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Die vierte industrielle Revolution
Wo bleibt der Mensch, wenn die Roboter kommen?

Die vierte industrielle Revolution wird kommen, da sind sich Experten einig. Unklar ist aber, was das für den Menschen bedeutet und welche Berufsgruppen vielleicht besonders betroffen sind.

Von Ingeborg Breuer |
    Orangefarbener Produktionsroboterarm, im Hintergrund ein Regal mit Kunstobjekten aus Holz.
    Industrie 4.0: Dieser Produktionsroboter mit dem Namen "Robochop" produziert auf Anweisung von Internetnutzern. (dpa/picture alliance/Ole Spata)
    "Jede Station kommuniziert mit einer anderen Station und wir können damit wie in der realen Produktion Teile fertigen hier und das Ganze am Laptop steuern und überwachen und an den Robotern programmieren. Und das ist was ganz Besonderes."
    Am beruflichen Fort- und Weiterbildungszentrum der Gewerblichen Schule Göppingen werden Schüler fit gemacht für die Zukunft. Dort befindet sich die Lernfabrik 4.0, ein High-Tech-Labor, wo Auszubildende im Bereich Mechatronik lernen, wie die Fabrik der Zukunft funktioniert. "Ist perfekt, das hier kennenzulernen, um das später anwenden zu können, weil ja später das Gleiche ist, nur in groß".
    Die Fabrik der Zukunft ist geprägt durch die vierte industrielle Revolution. Die erste ersetzte Handarbeit durch die Dampfmaschine. Die zweite ging mit Fließband und Massenproduktion einher. Die dritte war die digitale Revolution. Und in der vierten kommunizieren nicht mehr Menschen, sondern die Dinge miteinander über das Internet.
    Der Rohling sagt, wo’s lang geht
    "Das Internet ist jetzt auch in der Fabrik angekommen." Professor Wolfgang Wahlster ist wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz. In Kaiserslautern hat das Zentrum eine sogenannte "Smart Factory", errichtet, ein Forschungs- und Demonstrationszentrum für die Industrie 4.0. "Die einzelnen Teile einer Fabrik kommunizieren über ihre Internetprotokolle und der einzelne Rohling sagt einfach, wo’s lang geht. Das heißt, der Roboter erhält die Befehle, was er zu tun hat, von dem Produkt und nicht von der zentralen Steuerung."
    In dem Kaiserslauterner Forschungszentrum steuern die Dinge sich selbst, indem sie miteinander kommunizieren. Also ungefähr so: Befüll mich mit 500 Milliliter Flüssigseife, ordert die mit einem Chip versehene Seifenflasche beim Seifentank. Jetzt zehn Mal grüne statt rote Seifenlösung einfüllen! Nur weiße Deckel aufschrauben! Und schließlich bestellt die Palette mit abgefüllten Flüssigseifen den Lastwagen, der sie führerlos an ihren Bestimmungsort bringt. Eine zentrale Steuerung durch Menschen ist dabei überflüssig.
    "Hier in unserer Anlage ist das Zusammenwirken unterschiedlicher Komponenten sehr wichtig. Das geht nur, wenn man eine gemeinsame Sprache spricht. Wir bringen den einzelnen Softwaresystemen eine Art Interlingua bei oder eine Sprache, die alle verstehen." So vernetzt, wie in Kaiserslautern vorgeführt, sind die meisten Betriebe heute allerdings noch nicht.
    Mittelständler zögern noch
    Gerade mittelständische Unternehmen zögern, ihren Maschinenpark zu einem "Internet der Dinge" umzurüsten. Die Industrie 4.0 sei bislang mehr "Diskurs" als Realität, meint deshalb der Dortmunder Wirtschafts- und Industriesoziologe Prof. Hartmut Hirsch-Kreinsen: "Das treibt uns als Sozialforscher auch um, weil wir sehr intensiv nach realisierten Fällen suchen. Es gibt sicher eine Reihe von beispielhaften Unternehmensstandorten, wo etwa Vernetzung, Steuerungsprozesse nach relativ fortgeschrittenen Softwareprinzipien realisiert sind. Aber im Wesentlichen, wenn man in die Breite fragt, so muss man sagen, dieser Prozess der Digitalisierung ist am Anfang. Gemessen an dem, was diskutiert wird."
