Christoph Heinemann: Was hat José Manuel Barroso gesagt, was hat er sagen wollen und was hat er gemeint? Die Pharisäer und Schriftgelehrten sind sich nicht einig. Jeder liest und hört, was ihm passt. Der Europäische Stabilitätspakt ist ins Gerede gekommen. Einige Euroländer können oder wollen nicht mehr sparen. Der französische Finanzminister hofft öffentlich, dass man in Berlin endlich kapieren möge, wie wichtig Wachstum und Wachstumspolitik ist. Der Unionspolitiker Michael Meister wünscht sich laut, dass in Paris der Spargroschen endlich fällt. Und der slowakische Ministerpräsident Fico erwartet einen heißen EU-Gipfel im Herbst.
Am Telefon ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Guten Morgen.
Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Sind Sie sauer auf Herrn Barroso?
Schäuble: Nein. Er hat wahrscheinlich etwas – das, was er gesagt hat, das ist ja gerade beschrieben worden, dass er das wohl gar nicht so genau geplant hatte – die Reaktionen unterschätzt, weil er es ein bisschen einseitig dargestellt hat. Es ist ja niemand gegen Wachstum. Ich sage wieder und wieder, das größte Problem in Europa ist die Jugendarbeitslosigkeit. Wir müssen dagegen schnellere Erfolge haben, wir müssen mehr dagegen tun. Nur das ist ja eben gerade nicht dadurch zu lösen, dass wir mehr Schulden machen. Die Schulden waren ja die Ursache der Krise, in der wir stecken. Deswegen müssen wir eine intelligente Politik, wie wir sie formuliert haben, fortsetzen. Wir erzielen ja Fortschritte. Jetzt zu sagen, wir machen jetzt wieder mehr Schulden, dann würde das Elend nur von Neuem beginnen, das wäre genau die falsche Antwort.
Heinemann: Kann man Arbeitslosigkeit wegsparen?
Schäuble: Wir sparen Arbeitslosigkeit nicht weg. Wir haben ja auch in Deutschland gezeigt, schauen Sie, in dieser Legislaturperiode. Wir haben angefangen mit einer Verschuldung im Bundeshaushalt von 86 Milliarden und einer immer noch relativ hohen Arbeitslosigkeit. Wir haben maßvoll, aber doch konsequent die Verschuldung zurückgeführt, und gleichzeitig haben wir inzwischen den niedersten Stand der Arbeitslosigkeit in Deutschland seit der Wiedervereinigung. Es ist ja nicht so, dass wir nicht Wachstum machen und Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen. Es geht eben genau auf dem Weg der Solidität. Es gilt: Nachhaltiges Wachstum schaffen Sie nicht, indem Sie einfach nur Geld drucken oder noch mehr Schulden machen, sondern Sie müssen das, was nicht in Ordnung ist, schrittweise in Ordnung machen. Das muss man im angemessenen Tempo tun. Der Europäische Stabilitätspakt enthält genügend Flexibilität, um auf konjunkturelle Entwicklungen zu reagieren. Es ist Sache der Kommission, dazu Vorschläge zu machen. Die erwarten wir aber nicht in öffentlichen Reden, wo andere kritisiert werden. Das erweckt einen ganz falschen Eindruck. Die Kommission ist verpflichtet, die Verträge auszuführen, umzusetzen. Sonst zerstört sie Vertrauen, wenn sie anfängt zu sagen, die Verträge gelten nicht mehr. Damit zerstört sie die Grundlage von Vertrauen. Das hat Herr Westerwelle kritisiert an Herrn Barroso und das muss Herr Barroso wirklich bedenken.
Heinemann: Herr Schäuble, wenn Sie sprechen von mehr Flexibilität oder von der Flexibilität im Vertragswerk, heißt das dann auch mehr Zeit einräumen für die Haushaltskonsolidierung?
Schäuble: Es ist Sache der Kommission, in Gesprächen mit den betroffenen Ländern …
Heinemann: Aber Sie haben doch eine Meinung dazu?
Schäuble: Ja. Aber ich warte zunächst einmal das Vorschlagsrecht der Kommission ab. Und ich habe ja gerade gesagt: Die Verträge, man muss sie nur lesen, sie enthalten genügend Flexibilität. Entscheidend ist, dass wir den Kurs fortsetzen. Das sagt übrigens auch mein französischer Kollege. Natürlich muss Frankreich den Weg struktureller Reformen weitergehen. Frankreich hat einen zu hohen Verwaltungskostenanteil, Frankreich hat zu hohe Arbeitskosten, das weiß Frankreich. Das kann man nicht über Nacht ändern, aber das muss Schritt für Schritt erfolgen. Und wenn das glaubwürdig ist, dann kann man in der Frage, in welchem Jahr man welches Defizit macht, durchaus flexibler sein. Das ist aber niemals bestritten worden, schon gar nicht von der Bundesregierung.
