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Die Waffen schweigen am Preah Vihear Tempel

Vor einigen Wochen lieferten sich thailändische und kambodschanische Truppen heftige Feuergefechte. Der bereits Jahrzehnte schwelende Grenzkonflikt um den Preah Vihear Tempel brach sich wieder einmal die Bahn. Bereits seit der Unabhängigkeit Kambodschas, 1954, streiten die beiden Nachbarländer um das Tempelgelände. Zurzeit schweigen die Waffen, doch die Lage bleibt angespannt.

Von Bernd Musch-Borowska |
    Am Fuße der steilen Steintreppe, die zum Preah Vihear Tempel an der thailändischen Grenze hinauf führt, haben kambodschanische Soldaten Schützengräben ausgehoben. Verschanzt hinter Maschinengewehren und Granatwerfern beobachten sie genau jede Bewegung auf dem gegenüber liegenden Hügel, der bereits zu Thailand gehört.

    Der Grenzübergang vor dem Haupteingang des Tempels ist geschlossen und mit Stacheldraht unpassierbar gemacht worden. Auf der anderen Seite der Absperrung, keine 50 Meter entfernt, winken thailändische Soldaten herüber.

    Mitte Oktober hatten sich die Truppen beider Länder hier an dieser Stelle heftige Feuergefechte geliefert, bei denen drei kambodschanische Soldaten ums Leben gekommen sind. Auf beiden Seiten hat es mehrere Verletzte gegeben.

    Insgesamt 30 thailändischen Soldaten seien auf kambodschanisches Territorium vorgedrungen, sagt General Than Saree, der Kommandeur der kambodschanischen Truppen am Preah Vihear Tempel. Dann hätten sie das Feuer eröffnet und die kambodschanischen Soldaten hätten zurück geschossen:

    "An dieser Stelle dort drüben sind sie auf unser Territorium gekommen und haben unsere Grenzposten bedroht. Wir haben sie aufgefordert, das Gebiet zu verlassen, aber sie haben nicht darauf reagiert."

    Zwischen den Tempel-Ruinen oben auf dem Berg haben die kambodschanischen Offiziere einen Kommandostand eingerichtet und beraten die Lage. Seit sich die Regierungen beider Länder darauf verständigt haben, den Konflikt friedlich zu lösen, ist es ruhig geblieben am Preah Vihear Tempel. Doch die Stimmung bei den Soldaten ist angespannt. Jederzeit könnte ein Zwischenfall neue Kämpfe auslösen.

    Vor einigen Tagen waren zwei thailändische Soldaten auf Landminen getreten und schwer verletzt worden. Das sei ein Beweis dafür, dass sie auf kambodschanischem Gebiet gewesen seien, sagt General Than Saree, denn in Thailand gebe es doch gar keine Landminen. Vorwürfe der thailändischen Seite, dass die Kambodschaner die Minen erst kürzlich dort verlegt hätten, weist er zurück:

    "Die Landminen, die dort und hier noch überall liegen, sind ein Überbleibsel aus früheren Kriegen. Wir haben die nicht verlegt, damit würden wir uns ja selbst gefährden. Auf dieser Seite, dort drüben wurden die Landminen bereits geräumt, aber dort noch nicht. Das Minenräumkommando wurde wegen der angespannten Lage abgezogen. Wenn der Konflikt beendet ist, wird die Räumung der Landminen fortgesetzt."
    Der Haupteingang des Tempels, der im 11. Jahrhundert vom Khmer-König Suryavarman I. erbaut wurde, ist nur von thailändischer Seite zu erreichen. Die einstigen französischen Kolonialherren hatten hier Anfang des 20. Jahrhunderts die Grenze gezogen, zwischen Siam, wie Thailand damals hieß und Kambodscha. Seitdem wurde um den Preah-Vihear-Tempel gestritten.

