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"Die Verantwortung liegt bei Belgrad"

Die EU-Kommission legt heute ihre Fortschrittsberichte zu Serbien und Kosovo vor. Ein Abkommen zwischen Belgrad und Pristina ist vor wenigen Tagen gescheitert. Schuld daran trage Serbien, weil es weiterhin territoriale Ansprüche im Norden seines Landes stelle, sagt der kosovarische Außenminister Hoxhaj.

Enver Hoxhaj im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 16.04.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Ungarn hat massiv vom Beitritt in die Europäische Union profitiert, wie gerade gehört. In Belgrad scheint man andere Prioritäten zu setzen. Der Versuch, mit Beitrittsgesprächen zu winken und damit Serbien zu einer Verhandlungslösung mit dem Kosovo zu bewegen, ist gescheitert. Das wird sich schwarz auf weiß niederschlagen, wenn die Europäische Kommission heute ihre Fortschrittsberichte zu Serbien und zum Kosovo vorlegen wird.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Enver Hoxhaj, er ist der Außenminister des Kosovo. Schönen guten Morgen, Herr Hoxhaj!

    Enver Hoxhaj: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Hoxhaj, der serbische Vizepremier Vucic, ein ehemaliger Nationalist und der eigentlich starke Mann in Serbien, der hat gesagt, in Brüssel sei kein Angebot gemacht worden, sondern es sei ein Ultimatum gestellt worden, um die Serben zu erniedrigen. Da fühlt man sich an die Rhetorik der Balkan-Kriege erinnert. Sie auch?

    Hoxhaj: In den letzten acht Monaten haben wir einen Dialog mit der Republik Serbien als unabhängige Staaten gehabt, wo wir versucht haben, eine normale Beziehung mit Belgrad aufzubauen, eine Art Modus vivendi zu entwickeln, wie Kosovo und Serbien gemeinsam zusammenarbeiten könnten und wie beide Staaten ungetrennt in der Europäischen Union langfristig Mitglied werden. Wir haben auch darüber diskutiert, wie man die Situation in den drei Gemeinden im nördlichen Teil von Kosovo stabilisiert im Sinne von Reintegration von diesen drei Gemeinden und die Abschaffung von Polizeistrukturen und Sicherheitsstrukturen, die nicht nur gegen Kosovos Verfassung, sondern auch gegen eine Resolution der Vereinten Nationen stehen.

    Heckmann: Aber, Herr Hoxhaj, ist allein Serbien Schuld an der Entwicklung, daran, dass die Gespräche gescheitert sind, oder hätte auch die Regierung des Kosovo kompromissbereiter sich zeigen können?

    Hoxhaj: In acht Treffen, die es in Brüssel gegeben hat, haben wir alles unternommen. Kosovo war unglaublich flexibel und bereit, auch Kompromisse zu machen, damit wir die Kosovo-Serben, die im Norden ja leben, am besten integrieren. Ich glaube, die Verantwortung liegt bei Belgrad, warum die Verhandlungen zu keinem Ergebnis geführt haben, weil es war letztendlich Belgrad, die den Abkommensvorschlag von Lady Ashton abgelehnt haben.

    Heckmann: Die Serben hatten ja darauf gepocht, dass für serbische Angelegenheiten ausschließlich serbische Gerichte und serbische Richter zuständig sein sollten. Das kann man doch irgendwo auch verstehen, oder?

    Hoxhaj: Die Kosovo-Serben genießen so weitgehende Rechte und Kompetenzen in verschiedenen Bereichen, die nicht Gemeinden und Minoritäten auch innerhalb der Europäischen Union genießen können. Bei dem letzten Treffen in Brüssel wollten die Serben vor allem territoriale Ansprüche innerhalb des Kosovo umsetzen, und das war nicht akzeptabel – nicht nur für das Kosovo, sondern auch für die Europäische Union, weil niemand ja interessiert ist, ein zweites Bosnien auf dem Balkan zu schaffen, niemand interessiert ist, eine Republika Srpska im nördlichen Teil vom Kosovo zu schaffen, die vor allem für eine territoriale ethnische Trennung innerhalb des Kosovos ja sorgen würde und nicht für Multiethnizität und Integration, Begriffe, auf die Europa aufgebaut worden ist. Und letztendlich hatten wir eine Situation, dass Pristina und Brüssel gemeinsam auf einen Vorschlag warten, denn wir haben schon den Vorschlag von Brüssel akzeptiert und Belgrad hat es abgelehnt, weil es nicht seine territorialen Ansprüche im nördlichen Teil von Kosovo umsetzen konnte.

    Heckmann: Jetzt gibt es den einen oder anderen Beobachter, Herr Hoxhaj, der sagt, die bisherige Strategie, ist gescheitert, man müsse schließlich und endlich dann doch anerkennen, dass das Kosovo faktisch zweigeteilt ist.

