Am Anfang war der Ehrgeiz dreier portugiesischer Königssöhne. Um sich den Ritterschlag zu verdienen, führten die Prinzen Duarte, Pedro und Henrique im August 1415 eine Expedition zur Eroberung der Hafenstadt Ceuta an der Mittelmeerküste Marokkos. So könnte man die Geschichte beginnen.
Ceuta war Endpunkt einer transsaharischen Karawanenroute, auf der Gold, Elfenbein und Sklaven nach Europa gelangten. Die Portugiesen setzten sich dort fest, Ceuta wurde ihr erster überseeischer Stützpunkt. In den folgenden acht Jahrzehnten erkundeten sie die Westküste Afrikas, umsegelten das Kap und etablierten in Südostasien das erste europäische Handelsimperium. Nicht zuletzt der Ceuta-Eroberer Henrique war dabei ein energischer Antreiber, besser bekannt als Heinrich der Seefahrer.
Das Jahr der Eroberung Ceutas ist in den Untertitel des Buches von Wolfgang Reinhard eingegangen, der eine "Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415 bis 2015" vorgelegt hat. Doch Reinhards Ausgangspunkt ist ein anderer. Er beginnt mit einer Betrachtung über das Wesen Europas:
"Europa ist immer noch expansiv, obwohl seine weltgeschichtliche Führungsrolle längst der Vergangenheit angehört. 2013 umfasste die Europäische Union 28 Mitglieder. Ein Ende ihrer Expansion ist nicht abzusehen, wobei die Herausforderung Russlands 2014 ohne Bedenken in Kauf genommen wurde … Von Anfang an war Europa mit dem Prozess der eigenen Expansion identisch."
Ceuta war Endpunkt einer transsaharischen Karawanenroute, auf der Gold, Elfenbein und Sklaven nach Europa gelangten. Die Portugiesen setzten sich dort fest, Ceuta wurde ihr erster überseeischer Stützpunkt. In den folgenden acht Jahrzehnten erkundeten sie die Westküste Afrikas, umsegelten das Kap und etablierten in Südostasien das erste europäische Handelsimperium. Nicht zuletzt der Ceuta-Eroberer Henrique war dabei ein energischer Antreiber, besser bekannt als Heinrich der Seefahrer.
Das Jahr der Eroberung Ceutas ist in den Untertitel des Buches von Wolfgang Reinhard eingegangen, der eine "Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415 bis 2015" vorgelegt hat. Doch Reinhards Ausgangspunkt ist ein anderer. Er beginnt mit einer Betrachtung über das Wesen Europas:
"Europa ist immer noch expansiv, obwohl seine weltgeschichtliche Führungsrolle längst der Vergangenheit angehört. 2013 umfasste die Europäische Union 28 Mitglieder. Ein Ende ihrer Expansion ist nicht abzusehen, wobei die Herausforderung Russlands 2014 ohne Bedenken in Kauf genommen wurde … Von Anfang an war Europa mit dem Prozess der eigenen Expansion identisch."
Die Entstehung Europas durch Expansion
Einer dreifachen Expansion verdanke sich, so der Autor, bereits die Entstehung Europas. Der Ausdehnung des Römischen Reiches bis nach Britannien. Der Gegenbewegung der germanischen Völkerwanderung. Schließlich der Ausbreitung des lateinischen Christentums nach Norden und Osten, die erst im 14. Jahrhundert zum Abschluss kam.
Auch den Verbindungen zur außereuropäischen Welt geht der Autor bis in früheste Anfänge nach. Der erste europäische Entdecker, den er erwähnt, ist der Grieche Skylax von Karyanda. Er fuhr im sechsten Jahrhundert vor Christus den Indus abwärts bis nach Ägypten. Die Handelskontakte Indiens mit dem Römischen Reich kommen zur Sprache, die Fernost-Reisen italienischer Kaufleute im 13. und 14. Jahrhundert, die zeitweilige Existenz eines lateinisch-christlichen Erzbistums im mittelalterlichen China.
"Wie kam es überhaupt zu den europäischen Entdeckungen, die in der jüngeren Weltgeschichte nichts Vergleichbares haben? Wie kam es, dass die Europäer ihre unaufhörliche Expansion mangels innereuropäischer Möglichkeiten so erfolgreich in außereuropäischen Ländern fortsetzen konnten?"
Es sind Fragen, die den Autor ein ganzes Wissenschaftlerleben lang beschäftigt haben. Reinhard ist Historiker, Emeritus der Universität Freiburg. Er hat Veröffentlichungen zur Geschichte des Papsttums und europäischer Verfassungsordnungen vorgelegt. Vor allem aber gehört sein Interesse seit jeher den europäischen Kolonialreichen. Das jetzt erschienene Buch ist die kondensierte und neu bearbeitete Fassung eines vierbändigen Werkes, das der Autor in den 1980er-Jahren publiziert hat. Es ist auch als Kondensat ein gewaltiges Opus, mehr als 1.600 Seiten, davon allein 300 mit Literaturhinweisen.
