Tatsache ist, das adelige und Vertreter des aufsteigenden Bürgertums zu Beginn des 18. Jh. Sich zusammentrafen von der Notwendigkeit beseelt die 200-, 300 jährigen Religionskriege zu überwinden, die philosophische Diskussion auf einen neuen Stand zu erheben. Im konkreten waren das Leute um Isaac Newton, adelige, protestantische und katholische Pfarrer und Priester, die eine neue philosophische Grundlage in diesem durch religiöse Auffassungen zersplitterten England eine gemeinsame Basis suchten.
Heinrich Kalbfuss ist seit 48 Jahre Freimaurer. Den Bund der Brüder beschreibt er als eine Wertegesellschaft:
Es handelt sich um die Werte, die fast in allen Verfassungen der ganzen Erde aller Staaten eingegangen sind. Nämlich der grundsätzlichen Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Menschen sind ungleich aber die Gemeinschaft der Ungleichen und die Gleichheit vor dem Gesetz sind eine sehr wichtige Idee. Zweitens: eine sozialen Verpflichtung, das man also nicht einen gewissen Stand eine gewisse Bevölkerungsschicht privilegiert sondern, das man versucht soweit es möglich ist, einen einigermaßen gerechten Ausgleich in einer humanen Gesellschaft zu schaffen. Grosse Idee der Humanität, das wurde schon genannt, französischen Ideale: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, was in der modernen übersetzt werden könnte als Solidaritätsverpflichtung allen gegenüber, die Glieder einer Gemeinschaft sind und über die nationalen Grenzen hinaus natürlich.
Dabei arbeiten die Maurer erst einmal an sich selbst. Den Menschen wollen sie verbessern. Yves Jacob ist seit 15 Jahren Freimaurer. Er gehört zu den Spitzenvertretern der französischen Obedienz "Grand Orient de France" und ist in Metz zuständig für die Logen im Elsass, in Lothringen, in der Champagne, in den Ardennen und für die französischen Logen in Deutschland:
Der Mensch kann die Welt um sich herum auf zwei Arten begreifen. Zum einen kann er mit seiner Vernunft verstehen und sein Wissen erweitern. Das ist die Ratio bzw. der Intellekt wie sie von Descartes schon beschrieben wurden. Und es gibt die Möglichkeit, das Wissen mit den Gefühlen zu bereichern, über die Intuition, das ist die geistige Ebene, das ist Symbolik. Wir sprechen beide Ebenen an: die Ratio und den Geist.
Freimaurer treffen sich in ihrer Loge meist zweimal im Monat zu gemeinsamen Tempelarbeiten. Hier wird ein geheimnisumwittertes Ritual praktiziert:
Wenn sie so wollen ist das Ritual ein Werkzeug. Man nimmt teil an dem Ritual, das sehr viel Berührung hat mit den Steinmetzen sagen wir des mittelalterlichen Kathedralbaus. Wir nennen ja Logen auch Bauhütten in Anlehnung an die Lodgia, oder an die Loge, die Bauhütte, neben einer Kathedrale. Und das Ritual ist insofern ein Werkzeug weil wir im Ritual Erfahrungen aufnehmen, uns bewegen mit symbolischen Werkzeugen, die eben diese Bedeutung haben, die über das sichtbare hinausgeht. Und in dem wir daran teilhaben bereichert uns die Wahrnehmung und die Erfahrung im Umgang mit diesen Symbolen.
Der Freimaurer durchläuft drei Etappen, die in der Bruderschaft Grad genannt werden: Lehrling, Geselle und schließlich Meister. Hans-Joachim Naber ist seit 20 Jahren Freimaurer und hat den Meistergrad erreicht.
Der Lehrling schaut um sich, der Geselle schaut in sich und der Meister schaut über sich. Das sagt eigentlich in ganz kurzen Sätzen aus, was die Freimaurerei beinhaltet.
