Archiv


Die vergessene ''Stimme Russlands''

Ehrfurcht gebietend wie eh und je erhebt sich das gigantische Funkhaus der "Stimme Russlands" an der Moskauer Pjátnizkaja, 15 Gehminuten vom Kreml entfernt. Lediglich das Rot der Backsteine ist über die Jahrzehnte einem schmutzigen Graubraun gewichen. Vor der Tür zur Eingangshalle kontrolliert ein ernsthaft dreinblickender junger Mann in Uniform mit umgehängter Maschinenpistole die Passierscheine der Hereinkommenden. Sechs Stockwerke höher sitzt Anatólij Stjópkin an seinem Schreibtisch. Er ist der Abteilungsleiter für die Europa-Programme, darunter das der deutschen Redaktion.

Corinna Arndt |
    Ehrfurcht gebietend wie eh und je erhebt sich das gigantische Funkhaus der "Stimme Russlands" an der Moskauer Pjátnizkaja, 15 Gehminuten vom Kreml entfernt. Lediglich das Rot der Backsteine ist über die Jahrzehnte einem schmutzigen Graubraun gewichen. Vor der Tür zur Eingangshalle kontrolliert ein ernsthaft dreinblickender junger Mann in Uniform mit umgehängter Maschinenpistole die Passierscheine der Hereinkommenden. Sechs Stockwerke höher sitzt Anatólij Stjópkin an seinem Schreibtisch. Er ist der Abteilungsleiter für die Europa-Programme, darunter das der deutschen Redaktion.

    Anatóli Stjópkin spricht gern von der Zeit, in der das russische Auslandsradio noch etwas galt - von der Zeit vor dem Zusammenbruch des Sozialismus. Stolz zählt er die Namen von früheren Mitarbeitern des Senders auf. Die Liste reicht von Egon Erwin Kisch und Bertolt Brecht über den späteren DDR-Spionage-Chef Markus Wolf bis hin zum russischen Ex-Premierminister Primaków und zum Rechtspopulisten Shirinówski:

    Damals es war Kaderschmiede. Es war Elite. Jeder wollte hier im Rundfunk arbeiten, weil für die ausländischen Sprachen bekamen wir mehr Geld als die gewöhnlichen Journalisten. Dann Möglichkeiten zu reisen in der ganzen Welt. Und als Auslandskorrespondent zu arbeiten.

    Im Jahr 1929 hob Josef Stalin den sowjetischen Auslandsrundfunk unter dem Namen "Radio Moskau" aus der Taufe. Sieben Jahre zuvor war die britische BBC auf Sendung gegangen, nun zog die UdSSR nach. Von Beginn an mit im Boot: der deutschsprachige Sendedienst als Propagandastimme für Mitteleuropa. Die deutsche Redaktion war die größte von allen - glaubte Stalin doch lange Zeit, dass seine, dass die kommunistische Propaganda gerade in Deutschland auf fruchtbaren Boden fallen würde.

    Doch der erhoffte, massenhafte Widerstand gegen Hitler blieb aus. Die Menschen an Rhein und Elbe kümmerten sich weniger als vom Kreml erhofft um die sowjetischen Parolen aus dem Äther. Das änderte sich nur zeitweilig. Zum Beispiel, als "Radio Moskau" nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus den Kriegsgefangenenlagern in der UdSSR berichtete. So holte man beispielsweise in der Weihnachtszeit 1946 einzelne deutsche Gefangene ans Mikrophon und ließ sie ihre Angehörigen zu Hause grüßen:

    Meine lieben Eltern, liebe Liesl! Ich sende euch aus russischer Kriegsgefangenschaft die allerherzlichsten Weihnachtsgrüße. Mir geht es gut, und ich bin gesund. Ich hoffe, dass uns das uns das Jahr 1947 das lange herbeigewünschte Wiedersehen bringen wird. Euer Gerhard.