    Zwei Roboter, fotografiert auf der Roboter Messe Hamburg. Einer hält ein Mikrofon in der Hand. 
    Vielleicht die neue Haushaltshilfe? (Deutschlandradio.de/A. Schröder)
    Diskutiert wird nämlich viel über die Fabrik der Zukunft. Vor allem darüber, wie sich der Arbeitsmarkt verändern wird, wenn Maschinen sich selber steuern. Droht die "menschenleere Fabrik", so das Schlagwort? Eine Studie von Oxford-Wissenschaftlern aus dem Jahr 2013 kommt zu dem Ergebnis, dass 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten bedroht seien. Auf der Grundlage dieser Studie berechneten Volkswirte der IngDiba, dass in Deutschland mittel- und langfristig sogar mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze wegfallen könnte. Und dies würde nicht nur die schlecht Ausgebildeten, sondern auch die Höherqualifizierten treffen.
    Es geht auch um Anwälte, Volkswirte, Analysten und Ärzte
    "Es geht um Leute mit Wissen. Leute, die eigentlich gelernt haben, dass sie was Gutes studiert haben, um dann krisensichere Jobs zu haben. Wir sprechen über Anwälte, über Volkswirte, über Analysten, über Ärzte." Carsten Brzeski, Chefvolkswirt von der IngDiba. "Ein Anwalt hat zu erwarten, dass Verträge geprüft werden können von einem Computerprogramm, dass nicht mehr stundenlang in Gesetzbüchern geblättert werden muss, auch das kann ein Computer machen. Das kann mehr Zeit frei machen für den Anwalt, aber kann ihn irgendwann auch überflüssig machen. Beim Radiologen, der im Augenblick noch extrem gut ausgebildet ist, um Röntgenbilder zu analysieren, das kann vielleicht in einigen Jahren auch eine Maschine machen, auf Knopfdruck analysiert, Ergebnis wird ausgespuckt."
    Zwar werden, so die Prognose, auch neue Jobs geschaffen. Doch geschehe das eben nicht in dem Maße, in dem andere Jobs abgebaut werden. "Wir sehen in den USA am Arbeitsmarkt, der relativ gut ausschaut von außen, dass Beschäftigungswachstum nur noch in neuen Jobs stattgefunden hat. Das sind die Softwareentwickler, das sind kreative Jobs, das sind Jobs, die direkt mit dem Menschen zu tun haben. Nur, dass der Computer, die Software in so viele Lebensbereiche Einzug hält, dass ich eher fürchte, dass jetzt unterm Strich mehr Jobs wegfallen als neu geschaffen werden. Und das kann für die ganze Gesellschaft eine große Herausforderung werden."
    Dematerialisierung: Die bekannte Welt löst sich auf
    Noch weiter gehen der Berliner Marketing-Professor Ralf Kreutzer und der Unternehmensberater Karl Heinz Land in ihrem Buch "Dematerialisierung. Die Neuverteilung der Welt in Zeiten des digitalen Darwinismus". "Dematerialisierung" meint: "Schlüssel, Kreditkarte, das Flugticket, das Bahnticket, Geld, das wird auf einmal zur Software, zu einer Anwendung auf dem Smartphone. Dann werden die Dinge physisch nicht mehr gebraucht, also ich brauch die physisch nicht mehr herzustellen. Wenn die physisch nicht mehr hergestellt werden, führt das dazu, dass diese Stoffströme verschwinden, "dematerialisieren". Das heißt in der Endkonsequenz, wenn es so ist, wenn ich ein Flugticket nicht mehr drucke, dann brauch ich weder das Papier dafür herzustellen, noch brauch ich den Drucker oder den Toner. Aber der Drucker besteht aus 400 Teilen, dann brauch ich auch die Maschinen, auf denen diese Druckerteile hergestellt werden, nicht mehr zu."
