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Die USA und ihr Präsident
"Trump hat einen Nerv in der Bevölkerung getroffen"

Die Politik habe vergessen, dass sie auch die Herzen der Menschen ansprechen müsse und ihnen nicht nur Regierungsprogramme geben könne, sagte John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, im Dlf. US-Präsident Trump gebe mit seiner Art vielen Menschen das Gefühl, dass er für sie spreche.

John Kornblum im Gespräch mit Dirk Müller |
John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland
John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland (imago)
Die Gesellschaften in den USA und in Europa hätten sich ziemlich verändert, sagte John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, im Dlf. Ein großer Teil der Bevölkerung habe das Gefühl, vergessen worden zu sein und dass niemand für sie spreche. US-Präsident Donald Trump habe deshalb mit seiuner disruptiven Art einen Nerv in der Bevölkerung getroffen. Die progressive Seite der Politik sei in dieser Hinsicht etwas eingeschlafen. Aber die Menschen wollten auch ein Gefühl von Politik - sie wollten auch geführt werden. "Und es scheint so zu sein, dass die Menschen einfache Lösungen wollen", sagte Kornblum. Die Rechte sei auch deshalb so erfolgreich, weil sie einfache Antworten biete.

Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Alles gipfelt jetzt irgendwie in Impeachment, das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten. Ein Jahr, wo Donald Trump mehr denn je jeden Tag, fast jede Stunde die Nachrichten in den USA gefüllt und gefüttert hat, wie auch in Europa, wie auch in Deutschland. Die USA 2019, das ist für viele Beobachter, für viele Interessierte das politische Verhalten des Präsidenten in erster Linie: Der Handelskrieg gehört dazu, Nordkorea gehört dazu, das Verprellen der westlichen Verbündeten gehört dazu wie auch Syrien, die Türkei und Afghanistan. Es dreht sich – wenigstens fühlt sich das so an – alles, nahezu alles um Donald Trump in den USA, aber was ist mit der Wirtschaft, mit dem Gesundheitswesen, mit den Schulen, mit Internet, mit der Infrastruktur, mit der Umwelt, mit Klima und mit Gewalt. Die USA 2019, unser Thema mit einem sehr genauen und scharfen Beobachter, mit John Kornblum, früher US-Botschafter in Deutschland. Wir erreichen ihn jetzt in Nashville, Tennessee, und um 23:50 Uhr amerikanischer Zeit. Guten Morgen beziehungsweise guten Abend nach Nashville!
John Kornblum: Guten Morgen nach Berlin!
Trump hat die politische Lage nicht geschaffen
Müller: Herr Kornblum, erdrückt der Präsident die Politik?
Kornblum: Erdrückt, das ist ein interessantes Wort. Ich würde sagen nicht, nein, er erdrückt sie nicht, aber er bringt sie total durcheinander. Die Politik ist sowieso hier sehr unbeständig, und es ändert sich - Sie haben es ein bisschen angesprochen -, es gibt so viel Wandel. Es ist egal, wer Präsident jetzt sein würde, würde es wahrscheinlich eine ziemlich unruhige Zeit geben, aber Trump ist wirklich … Also er fokussiert immer auf das, was er will, er ist auch ziemlich dreist, es stört ihn nicht, wenn er Konfrontation mit Menschen hat. Dadurch natürlich beeinflusst er die Politik sehr direkt, aber man kann nicht sagen, dass nur er die politische Lage hier kreiert hat.
Müller: Also ist nicht alles Donald Trump.
Kornblum: Nicht alles Donald Trump, nein, bei Weitem nicht.
Müller: Aber die meisten laufen ihm hinterher, wie auch immer, mit der oder mit der anderen Einstellung.
Kornblum: Ja, und er hat auch, muss man sagen, er hat auch ein Talent dazu. Er weiß, wie er die Sache auf den Punkt bringen kann, wie er die Debatte beherrschen kann und auch, wie er seine Gegner vielleicht ein bisschen durcheinanderbringen kann.
