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Die Vollzähligkeit der Sterne

Hans Blumenberg, der 1996 starb, hat den Film "Mars attacks" nicht mehr sehen können. Anderenfalls hätte er Tim Burtons Werk womöglich eine jener astronoetischen Glossen gewidmet, deren Sammlung jetzt postum erschienen ist. Die Astronoetik ist eine von Blumenberg erfundene Wissenschaft. Man könnte sie die Gedankenraumfahrt nennen; sie betreibt die Simulation der Astronautik mit den Mitteln des reinen Denkens. Der reale Astronaut bleibt auch über den Wolken ein Gefangener von Physik und Biologie; er kann seine Geschwindigkeit nicht beliebig steigern, und der Tod holt ihn auch fern der Erde ein. Sein philosophischer Doppelgänger ist frei von diesen Beschränkungen und nimmt sie deshalb unbefangen in den Blick. Aber er ist kein Buchhalter, der den Himmelstürmern verrechnet, daß die Sterne zu hoch hängen. Er hält auch Trostmittel für die Fernwehkranken bereit: Selbst wenn, gibt er zu bedenken, dem Menschen die Landung auf einem fremden Planeten gelänge, würde er dort nicht das finden, was er sucht.

Patrick Bahners |
    Wer die Anstrengungen einer Raumreise auf sich nimmt, hofft sowohl auf die Befriedigung des Wiedererkennens als auch auf die Freude des Erkennens. Der Alltourist hält Ausschau nach seinesgleichen: Er will den Fuß auf eine zweite Erde setzen, wo Spuren des Lebens und Denkmäler der Intelligenz auf ihn warten. Damit sich die Strapazen gelohnt haben, brächte er freilich gerne die Botschaft nach Hause, daß die intelligenten Lebewesen sich im Leben intelligenter angestellt haben als die eigene Gattung. Solche Belehrung erhoffen die Amerikaner in Tim Burtons Film von der Flotte der Marsmenschen, die auf den Radarschirmen sichtbar geworden ist. Eine gewaltige Menschenmenge wartet in der Wüste auf die Eröffnung der kosmischen Kommunikation. Als die Untertasse aufsetzt, läßt das Empfangskomitee der Friedensfreunde eine Taube aufsteigen. Leider deutet der Botschafter der Marsianer das ihm unbekannte Flugobjekt als Zeichen der Aggression. Sofort eröffnet er das Feuer, und die Erdbewohner bekommen von der höher entwickelten Vernunft der Nachbarn nur die überlegene Waffentechnik zu spüren.

    Ein ähnliches Szenario entfaltet Blumenberg für den umgekehrten Fall der Landung eines irdischen Raumschiffs auf dem bewohnten Planeten einer fremden Sonne. Von den herbeiströmenden Planetariern versteht mit größter Wahrscheinlichkeit niemand die Sprache der Fremden. Die Neuankömmlinge sind auf die Signale des Körpers angewiesen. Woher aber sollen sie wissen, ob Lächeln auf diesem Stern nicht die Bekundung des Abscheus ist? Ohne daß Gagarin, Armstrong und ihre Kollegen es bemerkt hatten, hat Blumenberg über Jahrzehnte eine Bodenstation unterhalten. Er hat die Mitteilungen der Raumfahrer protokolliert und ihre Daten für seine Gedankenexperimente genutzt. Auch die Fachgenossen mögen verwundert sein, daß das Nachlaßwerk ihnen einen Sternengucker enthüllt, der archivierte, was die Nachrichtenagenturen über die NASA meldeten, und im Geist sogar die Himmelskutschen in Walt Disneys Vergnügungsparks bestieg.