Heinemann: Den ganzen Kurs infrage stellt aber zum Beispiel der designierte italienische Ministerpräsident. Wir hören Enrico Letta:
O-Ton Enrico Letta: "Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass der Kurs der Politik in der Europäischen Union geändert wird. Sie ist zu sehr auf Sparmaßnahmen fixiert. Das hat selbst der EU-Kommissionspräsident vor einigen Tagen gesagt. Das reicht nicht mehr aus."
Heinemann: Ist das Ende der Sparpolitik in Sicht?
Schäuble: Ich meine, wenn nun ausgerechnet wir glauben, Italien sei das Vorbild, wie man es machen muss, um Europa auf ein nachhaltiges Wachstum, auf ein stabiles nachhaltiges Wachstum zu bringen, dann habe ich irgendwas falsch mitbekommen in den letzten Wochen. Wir sind ja froh, wenn jetzt in Italien eine Regierung gebildet wird. Das große Problem in Italien in den letzten Monaten ist doch gewesen, dass die Wirtschaft dadurch auch irritiert ist, dass nach den italienischen Wahlen es keine regierungsfähige Mehrheit gegeben hat. Es ist immer eine menschliche Versuchung, eigene Probleme, die man hat, auf andere abzuschieben. Dazu eignet sich für manche im Augenblick Deutschland, das ist völliger Unsinn. Das verkennt die wirklichen Ursachen der Probleme und wer die Ursachen verkennt - die falsche Analyse führt auch nicht zur richtigen Therapie, und deswegen muss man schon dabei bleiben, was wir gemeinsam verabredet haben. Wir brauchen Stabilität und nachhaltiges Wachstum. Europa muss wettbewerbsfähig bleiben im globalen Wettbewerb. Das ist Deutschland im Augenblick, aber man kann es nicht von allen europäischen Ländern in der gleichen Weise sagen. Und nun kann man das Problem nicht dadurch lösen, dass man Deutschland so schwach macht wie die anderen, sondern die anderen müssen auf den Weg kommen, dort die Probleme zu lösen, wo sie bestehen.
Heinemann: Unterdessen spielen sich in einigen Ländern Tragödien ab. Der viel gelobte Mario Monti hat in Italien die Renten gesenkt - mit der Folge, dass verzweifelte Rentner Selbstmord begehen. Das gibt es auch in Griechenland. Ist das der Preis für Konsolidierung?
Schäuble: Es gibt leider immer in Einzelfällen schreckliche, auch falsche Entscheidungen und Verzweiflung. Es gibt Übertreibungen in der Medienberichterstattung. Wir haben gerade auch eine Statistik von der Europäischen Zentralbank bekommen, wie das Vermögen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verteilt ist, und diese Statistik hat nicht gerade dafür gesprochen, dass die Vermögen in Deutschland am höchsten sind, sondern gerade auch in den Ländern, von denen wir ständig reden. Das heißt, wenn man genauer hinschaut, was die Probleme sind, wenn man die Probleme richtig analysiert und nicht die Schuld beim anderen sucht, dann findet man auch die richtigen Lösungen. Wir haben das in Deutschland getan, deswegen sind wir ziemlich erfolgreich. Wir helfen anderen, das ist klar, das ist auch unser eigenes Interesse. Aber wir können nicht daran mitwirken, dass man jetzt durch eine Verschiebung der Ursachen sich wieder auf den falschen Weg begibt.
Heinemann: Herr Schäuble, die Bundesregierung hat 2008 in der Krise viele Milliarden Euro für die Konjunkturprogramme in die Hand genommen. Warum wird das jetzt nicht auch in Europa so gemacht?