    Hier spricht der Kriegsgefangene Arthur Delling aus Henningswalde, Kreis Schlage, Pommern. Meinen lieben Angehörigen übersende ich auf diesem wege die allerherzlichsten Weihnachtsgrüße.

    Noch heute arbeiten im Moskauer Funkhaus nach offiziellen Angaben rund eintausend Mitarbeiter. Programme in mehr als 30 Sprachen gehen von hier aus um die Welt. Doch nach dem Ende des Kalten Krieges, seit fast anderthalb Jahrzehnten, sind die prestigeträchtigen Zeiten vorbei. Der mittlerweile in "Stimme Russlands" umbenannte Sender fristet - verglichen mit früher - ein eher kümmerliches Dasein. Zwar segnet die Duma alljährlich sein Budget im Haushaltsplan ab, doch das Geld reicht vorne und hinten nicht. Das einstige Flaggschiff der Propaganda ist in Vergessenheit geraten. Nun versuchen langjährige, deutlich gealterte Mitarbeiter mit einer Studiotechnik aus den 60er Jahren ein - wie sie ihren Auftrag verstehen - positives Russlandbild zu vermitteln.

    Nach wie vor gilt der Sender als offiziöses Sprachrohr der Regierung. So hat sich an den Redaktions-Strukturen, am programmatischen Kodex der Redaktion nur wenig geändert. Offiziell gibt es zwar keine Zensur. Doch Redakteure, die nicht nur die Schokoladenseite ihres Staates zeigen wollen stoßen auf erbitterten Widerstand in der Chefetage. Nikolaj Jólkin ist einer der wenigen, die nicht müde werden, den täglichen Kampf - auch um die innere - Pressefreiheit hinter den Mauern eines staatlichen Senders zu führen. Offen sagt er:

    Du kannst jetzt über alles berichten. Aber eine Voraussetzung: das soll deinem Staat nicht schaden. Nun, was schadet meinem Staat? Schadet meinem Staat die Wahrheit? Meine Vorgesetzten sagen: ja aber natürlich! Ich finde, dass wir das Leben so widerspiegeln sollen, wie es ist. Früher gab es eine Zensur, jetzt ist es vielmehr eine Selbstzensur. Das funktioniert genauso wie früher.

    Und die Selbstzensur hat ihren Grund: Während ein "entschärfter" Text gute Chancen hat, gesendet zu werden, droht einem kritischen Text der Rotstift des Vorgesetzten. - Der Österreicher Gerald Böhm ist seit über zwei Jahren Mitarbeiter in der deutschen Redaktion der "Stimme Russlands". Er hat sich in dieser Zeit bereits an einiges gewöhnt.

    Natürlich gibt´s Zensur. Wenn man einen kritischen Text schreibt, dann wird dieser Text vom Chefredakteur abgesegnet. D.h. es kommt mitunter vor, dass der Text zunächst um einen Absatz kürzer wird, beim zweiten Durchlesen um noch einen Absatz, und irgendwann kommt der Strich quer durch und der ganze Text ist weg, weil es heißt, 'das Thema wurde grundsätzlich falsch verstanden’.

    Anatóli Stjópkin, der Abteilungsleiter, bestreitet das vehement. Schließlich seien die Zeiten der Propaganda vorbei.

    Wir spüren keine Kontrolle von der Regierung. Wir machen verschiedene Themen, manchmal auch kritische, warum nicht? Also, wir müssen objektiv sein. Es gibt jetzt keine Zensur.

    Als Vorgesetzter könne er sich natürlich erlauben, Manuskripte durchzusehen und Fehler zu korrigieren. - Doch als Fehler kann auch schon eine falsche Perspektive gelten. Oder ein nicht genehmes Zitat.

    Nikolaj Jólkin ist ein Veteran. Er arbeitet seit über 30 Jahren in der deutschen Redaktion der "Stimme Russlands". Er lebt für diese Arbeit und kann sich keine andere vorstellen. Jede Woche konzipiert und moderiert er das "Spektrum", eine politische Hintergrundsendung.