    Als Kambodscha 1954 seine Unabhängigkeit erhielt, besetzten thailändische Truppen das Tempel-Gelände. Kambodscha brachte den Fall vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag und gewann. 1962 wurde die Tempelanlage gerichtlich zum Eigentum Kambodschas erklärt.

    Die thailändische Armee erkennt den vom Gericht bestätigten Grenzverlauf nicht an und beruft sich auf eigene Karten, nach denen ein Teil des Territoriums und der Tempelanlagen auf thailändischem Grund und Boden stehen.

    Phay Saphan, der Sprecher des kambodschanischen Ministerrats, weist diese Behauptung zurück.

    "Der Grenzverlauf steht seit hundert Jahren fest. Die Thais haben dem Verlauf im Jahr 1908 in einem Vertrag mit Frankreich zugestimmt. Für die Region um den Preah Vihear Tempel gibt es internationale Karten, die auch 1962 vom internationalen Gerichtshof in Den Haag überprüft und bestätigt wurden. Und auch das UNESCO-Kommitee hat sich darauf berufen, als Preah Vihear in die Liste des Welterbes aufgenommen wurde. Die Thais haben eigene Karten angelegt und behaupten, dass ihre Truppen auf thailändischem Territorium waren. So etwas ist unakzeptabel, der Zweite Weltkrieg ist doch längst vorbei."

    Doch der Streit zwischen den beiden südostasiatischen Nachbarländern um das historische Erbe der Khmer reicht viel weiter zurück. Die alten Khmer-Könige von Kambodscha herrschten einst über ein riesiges Reich, das weite Teile des heutigen Thailands einschloss, bevor dann wiederum die Könige von Siam, wie Thailand früher hieß, über den größten Teil der Region herrschten. Viele Tempel der Khmer stehen im heutigen Thailand.

    Als im Jahr 2003 in kambodschanischen Medien behauptet wurde, Thailand erhebe Anspruch auf die historischen Tempel von Angkor Wat, gab es in Phnom Penh schwere Unruhen, bei denen die thailändische Botschaft in der kambodschanischen Hauptstadt von einem wütenden Mob niedergebrannt wurde.

    Obwohl sich die Regierungen der beiden Nachbarländer, die auch Mitglied in der Organisation der südostasiatischen Staaten ASEAN sind, auf einen Gewaltverzicht verständigt haben, richten sich die kambodschanischen Soldaten am Preah Vihear Tempel auf einen längeren Einsatz ein. Zwischen den Tempelruinen haben sie mit Zeltplanen notdürftige Unterkünfte aufgebaut. Von kambodschanischer Seite ist die Anlage nur über eine steile, mit Schlaglöchern übersäte Straße erreichbar, die nur von Motorrädern und Autos mit Vierrad-Antrieb befahren werden kann. Wenn es regnet, ist selbst das nicht möglich. Es komme immer wieder vor, dass der Nachschub ausbleibe, sagt Hok Sawoern, ein junger Unteroffizier:

    "Wenn es zu stark regnet, dann kommen selbst die Motorräder nicht mehr durch, dann können sie uns keine Verpflegung mehr hoch bringen. Manchmal müssen wir auf eine Mahlzeit verzichten oder einfach nur Nudeln essen."

    90.000 Riel, umgerechnet 22 US-Dollar bekommt Unteroffizier Sawoern im Monat. Dafür riskiert er sein Leben bei der Verteidigung des Preah Vihear Tempels.

    "Ich bin bereit zu kämpfen und zu sterben. Ich habe keine Angst."

    Die Lösung für den Grenzkonflikt liegt in der thailändischen Innenpolitik. Das Parlament in Bangkok soll den Grenzvertrag aus dem Jahr 1907 bestätigen, heißt es in einer Vereinbarung, die die thailändisch-kambodschanische Grenzkommission vor kurzem getroffen hat. Doch angesichts der seit Monaten andauernden politischen Krise in Thailand ist ein Ende des Streits um den Preah Vihear Tempel nicht in Sicht.