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Die USA und ihre Netzneutralität

Internet.- Das Internet – so denkt man zumindest – ist etwas von Grund auf Demokratisches: Jeder darf – einigermaßen gleichberechtigt – am internationalen Datenverkehr teilnehmen. "Netzneutralität" ist hier der Kernbegriff, und just diese Woche fällte ein amerikanisches Gericht ein Urteil zu genau dieser.

Von Maximilian Schönherr |
    In den USA gibt es – anders als bei uns – eine zentrale Behörde für Telefon und Rundfunk, die Federal Communications Commission, abgekürzt FCC. Vor knapp zwei Jahren hatte die FCC einem der größten Internet-Anbieter der USA, Comcast, untersagt, das Surfverhalten von Kunden zu überwachen und zu reglementieren. Nutzten diese nämlich das Tauschbörsensystem BitTorrent, etwa zum Herunterladen von Filmen, drehte man ihnen den Hahn zu.

    Comcast lockerte sein restriktives Verhalten, ging aber dennoch in Berufung, und am vergangenen Dienstag gab ein Gericht in Washington der Firma Recht.

    "Wir müssen darüber entscheiden, ob die FCC die Autorität hat, die Netzwerkpraktiken eines Internet-Anbieters zu regulieren",

    heißt es in dem Urteil. Und weiter schreibt Richter David Tatel:

    "In Anbetracht dessen, dass die FCC keine ausdrückliche gesetzliche Autorität über solche Praktiken besitzt, vertraut sie auf das Kommunikationsgesetz von 1934. Dieses bevollmächtigt sie zu regulatorischen Eingriffen, falls diese für die Ausführung ihrer Funktionen zwingend notwendig sind. In diesem Fall – nämlich Comcast zu untersagen, sich in die Peer-to-Peer-Netzwerk-Tätigkeiten ihrer Kunden einzumischen – konnte die Kommission jedoch nicht nachweisen, dass dieser Eingriff zur Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags zwingend notwendig war."

    So lautet, leicht verkürzt, der Kern des Urteils des US-Berufungsgerichts für den Bezirk Columbia vom 6. April 2010. In der über 30 Seiten langen Begründung setzen sich die Richter mit der Problematik auseinander, dass sich der Aufgabenbereich der Kommunikationsbehörde seit ihrer Gründung in den 1930er-Jahren durch immer neue Techniken laufend geändert hat. Das Gericht gesteht der FCC durchaus zu, sich in Internet-Angelegenheiten von nationalem Ausmaß regulierend einzumischen, ihm geht aber bei Comcast die Einmischung zu weit.

    Zu früheren Verdiensten der Kommission – auch das wird in dem Urteil erwähnt – gehört, dass sie bei der Ausbreitung der Kabelnetze kleine lokale Fernseh- und Radiosender gestärkt hat. Denn am liebsten würden Kabelbetreiber wie Comcast nur die großen überregionalen Sender einspeisen, denn die zahlen am besten. Und Glasfaser und 4G-Sendemasten verbaut man am gewinnträchtigsten da, wo die Bevölkerungsdichte hoch ist, also nicht am platten Land.

    Anders als beim Kabelfernsehen läuft beim Internet der Datenverkehr nicht vorhersehbar in eine Richtung, sondern hin und her, und wenn der Kunde stark in Tauschbörsen, also Peer-to-Peer-Netzwerken aktiv ist, statt zum Beispiel Internet-Fernsehen anzusehen, verdient der Netzbetreiber keinen Cent extra. Im Gegenteil: Comcast erschien die Belastung seines Netzes durch die BitTorrent-Aktivitäten der Nutzer so hoch, dass man Sorge hatte, seinen gut zahlenden Fernsehkunden die zugesicherte Bandbreite nicht mehr garantieren zu können. Dieses Problem kennt übrigens auch die Deutsche Telekom und bietet in vielen Gegenden, wo Internetfernsehen mit hoher Datenrate möglich ist, Kunden, die das Fernsehpaket verweigern, nur niedrige Bandbreite an.

    Die FCC gibt seit längerem aus Prinzip keine Interviews und war auch uns gegenüber zu keiner Stellungnahme bereit. Auf ihrer Webseite jedoch zeigte sich gestern der von US-Präsident eingesetzte Kommissionschef Julius Genachowski unbeeindruckt von dem Gerichtsurteil:

    "Heute beginnen wir mit der Umsetzung unseres Nationalen Breitband-Plans."

    ... mit einem eigens dafür geschaffenen Webportal www.broadband.gov

    "Die Entscheidung Anfang der Woche verändert daran nichts. Das Gericht stellte nicht grundsätzlich unsere Aufgaben in Frage, sondern erklärte nur einen einzigen technischen Rechtsmechanismus für nichtig, den unsere Vorgänger eingeführt hatten."

    Der Rest liest sich wie ein demokratisches Internet-Wunderland Amerika. Angesichts der im Verhältnis zu großen Teilen Europas und Asiens geradezu primitiven Vernetzung, zudem unter dem Druck der Wirtschaftskrise, der Konkurrenz der großen Provider und der Größe der USA, ein hehres, aber sehr entferntes Ziel:

    "Wir werden jetzt die Dienste reformieren, um alle Amerikaner in den Genuss des schnellen Internets zu bringen, den Wettbewerb zu fördern, kleine Unternehmen zu stützen, Endkunden zu schützen und zu stärken, die Einhaltung des Datenschutzes beim Surfen zu überwachen. Wir gewährleisten den gleichberechtigten Zugang von behinderten Menschen zum Internet, verteidigen Breitbandnetze gegen Hacker und katastrophale Angriffe anderer Art, und stellen sicher, dass alle Bürger, wo auch immer sie sind, die Notrufnummer 911 erreichen können."

    Fred von Lohmann, Jurist bei der Electronic Frontier Foundation, einem Sprachrohr der Datenschützer in den USA, sieht das Urteil positiv. Denn er verbindet mit der FCC auch Restriktives. Er schreibt:

    "Obwohl wir also große Unterstützer der Netzneutralität sind, freuen wir uns, dass das Urteil die wichtigen Grenzen bestätigt hat, in die man die Autorität der FCC weisen muss, das Internet zu regulieren."

    Der Sprecher der Bundesnetzagentur, Cord Lüdemann, sagte uns, dass das deutsche Telekommunikationsgesetz die Netzneutralität nicht vorschreibe, man aber stets in diesem Sinne gehandelt habe. Als Beispiel nennt er den Versuch einiger Mobiltelefonieanbieter, die Internettelefonie auf dem Handy zu sperren. Das ist ein mit dem amerikanischen Comcast-Fall vergleichbares Thema, weil hier Anbieter den Kunden ihr Surf-Verhalten vorschreiben. Aufgrund der Intervention der Netzagentur dürfe nun in allen deutschen Netzen mit dem Smart Phone auch Skype genutzt werden. Und auch die Versteigerung von Frequenzen, unter anderem fürs mobile Internet am kommenden Montag sieht die Bundesnetzagentur als Beitrag zur Netzneutralität in Deutschland. Man sei, so Lüdemann, hier mit der FCC ganz auf einer Linie.