Ian Johnson: "Wenn man vorbeifährt auf der Straße in München, es ist verblüffend klein eigentlich. Es ist eine schöne Moschee mit einem sehr hohen, schlanken Minarett und einer sehr schönen Haupthalle, klassische 50er-, 60er-Jahre-Architektur, aber es ist keine riesengroße Moschee."
Als Ian Johnson die bescheidene Moschee in München-Freimann sah, war er zunächst enttäuscht. Nichts rechtfertigte den Vergleich mit den berühmten Moscheen in Mekka, Jerusalem oder Istanbul. Die erste, 1973 eröffnete Moschee Bayerns liegt im Münchner Norden an einer stark befahrenen Bundesstraße gegenüber einer großen Kläranlage, in einer Gegend, in der früher Müll deponiert wurde und heute eine moderne Fußballarena steht. Der Anblick des schlichten Bauwerks war ernüchternd. Aber die Moschee hatte, wie der amerikanische, in Berlin und Peking lebende Journalist bald herausfand, eine spannende Geschichte. München war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Zufluchtsort für zehntausende von Flüchtlingen und Vertriebenen aus Osteuropa. Darunter befanden sich auch Hunderte von Muslimen, die während des Zweiten Weltkriegs von der Roten Armee zur deutschen Wehrmacht übergelaufen waren und in einem eigenen "osttürkischen Waffenverband der SS" an der Ostfront gegen die sowjetischen Truppen gekämpft hatten.
Ian Johnson: "Die Deutschen haben im Zweiten Weltkrieg versucht, den Islam für ihre Sache zu benutzen. Es gab islamische, muslimische Einheiten in der Wehrmacht und in der SS. Imame wurden ausgebildet. Und die Hauptfigur, die das geleitet hat, Gerhard von Mende, er hat auch nach dem Krieg für westdeutsche Nachrichtendienste gearbeitet."
Die muslimischen Überläufer, die man nicht in die Sowjetunion zurückschicken wollte, weil sie dort als Verräter hingerichtet worden wären, waren in Zeiten des Kalten Krieges nützliche Hilfstruppen im Propagandakampf gegen den Sowjetkommunismus, zunächst im Auftrag westdeutscher Stellen, dann in den 50er-Jahren im Dienste des amerikanischen Geheimdienstes CIA.
"Die sind in die Dritte Welt gereist, zum Beispiel nach Mekka während der großen Pilgerfahrtzeiten, Hadsch, und die haben Propaganda gegen die Sowjetunion gemacht. Die sind auch nach Indonesien, Irak und verschiedene Länder, die neu unabhängig waren. Und man wusste nicht, ob diese Länder kommunistisch wurden oder nicht. Und die haben dann für die amerikanische Sache Propaganda gemacht."
Allerdings erwiesen sich die muslimischen Agitatoren als wenig effizient, da es sich meist um rückständige und ungebildete ehemalige Rotarmisten ohne Ausstrahlung handelte. Deshalb rekrutierten die Amerikaner zunehmend Anhänger eines radikalen Islamismus, schienen diese doch wegen der Verwendung moderner Symbole wie westlicher Kleidung und westlicher Rhetorik besser geeignet.
"In den 50er-Jahren ist die Moslembruderschaft in Ägypten verboten worden und manche sind ins Exil geflohen, einige nach Europa. Und die Amerikaner haben die nach München geholt und haben sie für ihre Sache dann gewonnen. Und die haben dann mit den Amerikanern zusammengearbeitet und Propaganda für die Amerikaner gemacht."
Die Moslembruderschaft gilt als Keimzelle des politischen Islam mit dem Ziel, streng religiöse Gottesstaaten zu errichten. Ihre Anhänger gründeten in München einen Moscheebauverein. Sie hatten mit Religion aber wenig zu tun, sondern verstanden sich in erster Linie als elitäre politische Gruppe. Unter dem Namen "Islamisches Zentrum München" wurde der kleine Verein Träger der 1973 eröffneten Moschee. In ihm dominierten die arabischen Muslime, die es zum Beispiel ablehnten, türkische Gastarbeiter aufzunehmen. Nach den Erkenntnissen Johnsons diente das Zentrum als Anlaufstelle für die Organisation des Dschihad. Dort wurden junge Muslime für den Kampf in Bosnien rekrutiert. Und Spuren führten auch zum Anschlag auf das World Trade Center in New York im Jahr 1993. Die Moschee war wiederholt Schauplatz von Durchsuchungen und Festnahmen. Um die Verbindungen zwischen islamischem Zentrum und radikalen Fundamentalisten nachzuzeichnen, ist der Autor mitunter auf Spekulationen angewiesen; was aber nicht weiter verwundert, beschäftigt er sich doch mit den Grauzonen von Radikalismus und Illegalität. Bisweilen ist es mühsam, in dem verwirrenden Geflecht von deutschen, amerikanischen und muslimischen Akteuren die Übersicht zu behalten. Johnson stellt seinem Buch wohlweislich eine Liste der Hauptdarsteller voran, er selber musste auf weitere Hilfsmittel zurückgreifen.