Schäuble: Das kann man dann machen, wenn klar ist, dass man anschließend die Defizite wieder zurückführt. Die Konjunkturprogramme in Deutschland 2008/2009 haben deswegen etwas geholfen, weil wir, sobald wir das schlimmste überwunden hatten, konsequent das zurückgeführt haben. Dadurch entsteht Vertrauen, Vertrauen ist der wichtigste Rohstoff für Wachstum, für Investitionen, für Arbeitsplätze in einer marktwirtschaftlich orientierten sozialen Volkswirtschaft. Genau das ist uns in Deutschland ganz gut gelungen, genau das muss uns auch in Europa gelingen. Es gelingt in einer Reihe von Ländern. Viele europäische Länder machen ja große Fortschritte, aber die klagen nicht jeden Tag und vor allen Dingen verlangen sie nicht immer von anderen die Lösung ihrer eigenen Probleme, sondern sie kümmern sich selber. Schauen Sie sich die baltischen Staaten an, schauen Sie sich Osteuropa an, schauen Sie sich die Beneluxländer an, Portugal ist auf einem guten Weg, Irland hat enorme Fortschritte gemacht, Spanien macht große Reformen. Aber wenn man weiß, was in Spanien über Jahrzehnte auch mit Fehlinvestitionen in den Immobiliensektor gewesen ist – das kann man ja besichtigen, wenn man durch Spanien fährt -, dann ist es auch klar: Ganz ohne eine schwierige Übergangsphase gelingt das nicht. Und Italien muss seine Probleme zwischen Nord und Süd lösen, mit seiner politischen Spaltung, es muss eine stabile politische Regierung auf die Beine bringen und die italienischen Politiker müssen die Menschen in Italien davon überzeugen, dass die italienischen Politiker in der Lage sind, das Land verantwortlich zu führen.
Heinemann: Vielleicht hat ja die politische Instabilität mit der Sparpolitik zu tun, in Italien mit Sicherheit. Noch mal die Frage: Brauchen solche Länder, die nicht mehr können, denen die Puste ausgegangen ist, brauchen die mehr Zeit?
Schäuble: Das kann sein, dass sie mehr Zeit brauchen. Aber wenn sie die Zeit dazu nutzen, das richtige zu tun, das ist ja genau das, was wir auch bei den Hilfsprogrammen machen, Herr Heinemann. Es ist ja nicht so, dass wir nicht Zeit gewähren. Wir machen Hilfsprogramme immer wieder, um den Ländern die notwendige Zeit zu verschaffen. Wir sind dafür, dass wir mehr Mittel für die Bekämpfung insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit in Europa einsetzen. Der letzte Europäische Rat hat zusätzlich sechs Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit mobilisiert. Jetzt ist es Sache der Kommission, dafür zu sorgen, dass die Mittel auch effizient eingesetzt werden, dass sie nicht nur auf dem Papier stehen und man dann die nächsten Reden hält, sondern dass das mal umgesetzt wird, und da hat die Kommission noch erheblichen Verbesserungsbedarf und darum muss sich auch der Präsident kümmern.
Heinemann: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) – danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Schäuble: Bitte sehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Guten Morgen.
Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Sind Sie sauer auf Herrn Barroso?
Schäuble: Nein. Er hat wahrscheinlich etwas – das, was er gesagt hat, das ist ja gerade beschrieben worden, dass er das wohl gar nicht so genau geplant hatte – die Reaktionen unterschätzt, weil er es ein bisschen einseitig dargestellt hat. Es ist ja niemand gegen Wachstum. Ich sage wieder und wieder, das größte Problem in Europa ist die Jugendarbeitslosigkeit. Wir müssen dagegen schnellere Erfolge haben, wir müssen mehr dagegen tun. Nur das ist ja eben gerade nicht dadurch zu lösen, dass wir mehr Schulden machen. Die Schulden waren ja die Ursache der Krise, in der wir stecken. Deswegen müssen wir eine intelligente Politik, wie wir sie formuliert haben, fortsetzen. Wir erzielen ja Fortschritte. Jetzt zu sagen, wir machen jetzt wieder mehr Schulden, dann würde das Elend nur von Neuem beginnen, das wäre genau die falsche Antwort.
Heinemann: Kann man Arbeitslosigkeit wegsparen?