    Allerdings paßt das einsame vergnügen zum Bild des Sonderlings, der am Tage schlief und in der Nacht arbeitete. In einem seiner schönsten Bücher hat Blumenberg eine Urszene der Theorie in den Variationen der Rezeptionsgeschichte verfolgt: das Lachen der Thrakerin. Beim Studium des Sternenhimmels fiel Thales von Milet in einen Brunnen. Eine thrakische Magd, die zufällig des Weges kam, spottete über den Weisen, der sich auf die höheren Dinge verstand, aber den Boden unter den Füßen verlor. Ist die Astronoetik der Einfall eines ironischen Thales, der mit seinen Spekulationen den Spott herausfordert, solange er sich nur nicht mit dem Naheliegenden abgeben muß? Aber Blumenbergs Sternenkunde ist alles andere als weltfremd. Sokrates hatte seine Schüler gelehrt, sich statt mit den Geheimnissen des Himmels lieber mit den Problemen der Menschen zu beschäftigen. Auch für Blumenberg ist die Menschenkenntnis der Zweck der Philosophie. Das Grübeln über die Sterne wird ihm indes zum sokratischen Mittel. Indem er in seinen Fabeln die Versuchspersonen unter die Sterne versetzt, löst er sie aus den unbefragt hingenommene Bedingungen ihrer sozialen Existenz. Wie Sokrates sieht er von den Vorurteilen ab, die dem Menschen den Blick für sein Wesen verstellen. Der Mensch könnte im Weltraum nicht überleben. Das Gedankenspiel, ihn sich dort dennoch vorzustellen, bringt an den Tag, was er zum Leben nötig hat.

    1871, als die Reichsgründung manchem Gebildeten den Glauben an ein Ende der Geschichte eingab, verkündete Ernst Mach den Abschluß der Naturerkenntnis. Gegen den Rat des Sokrates hatte die Neugier das Reich des Sichtbaren erkundet; nun, da in der äußeren Welt alles benannt, bekannt und beschrieben war, durfte sich der Blick nach innen wenden. "Die Menschen sind nun von der ihnen entschieden widerratenen Reise in den Weltraum etwas klüger zurückgekehrt. Nachdem sie die einfachen großen Verhältnisse dort draußen im Reich kennen gelernt haben, fangen sie an, ihr kleines verzwacktes Ich mit kritischem Auge zu mustern." Blumenberg sieht mit Mach dialektischen Sinn darin, daß die Menschheit erst nach der denkbar weitesten Abschweifung auf die von Sokrates gewiesene Straße eingeschwenkt ist. Denn zum Menschen "führen nur Umwege. Das Schnellverfahren, die Prozedur der kürzesten Wege, die Vermeidung von Umständlichkeit durch den Kurzschluß der Reflexion, gibt es nicht."

    Ironischerweise steht auch Mach ein Jahrhundert später als voreiliger Endzeitverkünder da, als unsokratischer Sokrates: der Mann der zuviel wußte. Metaphorisch sprach er die Menschen als Heimkehrer an; ihm träumte nicht, daß sie den wahren Aufbruch noch vor sich hatten. Er ahnte auch nicht, daß sich die einfachen großen Verhältnisse im astrophysikalischen Raum schon nach wenigen Jahrzehnten als kompliziert, ja als teuflisch verzwackt darstellen sollten. Die Aufforderung, den Menschen mit dem kühlen Blick des Astronomen zu beobachten, war deshalb nicht falsch. Indem Mach aber die Anthropologie zur Erbin einer vorgeblich vollendeten Kosmologie erklärte, weckte er illusionäre Erwartungen an die Exaktheit der sozialen Mechanik. Weder der Mensch noch die Wissenschaft vom Menschen folgen Keplerschen Bahnen. Dem Versagen humanwissenschaftlicher Forschungsprogramme gewinnt Blumenberg etwas Gutes ab: "Es gibt die letzte Rückkehr, die endgültige Wendung zum Menschen nicht."

    Die meisten Texte des Bandes sind kurz, manche kaum eine Druckseite lang. Dennoch würde kein Leser den Autor einen Philosophen der kurzen Wege nennen. Blumenberg bewundert Ernst Jünger, der als Greis um die halbe Welt reist, um noch einmal zu sehen, was er schon kennt, den Halleyschen Kometen. So kehrt Blumenberg immer wieder zu seinen Lieblingsautoren zurück. Wie ein Beobachtungssatellit umkreist er einen Satz Epikurs oder eine Geschichte über Einstein: Mit jeder neuen Aufnahme wird das Bild schärfer. Manches, was Blumenberg über die Nutzlosigkeit der Raumfahrt ausfährt, wirkt beim ersten Lesen hämisch. Er vertritt jedoch keineswegs die Auffassung, daß der Mensch die Erde nie hätte verlassen sollen. Seinen wahren Hohn reserviert er für die Prediger, die der Menschheit die Grenzüberschreitung verbieten wollen und dabei verkennen daß der Mensch das Wesen ist, das noch nie eine natürliche Grenze seiner Ausbreitung akzeptiert hat. Wir dürfen nicht alles tun, was wir tun können: Gegen dieses fromme Gebot setzt Blumenberg, der Advokat des Teufels, die Überlegung, daß der Mensch erst dann weiß, was er tun kann, wenn er es getan hat.