"Ich habe eine lange Chronik auf meine Wand gemacht. Ich habe eine Excel-Dateiakte benutzt und das immer ergänzt und immer ergänzt. Es war schon ein bisschen kompliziert."
Dennoch ist es spannend zu lesen, wie die Geheimdienste in München Netzwerke antikommunistischer Propaganda und Zentren der Subversion aufbauten, wie sie über scheinbar unerschöpfliche Geldquellen verfügten und Schlachtpläne entwarfen, um die sozialistischen Staaten zu destabilisieren. Allerdings fehlen nähere Ausführungen, welchen Erfolg diese Gruppen hatten und ob sich die Millionen Dollars letztlich auszahlten, die die CIA in ihre muslimischen Hilfstruppen steckte.
"Die Amerikaner sind sehr leichtsinnig damit umgegangen. Die haben angefangen, den Islam als eine Waffe einzusetzen. Und nach einer Weile, nach zehn Jahren ungefähr, haben sie das ganze Projekt fallen lassen. In den 60er-Jahren war die nächste Priorität für die Amerikaner Südostasien. Der Haupt-CIA-Agent, der das in München organisiert hatte, ist dann nach Saigon gegangen, um dann ähnliche Propagandaoperationen dort einzuleiten, wahrscheinlich auch nicht erfolgreich."
Mit der Rekrutierung muslimischer Gruppen in München förderten die USA indirekt den Aufstieg eines radikalen Islamismus in Deutschland und Europa. Ihre Bemühungen, die Religion für außenpolitische Zwecke zu instrumentalisieren, wendeten sich Jahre später jedoch gegen sie selbst. Lehren haben die Amerikaner offensichtlich nicht daraus gezogen, denn nach 1979 wiederholte sich die Geschichte, diesmal in Afghanistan: Die USA unterstützten die aufständischen Mudschahidin und Osama bin Laden im Kampf gegen die sowjetischen Invasoren. Die Folgen sind bekannt.
Ian Johnson: Die Vierte Moschee. Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus.
Erschienen ist das Buch bei Klett Cotta, 360 S. kosten 22 Euro 95.
Als Ian Johnson die bescheidene Moschee in München-Freimann sah, war er zunächst enttäuscht. Nichts rechtfertigte den Vergleich mit den berühmten Moscheen in Mekka, Jerusalem oder Istanbul. Die erste, 1973 eröffnete Moschee Bayerns liegt im Münchner Norden an einer stark befahrenen Bundesstraße gegenüber einer großen Kläranlage, in einer Gegend, in der früher Müll deponiert wurde und heute eine moderne Fußballarena steht. Der Anblick des schlichten Bauwerks war ernüchternd. Aber die Moschee hatte, wie der amerikanische, in Berlin und Peking lebende Journalist bald herausfand, eine spannende Geschichte. München war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Zufluchtsort für zehntausende von Flüchtlingen und Vertriebenen aus Osteuropa. Darunter befanden sich auch Hunderte von Muslimen, die während des Zweiten Weltkriegs von der Roten Armee zur deutschen Wehrmacht übergelaufen waren und in einem eigenen "osttürkischen Waffenverband der SS" an der Ostfront gegen die sowjetischen Truppen gekämpft hatten.
Ian Johnson: "Die Deutschen haben im Zweiten Weltkrieg versucht, den Islam für ihre Sache zu benutzen. Es gab islamische, muslimische Einheiten in der Wehrmacht und in der SS. Imame wurden ausgebildet. Und die Hauptfigur, die das geleitet hat, Gerhard von Mende, er hat auch nach dem Krieg für westdeutsche Nachrichtendienste gearbeitet."
Die muslimischen Überläufer, die man nicht in die Sowjetunion zurückschicken wollte, weil sie dort als Verräter hingerichtet worden wären, waren in Zeiten des Kalten Krieges nützliche Hilfstruppen im Propagandakampf gegen den Sowjetkommunismus, zunächst im Auftrag westdeutscher Stellen, dann in den 50er-Jahren im Dienste des amerikanischen Geheimdienstes CIA.