Jeder Grad ist mit einem bestimmten Symbol versehen:
So ist zum Beispiel der Zirkel das Symbol des Meisters, der Winkel ist das Symbol des Gesellen, und der 24-zöllige Maßstab ist das Symbol des Lehrlings. Und mit diesen einfachen Geräten haben unsere früheren Kathedralenbauer, diese wunderschönen Gebäude errichtet und daran messen wir uns heute gedanklich um auch da gewisse Ebenen einzuhalten.
Der Weg des Freimaurers führt Von der Geradlinigkeit des Maßstabs des Lehrlings, zur Rechtschaffenheit des Rechten Winkels des Gesellen, zum erweiterten Bewusstsein des Meisters und seines Zirkels:
Der Zirkel gibt die Möglichkeit unterschiedlicher Radien. Ich kann den Radius eng fassen, ich kann ihn weiten. Man könnte fast sagen indem ich mit dem Zirkel zu tun habe, habe ich zu tun mit einem kosmischen Bewusstsein, zunächst mit einem irdisch planetarischen dann mit einem kosmischen. Ich habe mit dem Zirkel alles in der Hand und in dem ich ihn weiten kann, kann ich auch mein Herz weiten, meine Perspektive weiten. Insofern habe ich nicht nur zu tun mit der Gerechtigkeit des rechten Winkels sondern auch mit der Vernunft und der Weisheit des Zirkels.
Neben den schwer zugänglichen symbolischen Werten der Freimaurerei hat die Geheimniskrämerei des Bundes zur Mythenbildung beigetragen. Dabei sind Freimaurer gar nicht so unnahbar wie Jean Rhein zu erklären weiß:
Im Grunde genommen gibt es kein Geheimnis der Freimaurerei. Es gibt Tausende, Zehntausende und in verschiedenen Sprachen Hunderttausende von Büchern über Freimaurerei in der alle so genannten Geheimnisse der unterschiedlichen Rituale, abgedruckt, nachzulesen und kommentiert sind. Wenn es ein Geheimnis in der Freimaurerei dennoch gibt, dann ist es das Geheimnis des Erlebens und der individuellen Erfahrung und das ist nicht mitteilbar. Der einzelne Maurer erlebt während der Tempelarbeit, während des Rituals Erfahrungen und das eigentliche Geheimnis der Freimaurerei ist das Erlebnis dieser Erfahrungen.
Doch auch Sicherheitsfragen trugen zur diskreten Haltung der Freimaurer bei, Günther Lensch ist seit 25 Jahre Freimaurer:
Diese Geheimniskrämerei war in anderen Ländern lebensnotwendig, den es soll nicht vergessen sein, das in streng katholischen Ländern - etwa Spanien vor allen dingen oder auch Portugal - Freimaurerei bisweilen mit dem Tode bedroht war.
Auch im Nachkriegsdeutschland mussten Freimaurer vorsichtig sein, selbst wenn es nicht mehr um Leben oder Tod wie unter der Naziherrschaft ging. Ein Beispiel aus dem Saarland von Heinrich Kalbfuss:
Es war damals nicht ganz ungefährlich, d.h. man wurde nicht verfolgt als Freimaurer, aber wenn ein Regierungsbeamter der Saarregierung Freimaurer war, da konnte er nicht damit rechnen befördert zu werden. Er wurde einfach übergangen. Es gehörte nicht zum guten Ton Freimaurer zu sein. Das hat sich nun Gott sei Dank seit Jahrzehnten gelegt.
Im Juni letzten Jahres wurde in Lyon der 275. Geburtstag der Freimaurerei mit einem Festakt begangen. Verschiedene Strömungen haben sich in der Geschichte der Freimaurerei entwickelt, Jean Rhein:
Tatsächlich gibt es mehrere Strömungen in der Freimaurerei. Eine Strömung ist explizit religiös, eine andere Strömung, die etwas breiter ist, beinhaltet protestantische Positionen. Eine Strömung erwähnt die absolute Gewissensfreiheit in den Mittelpunkt ihrer Wirkungsweise, ihrer Herangehensweise. Es stimmt, das es diese unterschiedlichen Strömungen gibt, die zum Teil Kontakt untereinander pflegen, zum Teil aber auch sich jeden Kontakt untereinander verwehren.