"Die Menschen sind unzufrieden"
Müller: Amerikaner gehen zumeist offen, sehr offen mit ihrer politischen Einstellung um. Sie tun das auch, Sie sind bekennender Demokrat. Können Sie etwas Gutes an Donald Trump erkennen?
Kornblum: Ja und nein. Als Mensch finde ich es sehr schwer, was Gutes an ihm zu finden, aber - es gibt jetzt ein neues Wort auf Deutsch - als Werkzeug von Disruption, also einer, der alles durcheinanderbringt, kann man sehen, dass nicht alles falsch ist, was er macht. Wir waren in Amerika, aber auch in Europa ein bisschen eingeschlafen, wir meinten, es ginge alles sozusagen jetzt wie vorgeplant, und auf einmal sehen wir, dass es nicht nur Donald Trump ist, sondern, dass die Gesellschaften sich doch ziemlich geändert haben und dass Donald Trump, aber auch, können wir mehrere Namen in Europa auch nennen, Beispiele dafür sind, wie die Menschen erstens unzufrieden sind und wie die Lage sich wahrscheinlich ziemlich verändern wird.
Müller: Das heißt, er hat Themen auf die politische Agenda ganz oben gesetzt, die von Barack Obama beispielsweise noch unter den Tisch gekehrt wurden.
Kornblum: Genau das, und vor allem auch von Hilary Clinton unter den Tisch gekehrt wurden, und Hilary Clinton, das hatte man damals auch fast als Witz gesehen, dass man sagte, ja, sie bereitet sich vor, die Königin von Amerika zu sein. Trump mit seiner raubeinigen Fassung hat dann das alles ziemlich direkt und hart und ziemlich unverschämt teilweise angegriffen, und da hatte er irgendwie doch einen Nerv in der Bevölkerung getroffen. Das muss man ihm lassen.
"Das Gefühl, dass sie irgendwie vergessen worden sind"
Müller: Jetzt müssen Sie uns erlösen: Welche Themen sind das, Herr Kornblum?
Kornblum: Erstens sind das das Thema, was es auch in Europa gibt, dass ein ziemlich großer Prozentsatz der Bevölkerung nicht unbedingt arm sind, aber das Gefühl haben, dass sie irgendwie vergessen worden sind, dass die Politik, die Menschen da oben, wie man immer sagt, mehr Interesse haben für das Ausland oder für die Industrie oder wer weiß was und dass niemand für sie spricht. Es ist natürlich ziemlich ironisch, der ist ja Sohn eines Millionärs, der hat mehr oder weniger, hat man in letzter Zeit gesehen, eine berufliche Laufbahn, er wurde mehr oder weniger von seinem Vater finanziert, aber er hat sich irgendwie mit diesen Gefühlen identifiziert, genau wie einige in Europa das getan haben, und er hat dann diesen Menschen das Gefühl gegeben, dass er für sie steht und dass er Amerika, wie man immer sagt, größer machen würde. Make America great again.
Müller: Wie kommt es denn, Herr Kornblum - Sie haben das gesagt, in Europa ist das auch so, also in einigen Teilen -, wie kommt es, dass die Rechten, die brachialen Politiker hier in erster Linie mit diesem Thema punkten?
Kornblum: Ich glaube, weil sie einfache Antworten liefern. Ich sagte, die eine Seite der Politik, wo wir sagen, die progressive Seite, war ein bisschen eingeschlafen. Die haben geglaubt, man könnte das alles durch Regierungspolitik, durch Statuten, durch Programme, durch Ausgaben …, und die haben vergessen, dass die Menschen auch teilweise ein Gefühl für die Politik haben wollen, die wollen auch überzeugt werden und teilweise auch geführt werden. Ich glaube, die Konservativen oder die Rechten, wie man sie jetzt nennen will, sie haben das Einfache, weil sie einfache Lösungen liefern, und es gibt Zeitpunkte, und wir scheinen jetzt an einem dieser zu sein, wo die Menschen eher einfache Lösungen als konkrete Lösungen haben wollen.
