Burkhard Müller-Ullrich: Die Autobiografie von Günter Grass trägt den Titel "Beim Häuten der Zwiebel". Ins Studio gekommen ist jetzt mein Kollege Hubert Winkels von der Literaturredaktion; er hat das Buch gelesen, und er darf heute erstmals öffentlich darüber sprechen, denn bislang galt ja die vom Verlag vorgegebene Rezensions-Sperrfrist bis zum Erstverkaufstag im zwei Wochen, aber angesichts des Radaus, den ein in einem Interview herausgestelltes Detail dieser Biografie erzeugt hat, wurde diese Sperrfrist jetzt fallengelassen. Der Autor will, wie wir gerade gehört haben, das letzte Wort behalten, Herr Winkels. Gelingt ihm das?
Hubert Winkels: Na ja, ganz offensichtlich hat er das nicht, und man könnte ja die gesamte im Moment laufende Debatte bezeichnen als ihm wird das letzte Wort buchstäblich aus der Hand genommen. Also wenn das seine Absicht war, auch im Hinblick das letzte Wort auf meine Biografie, dann ist ihm das mit Sicherheit komplett misslungen. Aber um jetzt auch schon gleich auf die zwangsläufige, nämlich inkriminierte Stelle zu kommen.
Müller-Ullrich: Seite 126.
Winkels: Ja, es stellt sich etwas die Frage, wenn ihm offenbar so hochbewusst war, dass eine wirklich neue Tatsache diese SS-Mitgliedschaft war, und er war sich dessen bewusst, warum hat er es nicht in dem Roman selber wenigstens andeutungsweise oder in der Grassschen Manier thematisiert? Er hätte ja mit einem Leichten sagen können, "Was mir immer schon auf der Seele lag, was ich 60 Jahre aus dem und dem Grund nicht sagen konnte, hier sage ich es, und ich sage jetzt, weil…" Genau das tut er nicht, und das ist sehr seltsam.
Müller-Ullrich: Wie tut er es denn?
Winkels: Dann wollen wir mal genau hinlesen. Also wir erfahren sukzessive, wie er in den Krieg hineingerutscht ist. Er wird erst Luftwaffenhelfer, dann haut er quasi in einer Nacht- und Nebelaktion ab, es war tagsüber natürlich, und will sich freiwillig zum U-Boot-Dienst melden. Er fährt nach Gedingen, ohne dass jemand das weiß, da wir er aber als Fünfzehnjähriger mehr oder weniger ausgelacht. Er soll warten, bis sein Jahrgang 27 an der Reihe ist, aber es heißt, "Wir werden das Ersuchen an die richtigen Stellen weiterleiten". Da weiß man nicht so genau, haben die ihn abgespeist, oder ist es tatsächlich als Bewerbung verstanden worden, das geht überhaupt nicht daraus hervor.
Irgendwann sehr viel später, anderthalb Jahre später, muss man vermuten, gibt es einen Einberufungsbescheid. Zu dem Zeitpunkt ist auch überhaupt noch nicht von der SS die Rede. Dann fährt er nach Berlin, wird von da weiterverteilt nach Dresden, auch da ist noch nicht die Rede von der SS, dann sitzt er in Dresden, da ist er offenbar schon 17, das wird alles nicht so chronologisch genau gesagt, und realisiert, dass es in den nächsten Tagen abgeht in den Böhmer Wald zu einer Übung für die Panzerdivision, in der er dann tätig werden soll, und dann, das ist sozusagen die Seite 126, auf die Sie schon angespielt haben, da steht jetzt, wenn ich das mal wörtlich zitieren darf, "mein nächster Marschbefehl machte deutlich, wo der Rekrut meines Namens auf einem Truppenübungsplatz der Waffen-SS zum Panzerschützen ausgebildet werden sollte, irgendwo weit weg in den böhmischen Wäldern. Zu fragen ist, erschreckte mich was damals im Rekrutierungsbüro unübersehbar war, wie mir noch jetzt nach über 60 Jahren das doppelte S im Augenblick der Niederschrift schrecklich ist?"
Wann und was war denn das Rekrutierungsbüro? Das wird nicht wirklich geklärt. Hier müsste man eigentlich annehmen, es ist dem Fünfzehnjährigen schon irgendwie signalisiert worden, als er sich bewarb, es funktioniert nicht als U-Boot, aber wenn du zu einer Panzerdivision willst, wird es eine SS-Division. Das kann man schließen, das sollte man schließen, aber sicher ist es hier nicht und zu keinem Zeitpunkt.
Man könnte auch vermuten, es war ihm nie ganz klar, er hätte es als Möglichkeit realisieren können, aber tatsächlich gewusst, bewusst aufgenommen, hat er es erst, als er quasi abkommandiert wurde für die Panzerdivision mit 17. Also wirklich dieser Crucial Point, also die wirkliche Frage, hat er sich bewusst zur Waffen-SS, zur Panzerdivision der Waffen-SS gemeldet oder nicht, diese Frage wird leider nicht wirklich hieb- und stichfest beantwortet. Es kommt fast wie eine Marginalie.
Wenn man es aber weiß, jetzt im Nachhinein, dann ist es hochinteressant, dann sucht man ja diese Stelle und stellt fest, die ist sehr gut verpackt. Also er hat eine richtige Retardierungsstrategie. Man will so ab Seite 70 ungefähr wissen, wann ist es so weit, wann erfährt er es, wann will er dahin, jetzt ex post, nach dieser Diskussion, und dann wartet man 50 Seiten, 55 Seiten, und denkt, ja, jetzt, jetzt, jetzt, und dann kommt es sehr spät, und, ich will ihm das nicht unterstellen, aber man könnte auch sagen, es ist eine äußerst geschickte, Spannung steigernde Dramaturgie, also quasi ein formales Mittel, das rauszuzögern, bis es denn quasi rauskommt.