Vor allem zwischen der so genannten Romanischen Freimaurerei, wie sie in Frankreich vorherrscht und der angelsächsischen Schule, die in Deutschland Anwendung findet, knistert es gewaltig
Es gibt einen grundlegenden Unterschied: unsere Mitglieder müssen nicht zwingend an Gott glauben. Unser Prinzip ist die Gewissensfreiheit. Wir sind nicht gegen Religionen, wir haben Mitglieder aller Religionen, aber eben auch Atheisten. Und das unterscheidet uns von der angelsächsischen Freimaurerei.
Die Gottesgläubigkeit spielt in der deutschen Freimaurerei eine entscheidende Rolle, Gott ist hier der große Baumeister aller Welten, der Architekt sozusagen:
In unserer eigenen Großloge liegt auf dem Altar die Bibel. Meistens zusammen mit irgendeinem anderen Buch, z.B. bei uns auch mit dem Koran wir haben nämlich auch Muslims als Mitglieder. In dieser Sichtweise liegt die Bibel nicht als das Glaubensbuch der christlichen Konfession oder Religion hier, sondern er liegt als das Symbol benannt mit dem Namen das Buch des heiligen Gesetzes: will sagen dieses Buch erinnert uns daran, das es hinter der uns erkennbaren widersprüchlichen Vielfalt der Welt ein sinnvolles Konzept gibt, ein Prinzip nachdem die Welt konstruiert ist und nachdem sie auch abläuft.
Ein weiterer wesentlicher Reibungspunkt zwischen beiden Obedienzen ist die Frage nach der Zugehörigkeit von Frauen:
Es bestehen weiter Obedienzen, die rein männlich sind, genauso wie es Obedienzen gibt, die nur Frauen aufnehmen. Allerdings ist die Tendenz von gemischten Logen, die dominierende Tendenz unserer Zeit.
Schon im 18. Jahrhundert fanden Frauen in Frankreich Zugang zu den Freimaurerlogen. Auch in Deutschland können vereinzelt Freimaurerinnen gefunden werden, wie zum Beispiel Ulrike Luhn:
Weil ich mich in dieser Gesellschaft sehr wohl fühle, am rauen Stein zu arbeiten in dieser Gesellschaft macht irgendwie mehr Freude und Spaß als alleine. Jedes Mitglied persönlich betrachtet sich ja als einen Stein für den Bau der Humanität, der noch geformt werden sollte
In der größten deutschen Obedienz, der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, kurz A.F.A.M., sind Frauen nicht zugelassen. Günther Lensch:
Es gibt ja auch sonst wo in der Gesellschaft reine Frauengruppierungen, reine Männergruppierungen und ich denke das schlimmste also was mir passieren könnte wäre in einer Gesellschaft leben zu müssen in der ich per Gesetz gezwungen wäre immer alles gemeinsam mit Frauen zu machen.
Die Unterschiedlichen Auffassungen der romanischen und angelsächsischen Freimaurerei haben zwischen dem Französischen Grand-Orient und der AFAM eine fast undurchdringliche Mauer entstehen lassen:
Ich muss sagen, das das Verhältnis zwischen Französischen und Deutschen Logen sich sehr schwierig gestaltet, auch wenn es Logen gibt die seit 40 Jahren eine Jumelage unterhalten. Seit 1993 ist es deutschen Freimaurern verboten in Französischen Logen zu verkehren oder französische Brüder zu empfangen. Daher empfinden wir die deutsche Freimaurerei als dogmatisch, sie nimmt ihren Mitgliedern zu viele Freiheiten und das ist für Freimaurer wie wir es sind, nicht wirklich zu akzeptieren. Eine Tendenz, die ich auch bei jüngeren deutschen Freimaurern spüre.
