"Ich war außerordentlich froh, dass Himmler diese juristische Seite dem Arzt von der Schulter nahm und das nicht unten wer, sondern oben wer in die Hand genommen hat."
SS-Gruppenführer Karl Gebhardt, Arzt und Angeklagter im sogenannten "Ärzte-Prozess".
"Ich habe in der damaligen Zeit keinen Grund gehabt, der deutschen Staatsautorität irgendwie zu misstrauen oder gar dem Himmler zu misstrauen."
Karl Gebhardt hatte im KZ Ravensbrück Frauen vorsätzlich infizierte Wunden beigefügt. Viele wurden dabei verstümmelt, mehrere starben. Im sogenannten Nürnberger Ärzte-Prozess führten die amerikanischen Ankläger auch an Gebhardts Beispiel vor, wie blinder Gehorsam und Forscherdrang ohne Moral in barbarische Abgründe führte. Gebhardt wurde in Nürnberg zum Tode verurteilt und 1948 gehenkt. Doch während es der Anklage im Hauptkriegsverbrecherprozess hauptsächlich darum ging, den Angeklagten individuelle Schuld nachzuweisen, war sie in den Nachfolgeprozessen bemüht, die individuelle Schuld immer in ihrer institutionellen Verankerung zu betrachten. Jede Tat wurde in einen größeren Kontext gestellt; die Menschenversuche als Vorbereitung für den Völkermord gewertet.
"Die darin geleistete Analyse der Machtstrukturen des NS-Staates und des Zusammenhangs zwischen abstrakten Bedingungen und konkreten Verbrechen war bahnbrechend."
…schreibt Paul Weindling in seinem Beitrag zum Ärzteprozess. Und der Herausgeber Kim Priemel stellt heraus…
"…dass das Internationale Militärtribunal, also der erste Prozess, ja ein sehr viel engeres Täterbild hatte. Das heißt, er fokussiert sehr stark auf die Perspektive der Regimespitze und machte es dadurch auch der deutschen Bevölkerung erheblich viel leichter, eine Grenze zu ziehen zwischen "Denen da oben" und "Uns da unten", was dazu führte, dass der Prozess beliebter war bei den Deutschen, weil er im Grunde genommen ja auch eine entschuldende Funktion hatte.
Was natürlich interessanterweise, wenn sie mal auf die Nachfolgeprozesse schauen, dort sagt wiederum der amerikanische Hauptankläger: Na ja, Diktaturen funktionieren nun mal nicht so, dass Millionen von Menschen permanent im Widerstand seien. Das Ganze ist sehr viel unangenehmer, weil es sehr viel breiter Mitarbeit, Mitwirkung, Kooperation bedurfte, um den NS-Staat überhaupt funktionsfähig zu halten. Das ist eigentlich die validere Analyse des NS-Staates, die dort gezeichnet wurde, intellektuell auch anspruchsvoller und darum auch – wenn sie so wollen – im Gerichtssaal problematischer am Ende."
Die millionenfach schuldigen Deutschen kamen also nicht umhin, Vertreter ihrer selbst auf der Anklagebank zu sehen. Das zeigen alle Autoren des Sammelbandes "Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtsschöpfung". Der Band ist dreigeteilt: Im ersten analysieren die Autoren einzelne Verfahren; im zweiten behandeln sie verbindende Querschnittsthemen wie z.B. die Rolle der Anklage, der Richter und der Verteidiger; im dritten präsentieren sie umfangreiche zentrale Daten der Prozesse: Angaben über Verhandlungstage, Angeklagte, Richter, Verteidiger, Urteile.
Ein anspruchsvolles Werk, das erstmals alle sogenannten Nürnberger Nachfolgeprozesse gemeinsam darstellt und aus dem Schatten des Hauptkriegsverbrecherprozesses löst. Der Band umreißt nicht nur die Prozesse knapp und pointiert, sondern stellt sie auch in einen historischen, politischen, soziologischen, juristischen und rechtshistorischen Kontext. Noch einmal der Herausgeber, Kim Priemel, über die Unterschiede zum Hauptkriegsverbrecherprozess.
"Ich würde sagen, es sind die anspruchsvolleren Prozesse und die, die uns bei der historiographischen Analyse des "Dritten Reiches" sehr viel weiter helfen, weil sie uns wegführen von der Frage: "Was haben herausragende Männer an Befehlen ausgesprochen und welche Schuld haben sie sich aufgeladen dazu?" "Wie konnte so ein Staat funktionieren? Wie konnten diese Verbrechen verübt werden?" und eine strukturelle Perspektive statt einer individuellen Perspektive darauf werfen."
Das in Nürnberg von der Anklage angehäufte Beweismaterial ist bis heute noch nicht vollständig erschlossen. Es wurde damals von Hunderten Rechercheuren zusammengetragen, die es für die jungen und ehrgeizigen Staatsanwälte aufbereiteten, die ihrerseits Rechtsgeschichte schreiben wollten.