    Zu Zeiten des Kommunismus hat Jólkin die Idee eines freien und kritischen Journalismus fast den Job gekostet. Heute fühlt er sich geduldet. Er ist der einzige, dessen Beiträge oft sowohl von der Chefredakteurin als auch dem Abteilungsleiter, zum Senden frei gegeben werden müssen. Die Texte werden misstrauisch beäugt, mal inhaltlich verändert, mal gekürzt. Aus Prinzip diskutiert er durchgestrichene Passagen jedes Mal mit seinen Vorgesetzten. Meist ohne Erfolg.

    Der Sender hängt am Tropf der Regierung. Und der unsichere Chef gibt den Druck an seine Mitarbeiter weiter. Níkolai Jólkin:

    Der Putin hat die Grenzen der Wahrheit gesetzt. Ich würde das so formulieren aus meiner Sicht. Nicht durch irgendwelche Aussagen, sondern durch die Praxis.

    Valentína Chóschewa ist Jólkins Chefredakteurin. Sie spricht von einer notwendigen "Redaktionszensur", die es im Sender gebe.

    Manchmal sind das einfach Kürzungen, manchmal Übertreibungen. Es kommt sehr selten vor, wenn ein ganzer Bericht abgelehnt wird. Reduziert vielleicht, aber ganz abgelehnt - nein. Denn man muss die Wahl des Redakteurs achten.

    Níkolai Jólkin hat Anderes erlebt. Er zieht einen Computerausdruck hervor, es geht um Tschetschenien. Darauf Stjópkins Handschrift.

    Zunächst mal hat er angefangen, das zu redigieren, da stand bei mir "gegen die tschetschenischen Separatisten" hat er "Banditen" geschrieben, Dann viele Absätze rausgestrichen. und zum Schluss sagte der Chef, nee, also der Beitrag läuft nicht. Ich habe gehofft, dass die Hörer das gemerkt haben, dass die Sendung kurz war, das ist mein Zeichen dafür, dass es in Russland doch Zensur gibt.

    Immer wieder versucht Jolkin, den lediglich nach offizieller Lesart beendeten Krieg in Tschetschenien ins Programm zu bringen. Schon, um bei seinen deutschen Hörern glaubwürdig zu bleiben. Deshalb will er von Siegen und Niederlagen berichten. Und er will die Greueltaten der russischen Soldaten im Kaukasus nicht aussparen. - Anatóli Stjópkin hält das für den falschen Ansatz. Ein Staatssender habe die Aufgabe, zu verbreiten, was in Tschetschenien wirklich passiert.

    Elke Windisch hat von 1992 bis 1994 für die "Stimme Russlands" gearbeitet. Heute arbeitet sie als Moskauer Korrespondentin des Berliner "Tagesspiegel" und als Dokumentarfilmerin. Sie erinnert sich an ein Gespräch mit Stjópkin. Wieder einmal ging es um das Thema Tschetschenien.

    Da war der Krieg in Tschetschenien noch gar nicht richtig im Gange. Als wir da waren ist ein Vorort von Grosny, wo ich auch wohnte, bombardiert worden, was Russland lange abgestritten hat. Ich hab das miterlebt und ich hab dann in einem Magazinbeitrag diese Eindrücke schildern wollen, und dieser Beitrag ist nicht gesendet worden. Ein Sender wie die "Stimme Russlands" habe die Pflicht, die Dinge positiv darzustellen, und meine Sicht würde dem nicht entsprechen.

    Für Elke Windisch war das der Hauptgrund, den Sender zu verlassen. So wie sie sind inzwischen viele gegangen. - Níkolai Jólkin hat den Absprung verpasst. Nun vertraut er darauf, dass seine Hörer ihn auch "zwischen den Zeilen" verstehen. Manchmal denkt er wehmütig an die Zeit der Perestroika. Als die real-sozialistische Festung wackelte, brach auch die Zensur in den sowjetischen Medien weg.