Mike Harscheidt gehört zu diesen so genannten jüngeren Deutschen Freimaurer:
Wir sind heute in Deutschland etwa bei 10.000 11.000 Mitglieder. Und darin seh' ich genau das, was mich in vielen Jahren gestört hat: nämlich ein gewisses introvertiert sein, ein an sich selbst gefallen, ein zuwenig die Fähigkeit auf Gesellschaft zuzugehen und auch Fragen der Gesellschaft aufzugreifen. Etwas was in Frankreich sehr viel besser funktioniert. Weil sich dort sehr viele Logen verstehen als Laboratorien, wo also Probleme der Zeit durchdacht werden gesammelt werden und als Ergebnis einmal im Jahr dann in einem Weißbuch zusammengestellt werden und den Präsidenten der Republik übergeben werden.
In den 20er und 30er Jahre schätzte man in Deutschland die Anzahl der Freimaurer auf ca. 80 bis 90.000. Ca. 800 Prozent weniger als heute. Aufgrund dieser negativen Entwicklung sind auch unter den älteren deutschen Freimaurer kritische Stimmen zu hören, wie die von Heinrich Kalbfuss:
Ich empfinde also gerade die Deutsche Freimaurerei ein bisschen zu selbstgefällig. Man ruht sich aus auf den großen Namen der Freimaurer Geschichte in Deutschland. Alle großen Namen der Aufklärung, der großen deutschen Kultur im 18. und erst recht im 19. Jahrhundert sind reich an bedeutenden Persönlichkeiten, die alle Freimaurerbrüder waren. Aber das ist ein sehr schlechtes Ruhekissen. Man müsste seine Existenzberechtigung heute beweisen, aber es gelingt offenbar nicht, das auch in einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Freimaurerei in Deutschland schwindet zur Bedeutungslosigkeit: es gibt da so ein Wort: "Also die deutsche Öffentlichkeit hat von der Freimaurerei nichts zu befürchten aber sie hat von ihr auch nichts zu erwarten.
Für Günther Lensch stellen sich solche Fragen nicht:
Ich kann auch nicht sehen, das diskursive Gespräche, Debatten über solche Angelegenheiten wie sie die heutige Tagespolitik bewegen, dass das wirklich Menschen ideologisch ziehen könnte, diese Gespräche hat man ja draußen bis zum Überdruss. Wenn wir uns in irgendetwas unterscheiden von dem draußen, dann ist es der spirituelle Bereich der Loge, der eben nichts mit Politik zu tun hat.
In Frankreich gehen gegenwärtige Schätzungen von 120 bis 130.000 Freimaurern aus, mehr als Zehnmal soviel wie in Deutschland. Der "Grand-Orient de France" strebt sowohl die Verbesserung des Menschen wie auch der Gesellschaft an. Dafür mischen sich französische Freimaurer auch gerne ins politische Tagesgeschäft ein. Zum Beispiel bei der Redaktion der europäischen Verfassung:
Wir konnten nicht hinnehmen, das in der Präambel zur europäischen Verfassung geschrieben werden sollte, das Europa mit religiösen oder christlichen Werten aufgebaut wurde. Der europäische Gedanke fußt nicht allein auf christliche Werte, auch andere Religionen haben ihren Einfluss gehabt. Wie zum Beispiel in Spanien, wo der Islam eine Grosse Rolle gespielt hat. Warum sollte man das also nicht erwähnen? Das gleiche gilt für die Juden, sie haben eine wesentliche Rolle in Europa gespielt. Alle Religionen haben Europa geprägt. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, das in der Gesellschaft in der wir leben auch Menschen sind, die nicht an Gott glauben. Was wir uns gewünscht haben, konnten wir in etwa durchsetzen. Wir sprechen uns nicht gegen religiöse Werte in der Präambel der europäischen Verfassung aus, man sollte aber auch die anderen Werte nicht vergessen. Und was heute in der Präambel steht entspricht schon eher diesem Anspruch, weil nun auch humanistische und kulturelle Werte erwähnt werden und dies viel eher die historische Realität Europas wiederspiegelt.