    Nutzer der App WeChat in der Provinz Jianxi im Osten Chinas mit ihren Smartphones
    Nutzer der App WeChat in der Provinz Jianxi im Osten Chinas mit ihren Smartphones (picture-alliance / dpa / Imaginechina / Zhuo Zhongwei)
    "Naja, aber das ist doch eine sehr vereinfachte Sicht auf die physikalischen Dinge." Hartmut Hirsch-Kreinsen widerspricht der These, dass durch "Dematerialisierung" in den nächsten Jahrzehnten ganze Industrien nicht mehr gebraucht und etwa die Hälfte aller Menschen "arbeitsfrei" würden. "Natürlich haben wir das Phänomen einer extremen Miniaturisierung, die in den letzten Jahren stattgefunden hat. Also, die Smartphones, die wir alle in der Hosentasche haben, vor 10 Jahren waren das noch Rechner in der Größe von großen Kleiderschränken. Aber das trifft nicht zu für andere Bereiche, die Stühle auf den wir sitzen, die Tische, die Autos, in denen wir fahren, selbst wenn sich da die Technologie verändern wird. Und einige Kollegen scheinen das häufig zu übersehen."
    Lohn- und Sozialabgaben für Maschinen und Roboter?
    Um Industrie 4.0 ranken sich also widersprüchliche Prognosen. Die einen sagen ein weiter wachsendes Gefälle zwischen Arm und Reich voraus. Fordern Lohn- und Sozialabgaben für Maschinen und Roboter, um damit ein bedingungsloses Grundeinkommen zu finanzieren. Denn die "Gesellschaft nach der Arbeit", so das neue Buch von Ralf Kreuzer und Karl-Heinz Land wird kommen. Und sie fragen deshalb: "Braucht Industrie, braucht Wirtschaft 4.0 auch Staat 4.0? Wenn ich mir einen Roboter anschaffe, der bei mir zu Hause den Haushalt macht, also der putzt und räumt die Spülmaschine ab, den rufe ich, dann bringt der mir den Kaffee, warum muss ich für den keine Lohn- und Sozialabgaben zahlen? Warum pönalisieren wir die menschliche Arbeitskraft gegenüber der Maschine, ist das ok? Und wir werden dazu kommen, diese Superfirmen, diese Googles und Facebooks, es kann ja nicht sein, dass die hier in Deutschland Wertschöpfung betreiben, aber keine Steuern zahlen. Und ich plädiere dafür, darüber nachzudenken, wie man das so machen kann, dass das Einkommen und diese Megagewinne so gerecht umverteilt werden, dass alle wieder ein Auskommen haben."
    Der Ökonom Wolfgang Straubhaar vertritt dagegen die These, dass der Rückgang der Arbeit durch die schrumpfende Bevölkerung kompensiert werde. Der amerikanische Soziologe Jeremey Rifkin wiederum sieht den Bereich der Sozialwirtschaft wachsen – Pflege, Kultur, Kinderbetreuung – wie auch immer das finanziert werden könnte. Und noch andere - wie die Unternehmensberatung Boston Consulting - sagen der deutschen Industrie 390.000 neue Arbeitsplätze in den nächsten zehn Jahren voraus. Hartmut Hirsch-Kreinsen hat zu solchen Analysen eine klare Meinung: "Das ist alles Kaffeesatzleserei, also methodisch, empirisch ist das ziemlich unzuverlässig."
    Warnungen seit Jahrzehnten
    Übrigens ist die Warnung vor der Arbeitslosigkeit durch Automatisierung nichts Neues. Schon in den 30er-Jahren sah der Ökonom John Maynard Keynes "technologische Arbeitslosigkeit" voraus. 1958 warnte die Philosophin Hannah Arendt vor einer "Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist". Und in dem gerade erschienenen Heft der Bundeszentrale für politische Bildung "Aus Politik und Zeitgeschehen" veranschaulicht die Sozialwissenschaftlerin Martina Heßler von der Uni Hamburg die Angst vor der Automatisierung mit einem Titelbild des "Spiegel": Ein überdimensionierter Roboter hält einen Arbeiter im Blaumann mit seinem Greifarm fest am Schlafittchen - um ihn zu entsorgen. Titel: "Die Computer-Revolution. Fortschritt macht arbeitslos". Das Erscheinungsdatum: 17. April 1978! Seit mehr als einem halben Jahrhundert, analysiert Martina Heßler, seien es ähnliche Argumentationsfiguren, behauptete Zwangsläufigkeiten und Befürchtungen, die mit der Automatisierung der Arbeitswelt einhergingen. "Also ich habe oft Deja Vues."