"Die sind in die Dritte Welt gereist, zum Beispiel nach Mekka während der großen Pilgerfahrtzeiten, Hadsch, und die haben Propaganda gegen die Sowjetunion gemacht. Die sind auch nach Indonesien, Irak und verschiedene Länder, die neu unabhängig waren. Und man wusste nicht, ob diese Länder kommunistisch wurden oder nicht. Und die haben dann für die amerikanische Sache Propaganda gemacht."
Allerdings erwiesen sich die muslimischen Agitatoren als wenig effizient, da es sich meist um rückständige und ungebildete ehemalige Rotarmisten ohne Ausstrahlung handelte. Deshalb rekrutierten die Amerikaner zunehmend Anhänger eines radikalen Islamismus, schienen diese doch wegen der Verwendung moderner Symbole wie westlicher Kleidung und westlicher Rhetorik besser geeignet.
"In den 50er-Jahren ist die Moslembruderschaft in Ägypten verboten worden und manche sind ins Exil geflohen, einige nach Europa. Und die Amerikaner haben die nach München geholt und haben sie für ihre Sache dann gewonnen. Und die haben dann mit den Amerikanern zusammengearbeitet und Propaganda für die Amerikaner gemacht."
Die Moslembruderschaft gilt als Keimzelle des politischen Islam mit dem Ziel, streng religiöse Gottesstaaten zu errichten. Ihre Anhänger gründeten in München einen Moscheebauverein. Sie hatten mit Religion aber wenig zu tun, sondern verstanden sich in erster Linie als elitäre politische Gruppe. Unter dem Namen "Islamisches Zentrum München" wurde der kleine Verein Träger der 1973 eröffneten Moschee. In ihm dominierten die arabischen Muslime, die es zum Beispiel ablehnten, türkische Gastarbeiter aufzunehmen. Nach den Erkenntnissen Johnsons diente das Zentrum als Anlaufstelle für die Organisation des Dschihad. Dort wurden junge Muslime für den Kampf in Bosnien rekrutiert. Und Spuren führten auch zum Anschlag auf das World Trade Center in New York im Jahr 1993. Die Moschee war wiederholt Schauplatz von Durchsuchungen und Festnahmen. Um die Verbindungen zwischen islamischem Zentrum und radikalen Fundamentalisten nachzuzeichnen, ist der Autor mitunter auf Spekulationen angewiesen; was aber nicht weiter verwundert, beschäftigt er sich doch mit den Grauzonen von Radikalismus und Illegalität. Bisweilen ist es mühsam, in dem verwirrenden Geflecht von deutschen, amerikanischen und muslimischen Akteuren die Übersicht zu behalten. Johnson stellt seinem Buch wohlweislich eine Liste der Hauptdarsteller voran, er selber musste auf weitere Hilfsmittel zurückgreifen.
"Ich habe eine lange Chronik auf meine Wand gemacht. Ich habe eine Excel-Dateiakte benutzt und das immer ergänzt und immer ergänzt. Es war schon ein bisschen kompliziert."
Dennoch ist es spannend zu lesen, wie die Geheimdienste in München Netzwerke antikommunistischer Propaganda und Zentren der Subversion aufbauten, wie sie über scheinbar unerschöpfliche Geldquellen verfügten und Schlachtpläne entwarfen, um die sozialistischen Staaten zu destabilisieren. Allerdings fehlen nähere Ausführungen, welchen Erfolg diese Gruppen hatten und ob sich die Millionen Dollars letztlich auszahlten, die die CIA in ihre muslimischen Hilfstruppen steckte.
"Die Amerikaner sind sehr leichtsinnig damit umgegangen. Die haben angefangen, den Islam als eine Waffe einzusetzen. Und nach einer Weile, nach zehn Jahren ungefähr, haben sie das ganze Projekt fallen lassen. In den 60er-Jahren war die nächste Priorität für die Amerikaner Südostasien. Der Haupt-CIA-Agent, der das in München organisiert hatte, ist dann nach Saigon gegangen, um dann ähnliche Propagandaoperationen dort einzuleiten, wahrscheinlich auch nicht erfolgreich."
Mit der Rekrutierung muslimischer Gruppen in München förderten die USA indirekt den Aufstieg eines radikalen Islamismus in Deutschland und Europa. Ihre Bemühungen, die Religion für außenpolitische Zwecke zu instrumentalisieren, wendeten sich Jahre später jedoch gegen sie selbst. Lehren haben die Amerikaner offensichtlich nicht daraus gezogen, denn nach 1979 wiederholte sich die Geschichte, diesmal in Afghanistan: Die USA unterstützten die aufständischen Mudschahidin und Osama bin Laden im Kampf gegen die sowjetischen Invasoren. Die Folgen sind bekannt.
Ian Johnson: Die Vierte Moschee. Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus.
Erschienen ist das Buch bei Klett Cotta, 360 S. kosten 22 Euro 95.