"Die Richter wiederum haben diesen Vorlauf nicht, sie bereiten sich im Grunde gar nicht darauf vor, sondern sie haben eine Schiffsfahrt aus Amerika nach Europa, auf der lesen sie sich, wenn sie Glück haben, ein wenig ein, lesen sich, wenn sie Glück haben, auch ein wenig in Völkerrecht ein, was keiner der Richter zuvor in irgendeiner Weise praktiziert hat, und sind auf einmal in einem Gerichtssaal und müssen mit Menschen, mit Namen operieren, die ihnen nichts sagen, die die Verteidigung kennt, die die meisten Ankläger kennen, die die Zeugen kennen, nur die Richter auf einmal nicht. Das macht es sehr viel komplizierter."
Den deutschen Verteidigern wiederum, die oftmals mehr Prozesserfahrung besaßen als die Ankläger, gelang es sehr schnell, sich auf das amerikanische Prozessrecht einzustellen. Für viele von ihnen wirkten die Nürnberger Mandate wie Scharniere zwischen ihrer nationalsozialistischen und ihrer bundesdeutschen Anwaltskarriere. In Reaktion auf diese Prozesse entstanden die Verteidigungslinien der westdeutschen Politik, der Justiz, der Presse und der Öffentlichkeit gegenüber jeglichen Vorwürfen die NS-Zeit betreffend.
Der große historische Wert der Prozesse, so Herausgeber Priemel, läge darin, Verbrechen gegen die Menschlichkeit wirksam zum Straftatbestand erhoben zu haben, historisches Beweismaterial gesammelt und gesichert sowie die analytischen Grundlagen dafür gelegt zu haben, den Genozid bzw. Völkermord als Begriff zu etablieren und dessen spätere Strafbarkeit vorzubereiten. Dieser Band belegt diese Thesen umfangreich und überzeugend. Direkte Verbindungslinien von Nürnberg nach Den Haag, zum Internationalen Strafgerichtshof, zu ziehen, davor schreckt der Herausgeber jedoch zurück.
"Da wäre ich sehr vorsichtig. Mein Eindruck ist, dass die Strukturen, in denen die arbeiten, schon sehr unterschiedlich ist, und dass vor allem diese lange Lücke, die dazwischen besteht und in denen die Institutionalisierung des internationalen Strafrechts überhaupt keine Fortschritte gemacht hat, zumindest in einigen Teilen eher dafür spricht, zumindest in den 90er Jahren einen Neuanfang zu verorten, als eine schlichte Fortsetzung dessen, was man in Nürnberg 50 Jahre davor getan hat."
Buchinfo:
Kim Priemel/Alexa Stiller (Hrsg.) : "NMT Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung." Hamburger Edition, 928 Seiten, 49 Euro, ISBN: 978-3-868-54260-8
SS-Gruppenführer Karl Gebhardt, Arzt und Angeklagter im sogenannten "Ärzte-Prozess".
"Ich habe in der damaligen Zeit keinen Grund gehabt, der deutschen Staatsautorität irgendwie zu misstrauen oder gar dem Himmler zu misstrauen."
Karl Gebhardt hatte im KZ Ravensbrück Frauen vorsätzlich infizierte Wunden beigefügt. Viele wurden dabei verstümmelt, mehrere starben. Im sogenannten Nürnberger Ärzte-Prozess führten die amerikanischen Ankläger auch an Gebhardts Beispiel vor, wie blinder Gehorsam und Forscherdrang ohne Moral in barbarische Abgründe führte. Gebhardt wurde in Nürnberg zum Tode verurteilt und 1948 gehenkt. Doch während es der Anklage im Hauptkriegsverbrecherprozess hauptsächlich darum ging, den Angeklagten individuelle Schuld nachzuweisen, war sie in den Nachfolgeprozessen bemüht, die individuelle Schuld immer in ihrer institutionellen Verankerung zu betrachten. Jede Tat wurde in einen größeren Kontext gestellt; die Menschenversuche als Vorbereitung für den Völkermord gewertet.
"Die darin geleistete Analyse der Machtstrukturen des NS-Staates und des Zusammenhangs zwischen abstrakten Bedingungen und konkreten Verbrechen war bahnbrechend."
…schreibt Paul Weindling in seinem Beitrag zum Ärzteprozess. Und der Herausgeber Kim Priemel stellt heraus…
"…dass das Internationale Militärtribunal, also der erste Prozess, ja ein sehr viel engeres Täterbild hatte. Das heißt, er fokussiert sehr stark auf die Perspektive der Regimespitze und machte es dadurch auch der deutschen Bevölkerung erheblich viel leichter, eine Grenze zu ziehen zwischen "Denen da oben" und "Uns da unten", was dazu führte, dass der Prozess beliebter war bei den Deutschen, weil er im Grunde genommen ja auch eine entschuldende Funktion hatte.
Was natürlich interessanterweise, wenn sie mal auf die Nachfolgeprozesse schauen, dort sagt wiederum der amerikanische Hauptankläger: Na ja, Diktaturen funktionieren nun mal nicht so, dass Millionen von Menschen permanent im Widerstand seien. Das Ganze ist sehr viel unangenehmer, weil es sehr viel breiter Mitarbeit, Mitwirkung, Kooperation bedurfte, um den NS-Staat überhaupt funktionsfähig zu halten. Das ist eigentlich die validere Analyse des NS-Staates, die dort gezeichnet wurde, intellektuell auch anspruchsvoller und darum auch – wenn sie so wollen – im Gerichtssaal problematischer am Ende."