    Das gefährliche Wissen wird nicht dadurch ungefährlich, daß man nichts davon wissen will. Lieber rechnet Blumenberg damit, daß die Anwendung neuen Wissens unterbleibt, weil es schon alt ist, wenn es unter die Leute koinmt. Er spielt den Gedanken durch, ein intergalaktischer Marco Polo stieße tatsächlich einmal auf eine fremde Zivilisation. Bis zu seiner Rückkehr wäre soviel Zeit vergangen, daß man auf der Erde die Fragen vergessen hätte, deren Antworten er nun mitbrächte. Wer an die beglückende Macht der Vernunft glaubt, wird von dieser Aussicht enttäuscht sein; der Menschheit könnte die Belehrung durch höhere Wesen entgehen. Blumenberg neigt zu der Annahme, daß eine Gattung, die es in der Evolution weiter gebracht hat, vielleicht vernünftiger, jedenfalls aber schlauer und rücksichtsloser sein wird als wir, was wenig erbauliche Lektionen verspricht.

    Die Vorstellung vom heimgekehrten Astronauten, dessen Sprache niemand mehr versteht, ist ein modernes Bild für den Gedanken, die Philosophie komme immer zu spät. Blumenbergs Kommentare etwa zur Mondexpedition der Amerikaner hätten in Tageszeitungen erscheinen können. Der Aufschub der Publikation hat dafür gesorgt, daß der Haltung der Distanz der zeitliche Abstand entspricht. Vielleicht hat Blumenberg verhindern wollen, daß man der Astronoetik eine Absicht zuschrieb, daß man ihrem Erfinder den Wunsch unterstellte, der Wernher von Braun der Gegenrichtung zu werden, der Propagandist der Rückkehr zur Erde. Blumenbergs Bosheiten nehmen durch die Verzögerung ihrer Bekanntgabe etwas von Höflichkeit an. Er war kein Spielverderber, denn er hat die Spieler spielen lassen. Aber sie können ihn nicht daran hindern, am Ende Gewinne und Verluste zu berechnen. Nebenbei fällt eine Bilanz der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts ab.

    Die Überlegung, welche Mißverständnisse der Auftritt menschlicher Raumfahrer auf einem unbekannten Planeten auslösen könnte, wirkt auf den ersten Blick denkbar unernst, da sie von allen realistischen Möglichkeitserwägungen absieht. Das Kontrafaktische ist aber der charakteristische Zug einer modernen Philosophie, der die Übereinstimmung von natürlicher und sittlicher Weltordnung fragwürdig geworden ist. Es ist ihr nicht mehr selbstverständlich, daß der bestirnte Himmel ein Bild des moralischen Gesetzes ist, daher denkt sie gegen die Tatsachen. Blumenberg scheint sich in seinen Spekulationen über Odysseen im Weltall rückhaltlos dem freien Lauf der Phantasie auszuliefern. Aber der Hintersinn seiner Versuchsanordnungen ist die Absicht, die ethische Reflexion auf den Boden der Tatsachen zurückzuführen. Versetzt man die Urszenen der moralischen Vorstellungskraft unter ein anderes Firmament, wird deutlich, daß friedliche Konfliktlösungen nicht nur von guten Absichten abhängen, erst recht nicht von der idealistischen Unterstellung eines immer schon unsichtbar über den Köpfen schiebenden Konsenses. Wenn sich Kollisionen häufig glücklich vermeiden lassen, liegt das auch an der biologischen Ausstattung des Menschen und seines Planeten.

