Noch ist das Rennen um die Präsidentschaft unklar und die USA stehen wohl vor einer juristischen Auseinandersetzung um das höchte Amt. Bei den beiden Kammern sind die Ergebnisse hingegen klarer: Den Senat werden wohl die Republikaner dominieren, das Repräsentantenhaus hingegen von den Demokraten.
Was das mit dem Land machen könnte, darüber haben wir mit Josef Braml gesprochen. Er ist Politikwissenschaftler bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Christiane Kaess: Herr Braml, nach dem jetzigen Stand – was glauben Sie? Wer wird das Rennen machen?
Josef Braml: Es sieht danach aus, als ob Biden die Nase vorn haben würde. Aber sicher können wir uns erst sein, wenn Trump wirklich das Weiße Haus geräumt hat.
Kaess: Aber was wir sicher wissen ist auf alle Fälle, dass das kein Erdrutschsieg für Joe Biden geworden ist oder werden könnte. Was haben die Demokraten falsch gemacht?
Braml: Die Demokraten haben einiges falsch gemacht, aber Trump hat auch durch eine demagogische Weise vieles richtig gemacht. Er hat auf einen Rassismus-Wahlkampf gesetzt, hat damit einen Rassismus wachgeküsst, der in diesem Land schon seit längerem noch da ist, und davor haben wir auch gewarnt, dass man diesen Umfragen nicht trauen darf, dass viele Menschen einem anderen Menschen, der Umfragen macht, dann nicht gestehen werden, dass sie für einen Rassisten wie Trump stimmen werden. Er ist da aufs Ganze gegangen und hätte beinahe, hat vielleicht sogar gewonnen.
Auf der anderen Seite hat man dann auch Fehler gemacht, dass man zum Beispiel sich festnageln hat lassen beim Fracking. In der zweiten Fernsehdebatte, da hat Biden nicht gut ausgesehen. Er hat sich von Trump da festnageln lassen und damit auch Ohio, Pennsylvania, Texas, Fracking-Staaten gefährdet, die dann auch sehr wichtig waren.
Die Latinos hat man auch nicht wirklich so behandelt, wie man sie behandeln sollte auf dem Parteitag. Da hat man nicht viele gesehen. Auch das war ein Fehler, wenn man an Florida denkt und andere Bereiche.
Da könnte man jetzt noch einiges hinzufügen, auch den Kandidaten selbst. Biden, der auch nicht mehr als der vitalste wirkt. Aber Biden hat nun hoffentlich beim dritten Mal das doch geschafft. Vielleicht sind aller guten Dinge drei. Aber er ist nicht der stärkste Kandidat.
Braml: Rolle von Corona nicht unterschätzen
Kaess: Jetzt haben Sie wieder das Thema Rassismus als Wahlkampfthema erwähnt, haben auch Trump als Rassisten definiert. Das würden viele wahrscheinlich anders sehen. Wir wissen auch mittlerweile, dass eigentlich die Wirtschaft das wichtigste Thema für die Wähler war.
Braml: Ja, gut! Die Wirtschaft hat ja mehrere Auswirkungen. Wirtschaft für wen? Für die Aktienmärkte ja, da sieht es sehr gut aus. Einige wenige haben wieder profitiert davon. Aber da geht es sehr vielen nicht so gut und die Hautfarbe spielt eine Rolle.
Kaess: Aber da traut man offenbar Trump mehr zu, das in Ordnung zu bringen, als Biden.
Braml: Ja, gut! Diejenigen, die mehr haben, trauen Trump mehr zu. Und andere, die hier sich selbst überlassen werden und die auch auf keine soziale Unterstützung zählen können, was auch wiederum rassistisch motiviert ist, wenn Sie genau hinschauen und sich die strukturellen Voraussetzungen anschauen, die haben dann doch aber Biden gewählt.
Wirtschaft ist ein sehr zentrales Thema und wenn man jetzt sagt, dass Corona da überhaupt keine Rolle gespielt hat, dann übersieht man, dass Corona die Wirtschaft zum Einbrechen gebracht hat. Die ist um ein Drittel eingebrochen. Ich glaube, wer das übersieht, hat auch übersehen, dass Trump dann diesen rassistischen Wahlkampf geführt hat. Wenn einer mit Proud Boys nicht nur flirtet, sondern denen sagt, das Pulver trocken zu halten und sich bereit zu halten – ich glaube, dann kann man den schon als Rassisten bezeichnen.
"Sollten Richtern unterstellen, dass sie nach juristischen Maßstäben urteilen"
Kaess: Herr Braml, was können diese juristischen Schritte jetzt noch bringen, die Trumps Team einleitet?
Braml: Er hofft darauf, dass vielleicht jetzt beim zweiten Anlauf die dritte Supreme Court Kandidatin, die er an den Supreme Court nominiert hat, Amy Coney Barrett, vielleicht doch noch miturteilt. Sie hat sich ja vorher schon als befangen erklärt. Vielleicht hilft sie ihm dann doch noch über die Ziellinie. Aber ich denke, wir sollten doch allen Richtern auch unterstellen, dass sie nach richterlichen, nach juristischen Maßstäben urteilen und nicht nach politischen.
Kaess: Das halten Sie auf keinen Fall für realistisch, dass das passieren könnte, dass diese konservative Mehrheit von Richtern am obersten Gerichtshof Trump doch noch den Wahlsieg sichert?