    In der DDR etwa hörten viele Menschen damals gezielt die "Stimme Russlands", weil sie Artikel aus der Zeitschrift "Sputnik" zitierte. Die nämlich hatte die SED-Führung mit Erich Honecker an der Spitze 1988 gerade verboten. Jólkins Chefredakteurin hingegen verbindet mit der Perestroika eine unsichere, unruhige Zeit. Valentína Chóschewa:

    Damals waren wir alle ein bisschen betrunken von der Freiheit. Mit der Zeit hat man begriffen, dass wir immer noch die gleiche Aufgabe haben, dass wir aus dem Land senden, das wir lieb haben . Wir sind ein bisschen erfahrener, ein bisschen weiser und ein bisschen nüchterner geworden. Zu chaotisch war es damals, das muss ich sagen.

    Das Medium Rundfunk sei nicht für negative Nachrichten geschaffen, meint sie. Ihr geht es darum, das Image Russlands aufzupolieren.

    Wir möchten ja nicht erschrecken. Und wir möchten auf keinen Fall mit unseren Sendungen von unserem Land abschrecken. Auf keinen Fall.

    Elke Windisch kann diesen Wunsch zwar nachvollziehen. Sie aber kritisiert vor allem, wie der Sender dieses Leitbild umsetzt.

    Diese plumpe, diese grobe Art und Weise, mit der man versucht, die Hörer zu indoktrinieren. Jeder Beitrag strotzt nur so von Propaganda. Ich glaube nicht, dass man sich damit einen Gefallen tut, denn Probleme werden nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass man sie verschweigt.

    Die anderen Kollegen gehen offensichtlich den Weg des geringsten Widerstandes: Sie vermeiden "schwierige" Themen so gut es geht. Die meisten sind froh, eine sichere Arbeit zu haben und machen Dienst nach Vorschrift. Viele haben Nebenjobs, um sich und ihre Familien über die Runden zu bringen. Níkolai Jólkin verdient 3- bis 4000 Rubel im Monat, umgerechnet etwa 100 Euro. Damit gehört er zu den bestbezahlten Mitarbeitern. Hinzu kommen noch Prämien und magere Honorare für die einzelnen Beiträge.

    Ein Drittel seines monatlichen Einkommens geht allein für die Miete der Wohnung drauf, ein Sechstel zahlt er für die Monatskarte der Moskauer Metro. Er besitzt kein Auto. Das Essen in der Kantine kann er sich - ebenso wie die meisten seiner Kollegen - kaum leisten. Die Lebensmittel aber kosten fast genauso viel wie in Deutschland. Kurz: Ein Redakteur beim russischen Auslands-Hörfunk verdient nicht viel mehr als der Zeitungsverkäufer an der Ecke.

    Und dann kommt für die Journalisten noch das Gefühl hinzu, in ein schwarzes Loch zu senden. Kaum jemand hört ihr Programm, fürchten sie. Offiziell will man davon nichts wissen - im Gegenteil. Schließlich versprechen sich die Vorgesetzten Einfluss auf die öffentliche Meinung in Deutschland. Und so hören nach deren Angaben weltweit 100 Millionen Menschen die "Stimme Russlands", was den Sender in der Hörergunst auf Platz 3 katapultiert - gleich nach BBC und Voice of America - und deutlich vor der Deutschen Welle. Anatóli Stjópkin:

    Pro Monat bekommen wir etwa 2000 Briefe. Aus Deutschland. Aus der ganzen Welt wir bekommen, hmmm.... vielleicht 30.000 Briefe. Wir lesen alle und beantworten alle Fragen, entweder in der Sendung oder schriftlich.