    So liefert Blumenberg mit der Verspätung des Skeptikers, der die Welt nicht verändern will, seinen Beitrag zu dem Projekt, das bei seinen Fachkollegen Transzendentalpragmatik heißt: Er fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit der moralischen Kommunikation und findet sie in der Evolution, als deren Errungenschaft auch die Vernunft zu gelten hat. Die Besucher eines Planeten ohne Atmosphäre müssen Raumanzüge tragen. Zwei Fremde können einander nicht nackt gegenübertreten und jene Vorleistung des Vertrauens gar nicht erbringen, die im demonstrativen Verzicht auf Tarnung und Bewaffnung besteht. Mit Helmen bewehrt, können sie einander noch nicht einmal in die Augen sehen - wenn sie denn beide Augen haben. Keiner kann feststellen, ob er seinesgleichen begegnet. Was ist vernünftig in dieser Situation? Es ist Blumenbergs Art des schwarzen Humors, daß er Auskunft ausgerechnet bei Hans Jonas sucht, dem Kritiker der Selbstüberhebung des Menschen in Wissenschaft und Technik. Das von Jonas formulierte "Prinzip Verantwortung" gebietet, alles zu unterlassen, wovon man nicht sicher sei, daß es keinen irreparablen Schaden für die Zukunft anrichte. Vernünftig ist es dann, unbekanntes Land gar nicht zu betreten. Noch vernünftiger aber ist es, schließt Blumenberg, "den Unbekannten erst recht keinen Zutritt zum eigenen Boden zu gewähren, ihrem ungewissen Verhalten und Einfluß zuvorzukommen. Und die perfekte Form der Prävention ist die Ausschaltung des Fremden."

    Man tue es nicht als frivol ab, daß Blumenberg aus einem Rezept für das Überleben der Erde eine Lizenz zum Töten von Außerirdischen deduziert. Auf einem Zettel Wittgensteins, der den Frieden so sehr liebte, daß mancher ihn für einen Heiligen hielt, entdeckt Blumenberg ein Kalkül des kosmischen Kolonialismus. Wittgenstein stellte sich ein Problem. Man denke sich unbekannte Lebewesen; wie erkennt man, ob sie denken können? Für irdische Raumfahrer auf einem Planeten der Affen könnte die Frage überlebenswichtig sein. Eine Probe ist die Versklavung der Fremden. Zwingt man sie zum Arbeiten, werden sich die selbständigen Köpfe von den lebenden Robotern absondern. Nach Wittgenstein wird die Natur der Dinge in ihrem Gebrauch erkannt. Er überträgt diese Regel auch auf den Umgang mit den Sklaven: "Für einen Denkenden zahlen wir mehr, als für einen bloß mechanisch Geschickten." Blumenberg bekundet seine Achtung für die Konsequenz eines Denkens, das seine Bahn so unbeirrt verfolgt wie ein Himmelskörper nach dem Gravitationsgesetz. Philosophen dürfen, wie Blumenberg feststellt, "nicht sanft sein". Daß sie in Verdacht geraten, Wegbereiter des Schrecklichen zu sein, liegt "an der Härte der Sachen, die sie zu bedenken haben".

    Ein Überbringer schlechter Nachrichten ist der Philosoph spätestens seit Malthus und Darwin. Die Menschen wollen von ihm hören, daß die Welt vernünftig eingerichtet ist; er muß sie darüber aufklären, daß es zwar eine Ökonomie der Natur gibt, daß deren Prinzip aber die Verschwendung ist. Die Evolution macht unzählige Versuche, damit einer gelingt. Die Aufklärer wollten den Stolz des Menschen brechen, indem sie die Existenz von vernünftigen Wesen auf anderen Planeten postulierten, die die Erdbewohner Mores lehren sollten. Heute, da wir wissen, wie zufällig die Entstehung des Lebens gewesen ist, nimmt sich der Glaube, anderswo könnten unbekannte Vettern leben, deren Daseinszweck unsere Belehrung ist, als rührende Selbstüberschätzung aus.