Braml: Vor Gericht sind Sie in Gottes Hand. Wenn Sie Juristen kennen, wissen Sie, dass sie die eine Richtung und die andere argumentieren können. Da würde ich mich überraschen lassen.
"Präsident wird mindestens von einer Kammer blockiert"
Kaess: Wir wissen mittlerweile auch, dass das US-Repräsentantenhaus wohl in demokratischer Hand bleibt und der Senat wohl in republikanischer. Was bedeutet das für den nächsten US-Präsidenten?
Braml: Dass der nächste US-Präsident trotz hoher Wahlbeteiligung eine niedrige Legitimation hat. Wir können jetzt davon ausgehen, dass diesmal 65 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt haben – das sind schon mal nicht alle – und davon nur die Hälfte den jeweiligen Präsidenten. Das ist ein schwaches politisches Kapital. Der nächste Präsident wird dann mindestens von einer Kammer im Kongress blockiert. Wir haben wieder ein divided government und das war ja schon das Problem, dass dieses Regierungssystem polarisiert war, radikalisiert war, nicht mehr handlungsfähig war, dass so einer wie Trump überhaupt erst ins Weiße Haus kam, und das wird jetzt noch verstärkt, wurde durch ihn verstärkt, und wird ihm in seiner möglichen zweiten Amtszeit oder seinem möglichen Nachfolger Biden das Regieren nicht leichter machen. Ich rechne weiterhin mit Blockade, was für uns bedeutet, dass Amerika diese Weltordnungsrolle, die wir so gerne sähen, nicht mehr ausüben können wird.
Kaess: Und was heißt das konkret für die Politik in den USA?
Braml: Dass sie blockiert ist, dass sie weiterhin radikalisiert bleibt, dass dieses System, das ohnehin nur noch schwache Legitimation genießt – denken Sie nur an die niedrigen Zustimmungswerte jetzt für den amtierenden Präsidenten, die noch niedrigeren Zustimmungswerte für den Kongress, und der Supreme Court, der mal über den Dingen stand, ist auch politisiert mittlerweile in den Augen der Amerikaner, hat auch keine Legitimation mehr. Wir haben nicht nur eine Legitimationskrise, dafür dauert das schon zu lange; wir haben bereits eine Erosion der amerikanischen Demokratie.
Kaess: Inwiefern?
Braml: Dass die da unten nicht mehr glauben, dass die da oben Unterstützenswertes leisten – so die Definition von Max Weber. Das heißt, dass viele abgeschlossen haben auch mit diesem System, dass sie zynisch geworden sind, dass sie nichts mehr erwarten, dass sie dann auch zu radikaleren Methoden greifen. Und wir müssen abwarten, ob nicht das eine oder andere dann doch noch zu sehen sein wird, was uns auch hier in Deutschland beunruhigen könnte.
"Bei Amerika sollten wir von höheren Maßstäben ausgehen"
Kaess: Aber, Herr Braml, wie erklären Sie dann diese hohe Wahlbeteiligung? Da spricht doch einiges politisches Engagement und auch politische Hoffnung raus.
Braml: Gut! Wenn man wenig erwartet, sind 65 Prozent viel. Ich glaube, wir haben 80 Prozent, und für eine Vorbild-Demokratie sind 65 Prozent Wahlbeteiligung nicht allzu viel, wenn eigentlich klar sein sollte, dass es um die Zukunft der Demokratie geht – von der Zukunft der Weltordnung ganz abgesehen. Das heißt, wenn man nicht viel erwartet, von niedrigen Maßstäben ausgeht. Aber bei Amerika sollten wir von höheren Maßstäben ausgehen. Das ist eine Vorbild-Demokratie, die uns Deutschen vor allem auch als Vorbild war.
Kaess: Wenn wir jetzt mal auf die nächsten Tage und Wochen blicken, vielleicht auch Monate – womit rechnen Sie? Glauben Sie, dass es eine längere Phase des politischen Stillstands geben könnte, eine Hängepartie?
Braml: Wie könnten wir den Unterschied feststellen, würden die Amerikaner fragen. – Wir hatten ja bereits seit längerem politischen Stillstand. Seitdem Obama versucht hat zu regieren nach den ersten zwei Regierungsjahren, ist dieses System blockiert und radikalisiert. Seitdem hat die Notenbank übernommen. Das heißt, viele wirtschaftliche Bereiche sind blockiert. Seitdem hat die Notenbank mit Geld drucken das Ganze noch am Leben gehalten.
Wir müssen sehen, dass diese Wirtschaft in einer sehr prekären Lage ist, vorher schon war, vor Corona. Jetzt kommen noch weitere Belastungen hinzu. Wir haben jetzt drei Billionen – das sind 3000 Milliarden – weiteres jährliches Defizit zu diesem Schuldenberg, der ohnehin schon die Handlungsfähigkeit des amerikanischen Staates bedroht. Das kommt jetzt hinzu. Das heißt, Amerika wird sehr viele innere Probleme haben, die es versuchen wird, auf andere abzuwälzen. Auch eine Biden-Regierung wird versuchen, Lasten auf Verbündete abzuwälzen, zumal wenn sie wissen, dass man hier aus unserer Abhängigkeit wirtschaftlich, aber vor allem auch militärisch Kapital schlagen können wird.
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