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Die verschiedenen Gesichter Chinas

"Aufklärung im Dialog" heißt das größte Projekt der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik gemeinsam mit privaten Partnern wie der Stiftung Mercator. Deren Geschäftsführer Bernhard Lorentz berichtet von einer überraschenden Offenheit der chinesischen Partner und das dialogische Begleitprogramm der Ausstellung.

Bernhard Lorentz im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Wir wollen uns noch einmal mit China beschäftigen. Nicht ganz direkt mit dem Friedensnobelpreisträger, aber mit dem Land. Denn das gestern, was dort passiert ist in Oslo, das hatte ja Symbolkraft: der Friedensnobelpreis ohne Preisträger, China – ein Land, in dem die Meinungsfreiheit nur eingeschränkt gilt, wenn sie denn überhaupt gilt. Zumindest aus europäischer Sicht hat das Land da noch einen weiten Weg vor sich. Aber vielleicht ist das ja nur die eine Sicht dieses Landes, vielleicht gibt es auch eine andere: Denn es gibt zumindest eine interessante Ausstellung, die aufhorchen lässt, nämlich "Aufklärung im Dialog", Sie hören richtig, und das in China. Die Mercator Stiftung aus Essen macht das, gemeinsam mit dem Außenministerium in Berlin. Und wir sind jetzt verbunden mit dem Geschäftsführer der Mercator Stiftung, mit Bernhard Lorentz, schönen guten Morgen, Herr Lorentz!

    Bernhard Lorentz: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Lorentz, zunächst einmal, was ist das: "Aufklärung im Dialog", da horcht man ja wirklich hin und sagt, und das in China! Was machen Sie da?

    Lorentz: Das ist ein einmaliges Kunstprojekt, das größte Projekt der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik gemeinsam mit privaten Partnern, uns als Stiftung. Im größten Museum der Welt, das gerade restauriert wird und wiederaufgebaut wird am Platz des himmlischen Friedens, ein Museum, das ganz große Ausstellungsräume haben wird, wird im April eine Ausstellung eröffnet mit dem Museum, gleichzeitig von den drei großen Kunstgalerien, den Preußen, in Berlin, München und der Galerie in Dresden zum Thema "Kunst der Aufklärung". Und wir werden begleitend in den über zwölf Monaten, in denen diese große Ausstellung dort hängt, ein Begleitprogramm machen zum Thema "Aufklärung im Dialog". Und dieses Begleitprogramm wird Themen der Aufklärung auf die Agenda setzen.

    Zurheide: Es gibt zum Beispiel auch so etwas wie Salons, in denen dann ja offen diskutiert wird. Ich frage das mit einem leicht ungläubigen Unterton: Was machen Sie da?

    Lorentz: Wir wollen bei dem Begleitprogramm zwei große Module veranstalten gemeinsam mit unserem Partner, dem Auswärtigen Amt, den drei Galerien und dem Nationalmuseum in China. Das eine Modul sind große, öffentliche Foren, bei denen europäische Intellektuelle, Akademiker mit Chinesen gemeinsam einen Dialog über einen historisierten Aufklärungsbegriff führen. Das wird im Museum stattfinden am Platz des himmlischen Friedens. Und das zweite Modul sind die von Ihnen erwähnten Salons. Das geht zurück natürlich auf den Begriff des Salons, der in der Aufklärung natürlich auch entstanden ist, und wir waren von Anfang an uns einig, dass wir auch offenere Formate wählen wollen. Wir werden an speziellen Orten – und das sind in China ganz oft ausstellungsrelevante Räume wie zum Beispiel Galerien – über das Jahr verteilt eine Menge von kleineren Formaten, Salons, machen, bei denen wir diskutieren über Aufklärung und Bildung, Aufklärung und Philosophie, immer nach der Regel des Dialoges mit chinesischen Partnern und Europäern. Und unsere Erfahrung ist, dass die Chinesen wahnsinnig interessiert daran sind und sehr offen in diese Diskussion gehen.

    Zurheide: Man kann Ihnen die Frage natürlich nicht ersparen: Gibt es da irgendwelche Zensur, oder kann man da wirklich offen diskutieren, so wie wir das nach unseren europäischen Maßstäben für notwendig erachten?