"Alle wussen, dass die Chinesen ihre Wirtschaft auf Protektionismus aufbauen"
Müller: Jetzt sagt Donald Trump, wir machen America first, make America great again, Sie haben das gerade auch zitiert, kennt inzwischen ja fast jeder, der sich für Politik interessiert. Der Handelskrieg beispielsweise, um eine Sache herauszugreifen, könnte im Endeffekt positiv für die Amerikaner ausgehen. Also war das richtig, meine Frage?
Kornblum: Ich meine, es wäre nicht meine Taktik gewesen, das brauche ich nicht zu sagen, aber wir wussten alle nicht seit gestern, sondern seit mehreren Jahren, dass die Chinesen ihre Wirtschaft auf der Basis von Protektionismus, auf unfaire Behandlungen von ausländischen Firmen, auf der Basis auch von Wirtschaftsspionage aufgebaut haben. Das ist nichts Neues, das wusste Barack Obama, auch die deutsche Bundesregierung wusste das, aber wir hatten uns sozusagen vereinbart, dass das alles auf der Basis von der demokratischen Grundordnung passieren würde, dass wir nicht so aggressiv und Rechte angreifen würden, und Trump hat gesagt, nein, das tue ich nicht, ich werde ihre Rechte angreifen. Ob das…
Müller: Vielleicht ist das effektiver.
Kornblum: Vielleicht. Ich wollte gerade sagen, ob die Rechnung hoch kommt, das weiß ich nicht. Das müssen wir sehen, aber es ist mindestens was Neues, und für viele Menschen, auf beiden Seiten des Atlantiks was Erfrischendes, was, ich glaube, unsere Politik vergessen hatte, dass sie auch ein bisschen mit den Herzen der Menschen spielen oder ansprechen müssen und nicht nur durch Regierungsprogramme.
"Das Impeachment ist überhaupt nicht vergessen worden"
Müller: Impeachment, das hatte ich zu Beginn meiner Moderation unseres Gesprächs ja auch noch einmal erwähnt, haben wir schon häufig drüber gesprochen. Sehen Sie das auch so wie viele Analysten auch hier in Europa, dass dieses Impeachment in einigen Monaten im Grunde schon wieder obsolet ist, vergessen ist und eventuell Donald Trump sogar stärken kann?
Kornblum: Nein, das würde ich nicht sagen. Wenn man hier sitzt, und gerade, wo ich jetzt sitze, hier mitten im Lande, ist das überhaupt nicht vergessen worden, das ist immer noch jeden Tag das Thema Nummer eins in der Gesellschaft, wenn man sieht, wie neuralgisch Trump darauf reagiert, er weiß ganz genau, dass das ein wichtiges Thema hier ist. Die Rolle von Impeachment ist nicht unbedingt, dass er dem Amt enthoben werden wird, das wird bestimmt nicht passieren, einfach, weil die Mehrheitsverhältnisse nicht so sind, aber es ist ein Fokus geworden auf den verschiedenen, ziemlich diffusen Kritiken, die über ihn gemacht worden sind oder auch das Fehlverhalten von ihm, und es ist jetzt mindestens ein Fokus für die Diskussion. Ob das dann für die Kandidaten der Demokraten was Positives sein wird, kann man nicht sagen, teilweise, weil es bis jetzt mindestens noch keinen Kandidaten gibt, der wirklich scheint, die Bevölkerung richtig anzusprechen.
Müller: Könnte das ein Problem werden, vielleicht auch für Sie? Wir haben noch 15, 20 Sekunden, deswegen möchte ich Sie das zum Schluss kurz fragen. Werden Sie im kommenden Jahr, Herr Kornblum, auf jeden Fall auch wieder demokratisch wählen, nein, Demokraten wählen?
Kornblum: Ich werde im kommenden Jahr gegen Trump wählen, und das wird bestimmt ein Demokrat sein, aber nicht unbedingt. Es könnte auch jemand anderes sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.