    So auch Hartmut Hirsch-Kreinsen. "Als ich studiert habe, da gab’s im Bereich der Arbeitssoziologie eine große Debatte. Da kamen damals die ersten computergesteuerten Werkzeugmaschinen auf und da ging die große Frage um, was passiert jetzt mit qualifizierter Facharbeit? Da gab’s ganz schwarze Thesen, Facharbeit verschwindet, wir müssen ein ganz neues Berufsbildungssystem entwickeln und so weiter. Und wenn ich da die empirischen Befunde resümiere, an denen ich dann später auch beteiligt war, Arbeit hat sich natürlich verändert, die Anforderungen an Arbeit sind andere geworden, die Berufsbilder haben sich deutlich verändert. Aber da ist nichts Sensationelles."
    Längerfristig entstehen neue Jobs
    Für Hirsch-Kreinsen ist die Vision von der menschenleeren Fabrik eine Fiktion von Ingenieuren und IT-Spezialisten. Ohne menschliches Arbeitshandeln werde es auch in Zukunft nicht gehen. Allerdings werde die Arbeit sich verändern. "Kurzfristig gehen sicher viele Jobs verloren, aber in der Vergangenheit war das dann so, dass längerfristig das Verlorengehen von Jobs durch neue Jobs, die entstehen, kompensiert wird. Das ist kein Trost für die Leute, die ihre Arbeit verlieren, weil die nicht ohne Weiteres dann etwa in bessere und höher qualifizierte Jobs hineinspringen können. Aber ich denke, Kompensation wird stattfinden."
    Ein riesiges grünes Robotermännchen - Maskottchen für das Google-Betriebssystem Android - steht vor dem Eingang des amerikanischen Internet-Konzerns Google in Mountain View.
    Sollten die riesigen Gewinne der Internet-Unternehmen neu verteilt werden? (picture alliance / dpa / Christof Kerkmann)
    Es gebe Szenarien, so der Sozialwissenschaftler, denen zufolge es zu einem "Upgrading" von Tätigkeiten und Qualifikationen komme. Dabei würden die einfachen Tätigkeiten durch die neuen Technologien ersetzt, während die ohnehin höher Qualifizierten die Gewinner wären, die zunehmend anspruchsvollere Aufgaben übernehmen würden. Umgekehrt könne es aber auch zu einer zunehmende "Polarisierung" von Arbeit kommen, bei der die mittleren Qualifikationsgruppen massiv an Bedeutung verlieren würden.
    Mittlere Tätigkeiten rutschen vom Qualifikationsniveau nach unten
    Diese Polarisierungsthese kann man auf die Makroebene beziehen, wonach sich eine Schere öffnet zwischen besseren Jobs, die aufgewertet werden und schlechteren Jobs, die abgewertet werden. Und dass dann in der Mitte im Feld von relativ qualifizierter anspruchsvoller Tätigkeit, in Deutschland etwa Facharbeit, dass da einiges erodiert entweder nach oben oder nach unten. Man kann aber auch eine ganze Reihe von empirischen Evidenzen zitieren, dass mittlere Tätigkeiten formalisiert und standardisiert werden und damit vom Qualifikationsniveau nach unten rutschen."
    Dass sie kommen wird, die Industrie 4.0, ist bei den Wissenschaftlern nicht umstritten. Doch welche Konsequenzen sie haben wird, ist heute noch offen. Klar ist allerdings, dass Bildung und lebenslanges Lernen noch wichtiger werden als bisher. Die Auszubildenden in der Lernfabrik 4.0 in Göppingen fangen früh damit an. Sie werden so nicht nur selbst zukunftsfähig gemacht, sondern, so Schulleiter Jürgen Wittlinger, sie können mit ihrem Wissen auch die Industrie 4.0 weiter voranbringen. "Das kann er natürlich auch im Job lernen. Aber wenn er jetzt für die anstehenden Entwicklungen mit diesen Kompetenzen schon in den Betrieb kommt, dann kann er im Betrieb einiges gestalten, um Betriebe zukunftsfähig zu machen."