Schäuble: Wir sparen Arbeitslosigkeit nicht weg. Wir haben ja auch in Deutschland gezeigt, schauen Sie, in dieser Legislaturperiode. Wir haben angefangen mit einer Verschuldung im Bundeshaushalt von 86 Milliarden und einer immer noch relativ hohen Arbeitslosigkeit. Wir haben maßvoll, aber doch konsequent die Verschuldung zurückgeführt, und gleichzeitig haben wir inzwischen den niedersten Stand der Arbeitslosigkeit in Deutschland seit der Wiedervereinigung. Es ist ja nicht so, dass wir nicht Wachstum machen und Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen. Es geht eben genau auf dem Weg der Solidität. Es gilt: Nachhaltiges Wachstum schaffen Sie nicht, indem Sie einfach nur Geld drucken oder noch mehr Schulden machen, sondern Sie müssen das, was nicht in Ordnung ist, schrittweise in Ordnung machen. Das muss man im angemessenen Tempo tun. Der Europäische Stabilitätspakt enthält genügend Flexibilität, um auf konjunkturelle Entwicklungen zu reagieren. Es ist Sache der Kommission, dazu Vorschläge zu machen. Die erwarten wir aber nicht in öffentlichen Reden, wo andere kritisiert werden. Das erweckt einen ganz falschen Eindruck. Die Kommission ist verpflichtet, die Verträge auszuführen, umzusetzen. Sonst zerstört sie Vertrauen, wenn sie anfängt zu sagen, die Verträge gelten nicht mehr. Damit zerstört sie die Grundlage von Vertrauen. Das hat Herr Westerwelle kritisiert an Herrn Barroso und das muss Herr Barroso wirklich bedenken.
Heinemann: Herr Schäuble, wenn Sie sprechen von mehr Flexibilität oder von der Flexibilität im Vertragswerk, heißt das dann auch mehr Zeit einräumen für die Haushaltskonsolidierung?
Schäuble: Es ist Sache der Kommission, in Gesprächen mit den betroffenen Ländern …
Heinemann: Aber Sie haben doch eine Meinung dazu?
Schäuble: Ja. Aber ich warte zunächst einmal das Vorschlagsrecht der Kommission ab. Und ich habe ja gerade gesagt: Die Verträge, man muss sie nur lesen, sie enthalten genügend Flexibilität. Entscheidend ist, dass wir den Kurs fortsetzen. Das sagt übrigens auch mein französischer Kollege. Natürlich muss Frankreich den Weg struktureller Reformen weitergehen. Frankreich hat einen zu hohen Verwaltungskostenanteil, Frankreich hat zu hohe Arbeitskosten, das weiß Frankreich. Das kann man nicht über Nacht ändern, aber das muss Schritt für Schritt erfolgen. Und wenn das glaubwürdig ist, dann kann man in der Frage, in welchem Jahr man welches Defizit macht, durchaus flexibler sein. Das ist aber niemals bestritten worden, schon gar nicht von der Bundesregierung.
Heinemann: Den ganzen Kurs infrage stellt aber zum Beispiel der designierte italienische Ministerpräsident. Wir hören Enrico Letta:
O-Ton Enrico Letta: "Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass der Kurs der Politik in der Europäischen Union geändert wird. Sie ist zu sehr auf Sparmaßnahmen fixiert. Das hat selbst der EU-Kommissionspräsident vor einigen Tagen gesagt. Das reicht nicht mehr aus."
Heinemann: Ist das Ende der Sparpolitik in Sicht?
Schäuble: Ich meine, wenn nun ausgerechnet wir glauben, Italien sei das Vorbild, wie man es machen muss, um Europa auf ein nachhaltiges Wachstum, auf ein stabiles nachhaltiges Wachstum zu bringen, dann habe ich irgendwas falsch mitbekommen in den letzten Wochen. Wir sind ja froh, wenn jetzt in Italien eine Regierung gebildet wird. Das große Problem in Italien in den letzten Monaten ist doch gewesen, dass die Wirtschaft dadurch auch irritiert ist, dass nach den italienischen Wahlen es keine regierungsfähige Mehrheit gegeben hat. Es ist immer eine menschliche Versuchung, eigene Probleme, die man hat, auf andere abzuschieben. Dazu eignet sich für manche im Augenblick Deutschland, das ist völliger Unsinn. Das verkennt die wirklichen Ursachen der Probleme und wer die Ursachen verkennt - die falsche Analyse führt auch nicht zur richtigen Therapie, und deswegen muss man schon dabei bleiben, was wir gemeinsam verabredet haben. Wir brauchen Stabilität und nachhaltiges Wachstum. Europa muss wettbewerbsfähig bleiben im globalen Wettbewerb. Das ist Deutschland im Augenblick, aber man kann es nicht von allen europäischen Ländern in der gleichen Weise sagen. Und nun kann man das Problem nicht dadurch lösen, dass man Deutschland so schwach macht wie die anderen, sondern die anderen müssen auf den Weg kommen, dort die Probleme zu lösen, wo sie bestehen.
Heinemann: Unterdessen spielen sich in einigen Ländern Tragödien ab. Der viel gelobte Mario Monti hat in Italien die Renten gesenkt - mit der Folge, dass verzweifelte Rentner Selbstmord begehen. Das gibt es auch in Griechenland. Ist das der Preis für Konsolidierung?