Auch den Verbindungen zur außereuropäischen Welt geht der Autor bis in früheste Anfänge nach. Der erste europäische Entdecker, den er erwähnt, ist der Grieche Skylax von Karyanda. Er fuhr im sechsten Jahrhundert vor Christus den Indus abwärts bis nach Ägypten. Die Handelskontakte Indiens mit dem Römischen Reich kommen zur Sprache, die Fernost-Reisen italienischer Kaufleute im 13. und 14. Jahrhundert, die zeitweilige Existenz eines lateinisch-christlichen Erzbistums im mittelalterlichen China.
"Wie kam es überhaupt zu den europäischen Entdeckungen, die in der jüngeren Weltgeschichte nichts Vergleichbares haben? Wie kam es, dass die Europäer ihre unaufhörliche Expansion mangels innereuropäischer Möglichkeiten so erfolgreich in außereuropäischen Ländern fortsetzen konnten?"
Es sind Fragen, die den Autor ein ganzes Wissenschaftlerleben lang beschäftigt haben. Reinhard ist Historiker, Emeritus der Universität Freiburg. Er hat Veröffentlichungen zur Geschichte des Papsttums und europäischer Verfassungsordnungen vorgelegt. Vor allem aber gehört sein Interesse seit jeher den europäischen Kolonialreichen. Das jetzt erschienene Buch ist die kondensierte und neu bearbeitete Fassung eines vierbändigen Werkes, das der Autor in den 1980er-Jahren publiziert hat. Es ist auch als Kondensat ein gewaltiges Opus, mehr als 1.600 Seiten, davon allein 300 mit Literaturhinweisen.
Europäische Expansion war von Anfang an eine Gewaltgeschichte
Es behandelt eine Epoche, in der sich europäische zunehmend mit globaler Geschichte verflocht, und dem gemäß ist es konzipiert. Reinhard hat eine Weltgeschichte vorgelegt, die in 24 Kapiteln vermutlich alles umfasst, was man überhaupt wissen kann über die Kolonialreiche von Portugiesen, Niederländern, Franzosen und Engländern in Asien, von Spaniern, Engländern und Franzosen in Amerika, die Ursprünge und die Westexpansion der USA, die russische Eroberung Sibiriens und die englische Besiedlung Australiens, die Aufteilung Afrikas im 19. und die Dekolonisierung im 20. Jahrhundert.
Dem universalhistorischen Ansatz entspricht die interdisziplinäre Methode, die Politik- und Wirtschafts- mit Kultur- und Sozialgeschichte verbindet. Zahl und Tonnage der Schiffe, die von 1500 bis 1700 aus Lissabon ausliefen, der Anteil von Edelmetallen am Export Südamerikas im 18. Jahrhundert bleiben ebenso wenig unerwähnt wie das Verdienst der Jesuiten, in Paraguay das einheimische Guaraní zur Literatursprache entwickelt zu haben.
Dass europäische Expansion von Anfang an eine Gewaltgeschichte war, ist ein stets präsenter Befund. Schon die Portugiesen in Indien dachten nicht daran, sich mit den arabischen Kaufleuten zu verständigen, die bisher den Seeweg nach Westen beherrschten. Mit überlegener Schiffsartillerie fegten sie die Konkurrenz vom Ozean. Entsprechend war der Ruf, den sie bald genossen:
"Eine Rasse von Teufeln unter den Stämmen der Menschheit, schmutzig in ihren Manieren, Feinde Gottes und seines Propheten, trat nun in Malabar auf… Mit Betrug und Täuschung kamen sie als Kaufleute verkleidet. Sie wollten Pfeffer und Ingwer für sich selbst und anderen nichts als die Kokosnüsse lassen."
Dass europäische Expansion von Anfang an eine Gewaltgeschichte war, ist ein stets präsenter Befund. Schon die Portugiesen in Indien dachten nicht daran, sich mit den arabischen Kaufleuten zu verständigen, die bisher den Seeweg nach Westen beherrschten. Mit überlegener Schiffsartillerie fegten sie die Konkurrenz vom Ozean. Entsprechend war der Ruf, den sie bald genossen:
"Eine Rasse von Teufeln unter den Stämmen der Menschheit, schmutzig in ihren Manieren, Feinde Gottes und seines Propheten, trat nun in Malabar auf… Mit Betrug und Täuschung kamen sie als Kaufleute verkleidet. Sie wollten Pfeffer und Ingwer für sich selbst und anderen nichts als die Kokosnüsse lassen."
