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Die unsichtbare Anwältin im Kachelmann-Prozess

Sie ist die unsichtbare Anwältin des mutmaßlichen Kachelmann-Opfers. Das Engagement der Feministin Alice Schwarzer geht so weit, dass sie sogar für das Boulevardblatt Bild-Zeitung vom Prozess berichtet. Schwarzers Motivation ist aber nicht nur die Solidarität mit einer Frau.

Von Christian Scharff |
    Die Feministin Alice Schwarzer ist eine der Hauptpersonen im Mannheimer Landgericht. Weil Staatsanwaltschaft und Opferanwalt sich gar nicht oder kaum äußern, drängen sich die Kollegen um sie - die Frauenrechtlerin, die plötzlich für die 'Bild-Zeitung' schreibt. Sie ist geduldig, hat eine Mission, erfüllt alle Interview-Wünsche. Alice Schwarzer in der Bild - das war bis vor Kurzem undenkbar. Doch Alice Schwarzer steht nun auf der Seite des mutmaßlichen Opfers, die Berichterstattung pro Kachelmann in seriösen Blättern wie dem "Spiegel" oder "Die Zeit" hat sie dazu gebracht, das Kriegsbeil mit Bild-Chefredakteur Kai Dieckmann zu begraben. Alice Schwarzer:

    "Diese bei einigen Medien extrem voreingenommene Berichterstattung, die schon lange vor dem Prozess wussten, dass Kachelmann auf jeden Fall unschuldig ist und der Prozess kann eigentlich, muss gar nicht mehr stattfinden, die Frau lügt und will sich nur rächen. Das hat mich doch sehr irritiert."

    Die Feministin will dem mutmaßlichen Opfer eine Stimme geben. Die "Bild-Zeitung" betrachtet sie als geeignetes Forum, um auflagenstark und aktuell den Tendenzen einer Pro-Kachelmann-Berichterstattung entgegen zu treten. Das Thema reizt die "Emma"-Verlegerin, weil es grundsätzliche Fragen des Verhältnisses zwischen Mann und Frau aufwirft. Alice Schwarzer:

    "Ja, ganz klar ist ja, dass es weit über das Tatgeschehen hinaus ein Fall ist, in dem die Gesellschaft sich über die Frage der sexuellen Gewalt innerhalb einer Beziehung auseinandersetzt. Es wird sozusagen an diesem Fall diese Frage verhandelt. Und die sexuelle Gewalt innerhalb der Ehe, also der Beziehung ist ja auch überhaupt erst seit 14 Jahren strafbar, das ist nicht viel. Das heißt, dieser Fall ist über sich selbst hinaus exemplarisch."

    Was in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird: In facebook-Gruppen und in manchen Blogs ist das mutmaßliche Opfer gewissermaßen zum Abschuss freigegeben. Pro-Kachelmann-Anhänger veröffentlichen jedes Detail, das ihnen in die Hände fällt, Fotos, Adressen mit Hausnummern, selbst Autokennzeichen und das Ganze oft verbunden mit versteckten oder offenen Drohungen. Alice Schwarzer:

    "Wie wird im Internet gehetzt, ja, da ist ihre Adresse veröffentlicht, ihr Autokennzeichen, usw. Also es gibt eine richtige Menschenjagd auf sie."

    Der mutige Auftritt der Ex-Freundin vor Gericht. Kachelmann-Anwalt will Zeuginnen verhindern. Hat Kachelmann etwas zu verbergen? Mit solchen Schlagzeilen sind ihre Artikel überschrieben. Alice Schwarzer ergreift bewusst Partei für Kachelmanns Ex-Freundin und findet das in Ordnung.

    Dass ihre Artikel mehr Kommentar als Bericht sind, pro Frau contra Mann, pro mutmaßliches Opfer contra Angeklagten ist von Alice Schwarzer gewollt. Sie sollen ein Gegenwicht bilden zu Berichten in anderen Medien und der Sache des mutmaßlichen Opfers mehr Gewicht verleihen. Ein Beispiel ist die Sache mit den psychologischen Gutachten. Das mutmaßliche Opfer sei durch einen Gutachter-Marathon gegangen, der bekannte Wettermoderator habe eine Begutachtung aber stets abgelehnt. Alice Schwarzer:

    "Das ergibt wieder eine enorme Schieflage, denn das mutmaßliche Opfer hat sich ja mehrfach freiwillig begutachten lassen. Darunter dieses Glaubwürdigkeitsgutachten über 128 Seiten, für das sie sich wirklich ausgezogen hat, von Kindheit über erste Periode, also alles, Selbsteinschätzung. Und das ist so ein bisschen bitter, immer diese Schieflage zu sehen. Man kann nur hoffen, dass das Gericht trotz dieser Schieflage sich dadurch findet."

    Eine Schieflage hat Alice Schwarzer auch im Gerichtssaal ausgemacht und die ist unstrittig: Die Kachelmann-Seite ist prall gefüllt mit Verteidigern, Gutachtern und Helfern, auf der Seite des 37-jährigen Opfers, die auch Nebenklägerin ist, schaut es dagegen dürftig aus. Alice Schwarzer:

    "Also mich hat vor allem beeindruckt, dass man hier so bildhaft gesehen hat, das Ungleichgewicht der Kräfte. Herr Kachelmann hat drei Anwälte an seiner Seite, jetzt wurde noch ein Anwalt beantragt, um ihn vor den Medien zu schützen und dann noch die Teilnahme am Prozess der Frau seines Verteidigers, Frau Birkenstock, um ihm in den Pausen seelisch beizustehen und ihm das Händchen zu halten. Gegenüber sitzt dann das mutmaßliche Opfer, so blass wie der Herr Kachelmann - für beide ist das eine ernste Sache- und sitzt da alleine mit ihrem Opferanwalt. Also, da sieht man schon, dass hier wirklich sehr unterschiedlich rangefahren wird."

    Ihre Rolle hat Alice Schwarzer im Kachelmann-Prozess klar definiert: Sie steht auf der Seite der Frau, des mutmaßlichen Opfers. Sie ist zwar Berichterstatterin – vor allem aber Feministin.