagy oder Palermo glauben, dass das funktioniert. Zellbiologen haben ihre Zweifel.
Die Mehrzahl der Molekularbiologen streitet mit mir darüber. Sie glauben, dass es nicht möglich ist, dass man eine Körperzelle von der Mitose, also der gewöhnlichen Zellteilung auf die Meiose ummünzen kann.
Und selbst wenn dies möglich sein sollte, müssen die Mediziner damit rechnen, dass Menschen oder Tiere, die aus ihren künstlichen Eizellen erwachsen, ähnliche Probleme haben würden wie geklonte Tiere mit all ihren Fehlbildungen und Gebrechen. Die Entwicklung eines Kindes aus der Verschmelzung der Keimzellen ist ein hochkomplexer, weitgehend unverstandener Vorgang. Eigentlich ein Wunder.
Stellen Sie sich das einmal vor. Der weltgrößte Wolkenkratzer wird in nur 9 Monaten gebaut und zwar aus einem einzigen Ziegelstein. Der teilt und teilt sich und verwandelt sich in andere Materialien, die für den riesigen Bau und seinen Betrieb gebraucht werden: Millionen Tonnen von Stahl, Beton, Mörtel, Isolierungen, Fliesen, Holz, Granit, Farben, Teppiche, Kabel, Rohre und Glas sowie alle Möbel, Telefonanlagen, Heizungs- und Belüftungssysteme, Wasserab- und zuflüsse, elektrische Leitungen, Kunstwerke und Computernetzwerke samt Software. In nur 9 Monaten entsteht alles aus sich selbst und findet seinen Platz im Bauwerk.
Kinderlose Paare, die sich in Unfruchtbarkeits-Behandlung befinden, verstehen oft erst langsam, dass sie keine Kontrolle über den Erfolg dieser Technologien haben. Sie werden dann richtig obsessiv und versuchen, diese Kontrolle zu erlangen. Ich habe schon den Eindruck, dass es Paare, vor allem Frauen gibt, die das dann zu ihrem Job machen. Schwanger werden ist ihr Full Time Job und es wird schwer für sie, dieses Ziel, diesen Traum loszulassen.
Linda Applegarth, Leiterin des Psychologischen Dienstes an der Fortpflanzungsklinik des Weill Cornell Medical College. Sie bestätigt den Eindruck der Reproduktionsmediziner: Viele ungewollt kinderlose Paare sind bereit, fast jedes Risiko einzugehen, jeden Preis zu zahlen für ein genetisch eigenes Kind.
Diese genetische Verbindung ist den Leuten so wichtig! Vermutlich hat es etwas mit ihrem Streben nach biologischer Unsterblichkeit zu tun. Sie brauchen das Gefühl, dass etwas von ihnen weiter lebt, wenn sie tot sind. (Das ist ein entscheidender Punkt. Und ich denke, es ist der Grund dafür, dass sie sich nicht für eine Adoption entscheiden können.) Das hat mit unserem Narzissmus zu tun und ich meine das durchaus positiv. Die meisten von uns mögen sich selbst; wir sind stolz auf uns, wir haben ein gutes Gefühl mit unseren Beziehungen und wir wollen dass sich das fortsetzt.
Das deutsche Embryonenschutzgesetz setzt den Medizinern hierzulande deutliche Grenzen, was die Entwicklung und Anwendung neuer Methoden angeht. Das Einfrieren von Embryonen und das Experimentieren daran sind verboten. Die Spende von Eizellen ebenfalls. Dennoch boomt die Fortplflanzungsmedizin, weil die Behandlung von den Kassen getragen wird. Zu den etablierten Methoden gehört heute neben der normalen In Vitro Fertilisation auch die ICSI, kürzel für Intra Cytoplasmatische Spermien Injektion. Sie hilft, wenn der Nachwuchs ausbleibt, weil der Mann entweder nur sehr wenige Spermien hat oder solche von sehr schlechter Qualität. Mit eine Nadel helfen die Ärzte dann einem einzelnen Spermium in die Eizelle. Während die In Vitro Fertilisation noch weitgehend folgenlos für das Kind zu sein scheint, finden die Ärzte bei ICSI-Kindern vermehrt Fehlbildungen:
Für ICSI haben wir ja auch hier von Lübeck ausgehend eine sehr große Studie gemacht und hier kam heraus, dass die Fehlbildungsrate nach ICSI etwas höher ist – sprich wenn normalerweise, nach normalem Schwangerschaftseintritt etwas jedes 15. Kind eine Fehlbildung hat, so ist es nach ICSI nach dieser Studie jedes 13. Kind.