Schäuble: Es gibt leider immer in Einzelfällen schreckliche, auch falsche Entscheidungen und Verzweiflung. Es gibt Übertreibungen in der Medienberichterstattung. Wir haben gerade auch eine Statistik von der Europäischen Zentralbank bekommen, wie das Vermögen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verteilt ist, und diese Statistik hat nicht gerade dafür gesprochen, dass die Vermögen in Deutschland am höchsten sind, sondern gerade auch in den Ländern, von denen wir ständig reden. Das heißt, wenn man genauer hinschaut, was die Probleme sind, wenn man die Probleme richtig analysiert und nicht die Schuld beim anderen sucht, dann findet man auch die richtigen Lösungen. Wir haben das in Deutschland getan, deswegen sind wir ziemlich erfolgreich. Wir helfen anderen, das ist klar, das ist auch unser eigenes Interesse. Aber wir können nicht daran mitwirken, dass man jetzt durch eine Verschiebung der Ursachen sich wieder auf den falschen Weg begibt.
Heinemann: Herr Schäuble, die Bundesregierung hat 2008 in der Krise viele Milliarden Euro für die Konjunkturprogramme in die Hand genommen. Warum wird das jetzt nicht auch in Europa so gemacht?
Schäuble: Das kann man dann machen, wenn klar ist, dass man anschließend die Defizite wieder zurückführt. Die Konjunkturprogramme in Deutschland 2008/2009 haben deswegen etwas geholfen, weil wir, sobald wir das schlimmste überwunden hatten, konsequent das zurückgeführt haben. Dadurch entsteht Vertrauen, Vertrauen ist der wichtigste Rohstoff für Wachstum, für Investitionen, für Arbeitsplätze in einer marktwirtschaftlich orientierten sozialen Volkswirtschaft. Genau das ist uns in Deutschland ganz gut gelungen, genau das muss uns auch in Europa gelingen. Es gelingt in einer Reihe von Ländern. Viele europäische Länder machen ja große Fortschritte, aber die klagen nicht jeden Tag und vor allen Dingen verlangen sie nicht immer von anderen die Lösung ihrer eigenen Probleme, sondern sie kümmern sich selber. Schauen Sie sich die baltischen Staaten an, schauen Sie sich Osteuropa an, schauen Sie sich die Beneluxländer an, Portugal ist auf einem guten Weg, Irland hat enorme Fortschritte gemacht, Spanien macht große Reformen. Aber wenn man weiß, was in Spanien über Jahrzehnte auch mit Fehlinvestitionen in den Immobiliensektor gewesen ist – das kann man ja besichtigen, wenn man durch Spanien fährt -, dann ist es auch klar: Ganz ohne eine schwierige Übergangsphase gelingt das nicht. Und Italien muss seine Probleme zwischen Nord und Süd lösen, mit seiner politischen Spaltung, es muss eine stabile politische Regierung auf die Beine bringen und die italienischen Politiker müssen die Menschen in Italien davon überzeugen, dass die italienischen Politiker in der Lage sind, das Land verantwortlich zu führen.
Heinemann: Vielleicht hat ja die politische Instabilität mit der Sparpolitik zu tun, in Italien mit Sicherheit. Noch mal die Frage: Brauchen solche Länder, die nicht mehr können, denen die Puste ausgegangen ist, brauchen die mehr Zeit?
Schäuble: Das kann sein, dass sie mehr Zeit brauchen. Aber wenn sie die Zeit dazu nutzen, das richtige zu tun, das ist ja genau das, was wir auch bei den Hilfsprogrammen machen, Herr Heinemann. Es ist ja nicht so, dass wir nicht Zeit gewähren. Wir machen Hilfsprogramme immer wieder, um den Ländern die notwendige Zeit zu verschaffen. Wir sind dafür, dass wir mehr Mittel für die Bekämpfung insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit in Europa einsetzen. Der letzte Europäische Rat hat zusätzlich sechs Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit mobilisiert. Jetzt ist es Sache der Kommission, dafür zu sorgen, dass die Mittel auch effizient eingesetzt werden, dass sie nicht nur auf dem Papier stehen und man dann die nächsten Reden hält, sondern dass das mal umgesetzt wird, und da hat die Kommission noch erheblichen Verbesserungsbedarf und darum muss sich auch der Präsident kümmern.
Heinemann: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) – danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Schäuble: Bitte sehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.