    Lorentz: Na ja, ich kann Ihnen jetzt noch nicht sagen, wie auf den Salons diskutiert werden wird, aber unsere Erfahrung war sehr eindeutig: Wir haben eine deutsch-chinesische Arbeitsgruppe gegründet gemeinsam mit den Partnern, auf deutscher Seite mit wichtigen Sinologen und Regionalwissenschaftlern belegt und auf chinesischer Seite mit Topleuten, und die haben wirklich ganz offen darüber diskutieren können, welche Themen dort sind, und haben sich auch sehr schnell einigen können. Und ich war sehr überrascht auch von der offenen Atmosphäre über die Namen derer, die dort auftreten sollen, über die Themen. Und das Interesse der Chinesen an der Aufklärung und an dem Diskurs darüber hat uns vielleicht am meisten überrascht. Ich bin deshalb sehr zuversichtlich, dass wir in diesen Salons tatsächlich eine sehr offene Diskussion erleben werden, wir werden ja auch die Hälfte europäische Teilnehmer haben, politische Delegationen aus Deutschland, die da sind. Das sorgt dann immer für die Atmosphäre – das ist meine Erfahrung bei China-Reisen in solchen Delegationen –, dass wirklich offen diskutiert werden kann. Und ich, noch einmal: Wir waren überrascht von dem Interesse der Chinesen an der Bedeutung des Aufklärungsbegriffs und der Diskussionsmöglichkeit, die sie auch zur Verfügung gestellt haben.

    Zurheide: Ist denn dann Aufklärung eine Einbahnstraße sozusagen: Wir Europäer haben das geschafft und ihr müsst das noch machen? Oder ist das eigentlich eher so, dass da man wechselseitig hinschaut und eben auch vielleicht entdeckt, dass in China auch eine Aufklärungstradition ist, die man mal etwas genauer beleuchten sollte und die auch wert ist behandelt zu werden?

    Lorentz: Ich glaube, das ist das Besondere an dem Projekt, dass das ein Dialog über Aufklärung ist und dass wir wirklich tatsächlich feststellen, dass der Aufklärungsbegriff in China eine ganz hohe, zentrale Bedeutung hat. Es gibt eine vollkommen andere Perzeptionsgeschichte des Begriffes der Aufklärung, des Konzeptes auch, aber es ist ein Begriff, mit dem die Chinesen sehr viel zu tun haben und sehr viel anfangen können. Wir arbeiten, wenn Sie so wollen, mit einem historisierten Aufklärungsbegriff bei dem Projekt, wir begreifen Aufklärung als universelles Phänomen, das eben auch für die chinesische Entwicklung in den letzten 100 Jahren mehrere verschiedene Bedeutungen hat. Und das ist das eigentlich Spannende, wenn Chinesen und Europäer zusammensitzen und denken, was bedeutet eigentlich Aufklärung für uns, und keineswegs, wie Sie sagen, eine Einbahnstraße, sondern die Chinesen uns auch challengen und sagen, Aufklärung hat bei euch auch diese und diese Folgen gehabt, wozu hat das geführt, was kann das für eine Entwicklungsbedeutung haben auch für uns? Und das ist eine ungeheuer spannende Möglichkeit, mit den Chinesen an diesen Orten so offen zu diskutieren. Ich bin da ganz zuversichtlich und gespannt auf dieses Projekt.

    Zurheide: Wenn man dann die aktuelle Diskussion sieht und daneben quasi das Chinabild sich auf leeren Stuhl in Oslo reduziert, dann schmerzt Sie das vermutlich?

    Lorentz: Ich glaube, dass wir differenzieren müssen, dass China verschiedene Gesichter hat und dass es verschiedene Erfahrungen auch gibt, mit China in den Diskurs zu treten. Ich glaube, dass wir ... Als Stiftung geht es uns vor allem um den Dialog mit China, um ein größeres Verständnis, ein gegenseitiges. Das heißt nicht, dass wir auch darüber reden, was gut läuft und was nicht gut läuft, das ist ein ganz zentraler Teil aller Gespräche, die wir auch führen. Aber die Erfahrung zeigt, dass gerade in einem Raum, in dem Akademiker und sag ich mal Bildungsbürger auch auf der anderen Seite zusammensitzen mit uns, um über diese Themen der Projekte zu reden, die wir machen, dass dort sehr viel möglich ist. Und das bestätigen ja auch viele, viele andere Menschen, die gerade im wissenschaftlichen Bereich auch mit den Chinesen zusammenarbeiten.

    Zurheide: Das war Bernhard Lorentz von der Mercator Stiftung Essen, der gemeinsam mit dem Außenministerium in Berlin eine Serie macht in China, "Aufklärung im Dialog". Herr Lorentz, ich bedanke mich für das Gespräch, auf Wiederhören, tschüss!

    Lorentz: Danke schön!