Die Fehlbildungsraten erscheinen in beiden Fällen hoch, weil die Kinder in dieser Studie sehr genau untersucht wurden. Viele der beschriebenen Fehlbildungen sind auch nicht schwer und wachsen sich mit der Zeit aus. Doch in einigen Fällen dürften die Probleme tatsächlich entstehen, weil das injizierte Spermium eigentlich nicht fit genug war – im evolutionsbiologischen Sinne. Bei unfruchtbaren Männern ist zum Beispiel häufig das Y-Chromosom beschädigt. Wird aus ihren Spermien ein Sohn gezeugt, dann erbt dieser die Unfruchtbarkeit des Vaters. Klaus Diedrich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie, nennt die Erhöhung der Fehlbildungsrate bei ICSI-Kindern minimal.
Trotzdem wird heute allgemein in Deutschland ein Paar das Kinderwunsch hat und bei dem eine ICSI-Behandlung diskutiert wird, so aufgeklärt, dass das Fehlbildungsrisiko nach den bisher vorliegenden Untersuchungen minimal erhöht ist. Die Eltern müssen dann entscheiden ob sie das Risiko in Kauf nehmen oder nicht. Die meisten machen es dann eben trotzdem.
Auch hierzulande siegt also der Wunsch nach genetisch eigenen Kindern. Lieber nimmt man eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Fehlbildungen in Kauf, als auf eine Samenspende zurückzugreifen.
Die ungwollte Kinderlosigkeit nimmt in allen Industrienationen zu. Ursache dafür sind nach Meinung der Fachleute nicht etwa Umweltgifte sondern die veränderte Lebensplanung der Menschen. Immer mehr Frauen versuchen erst schwanger zu werden, wenn es dafür schon zu spät ist. Ab 35 nimmt die Fruchtbarkeit rapide ab. Wenn sich der Nachwuchs dann nicht zügig einstellt, folgt der Gang zur Fortpflanzungsklinik. Der lange verschobene Kinderwunsch wird übergroß. Heute hat die Reproduktionsmedizin Methoden in der Hand, diesen Frauen zu helfen. An immer neuen, technisch komplizierteren und riskanteren Verfahren wird gearbeitet. Die Psychologin Linda Applegarth stellt aber die Frage, inwieweit solche Verfahren in den Dienst einer in Bezug auf Kinder falschen Lebenplanung gestellt werden dürfen.
Paare treten mit der Forderung an uns, dass wir Embryonen von ihnen erzeugen und einfrieren, weil sie noch keine Kinder möchten. Sie wollen eine Sicherheitspolice im Eisschrank. Das sehen wir schon kontrovers. Wir müssen uns fragen: Sollen wir Embryonen herstellen, die niemals verwendet werden, weil dieses Paar entscheiden mag, dass es doch keine Kinder will? Setzen wir die Reproduktionsmedizin für die Bequemlichkeit der Leute ein anstatt dafür, ihnen zu einem Kind zu verhelfen, weil sie sonst keines haben können?
Die Gesellschaft, also uns, sprechen die Fortpflanzungsmediziner vor allem jenseits des Atlantiks an, wenn es um die Anwendung all der Verfahren geht, die sie entwickeln.
Was die sozialen und ethischen Fragen angeht muss ich sagen: Ich gebe nicht vor, die Antwort zu kennen.
Wir versuchen korrekte Informationen über unsere Forschung an die Gesellschaft zu geben. Sie muss dann debattieren was gut oder nicht gut zu tun ist.
Die Gesellschaft muss sich wirklich darüber klar werden, wie sie zu diesen neuen Technologien steht. Im Augenblick ist die Tendenz bei den meisten Leuten, dass sie von den Möglichkeiten vollkommen überwältigt sind.
Grundsätzlich möchte ich auch sagen, ist immer noch der normale Weg zu einem Kind zu kommen immer noch der beste.