"Postkoloniale Zerknirschung" in der europäischen Gegenwart
Ähnlich urteilte hundert Jahre später ein chinesischer Zeitgenosse über die Niederländer, die um 1600 in fernöstlichen Gewässern erschienen und den Portugiesen die Herrschaft erfolgreich streitig machten:
"Sie sind gierig und schlau, haben umfassendes Wissen über wertvolle Güter und wissen überaus geschickt ihren Vorteil wahrzunehmen. Für Profit wagen sie ohne Zögern ihr Leben. Wer sie auf See trifft, wird unweigerlich beraubt."
Dafür herrscht in der europäischen Gegenwart, wie Reinhard sie sieht, "postkoloniale Zerknirschung", in der er eine "postmoderne Variante des Eurozentrismus" vermutet. Ganz unberührt ist freilich auch sein eigenes Werk von diesem Zeitgeist nicht. Ist es statthaft oder schon rassistisch, eine "Entwicklungsdifferenz" zu konstatieren zwischen europäischen Eroberern und einheimischen Gesellschaften? Wie lässt sich der globale Erfolg Europas erklären, und doch das Unwort "Überlegenheit" vermeiden? Reinhard räumt ein, es könnte:
"Eigentümlichkeiten der europäischen Kultur gegeben haben, die den Europäern doch den einen oder anderen Wettbewerbsvorteil verschafft haben … Zum einen die besondere Wissenskultur, die in der einzigartigen europäischen Einrichtung der Universität verankert war. Sie prämierte systematische Neugier. Zum anderen der mit dieser Wissenskultur unterfütterte christliche Wille zur Weltmission."
"Sie sind gierig und schlau, haben umfassendes Wissen über wertvolle Güter und wissen überaus geschickt ihren Vorteil wahrzunehmen. Für Profit wagen sie ohne Zögern ihr Leben. Wer sie auf See trifft, wird unweigerlich beraubt."
Dafür herrscht in der europäischen Gegenwart, wie Reinhard sie sieht, "postkoloniale Zerknirschung", in der er eine "postmoderne Variante des Eurozentrismus" vermutet. Ganz unberührt ist freilich auch sein eigenes Werk von diesem Zeitgeist nicht. Ist es statthaft oder schon rassistisch, eine "Entwicklungsdifferenz" zu konstatieren zwischen europäischen Eroberern und einheimischen Gesellschaften? Wie lässt sich der globale Erfolg Europas erklären, und doch das Unwort "Überlegenheit" vermeiden? Reinhard räumt ein, es könnte:
"Eigentümlichkeiten der europäischen Kultur gegeben haben, die den Europäern doch den einen oder anderen Wettbewerbsvorteil verschafft haben … Zum einen die besondere Wissenskultur, die in der einzigartigen europäischen Einrichtung der Universität verankert war. Sie prämierte systematische Neugier. Zum anderen der mit dieser Wissenskultur unterfütterte christliche Wille zur Weltmission."
Versagen der EU bei der Flüchtlingskrise
Im letzten Kapitel wird der Leser womöglich nicht mehr soviel Neues finden. Stattdessen einen Ritt über die bekannten Themenfelder unserer globalen Gegenwart. Unterentwicklung, Wohlstandsgefälle, Umweltkatastrophen, Klimawandel, Finanzkrise. Das wissenschaftliche Urteil des Historikers tritt hier gelegentlich zurück hinter das politische des Zeitgenossen, etwa wenn Reinhard den "rücksichtslosen neoliberalen Profitwillen" geißelt.
Das "Versagen der Europäischen Union angesichts des Flüchtlingsstroms 2015" findet am Ende der Darstellung immerhin Erwähnung. Mit keinem Ereignis zuvor ist den Europäern die Globalisierung, ihrerseits eine Folge der europäischen Expansion, so nahe gerückt. Reinhards Buch verlangt der Ausdauer des Lesers viel ab. Wer aber wissen möchte, wie unsere Welt wurde, was sie heute ist, wird hier fündig.
Das "Versagen der Europäischen Union angesichts des Flüchtlingsstroms 2015" findet am Ende der Darstellung immerhin Erwähnung. Mit keinem Ereignis zuvor ist den Europäern die Globalisierung, ihrerseits eine Folge der europäischen Expansion, so nahe gerückt. Reinhards Buch verlangt der Ausdauer des Lesers viel ab. Wer aber wissen möchte, wie unsere Welt wurde, was sie heute ist, wird hier fündig.
Wolfgang Reinhard: "Die Unterwerfung der Welt.
Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415 - 2015"
München, C.H. Beck, 2016, 1648 Seiten.
Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415 - 2015"
München, C.H. Beck, 2016, 1648 Seiten.