    Diese Zahlen sind erstaunlich. Zumindest, wenn man positiv unterstellen will, dass die Hörerpost ungefiltert die Redaktionen erreicht. Gerald Böhm ist sich nämlich sicher, dass in der deutschen Redaktion durchschnittlich nicht mehr als 200-250 Briefe im Monat ankommen.

    Die Hörerzahl, mit der sich die "Stimme Russlands" von der Papierform her schmückt, ist wohl spätestens dann zu hinterfragen, wenn es um Sendungen mit Hörerbeteiligung geht. So moderiert etwa der Intendant höchstpersönlich die monatliche Sendung "Vis-a-Vis mit der Welt". Doch es meldet sich kaum jemand per Telefon, um den prominenten Studiogästen Fragen zu stellen. Und dann tun das eben die eigenen Redakteure. Incognito. Gerald Böhm weiß das aus eigenem Erleben:

    Die Sendung wird so produziert, dass eine Mitarbeiterin durchs ganze Gebäude läuft und in allen Zimmern hausiert, besonders bei den ausländischen Mitarbeitern, und sie bittet, vorgefertigte Fragen in die jeweilige Sprache zu übersetzen und zu vertonen.

    Ob Walter Bauer aus Nürnberg, Fritz Meier aus München oder Werner Schuster aus Baden-Baden - derlei fiktiven Hörern hat Gerald Böhm seine Stimme bereits geliehen. Leicht fallen ihm solche "Anrufe" jedoch nicht:

    Als Walter Bauer aus Nürnberg fühle ich mich nach wie vor beschissen. Wobei, je weiter ich hinter die Kulissen der "Stimme Russlands" geblickt habe, desto mehr habe ich vielleicht auch einen Anflug dieser Mentalität übernommen, die sich zu einem großen Teil verstehen lässt.

    Sie ist ein Mix aus widrigen Arbeitsbedingungen, schlechten Löhnen und fehlender Motivation. Und hinzu kommt: Die Prägung innerhalb eines sogenannten "Arbeits-Kollektivs" während längst vergangener real-sozialistischer Zeiten hat sich als Grundhaltung bei sehr vielen Beschäftigten der "Stimme Russlands" auch in die postkommunistische Gegenwart hinein bewahrt. - Karsten Packeiser hat von 1998 bis 2000 in der Redaktion gearbeitet. Heute ist er Korrespondent des Evangelischen Pressedienstes in Moskau. Er erinnert sich an diese Atmosphäre bei der Belegschaft der deutschen "Stimme Russlands":

    Letztendlich glaube ich, dass sich andererseits hier ein ganz tolles Team zusammengefunden hat, wo die Leute gemeinsam Geburtstage feierten, zu Beerdigung gingen. Man war halt so eine große Familie. Viele Kollegen, die nach Jahren gezwungen sind wegzugehen, weil sie hier kein Geld mehr verdienen,mit dem sie ihre Familien durchbringen können, die bedauern das sehr, weil sie jetzt zwar in irgendeiner Firma als Übersetzer das Zwanzigfache bekommen, aber es dort relativ kalt zugeht.

    Eine der wenigen noch verbliebenen jungen Kolleginnen ist die 25-jährige Maria Schischkánowa. Seit über sechs Jahren arbeitet sie hier, nebenbei hat sie Journalistik studiert. Jetzt plant sie ihre Promotion. Ob sie danach bei der "Stimme Russlands" bleiben wird, weiß sie noch nicht:

    Ich mag diese Arbeit, ich liebe diese Arbeit. Sie ist wie meine Mutter, wie mein Vater. Ich habe viel hier erlebt. Das waren schon moderne, keine kommunistischen Zeiten. Aber das war kommunistische Atmosphäre in diesem Gebäude. Für mich ist Jolkin Vorbild - der Journalist, der immer sagt, was er meint. Ab und zu ist das ein bisschen zynisch, aber das soll auch ein bisschen schmerzlich sein, wenn es ehrlich gesagt ist.

