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Die US-Katholiken und der Missbrauchsskandal
Erwartungen vor Vatikan-Konferenz

Die sexuelle Gewalt, verübt von Priestern, hat die katholische Kirche in den USA erschüttert. Zuletzt ist ein prominenter Kardinal ganz tief gestürzt: Der Papst hat ihn in den Laienstand versetzt. US-Katholiken haben entsprechend hohe Erwartungen vor der Anti-Missbrauchs-Konferenz im Vatikan.

Von Thilo Kößler | 21.02.2019
Franziskus beugt das Haupt und faltet die Hände
Papst Franziskus betet zur Eröffnung der Konferenz (AFP/Pool/Vincenzo Pinto)
Es gibt wohl keinen zweiten Journalisten in den USA, der die mittlerweile 30-jährige Geschichte der Missbrauchsskandale in den Vereinigten Staaten so intensiv verfolgt hat wie Thomas Reese, der Gründer und Chef der unabhängigen Agentur "Religion News Service". Thomas Reese weiß, was sich die US-amerikanische Öffentlichkeit von dieser Missbrauchskonferenz im Vatikan erwartet: Sie will endlich Taten von der Kirche sehen, die glaubhaft vermitteln können, dass diese Skandale ein für allemal ein Ende haben.
Thomas Reese steht noch ganz unter dem Eindruck des vergangenen Wochenendes, als der Vatikan nach Jahrzehnten des Zögerns und Zauderns ein Exempel statuierte und zum ersten Mal in der US-Geschichte einen Kardinal seines Priesteramtes enthob: Theodor McCarrick, heute 88 Jahre alt, Kardinal aus Washington, hatte über Jahrzehnte hinweg Seminaristen missbraucht – und Minderjährige, wie sich erst Ende letzten Jahres herausstellte.
"Das war das Signal, dass niemand in der katholischen Kirche mehr über dem Recht steht. Das war ein Signal, dass die Regeln der Nulltoleranz-Politik für jeden in der Kirche gelten. Und dass der Papst das alles sehr ernst nimmt."
Hermetisch abgeschottetes System des Vertuschens?
Thomas Reese ist nach Rom gereist, um die Konferenz zu verfolgen. Schließlich spielt die Geschichte der Missbrauchsskandale in den USA eine besonders unrühmliche Rolle, sagt er am Telefon. Die Vorwürfe reichen zurück bis in die 1950er Jahre und richten sich gegen insgesamt 6.400 Geistliche. Allein im Bundesstaat Pennsylvania missbrauchten mehr als 300 katholische Priester über Jahrzehnte hinweg mehr als eintausend Kinder, wie eine Grand Jury einer schockierten Öffentlichkeit im August vergangenen Jahres mitteilte. Die Kirche hatte ein hermetisch abgeschottetes System des Vertuschens, Verschweigens und Verleugnens gepflegt, wie Thomas Reese sagt: Exemplarisch abzulesen auch an dem kometenhaften Aufstieg des Priesters Theodor McCarrick, genannt "Onkel Ted", dem jahrzehntelang Missbrauch von Schutzbefohlenen nachgesagt wurde, ohne dass das irgendwelche Konsequenzen gehabt hätte – im Gegenteil: er wurde von höchster Stelle protegiert.
"Das ist eine Geschichte, die noch erzählt werden muss: Der Vatikan untersucht noch, wie dieser Mann gefördert wurde, wie er erst zum Bischof ernannt wurde, dann zum Erzbischof von Newark, schließlich zum Erzbischof von Washington, einer besonders prestigeträchtigen Diözese. Dann wurde er Kardinal. Das ist alles überhaupt nicht nachvollziehbar."
"Zahl neuer Missbrauchsfälle markant zurückgegangen"
Seit dem Bericht von Pennsylvania und dem Bekanntwerden des ganzen Ausmaßes der Affäre McCarrick ist viel geschehen in der US-amerikanischen Kirche: Die Prinzipien der neuen "Nulltoleranz-Politik" sehen einen genau festgelegten Kanon von Maßnahmen und Sanktionen vor – und zwar schon bei den ersten Verdachtsmomenten. Seither sei die Zahl neuer Missbrauchsfälle markant zurückgegangen, sagt Thomas Reese. Beschuldigte Priester werden seither zur Rechenschaft gezogen – Bischöfe, die sie weiterhin in Schutz nehmen, indes nicht.
"Das ist der zweite Aspekt dieser ganzen Krise, der die Bischöfe betrifft, die nicht tun, was sie tun müssten: Sie schützen nicht die Kinder! Die Kirche hat Vorschläge gemacht. Aber bisher ist noch nichts davon umgesetzt worden."
Jetzt war es der Vatikan, der auf die Bremse trat: Der Papst bat die Kirche in den USA, mit verbindlichen Beschlüssen zum Umgang mit Bischöfen zu warten bis zur Missbrauchs-Konferenz. Von ihr seien jetzt jedoch keine konkreten Beschlüsse zu erwarten, glaubt Thomas Reese. Vielmehr wolle der Papst den Blick auf die Opfer richten und die Kirchen in Asien, Afrika oder Südamerika dafür sensibilisieren, nicht dieselben verhängnisvollen Fehler zu wiederholen, die die Kirchen in den USA und in Europa machten.
"Erst haben sie es nicht geglaubt. Dann haben sie versucht, die Priester zu schützen. Und anschließend dachten sie nur noch daran, den Skandal zu vertuschen. Am Ende war es ein Desaster."
Der Vertrauensverlust in Folge der Missbrauchsskandale sei immens, sagt Thomas Reese. Der Glaubwürdigkeitsverlust der katholischen Kirche eine Herausforderung für die nächsten Jahrzehnte.
"Das wird sehr lange dauern. Einige Bischöfe haben ja schon gesagt: Wir haben die Konsequenzen gezogen. Wir haben die Priester, die sich schuldig machten, aus ihren Ämtern entfernt, wir haben uns entschuldigt. Können wir jetzt wohl wieder zur Tagesordnung übergehen? Nein, so geht das nicht! Wir haben in den USA die Erfahrung gemacht: Das einzige, was uns wieder zur Glaubwürdigkeit verhelfen kann, ist absolute Transparenz!"