    Hoxhaj: Ich glaube nicht, dass Kosovo faktisch zweigeteilt ist. Serbien hat in den letzten 13 Jahren versucht, im nördlichen Teil von Kosovo eine Art gefrorenen Konflikt zu schaffen. Es ist Serbien aber nicht gelungen. Sie haben dort praktisch eine Stagnation, eine Art Status quo, und es ist im Interesse nicht nur von Kosovo, sondern auch von Serbien und der Europäischen Union, diesen Status quo zu überwinden, eine Lösung zu finden, um die Kosovo-Serben im Norden zu integrieren.

    Wir haben in den letzten fünf Jahren die Mehrheit der serbischen Mitbürger, die im Kosovo leben, auf lokaler Ebene, auf zentraler Ebene integriert. Es gibt heutzutage ein multiethnisches Kosovo. Und der Grund, warum wir es nicht im Norden, in den nördlichen Gemeinden dort gemacht haben, in drei Gemeinden, liegt in Belgrad, das in den letzten 13 Jahren diese Mitbürger einfach als Geisel genommen hat und behandelt hat.

    Wir gehen davon aus, dass es weiterhin Möglichkeiten hier gibt, dass Belgrad ja zu dem Abkommen sagt, und wir sind vor allem interessiert, dass Kosovo in diesem Prozess belohnt wird, weil wir alles unternommen haben, damit der Dialog zu konkreten Ergebnissen führt, und wir gehen davon aus, dass die Europäische Kommission für den Kosovo die Eröffnung von Verhandlungen für ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen anbieten wird. Das wäre eine ganz große Nachricht für die Bürger, die daran glauben, ein europäisches Kosovo dort aufzubauen.

    Heckmann: Soweit also Ihre Hoffnung. Wir werden sehen, wie sich das weiter entwickelt. Blicken wir trotzdem noch mal auf Serbien. In Brüssel hatte man ja gedacht, man könne Belgrad locken mit Beitrittsgesprächen und Belgrad dazu bringen, dann ein Abkommen mit dem Kosovo abzuschließen. Diese Strategie ist zunächst mal jedenfalls gescheitert. Woran liegt das eigentlich? Liegt das daran, dass die Mitgliedschaft in der EU an Attraktivität verloren hat?

    Hoxhaj: Ich glaube nicht. Die Europäische Union ist weiterhin die perfekte Gemeinschaft für viele Länder auf dem Balkan und nicht nur auf dem Balkan, sondern auch für viele andere Länder außerhalb Europas, trotz der Schwierigkeiten, was die Finanz- und Schuldenkrise betrifft.

    Heckmann: Aber in Belgrad setzt man offenbar andere Prioritäten?

    Hoxhaj: Ich glaube, in Belgrad ist weiterhin die Europäische Union das Ziel, das nicht nur die Elite hat, sondern auch die Bürger haben. Das was in den letzten Tagen geschehen ist, glaube ich, das war ein ganz großer Fehler von der Führungsschicht in Belgrad. Ich gehe davon aus, dass Belgrad bereit sein wird, in den nächsten Tagen Signale zu geben, damit wir zu dem Vorschlag, der für die Kollegen in Belgrad in den letzten sechs Monaten bekannt war, dessen Inhalt sehr bekannt war, auch Ja sagen können.

    Letztendlich hängt es von denen ab, ob sie wirklich ein europäisches Serbien aufbauen wollen, ob sie das Land modernisieren wollen. Wenn es darum geht, dass es wegen eines Gerichtsbezirks oder Polizeibezirks, wo 30.000 Leute leben, die Perspektive eines großen Landes wie Serbien zu stupieren, Zeit zu kaufen, glaube ich, werden die Kollegen schon zur Vernunft kommen.

    Heckmann: Kurze Frage zum Schluss, Herr Hoxhaj: Wie groß ist Ihre Angst, dass die Gewalt erneut aufflammen könnte?

    Hoxhaj: In den letzten Monaten haben wir eine Verbesserung der Situation im nördlichen Teil vom Kosovo gehabt und auch ein sehr gutes Klima der Zusammenarbeit zwischen Belgrad und Pristina. Natürlich: Wir sind sehr besorgt, dass die Lage im Kosovo verschlimmert wird. In den letzten Wochen gab es Angriffe auf die Polizei, die natürlich von Belgrad gesteuert wurden und kontrolliert wurden. Wir werden hier alles unternehmen aus Pristinaer Seite, dass die Lage dort stabil ist.

    Aber von der Situation im nördlichen Teil des Kosovo hängt die Stabilität und Sicherheit innerhalb vom Kosovo ab, und es hängt auch die Architektur der Sicherheit auf dem Balkan davon ab. Zum Glück gibt es KFOR-Soldaten, deutsche Soldaten, die in den letzten 13 Jahren eine sehr gute Arbeit hier gemacht haben im Sinne von Sicherheit und Stabilität, und wir sind den deutschen Soldaten und Deutschland und anderen Staaten sehr dankbar für diese große Unterstützung. Wir gehen davon aus, dass wir weiterhin die Lage im Norden stabil haben werden.

    Heckmann: Die EU-Kommission legt heute ihre Fortschrittsberichte zu Serbien und Kosovo vor. Wir haben gesprochen hier live im Deutschlandfunk mit dem Außenminister des Kosovo, mit Enver Hoxhaj. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Hoxhaj: Gern geschehen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.