    Packeiser hätte vielleicht eines sein können. Doch Packeiser ist gegangen mit dem Gefühl, dass hier niemand ein wirkliches Interesse an formal und inhaltlich gut gemachten Beiträgen hat. Beamten-Mentalität nennt er das und beschreibt ein Beispiel:

    Der wildester Fall war während des Kosovo-Krieges, als ich mich bei einer anti-amerikanischen Demo vor der US-Botschaft fast hab zusammenschlagen lassen, weil diese ganzen dummen Demonstranten dachten, mein Voice of Russia-Mikrophon wäre in Wirklichkeit ein Voice of America-Mikrophon und mich für einen amerikanischen Banditen hielten. Da bin ich hinterher mit hochgeschossenem Puls hier in die Redaktion gerast, um eine Reportage von dieser Demo zu machen. Es war nun dummerweise Sonntag, und das Schneidestudio war abgeschlossen, und es hatte niemand den Schlüssel. Und aufnehmen konnte man den Beitrag auch nicht, weil niemand im Sendestudio war. Und letztendlich war irgendwie alles für die Katz' und hat meinen Arbeitseifer natürlich nicht unbedingt gefördert.

    Zu den deutschen ehemaligen "Stimme Russlands"-Redakteuren gehört auch Roland Fritsche, der heute im Moskauer ZDF-Studio arbeitet. Für ihn steht fest: Der Sender ist in seinem jetzigen Zustand kaum konkurrenzfähig im internationalen Äther.

    Die Korrespondenten des Senders selbst kommen zu wenig raus ins Land, um von dort irgendwelche Beiträge zu machen. Im Grunde ist die Stimme Russlands ein Hauptstadtsender, der zu wenig originäre Informationen von anderen Landesbereichen bringt. Und das wäre eigentlich das Feld, wo er die deutschen Medien durchaus schlagen kann.

    Vorerst sind das Wunschträume. - Bis heute steht im Zimmer 601 des Funkhauses ein rotes Telefon - das einzige, mit dem die Mitarbeiter diverser Europa-Redaktionen Telefonnummern außerhalb Moskaus anwählen können. Kaum mehr als vier, fünf Einträge finden sich pro Tag in dem daneben liegenden Buch. Selbst für alltägliche Dinge reicht das Geld nicht: Schreibpapier ist notorisch knapp, Tonbänder werden wieder gelöscht und neu überspielt, weil es kaum neue gibt. Und noch immer müssen viele Mitarbeiter ihre Texte auf Schreibmaschinen tippen, denn PC’s sind eine Seltenheit.

    Die Zukunft des Senders sieht düster aus. Elke Windisch etwa macht sich keine Illusionen. Vieles hänge ohnehin von der allgemeinen Entwicklung der Pressefreiheit in Russland ab.

    Putin selbst hat ja in seiner Antrittsrede von "gelenkter Demokratie" gesprochen. Die Folgen haben wir ja auch schon besichtigen können. Tschetschenien ist wirklich nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben das Massensterben unabhängiger Medien gehabt, und ich sehe gegenwärtig nicht, dass die russische Demokratie in absehbarer Zeit auf das Attribut "gelenkt" verzichten wird.

    Nach der Moskauer Geiselnahme in einem Musical-Theater im Oktober des vergangenen Jahres verabschiedete das russische Parlament im Eilverfahren ein schärferes Mediengesetz. Wenig später legte Putin zwar demonstrativ sein Veto dagegen ein. Doch der Warnschuss hat sein Ziel nicht verfehlt. Für kritische Journalisten wird die Luft in Russland dünner. Das gilt auch für Níkolai Jólkin. Er weiß, dass es nun noch schwerer wird, in der "Stimme Russlands" heikle Thema wie den Tschetschenien-Krieg anzusprechen. Versuchen wird er es trotzdem. Immer wieder. Das hat er sich vorgenommen.