Hubert Winkels: Na ja, ganz offensichtlich hat er das nicht, und man könnte ja die gesamte im Moment laufende Debatte bezeichnen als ihm wird das letzte Wort buchstäblich aus der Hand genommen. Also wenn das seine Absicht war, auch im Hinblick das letzte Wort auf meine Biografie, dann ist ihm das mit Sicherheit komplett misslungen. Aber um jetzt auch schon gleich auf die zwangsläufige, nämlich inkriminierte Stelle zu kommen.
Müller-Ullrich: Seite 126.
Winkels: Ja, es stellt sich etwas die Frage, wenn ihm offenbar so hochbewusst war, dass eine wirklich neue Tatsache diese SS-Mitgliedschaft war, und er war sich dessen bewusst, warum hat er es nicht in dem Roman selber wenigstens andeutungsweise oder in der Grassschen Manier thematisiert? Er hätte ja mit einem Leichten sagen können, "Was mir immer schon auf der Seele lag, was ich 60 Jahre aus dem und dem Grund nicht sagen konnte, hier sage ich es, und ich sage jetzt, weil…" Genau das tut er nicht, und das ist sehr seltsam.
Müller-Ullrich: Wie tut er es denn?
Winkels: Dann wollen wir mal genau hinlesen. Also wir erfahren sukzessive, wie er in den Krieg hineingerutscht ist. Er wird erst Luftwaffenhelfer, dann haut er quasi in einer Nacht- und Nebelaktion ab, es war tagsüber natürlich, und will sich freiwillig zum U-Boot-Dienst melden. Er fährt nach Gedingen, ohne dass jemand das weiß, da wir er aber als Fünfzehnjähriger mehr oder weniger ausgelacht. Er soll warten, bis sein Jahrgang 27 an der Reihe ist, aber es heißt, "Wir werden das Ersuchen an die richtigen Stellen weiterleiten". Da weiß man nicht so genau, haben die ihn abgespeist, oder ist es tatsächlich als Bewerbung verstanden worden, das geht überhaupt nicht daraus hervor.
Irgendwann sehr viel später, anderthalb Jahre später, muss man vermuten, gibt es einen Einberufungsbescheid. Zu dem Zeitpunkt ist auch überhaupt noch nicht von der SS die Rede. Dann fährt er nach Berlin, wird von da weiterverteilt nach Dresden, auch da ist noch nicht die Rede von der SS, dann sitzt er in Dresden, da ist er offenbar schon 17, das wird alles nicht so chronologisch genau gesagt, und realisiert, dass es in den nächsten Tagen abgeht in den Böhmer Wald zu einer Übung für die Panzerdivision, in der er dann tätig werden soll, und dann, das ist sozusagen die Seite 126, auf die Sie schon angespielt haben, da steht jetzt, wenn ich das mal wörtlich zitieren darf, "mein nächster Marschbefehl machte deutlich, wo der Rekrut meines Namens auf einem Truppenübungsplatz der Waffen-SS zum Panzerschützen ausgebildet werden sollte, irgendwo weit weg in den böhmischen Wäldern. Zu fragen ist, erschreckte mich was damals im Rekrutierungsbüro unübersehbar war, wie mir noch jetzt nach über 60 Jahren das doppelte S im Augenblick der Niederschrift schrecklich ist?"
Wann und was war denn das Rekrutierungsbüro? Das wird nicht wirklich geklärt. Hier müsste man eigentlich annehmen, es ist dem Fünfzehnjährigen schon irgendwie signalisiert worden, als er sich bewarb, es funktioniert nicht als U-Boot, aber wenn du zu einer Panzerdivision willst, wird es eine SS-Division. Das kann man schließen, das sollte man schließen, aber sicher ist es hier nicht und zu keinem Zeitpunkt.
Man könnte auch vermuten, es war ihm nie ganz klar, er hätte es als Möglichkeit realisieren können, aber tatsächlich gewusst, bewusst aufgenommen, hat er es erst, als er quasi abkommandiert wurde für die Panzerdivision mit 17. Also wirklich dieser Crucial Point, also die wirkliche Frage, hat er sich bewusst zur Waffen-SS, zur Panzerdivision der Waffen-SS gemeldet oder nicht, diese Frage wird leider nicht wirklich hieb- und stichfest beantwortet. Es kommt fast wie eine Marginalie.
Wenn man es aber weiß, jetzt im Nachhinein, dann ist es hochinteressant, dann sucht man ja diese Stelle und stellt fest, die ist sehr gut verpackt. Also er hat eine richtige Retardierungsstrategie. Man will so ab Seite 70 ungefähr wissen, wann ist es so weit, wann erfährt er es, wann will er dahin, jetzt ex post, nach dieser Diskussion, und dann wartet man 50 Seiten, 55 Seiten, und denkt, ja, jetzt, jetzt, jetzt, und dann kommt es sehr spät, und, ich will ihm das nicht unterstellen, aber man könnte auch sagen, es ist eine äußerst geschickte, Spannung steigernde Dramaturgie, also quasi ein formales Mittel, das rauszuzögern, bis es denn quasi rauskommt.