Die millionenfach schuldigen Deutschen kamen also nicht umhin, Vertreter ihrer selbst auf der Anklagebank zu sehen. Das zeigen alle Autoren des Sammelbandes "Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtsschöpfung". Der Band ist dreigeteilt: Im ersten analysieren die Autoren einzelne Verfahren; im zweiten behandeln sie verbindende Querschnittsthemen wie z.B. die Rolle der Anklage, der Richter und der Verteidiger; im dritten präsentieren sie umfangreiche zentrale Daten der Prozesse: Angaben über Verhandlungstage, Angeklagte, Richter, Verteidiger, Urteile.
Ein anspruchsvolles Werk, das erstmals alle sogenannten Nürnberger Nachfolgeprozesse gemeinsam darstellt und aus dem Schatten des Hauptkriegsverbrecherprozesses löst. Der Band umreißt nicht nur die Prozesse knapp und pointiert, sondern stellt sie auch in einen historischen, politischen, soziologischen, juristischen und rechtshistorischen Kontext. Noch einmal der Herausgeber, Kim Priemel, über die Unterschiede zum Hauptkriegsverbrecherprozess.
"Ich würde sagen, es sind die anspruchsvolleren Prozesse und die, die uns bei der historiographischen Analyse des "Dritten Reiches" sehr viel weiter helfen, weil sie uns wegführen von der Frage: "Was haben herausragende Männer an Befehlen ausgesprochen und welche Schuld haben sie sich aufgeladen dazu?" "Wie konnte so ein Staat funktionieren? Wie konnten diese Verbrechen verübt werden?" und eine strukturelle Perspektive statt einer individuellen Perspektive darauf werfen."
Das in Nürnberg von der Anklage angehäufte Beweismaterial ist bis heute noch nicht vollständig erschlossen. Es wurde damals von Hunderten Rechercheuren zusammengetragen, die es für die jungen und ehrgeizigen Staatsanwälte aufbereiteten, die ihrerseits Rechtsgeschichte schreiben wollten.
"Die Richter wiederum haben diesen Vorlauf nicht, sie bereiten sich im Grunde gar nicht darauf vor, sondern sie haben eine Schiffsfahrt aus Amerika nach Europa, auf der lesen sie sich, wenn sie Glück haben, ein wenig ein, lesen sich, wenn sie Glück haben, auch ein wenig in Völkerrecht ein, was keiner der Richter zuvor in irgendeiner Weise praktiziert hat, und sind auf einmal in einem Gerichtssaal und müssen mit Menschen, mit Namen operieren, die ihnen nichts sagen, die die Verteidigung kennt, die die meisten Ankläger kennen, die die Zeugen kennen, nur die Richter auf einmal nicht. Das macht es sehr viel komplizierter."
Den deutschen Verteidigern wiederum, die oftmals mehr Prozesserfahrung besaßen als die Ankläger, gelang es sehr schnell, sich auf das amerikanische Prozessrecht einzustellen. Für viele von ihnen wirkten die Nürnberger Mandate wie Scharniere zwischen ihrer nationalsozialistischen und ihrer bundesdeutschen Anwaltskarriere. In Reaktion auf diese Prozesse entstanden die Verteidigungslinien der westdeutschen Politik, der Justiz, der Presse und der Öffentlichkeit gegenüber jeglichen Vorwürfen die NS-Zeit betreffend.
Der große historische Wert der Prozesse, so Herausgeber Priemel, läge darin, Verbrechen gegen die Menschlichkeit wirksam zum Straftatbestand erhoben zu haben, historisches Beweismaterial gesammelt und gesichert sowie die analytischen Grundlagen dafür gelegt zu haben, den Genozid bzw. Völkermord als Begriff zu etablieren und dessen spätere Strafbarkeit vorzubereiten. Dieser Band belegt diese Thesen umfangreich und überzeugend. Direkte Verbindungslinien von Nürnberg nach Den Haag, zum Internationalen Strafgerichtshof, zu ziehen, davor schreckt der Herausgeber jedoch zurück.
"Da wäre ich sehr vorsichtig. Mein Eindruck ist, dass die Strukturen, in denen die arbeiten, schon sehr unterschiedlich ist, und dass vor allem diese lange Lücke, die dazwischen besteht und in denen die Institutionalisierung des internationalen Strafrechts überhaupt keine Fortschritte gemacht hat, zumindest in einigen Teilen eher dafür spricht, zumindest in den 90er Jahren einen Neuanfang zu verorten, als eine schlichte Fortsetzung dessen, was man in Nürnberg 50 Jahre davor getan hat."
Buchinfo:
Kim Priemel/Alexa Stiller (Hrsg.) : "NMT Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung." Hamburger Edition, 928 Seiten, 49 Euro, ISBN: 978-3-868-54260-8