    Blumenberg spielt mit dem mephistophelischen Gedanken, das Leben wäre besser nicht entstanden. In diesen Elementen blickt er mit den Augen der Mondfahrer auf die Erde: Auf der blauen Scheibe vor schwarzem Hintergrund waren keine Spuren der menschlichen Tätigkeit zu erkennen. Eine Rückkehr ins Paradies wäre möglich. Aber der Mensch mußte zuerst von der Erdoberfläche verschwinden. Die Weltgeschichte vollzöge dann jene Bewegung, die Musaios beschrieben hat, der von den Athenern erfundene erste Philosoph ihrer Stadt: Aus Einem ist alles hervorgegangen und zu Einem wird alles wieder. Dieser Satz beschreibt nicht nur das Schicksal der Welt, sondern auch das ihrer Erkenntnis. Er wird am Ende stehen, wenn der Physik einmal die Synthese aller Gesetze gelingt. Die vollständige Theorie sagt dasselbe wie der allumgreifende Mythos, nämlich fast nichts. Blumenberg, der nie müde wird, die Abstürze der Forschungsgeschichte zu protokollieren, notiert mit Befriedigung das Paradox, daß "die Annäherung ans Ideal der Vernunft die Erklärungsleistung minimiert". Das Lachen der Thrakerin ist ansteckend.

    Blumenberg vergnügte es, von theoretischen Vorlieben auf moralische Haltungen zu betragen. Man kann ihn selbst nach der eigenen Methode befragen. Warum kommt er immer wieder auf Musaios zurück, einen Philosophen, der noch nicht einmal gelebt hat und dessen Satz gerade jene feinen Unterschiede tilgt, denen Blumenbergs hingebungsvolle Aufmerksamkeit gilt? Vielleicht führt eine emphatische Bemerkung zur Verteidigung Casanovas auf die richtige Spur. Blumenberg erzählt eine Begebenheit der Memoiren nach. An seinem neunten Geburtstag fuhr Casanova mit seiner Mutter zu Schiff von Venedig nach Padua. Durch das Fenster sah er die vorbeiziehenden Baumwipfel am Flußufer. Die Bewegung des Schiffes war so gleichmäßig, daß der Knabe glaubte, es stehe still und die Bäume wanderten. Die Mutter erklärte ihm seinen Irrtum. In diesem Augenblick will Casanova von selbst auf den Gedanken des Kopernikus gekommen sein: Wenn nicht die Bäume sich bewegten, sondern das Schiff, dann sei es auch möglich, daß nicht die Sonne wandere, sondern die Erde. So wiederholt sich in jedem Menschenleben die Genesis der kopernikanischen Welt: der Sieg des Selbstdenkens über die Sinnestäuschungen. Blumenberg hält die Geschichte des Neunjährigen, der die Relativität des Standorts der Menschen im Kosmos erkennt, für glaubwürdig. Den Verächtern der Memoiren Casanovas gibt er zu bedenken, "daß die Geschichte des vielfältigen Liebhabers im Vordergrund nur den Ausgang von der Einsamkeit und die Rückkehr in die Einsamkeit konturiert". Vielleicht hat sich Musaios getäuscht, und es ist nicht alles aus einem hervorgegangen und kehrt nicht alles in eines zurück. Was beim Weltlauf ungewiß bleibt, gilt aber in jedem Fall, und gerade im Fall des Irrtums, für den Lebenslauf des Philosophen: Er war am Anfang allein und wird am Ende wieder allein sein. "Die Vollzähligkeit der Sterne" ist aller Neugier für das Treiben der Menschen zum Trotz das Buch eines Einsamen, eines Zuschauers, der seinen Blickwinkel mit niemandem teilt.

    Der Titel spielt auf Hans Carossas Gedicht "Der alte Brunnen" an. Ein Schläfer wacht nachts plötzlich auf, weil der Brunnen nicht mehr plätschert. Der Herr des Hauses beruhigt ihn: Ein Wanderer ist an den Brunnen getreten. Die Welt ist noch in Ordnung, das Wasser wird wieder rauschen, und "die Sterne stehn vollzählig überm Land". Carossas Gedicht endet mit den Versen: "O freue dich, du bleibst nicht einsam hier. Viel Wandrer gehen fern im Sternenschimmer, Und mancher noch ist auf dem Weg zu dir." Diese Verse zitiert Blumenberg nicht. Die Aussicht auf eine Begegnung mit Unbekannten hatte wohl nichts Tröstliches für ihn. Wie hätte er gewiß sein können, daß sie ihm nicht fremd gewesen wären wie Außerirdische? Die Vollzähligkeit der Sterne gibt es nur noch im Gedicht, das eine kosmische Harmonie beschwört, an die die Wissenschaft nicht mehr glaubt. Seit Kopernikus könnte der Mensch es besser wissen: Er bleibt einsam hier.